Table Of ContentZu diesem Buch
Die meisten sexuellen Phantasien von Frauen sind
masochistisch, und die meisten Frauen schämen sich
dieser Phantasien. Denn wie können die Forderungen
der Frauenbewegung nach mehr Autonomie glaub
haft sein, wenn die Frauen gleichzeitig die Phantasien
sexueller Unterwerfung genießen?
Maria Marcus bekennt sich zu ihren masochistischen
Gefühlen. Sie macht Frauen Mut, die Gründe für diese
sexuellen Sehnsüchte aufzudecken, um so zu einer
selbstbestimmten Sexualität zu finden.
Maria Marcus
Die furchtbare
Wahrheit
Frauen und Masochismus
Deutsch von Gisela Jensen
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Rowohlt
Umschlagentwurf
Die Grafikfrauen/Monika Neuser
Die dänische Originalausgabe erschien unter dem Titel
«Den Frygtelige Sandhed» bei
Tiderne Skifter, Kopenhagen
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg, März 1987
«Den Frygtelige Sandhed»
Copyright © 1974-1978 by Maria Marcus/Tideme Skifter
«Die furchtbare Wahrheit»
Copyright © 1982 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
980-ISBN 3 499 18313 7
Germaine Greer war 1972 in Kopenhagen, und es wurde ein
Treffen mit dänischen Frauen veranstaltet, bei dem sie eine
Rede hielt. Die Stimmung im Saal war freudig-erregt und
optimistisch, als plötzlich eine junge Frau, in deren Stimme
Verzweiflung mitschwang, rief: «Wie können wir eine Frauen
bewegung auf die Beine stellen, wenn - so möchte ich wetten -
drei Viertel von uns hier im Saal Masochistinnen sind?»
Das Buch ist dieser jungen Frau gewidmet. Ich hoffe sehr,
daß es ihr nützlich ist - sowie allen anderen, die so denken wie
sie, es aber nicht laut auszusprechen wagen.
Wir betrachten unsere persönliche Erfahrung und das, was wir
angesichts dieser Erfahrung empfinden, als Grundlage für die
Analyse unserer gemeinsamen Situation... Die erste Bedin
gung für die Aneignung von Klassenbewußtsein ist Aufrich
tigkeit, und zwar im privaten wie im öffentlichen Leben, uns
selbst und anderen Frauen gegenüber. «Sisterhood is Powerful»
Manifest der Gruppe Redstockings
Im übrigen, Schwester, wenn dich ein Mann nicht anmacht,
der dich nicht schlägt und dich nicht an den Haaren zerrt, dann
ist das dein Problem. Laß deine Probleme verdammt noch mal
raus aus dieser Revolution. «Sisterhood is Poweiful»
Manifest der Gruppe Lilith
Erster Teil
I
Eierlegen
Als ich zwischen vier und sieben Jahre alt war, spielte ich ein
Spiel, das «Eierlegen» hieß. Man spielte es allein. Man warf
einen Ball irgendwie rückwärts gegen eine Wand, und wenn
man nicht richtig traf, bekam man eine Strafe.
Man mußte sich mit dem Rücken zur Wand stellen und einen
Halbkreis um sich herum zeichnen, so daß die Wand einen
Kreisdurchmesser bildete. Man stand also eingeschlossen von
Mauer und Halbkreis. Jedesmal, wenn man den Ball verpaßte,
mußte man einen neuen, noch engeren Halbkreis zeichnen, so
daß man immer weniger Platz zum Stehen hatte und immer
näher an die Wand rücken mußte. Zum Schluß stand man
buchstäblich mit dem Rücken an der Wand in einem so engen
Halbkreis, daß gerade die eigenen Füße Platz hatten und man
sich einfach nicht mehr rühren konnte.
Ich weiß, daß ich zwischen vier und sieben war, denn ich
kann mich an den Ort erinnern, wo ich es spielte. Ich kann
mich auch an ein unbestimmtes kitzelndes Gefühl beim Spie
len erinnern. Es war ein ganz besonderes Gefühl, und es gehör
te an eine ganz bestimmte Stelle meines Körpers, aber warum
es ausgerechnet zwischen meinen Beinen sein sollte, darüber
dachte ich natürlich nicht nach, ich dachte nur, daß es an dem
Namen lag - «Eierlegen». Erst später wurde mir klar, daß die
ses Spiel das erste von sehr vielen ähnlichen war, das erste je
denfalls, an das ich mich noch erinnern kann. Aber nicht das
letzte und auch nicht das letzte, das ich allein spielte, oder ohne
direkte Einmischung eines Partners.
Meine nächste ähnliche Erinnerung stammt aus der Zeit, als
ich acht war. Das war in dem Sommer, als wir ganz verrückt
waren nach ein paar gutaussehenden, männlichen Jungen mit
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harten Knien und Uniformhemden und Stunden und Tage da
mit verbrachten, gerade zu stehen, im Marschschritt zu gehen
und im Takt zu schreien. Ich glaube, wir waren ganz schön
diszipliniert.
Aus dem gleichen Sommer fällt mir auch ein Erlebnis aus
einem Park ein, wo ich versuchte, ein argloses Kindermädchen
dazu zu kriegen, Bestrafungsspiele mit uns zu spielen-aber sie
sträubte sich. Möglicherweise ahnte sie irgendwie, worum es
ging-
Nach demselben Muster spielte ich in den folgendenjahren.
Ich entdeckte verschiedene Spiele, zu denen verschiedene Prü
fungen mit entsprechenden Strafen gehörten, die in ein Notiz
buch geschrieben wurden. Sie drehten sich alle darum, daß
man dies und das so und so lange nicht machen durfte oder
etwas tun mußte, wozu man keine Lust hatte, sonst bekam
man so und so viele Schläge mit einem näher bestimmten Ge
genstand. In meinem Notizbuch standen sehr detaillierte Ri
tuale, und ich kann mich erinnern, wie aufregend es war, sie
niederzuschreiben. Aber ich konnte die anderen Kinder nur
selten zum Mitspielen überreden. Vielleicht ahnten sie auch,
daß irgend etwas Verbotenes an diesen Spielen war.
Nur einmal - immer noch in der Grundschule - bekam ich
ein Mädchen aus meiner Klasse dazu, mitzuspielen. Sie mußte
mir befehlen, unter den Schreibtisch zu kriechen und mich mit
einem Lineal zu schlagen. Ich fand es stinklangweilig unter
dem Schreibtisch zu hocken, ohne daß etwas passierte. Ande
rerseits weiß ich noch genau, daß es furchtbar unangenehm
war, wenn sie mich schlug. Es tat weh. Deshalb hörten wir
bald mit dem Spiel auf, und ich kann mich erinnern, daß mich
das Ganze ein bißchen verwirrte und verunsicherte.
Auf dem Schulhof war mein Lieblingsspiel «Mädchen sind
hinter Jungen her». Das übliche war «Jungen sind hinter Mäd
chen her», und das fand ich nicht so witzig. Vielleicht waren
die Jungen auch nicht besonders scharf darauf, mich zu fassen,
oder ich wagte mich nicht nah genug an sie heran, um sie zu
reizen. Bei besonderen Anlässen hieß es jedenfalls «Mädchen
sind hinter Jungen her».
Wir spielten es überall auf dem ganzen Schulhof- ich glau-
io