Table Of ContentDie ersten Amerikaner - Eine Geschichte der Indianer
THOMAS JEIER
Die ersten Amerikaner
Eine Geschichte der Indianer
Deutsche Verlags-Anstalt
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Die ersten Amerikaner - Eine Geschichte der Indianer
Für Christa in Liebe
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Die ersten Amerikaner - Eine Geschichte der Indianer
When a war between nations is lost
the loser, we know, pays the cost.
But even when Germany fell to your hands
you le!t them their pride and their land.
Die indianische Sängerin Buffy Saint-Marie in ihrem Song
»Now That the Buffalo’s Gone« aus dem Album
»Up Where We Belong« (1999)
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Die ersten Amerikaner - Eine Geschichte der Indianer
Kulturregionen und Stämme um 1850
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Die ersten Amerikaner - Eine Geschichte der Indianer
Indianer in den Vereinigten Staaten heute
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Die ersten Amerikaner - Eine Geschichte der Indianer
Vorwort
Winnetou ist an allem schuld: Schon mit zwölf Jahren, als ich die Romane über den
edlen Apachen-Häuptling las, war ich von den Indianern begeistert. Die Karl-May-
Filme, unzählige Hollywood-Western, die Lederstrumpf-Romane von James Fenimore
Cooper, die Geschichten über Tecumseh von Fritz Steuben oder Die Söhne der großen
Bärin von Liselotte Welskopf-Henrich prägten mein frühes Bild der ersten Amerikaner.
Ich stehe mit meiner Begeisterung nicht allein. Kaum ein Volk fasziniert die Menschen
so sehr wie die Indianer. Selbst die iPad-Generation erliegt noch immer der
Anziehungskra"t dieser vielschichtigen Kultur, die von der Sehnsucht des modernen
Menschen nach urwüchsiger Natur und grenzenloser Freiheit zeugt. Der stattliche
Krieger mit dem farbenprächtigen Federschmuck, der kühne Reiter, beseelt von
tollkühnem Mut Lmd der Bereitscha"t, "ür seine Ehre zu sterben, sein tiefer Respekt
vor den Alten, den Frauen und Kindern, die bedächtige Weisheit der weißhaarigen
Häuptlinge, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen, und die anmutigen
Frauen, in einfachen Lederkleidern und mit langen schwarzen Haaren ziehen
Menschen aller Generationen immer wieder in ihren Bann.
In solchen Bildern schwingen auch die seit Jahrhunderten immer wiederholten
Klischees mit. Schon bald nach der Landung der ersten europäischen Siedler wurden
die Indianer zum Mythos. Häufig galten sie als unzivilisierte Wilde oder wurden als
unschuldige Bewohner eines irdischen Paradieses, das Regierungen und Zeitungen in
der Alten Welt den Auswanderern in Aussicht stellten, beschrieben. So wurden sie zu
einem Produkt der Fantasie, waren schon Fiktion, bevor die Wildwestshows eines
Buffalo Bill oder Völkerschauen auf den Weltausstellungen diese Vorstellungen erneut
bestätigten.
Abseits aller Karl-May-Romantik suchte ich bereits als Junge nach der
Wirklichkeit hinter diesen Bildern. Schon früh war mir klar, dass weder Hollywood
noch Karl May die Wahrheit erzählten. Beim späteren intensiven Studium der
amerikanischen Fachliteratur, vor allem der Aufzeichnungen von Soldaten und
Siedlern aus den vergangenen Jahrhunderten und dem regen Austausch mit
amerikanischen Fachleuten, bekam ich zunehmend ein ganz anderes Bild der
amerikanischen Ureinwohner. Meine erste USA-Reise "ührte mich bereits als junger
Mann zu den »Westerners« in Chicago. So nennt sich eine Gruppe von Fachleuten, die
sich mit der Geschichte des amerikanischen Westens beschä"tigt.
Die ersten aus"ührlichen Gespräche mit Indianern "ührte ich im Monument Valley
mit einigen Navajo-Indianern und am 25. Juni 1976 mit einem jungen Cheyenne in
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Billings, Montana. Dort hielt ich mich mit amerikanischen Autoren bei einer Tagung
der Autorenvereinigung »Western Writers of America« auf, die anlässlich des
hundertsten Jahrestags der Schlacht am Little Bighorn veranstaltet wurde. Damals
ging das Gerücht, radikale Indianer"ührer könnten Westernautoren ent"ühren, um auf
diese Weise gegen die falsche Darstellung der Indianer in Filmen und Romanen zu
protestieren. Es blieb bei der Drohung, und wir "ührten stattdessen interessante
Gespräche.
Seit damals pendele ich zwischen Deutschland und den USA und habe zahlreiche
Freunde unter Amerikanern und Indianern gewonnen. Jedes Jahr halte ich mich
mehrere Wochen oder Monate in den USA auf und verbringe einen großen Teil meiner
Zeit im amerikanischen Westen und in Reservaten. Mein Blick "ür die o"tmals
desillusionierende Wirklichkeit blieb dabei ungetrübt. Das Studium historischer
Quellen und der Kontakt zu (auch indianischen) Wissenscha"tlern und Historikern
halfen mir, die Geschichte und Kultur der Indianer nüchtern zu betrachten, um nicht
wie manch Indianerbegeisterter in einseitige Schwärmereien und Lobgesänge zu
verfallen. Auch Indianer sind Menschen und keine mythischen Wesen, die in einer
heilen Welt fernab der Wirklichkeit leben.
Zu den prägendsten Erlebnissen gehörte sicher mein achtwöchiger Trip mit dem
Lakota Ron Hawks, der mich zu Schlachtfeldern, Forts und heiligen Plätzen der Plains-
Indianer "ührte. Bei den Blackfeet in Montana lernte ich Curly Bear Wagner kennen,
einen ehemaligen indianischen Aktivisten. Zu den bleibenden Eindrücken zählt auch
meine Begegnung mit Gerard Baker, einem Mitglied der Mandan-Hidatsa-Stämme. Er
war Superintendent des Mount Rushmore National Memorial. Ihm ist es zu
verdanken, dass in dem patriotischen Film über das Denkmal, der im Schatten der
riesigen, in Granit gemeißelten Präsidentenköpfe, gezeigt wird, auch auf das tragische
Schicksal der Indianer eingegangen wird. Die Freundscha"t mit Professor Dr. Birgit
Hans "ührte mich nach Grand Forks an die University of North Dakota. Dort nahm ich
im Rahmen der »Indian Studies« an zahlreichen Vorlesungen an ihrem Lehrstuhl teil
und sprach häufig mit jungen indianischen Studenten. Auch ein Grund da"ür, dass
mein Kapitel über die heutigen Indianer sehr aus"ührlich geraten ist - im Unterschied
zu vielen anderen Indianerbüchern lag mir die Schilderung der Gegenwart sehr am
Herzen. Mit Serle Chapman und seiner Cheyenne-Frau Long Neck Woman erkundete
ich das Schlachtfeld am Little Bighorn. Serle gehört zur jüngeren Generation von
Cheyenne, die sich ernstha"t mit Ihrer Vergangenheit beschä"tigen.
Es galt, in diesem Buch vor allem mit in vielen Jahrzehnten manifestierten
Klischees aufzuräumen, neueste Wissenscha"tserkenntnisse aufzugreifen und so dem
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Leser ein möglichst umfassendes Bild indianischer Vergangenheit und Gegenwart zu
vermitteln: Waren die Indianer nur blutrünstige Wilde oder naturverbundene
Edelmenschen oder weder noch? Leben heute Nachfahren der Wikinger in
Minnesota? Standen präkolumbianische Indianer in kulturellem Austausch mit
mesoamerikanischen Hochkulturen? Waren die Indianer Vorläufer der modernen
Umweltbewegung? Waren die Irokesen tatsächlich die »Ghostwriter« der
amerikanischen Verfassung? Besaßen indianische Frauen mehr Einfluss als ihre
Zeitgenossinnen? Waren die Männer ehrenvolle Krieger oder rücksichtslose
Eroberer? Gab es Massaker auf beiden Seiten? Sind die Spielkasinos der »neue
Büffel«?
Auch um diese Fragen in einem möglichst sinnvollen Kontext beantworten zu
können, folge ich in den Kapiteln nicht der Chronologie der Geschichte, sondern lege
mein Augenmerk auf bestimmte Themenkreise, die gerade von Hollywood und in der
Trivialliteratur, aber auch in zahlreichen Sachbüchern ver"älscht wurden. Die Stellung
der indianischen Frau mag als Paradebeispiel da"ür dienen, wie sehr das Bild der
Indianer verzerrt wurde. Als mittellose und zum Gehorsam verpflichtete »Squaw«
taucht sie in Westernfilmen und Action-Romanen auf. In Wirklichkeit war sie dem
Mann eine ebenbürtige Partnerin, die in der Gesellscha"t mehr Einfluss hatte als ihre
Geschlechtsgenossinnen zur gleichen Zeit anderswo.
Dass ich im Rahmen eines einzigen Buches nicht auf jeden einzelnen der über 500
Stämme eingehen kann, liegt auf der Hand. Ich habe den Schwerpunkt auf die
Stämme gelegt, die das Bild dieses Volkes in besonderem Maße in der Öffentlichkeit
prägen. Das sind vor allem Prärieindianer wie die Sioux, Cheyenne und Comanchen,
aber auch Waldindianer wie die Irokesen, Apachen und Seminolen.
Eine weitere Besonderheit bei der Erarbeitung eines Buchs über die Geschichte der
Indianer ist das Fehlen schri"tlicher Aufzeichnungen aus indianischer Sicht: Bei ihnen
wurden die Geschichte, die Traditionen, kurz, das gesamte kulturelle Wissen,
mündlich weitergegeben. So er"ährt man von vielen Einzelschicksalen nur, wenn man
mit den Nachfahren spricht. In Lame Deer im Northern Cheyenne Reservat habe ich
mit zahlreichen Männern und Frauen geredet, deren Vorfahren bei den Massakern am
Sand Creek oder bei Washita dabei gewesen waren. Ihre Überlieferungen waren "ür
mich und mein Verständnis der Vergangenheit wertvoller als so manches Fachbuch
eines angesehenen Wissenscha"tlers. Denn wer die Vergangenheit eines Volkes
kennenlernen will, muss vor allem die Geschichten und Lieder dieser Menschen
kennen.
Begegnungen mit den Nachfahren der Menschen, die am historischen Geschehen
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beteiligt waren, Diskussionen mit Weißen und Indianern, die mit den heutigen
Problemen konfrontiert sind, der Besuch historischer Schauplätze und das intensive
Studium von historischen Quellen, Fachbüchern, Tagebüchern, alten
Zeitungsberichten und Regierungsaufzeichnungen - "ür mich ist all dies
unabdingbarer Bestandteil jeder umfassenden Recherche. Nur so kommt man der
historischen Wirklichkeit näher, der Geschichte allmählich auf die Spur.
Thomas Jeier
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