Table Of ContentDie Gandersheimer Reimchronik
des Priesters Eberhard
Herausgegeben
von
Ludwig Wolff
Max Niemeyer Verlag
Halle (Saale)
1927
Alle Rechte,
auch das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten
Copyright by Max Niemeyer Verlag, Halle (Saale), 1927
Altdeutsche textbibliothek, begründet von H. Paul f,
herausgegeben von Gr. Baesecke
nr. 25
Druck von Karras, Kröber & Nietschmann, Halle (Saale)
Edward Schröder
meinem verehrten Lehrer
als Zeichen der Dankbarkeit
Einleitung.
Die Gandersheimer Keimchronik Eberhards ist in
einer Pergamenthandschrift des 15. Jahrhunderts über-
liefert. Es ist die Helmstedter Hs. 503 in der Landes-
bibliothek zu Wolfenbüttel.1) Sie ist in starke, leder-
bezogene und mit Messingbuckeln besetzte Holzdeckel
gebunden, die mit Schließen versehen sind. Zur Be-
klebnng der beiden Deckel auf der Innenseite und für
das vordere Vorsatzblatt ist eine Pergamenturkunde des
Gandersheimer Archivs verwendet, in die eine Bulle von
Papst Martin V. aus dem Jahre 1421 eingerückt ist.
Die Blätter (rechts oben beziffert) messen 25xl91/cm.
2
Es sind 4 Lagen. Die drei ersten bestehn aus je
5 Doppelblättern (Bl. 1—30), die vierte umfaßt
1 Doppelblatt (Bl. 31, rechte Hälfte leeres Schlußblatt),
darauf 2 Blätter, deren rechte Hälften abgeschnitten
sind, (Bl. 32 und 33) und dann wieder 2 Doppelblätter
(Bl. 34—37). Auf diesen 37 Blättern, deren Schrift-
spiegel durch schwache Doppellinien abgegrenzt ist, hat
eine einzige Hand die Dichtung gut lesbar eingetragen.
Die Verse sind abgesetzt und beginnen mit rot gezierten
Großbuchstaben. Im Inneren des Verses werden Groß-
buchstaben nur sparsam verwendet. Vorzugsweise, aber
doch nicht regelmäßig, werden die Eigennamen dadurch
herausgehoben. Sonst werden dieser Auszeichnung vor
allem die Worte Closter, Süchte, Ebdie, Ebdiffche zuteil,
auch Cruce (nicht aber god): so gibt der Schreiber sich
') Vgl. die Beschreibung von Otto von Heinemann, Die
Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel.
Erste Abteilung, Die Helmstedter Hss. 2. Bd. (Wolfenbüttel 1886)
S. 2. (Nr. 543).
VI
schon durch die Äußerlichkeiten seines Schreibgebrauchs
als Klosterangehöriger zu erkennen.1)
Kot ist die Anfangsüberschrift und ebenso sind es
die Kapitelbezeichnungen (bis Kap. 13 in Buchstaben);
diese stehn nicht am Rande, wie Weiland sagt, sondern
innerhalb des Schriftspiegels, meist auf der letzten
Verszeile des vorhergehenden Kapitels oder auf der
ersten Verszeile des neuen, bisweilen, wenn vorher kein
Platz ist, sogar erst auf der zweiten; nur ausnahmsweise
(114 und 378) sind ihnen eigene Zeilen gegeben.
Offenbar sind sie aus der Vorlage übernommen. Rot
sind auch die Anfangsbuchstaben der Kapitel, während
die lateinischen Zitate Eberhards nur rot unterstrichen
sind; rot umrandet sind die Löcher im Pergament.
Am Rande, rot geschrieben, stehn Glossen, die
jedenfalls Zusätze des Schreibers sind. Zur Überschrift
wird angemerkt: Nota Cronor grece dr temp9 latie Inde
0ronic9 ca. cum. ide tpalis ül t'renv Inde Oronica | ozf
Et Oronica dr tpc | tpalis \ feries ül ordo ül vbi defc'pta
tpm 9tinef Ul fca mltozf tjm. Im weiteren Verlauf
stehn sehr viele Hinweise auf den Inhalt des Textes,
die ohne Bedeutung sind (neben V. 50 z. B. Item de
prologo); größtenteils sind es nur die Namen, die in
den nebenstehenden Versen vorkommen. Bis auf ein
paar andersgeartete habe ich diese Hinweise mit Weiland
fortgelassen.
Von erheblichem Interesse sind dagegen die
zwischenzeiligen Glossen, 37 an der Zahl, sämtlich von
mir verzeichnet. Es sind meist Erläuterungen von
Worten, die entweder dem Schreiber nicht geläufig
waren oder nach ihrem Schriftbild mehrdeutig.2) Alles
aber — Text, Überschriften, Rand- und Zwischenzeilen-
') Als V. 1503 ftichte einmal klein geschrieben wird,
handelt es sich nicht um Gandersheim.
l) Dies trifft auch zu für den Namen garide 401, da er
nicht durch Großbuchstaben ausgezeichnet ist. Darum sehe
ich in der Glossierung doch keinen Beweis dafür, daß der
Schreiber kein Stiftszugehöriger gewesen wäre. Vgl. auch
S. XXXII.
VII
glossen — ist offenbar von ein und derselben Hand
geschrieben; es ist auch nicht etwa alles Rotgeschriebene
nachgetragen; bei den Kapitelbezeichnungen ergibt sich
das schon daraus, wie sie gelegentlich eingeschoben
sind. S. auch 140, 1077 (unter 587), 1676.') Vgl.
hierzu Edw. Schröder, Zur Überlieferung des Eberhard
von Gandersheim, Neues Archiv der Gesellschaft für
ältere deutsche Geschichtskunde 45, 119—26.
Am ¡Schluß der Hs. steht von ganz anderer, sehr
grober Hand ein Eintrag über den Tod der Pröpstin
Elisabeth von Dorstad,2) die zugleich Äbtissin des
alten Frauenklosters Heerse (Neuenheerse) war und in
Gandersheim beigesetzt ist: Anno dni mile/imo quadza-
genteiimo octinvageßmo quarto in die fände maztini
epf obiii nobilis et Generofa dna Elisabeth de dorstad
abatiffa feculazis ecleße Hezi/iencis ac prepo/itiffa eclefie
Ganderfemmecf cui9 aia Eequiefcat in pace Amen.
Die Worte berühren sich mit der nur noch zum Teil
lesbaren Inschrift des Grabsteins, der in der Marien-
kapelle des Gandersheimer Domes steht, decken sich
aber nicht mit ihr3); sie sind jedenfalls beim Tode
Elisabeths von Dorstad eingetragen. Also lag die Hs.
1484 fertig vor und ist in Gandersheim geschrieben,
wie sie auch dort gebunden ist. Im Jahre 1558 war
eie schon im Besitz des Herzogs Julius von Braunschweig-
Lüneburg, wie ein Eintrag auf Bl. 1 kundgibt.
Über Orthographie und Sprache der Hs. siehe
S. XXXIII ff. Als Interpunktionszeichen werden ge-
legentlich senkrechter Strich und Punkt verwendet.
Von einer zweiten Hs. in der Erzbischöflichen
Bibliothek in Kalocsa berichtete M. G. Kovachech
') Auch 562 ist für das m von furem, 1495 für das h von
hinrik zum Rot gegriffen; 1323 zeigt die Schrift im Worte
cordes rötliche Beimischung.
*) Aus dem vornehmen Geschlecht derer von Dorstad
(südlich von Wolfenbüttel), das Gandersheimsche Lehen in
Besitz hatte und verschiedene Glieder in das Stift entsandt hat.
3) Vgl. Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums
Braunschweig, 5. Bd. Gandersheim, bearb. von K. Steinacker
(Wolfenbüttel 1910) S. 157.
VIII
von Schenkwitz im Archiv für ältere deutsche Geschichts-
kunde Bd. 6, 137 f. Nach freundlichen Mitteilungen, die
ich dem Erzbischöflichen Bibliothekar Dr. Paul Winkler
danke, stammt sie erst aus dem Ende des 17. Jhs. und
enthält am Schluß den gleichen Zusatz vom Tode
Elisabeths von Dorstad wie die Wolfenbüttler Hs., ein
Beweis dafür, daß sie tatsächlich aus dieser hervor-
gegangen ist, wie Weiland aus der Übereinstimmung
in der Überschrift (mit dem Fehler 1206 für 1216)
vermutete.
Die Dichtung ist 360 Jahre nach der Gründung
des Gandersheimer Klosters, also im Jahre 1216 verfaßt
von einem papen, de heit Everhart, wie uns der Dichter
selber sagt (V. 867 ff.). Daß er sich zu den geistliken
lüden rechnet und dem Gandersheimer Stift als Geistlicher
zugehört, können wir aus der Dichtung auch sonst
deutlich genug erkennen. Als seine Herrin nennt er
am Schlüsse die Äbtissin Mechelt von Waltingeroth,
und in zwei etwas älteren Urkunden Mechtilds, deren
sonstiger Inhalt für uns belanglos ist, begegnet auch
ein Diakon Eberhard, den wir offenbar als den Dichter
anzusehn haben. Die eine ist aus dem Januar 1204:
Datum, per manus Euerhardi Diaconi nostri notarii, die
zweite vom 3. Februar 1207: Scriptum per manus
Everardi diaconi. Siehe Harenberg, Historia ecclesiae
Gandershemensis diplomatica (Hannoverae 1734) 736 ff.
Die Regierung der Äbtissin Mechtild war für das
Kloster bedeutsam dadurch, daß es ihr gelang, in er-
bittertem Streit mit Bischof Hartbrecht von Hildesheim
für ihr Stift den Anspruch auf die libertas Romana,
die Eömesche vriheit, durchzusetzen, den Anspruch auf
das Vorrecht, daß das Kloster, befreit von jeder
bischöflichen Jurisdiktion, unmittelbar dem Stuhl zu
Rom unterstände. Dreimal ist sie darum nach Rom
gefahren, sie hat sich nicht davor gescheut, verschiedene
alte Urkunden zu fälschen,1) und so hat sie ihr Ziel
Siehe darüber Rudolf Köpke, Ottonische Studien zur
deutschen Geschichte im 10. Jhd. II (Berlin 1869) S. 253 ff. und
IX
erreicht: in der Bulle vom 11. Mai 1208 erkannte
Innozenz III, der die Selbständigkeit der Bischöfe zu
schmälern strebte, unter Bezugnahme auf die von der
Äbtissin vorgebrachten alten Privilegien endgültig den
Anspruch des Gandersheimer Stiftes an. Aber noch
verschiedene andere päpstliche Verfügungen waren
nötig, ehe sich der Hildesheimer Bischof endgültig
fügte und alle Folgerungen zog.1)
Von diesem Streit und den Bullen, die Mechtild
von Innozenz erlangt hat, berichtet auch Eberhard am
Schluß der Dichtung; mit stolzer Genugtuung hebt er
hervor, daß es der Äbtissin gelungen sei, ihre Forderungen
durchzusetzen, und mit wie gutem Recht sie diesen
Erfolg errungen, dat möchte wol sagen, we der hantfesten
gewelde, de ere openbare gaf pawes Innocencius.
Offenbar rührt der Dichter hiermit an den eigent-
lichen Zweck seines Werkes: es sollte aus der ältesten
Geschichte des Klosters zeigen, wie alt und wohl-
begründet seine Forderungen wären. Die alten Rechte
Gandersheims und namentlich die libertas Jtomana
werden von Eberhard einmal um das andere hervor-
gehoben, sie seien verbrieft in Urkunden, de neine
lögene danne de warheit jein, deren Wahrheit unverrückbar
bleibe, wenn auch niemand dem Kloster sein Recht
zukommen lassen wolle; schon gleich nach der Gründung
soll Papst Sergius II. dem Herzog Ludolf in einer
hantfeste die römische Freiheit für seine Gründung
zugesichert haben.
Eberhard nimmt vielfach, wenn auch nur ungenau,
auf Urkunden Bezug, durch welche dem Kloster wichtige
Rechte und Besitzungen verliehen werden, er ist ur-
kundlich als notarius Mechtilds nachgewiesen: so ist
es nicht unwahrscheinlich, daß er Mechtild bei ihren
Weilands Einleitung zu seiner Ausgabe, Monumenta Germaniae
Histórica, Deutsche Chroniken Bd. 2 (Hannover 1877).
') Harenberg S. 738 ff. ; J. G. Leuckfeld, Antiquitates
Gandersheimenses (Antiquitates historicae selectiores, Wolfen-
büttel 1728), 13. Kapitel S. 74 ff.
X
politischen Kämpfen tätig zur Seite gestanden nnd wohl
gewußt hat, daß nicht alle Privilegien echt waren, auf
die er sich beruft. Er spricht es, halb scherzhaft,
einmal selber aus, daß ihm ein kleines Vergehen zum
Besten des Stiftes verzeihlich, ja Gott wohlgefällig
scheint: der Königin Liitgart, welche ihrem Gatten das
heilige Blut entwendet hat, habe wohl Gott selber den
Gedanken zu diesem Diebstahl eingegeben. Eine Auf-
fassung, die uns im Mittelalter gerade in Bezug auf
Reliquienerwerb öfters auf das naivste entgegentritt.
Jedenfalls hat Eberhard — das können wir aus
seinen Kenntnissen und der Art der Dichtung schließen —
sein Werk im Zusammenwirken mit der Äbtissin und
in ihrem Auftrag verfaßt. Er dichtet für die ungelarden
lüde, für densthaft unde underdenich man des Klosters.
Ihrer Treue mußte das Kloster sich versichern. Den
Ministerialen die altbegründete Rechtmäßigkeit der
Gandersheimer Forderungen und die ehrwürdige Be-
deutung des von Gott geschützten Stiftes darzutun, das
ist die Aufgabe der Dichtung. Eine Aufgabe, welche
große tatsächliche Bedeutung hatte. Eberhard klagt
darüber, daß jetzt niemand, welchen Reichtum er auch
habe, dem Kloster milde Stiftungen zukommen lasse,
sondern man im Gegenteil das Kloster beraube und
ihm sein Eigentum entziehe: se heten der godeshuse
trüwe man unde roven de godeshus nochtan, de se vor
unrechter gewalt beschermen scholden (843 ff.). Ähnliches
kehrt noch mehrfach wieder: es ist wieder die Wirk-
lichkeit der Gegenwart, die sich in der Dichtung als
bewegende Kraft hervordrängt. Wir hören aus Urkunden
ganz dasselbe, insbesondere wendet sich auch Innozenz III.
im Jahre 1210 an die Ministerialen der Gandersheimer
Kirche und ermahnt sie, sie zu schützen a malefactorum
incursibus und ihre Rechte und Besitzungen in Schutz
zu nehmen und zu verteidigen (Harenberg S. 748).
Die Dichtung Eberhards zerfällt in zwei deutlich
getrennte Teile. In Kap. 16 fordert er die Gandersheimer
auf, namentlich soweit sie geistlichen Standes sind, dem
heiligen Blute die gebührende Ehrfurcht zu erweisen.