Table Of ContentDie
Genese der Entzündungen.
ISBN 978-3-662-42264-9 ISBN 978-3-662-42533-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-42533-6
Die
Genese der Entzündungen.
Von
Prof. DI" Aufrecht,
Geheimer Sanitätsrat.
Magdeburg.
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1919
NW. Unter den Linden 68.
Alle Rechte vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis.
Die parenchymatöse Entzündung.
Degenerativer Charakter der parench)'matösen Entzündung S. 7. - Selbst
ständigkeit der parenchymatösen und der interstitiellen Entzündung? S.9. -
Widersprüche gegen die parenchymatöse Entzündung S. 10. - Die Afficität von
Giften zu den drüsigen Organen S. 11. - Veränderungen der Muskeln nach
Durchschneidung S. 13. - _bei subakuter Spinalparalyse S. 15. - Die Nerven
regeneration bei Spinalparalyse S. 16. - bei Tabes dorsalis S. 17. - Die Leber
veränderungen durch Phosphor S. 18. - Die atrophische Leberzirrhose S. 22.
- Primäre Erkrankung der Leberzellen S. 25. - Die Nierenerkrankung durch
Kantharidin S. 27. - Ergebnisse einseitiger Ureterunterbindungen S. 31. -
Entstehung der Harnzylinder S. 32. - Die Nephritis bei kruppöser Pneumonie
S. 34. - Die tubuläre Nephritis S. 35_ - Die interstitielle Entzündung eine
Folge der parenchymatösen S. 36. - Ergebnisse totaler Nierenabbindungen
S. 38. - Das Zellprotoplasma in ruhendem und in tätigem Zustande S. 40. -
Die parenchymatös·interstitielle Nephritis S.42_
Die exsudative Entzündung.
Der Austritt weißer Blutkörperchen aus den Gefäßen S. 44. - Die Binde
gewebsneubildung in Wunden S. 46. - Die neutrophilen Myelozyten als Binde
gewebsbildner S.50. - Bindegewebige Neubildungen beim Menschen S.53. -
Der Austritt von Fibrin aus den Gefäßen als Kriterium der exsudativen Ent
zündung S. 56. - bei Pneumonie S. 56. - bei Diphtherie S. 57. - bei pyämi
sehen Herden S. 58.
Aetiologie der parenchymatösen Entzündung.
Anorganische Gifte S. 58. - Organisch~ Gifte S. 59. - Bakterientoxine
S. 59. - Die Nephritis nach Erkältung S.59. - Sekundäre Formen der paren
chymatösen Entzündung S. 60. - nach Harnstauung S. 60. - nach Gallen
stauung S. 60.
6 Inhaltsverzeichnis.
Aetiologie der exsudativen Entzündung.
Traumen S. 61. - Bakterien S. 61. - Die Kombination exsudativer Pro
zesse mit der parenchymatösen Entzündung S. 61. - Die Exsudation von Fibrin
mit nachfolgendem Austritt weißer Blutkörperchen in der Umgebung nekrotischer
Stellen S. 62.
Schlußergebnis.
Zwei Arten von Entzündungen S.63. - Die parenchymatöse Entzündung
eine Störung des Zellorganismus mit Aufhebung seiner Funktionen und Rück
kehr zum protoplasmatischen Zustand S. 64. - Die exsudative Entzündung
eine Kombination der Exsudation von Fibrin mit nachfolgendem Austritt weißer
Blutkörperchen aus den Gefäßen S. 64. - Neutrophile Myelozyten die Genera
toren bindegewebiger Neubildungen S. 65.
Literaturverzeichnis S. 65.
Die parenchymatöse Entzündung.
Als Einführung in die neueste Epoche der Ent
zündungslehre darf Virchow's Untersuchung über die
parenchymatöse Entzündung angesehen werden. Er er
klärte (68): "Nicht die Hyperämie und nicht das Exsudat, weder
Röte noch Geschwulst noch Schmerz stelle ich in den V ordef/!;rund,
obwohl ich ihre Bedeutung anerkenne, sond"tlrn die Degeneration,
welche als vermehrte Verbrennung und Zersetzung mit Tempe
ratursteigerung in geradem Verhältnis zu der Störung der Funktion
des Teiles sich ausbildet. Ich vindiziere also vor allem der Ent
zündung den degenerati ven Charakter und obgleich ich sie als
eine Steigerung nutritiver Akte bezeichne, so erblicke ich in ihr
doch kein Zeichen gesteigerter Kraft, sondern vielmehr den Aus
druck der Abnahme derselben, den Grund der Verminderung und
nicht selten vollständigen Vernichtung der Funktion des Teiles."
An anderer Stelle sagte Vi r c h 0 w (69, S. 67): Der Entzündungsprozeß
ist, seinem eigentlichen Wesen nach, eine örtliche Ernährungsstörung .....
Dic Gewebselemente vergrößern sich, ihr Inhalt nimmt zu, sie werden häufig
durch reichlichen Nieders~hlag körniger Elemente trüb; es finden sich deutliche
Zeichen der Geschwulst selbst an den einzelnen Zellen, so daß zellenreiche
Organe (Leber, Nieren) dadurch eine sehr bedeutende Volumszunahme erfahren
können und der größte Teil der Entzündungsgeschwulst auf die vielen ge
schwollenen Elementarteile bezogen werden muß . . ... Der Charakter der
Gefahr, die destruktive Tendenz ist es, durch den sich die Entzündung ebenso
auffallend vor den einfacheren Ernährungsstörungen hervorhebt, wie der' patho
logische Prozeß vor dem physiologischen . . . .. Zwischen der Irritation und
der Entzündung besteht nur ein quantitativer Unterschied; letztere entwickelt
sieh Schritt für Schritt aus der ersteren . . . .. So lange auf ein Irritament
nur funktionelle Störungen zu beobachten sind, so lange spricht man von Irri
tation; werden neben den funktionellen nutritive bemerkbar, so nennt man es
Entzündung.
In seiner Zellularpathologie (70) heißt es: Man muß zwei ganz und
gar ihrer Leistung nach verschiedene Formen von Entzündungen
8 Die parenchymatöse Entzündung.
von einander trennen, nämlich: 1. die rein parenchrmatöse Ent
zündung, 2. die se k re torische (exs uda tiv e) En tzünd ung. Bei ersterer
verläuft der Prozeß im Inneren des Gewebes und zwar mit Veränderungen der
Gewebselemente selbst, ohne daß eine frei hervortretende Ausschwitzung wahr
zunehmen ist; letztere gehört mehr den oberflächlichen Organen an wo vom
Blute aus ein vermehrtes Auftreten von wäßrigen (serösen) Flüssigkeiten erfolgt,
welche die eigentümlichen, infolge der Gewebsreizung gebildeten parenchyma
tösen Stoffe mit an die Oberfläche der Organe führen.
Allerdipgs sind diese beiden Formen hauptsächlich nach den Organen
unterschieden, an welchen die Entzündung vorkommt. Es gibt gewisse Organe,
welche unter allen Verhältnissen nur parenchymatös erkranken, andere, welche
fast jedesmal eine oberflächliche exsuqative Entzündung erkennen lassen.
Die beiden Grundformen der Entzündung, die parenchymatöse und die
exsudative, könn'en sich miteinander vergesellschaften und eine kombinierte
Störung hervorbringen. Allein beide sind ihrem Wesen nach verschieden: Sagt
man statt parenchymatöser Entzünqung "entzündliche Degeneration" und statt
exsudativer Entzündung "entzündliche Sekretion", so stellt sich die Verschieden
heit alsbald in deutlicher Weise dar.
Bezüglich des Auftretens von Fibrin aber erklärte er w,eiter
hin (70, S. 401): Während man bis jetzt die Fibrinausscheidung als eine eigent
liche Transsudation aus der Blutflüssigkeit, das Exsudat als das hervortretende
Plasma betrachtete, habe ich die Deutung aufgestellt, daß auch das Fibrin
häufig ein Lokalprodukt derjenigen Gewebe sei, an welcben und in welchen es
sich findet, und daß es in derselben Weise an die Oberfläcbe gebracht werde,
wie der Schleim der Schleimhaut (?). In dem Maße, wie an einem bestimmten
Gewebe die ]<,ibrinproduktion steigt, wird auch dem Blute mehr ]<'ibrin zuge
.führt, die fibrinöse Krase ist eben so gut ein Produkt der lokalen Erkrankung,
wie die fibrinöse Exsudation das Produkt der lokalen Stoffmetamorphose.
Von einzelnen Organen, an denen die parencbymatöse Ent
zündung verläuft, sagte Virchow (70): Wenn eine Muskelentzündung be
steht, bei welcher die Muskelprimitivbündel der fettigen Degeneration verfallen,
so gehen sie auch regelmäßig zu Grunde, und wir finden nachher an
der Stelle, wo die Degeneration stattgefunden hatte, eine, wenn auch nicht
offene, Lücke (einen Defekt) im Muskelfleisch. ;- Die Niere, deren Epithel in
fettige. Degeneration übergeht, schrumpft fast immer zusammen; das Resultat
ist eine bleibende Atrophie. Ausnahmsweise kommt vielleicht etwas zustande,
was als Degeneration des Epithels gedeutet werden könnte, aber gewöhnlich
ist ein Zusammensinken der ganzen Struktur die Folge. - Dasselbe sehen wir
am Gehirn bei der gelben Erweichung (?), gleichviel wie sie bedingt sein mag.
Ob Entzündung oder nicht vorherging, es bildet sich ein Herd, welcher sich
nie wieder mit Nervenmasse ausfüllt.
Die in dem Bilde des Morbus Brightii zusammenfaßten Affekti'onen löste
er auseinander in die amyloide Degeneration, die parenchymatöse Nephritis und
die indurative Form, bei der wesentli'hh das interstitielle Gewebe sich ver-
Parenchymatöse und interstitielle Entzündung. 9
lindert. Bei der parenchymatösen Nephritis haftet die Erkrankung an dem
Epithel der -Niere, bei der indurativen verändert sich überwiegend das inter
stitielle Gewebe, indem Verdickungen um die Kapseln und die Harnkanälchen
entstehen, Abschnürungen, Verschrumpfungcn zustande kommen und dadlll'ch
mechanisch., Hemmungen des Blutstromes hervorgebracht werden, die natürlich
mitSekrefionsveränderungen zusammenfallen müssen. Daß aber die Verände
rung am Epithel bei der paren<,hymatösen Nephritis als Entzündung, als un
mittelbare Wirkung der Entzündungsursache und nicht etwa als l<'olge einer
primären Veränderung im Interstitialgewebe angesehen werden muß. ist un
zweifelhaft. Es gibt sehr ausgedehnte interstitielle Nephritiden, bei denen das
Epithel wenig oder gar nicht verändert ist und ebenso. die stärksten paren
ch)·mafösen Formen, bei welchen wenigstens von Anfang an das Interstitial
.gewebe ganz intakt ist.
Daß es sich um eine parenchymatöse Entzündung handelt,
hat Waldeyer (74) bezüglich der Veränderung der quergestreiften
}luskeHasern bestätigt.
Er sagt: Die Erscheinungen bei der traumatischen Myositis sind den Er
scheinungen an den Muskeln Typhöser vollkommen gleich. Es ist ein aktiver
Prozeß. Ein il'ritatives Stadium, das zur Aufnahme neuen Materials und zu
Wucherungsprozessen führt, geht dem rein passiven, dem Zerfall voraus.
Unter dem Gesichtspunkte der von Vircho w gegebenen Defi
nition der indurativen (interstitiellen) und der parenchymatösen
Nephritis ist Wegner (76) auf Grund seiner Versuche mit
Phosphor für zwei selbständige Formen entzündlicher
Veränderungen eingetreten, für die interstitielle und für
die von ihr unabhängige parenchymatöse.
Wegner meinte durch seine Versuche den Nachweis geliefert zu haben,
daß ein und derselbe Stoff in verschiedener Quantität und verschieden lange
angewendet, total differente Wirkungen auf den tierischen Organismus äußert.
Die älteren Beobachtungen hätten gelehrt, daß der Phosphor in großer Dosis
auf gewisse Gewebe, nämlich die spezifischen Parenchym elemente der Leber,
der Nieren, des Magens und der Muskulatur einen äußerst intensiven per
akuten Heiz ausübt, so stark, daß in kürzester Frist eine fettige Degeneration,
eine Nekrobiose derselben die Folge ist: Nun babe er nachgewiesen, daß der
selbe Stoff, in geringerer Quantität dem Organismus einverleibt, die erst
genannten Teile vollkommen immun läßt und eine Reizwirkung auf ganz andere
Gewebsarten ausübt, auf die osteogenen Substanzen, auf das interstitielle Ge
webe des Magens und der Leber, einen Reiz, der sich nicht naeh der degene
rativen, sondern nach der formativen Richtung hin entwickelt. Während dort
Untergang, sei hier bleibende Neubildung die Folge. Möge die wahre Ursache
dieses so tiefgreifenden Unterschiedes in der Wirkung verschiedener Dosen des