Table Of ContentMARTIN BÜCHSEL
DIE ENTSTEHUNG
DES CHRISTUSPORTRÄTS
Bildarchäologie statt Bildhypnose
VERLAG PHILIPP VON ZABERN . MAINZ AM RHEIN
196 Seiten mit 64 Schwarzweißabbildungen; 16 Tafeln mit 19 Farbabbildungen
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
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3., überarbeitete Auflage 2007
© 2003 by Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein
ISBN: 978-3-8053-3263-7
Satz und Gestaltung: Ragnar Schön, Verlag Philipp von Zabern, Mainz
Lithos: Das Reprohaus, Offenbach
GesamthersteLlung: Verlag Philipp von Zabern, Mainz
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ZU BERLIN
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7 Christusmimesis Iustinianos' II. in dessen zweiter
Regierungsperiode 67
Einleitung 8 Das Christusbild in der Kaiserpropaganda und der
Ausbruch des Ikonoklastenstreits 70
a) Der Ikonoklastenstreit als Streit der Historiker.
TEIL 1 Welche Rolle spielte die Bilderverehrung? 70
DER URSPRUNG DES CHRISTUSPORTRÄTS b) Die Belagerung von Konstantinopel 717/18 und
IM THEODOSIANISCHEN KAISERBILD das Verschwinden des Bildes von Kamuliana - die
Zerstörung des Christusbildes am Tor der Chalke 72
Das Antlitz Christi, ehe es zum Porträt wurde 17 c) Der Brief Papst Gregors II. an Patriarch Germanos 76
Irritationen der Vergeistigung: Von Konstantin zu Von der Auseinandersetzung um die Kaiserpropaganda
Theodosius 19 zum Ikonoklastenstreit 80
a) Das jugendliche theodosianische Kaiserbild 22 a) Der bildertheologische Teil des Briefes
b) Ideal oder Irritation der Wahrnehmung 28 Papst Gregors II. 80
b) Die antijüdische und antiheidnische Apologie
Die kaiserliche Eintracht und das Angesicht Christi 32 des 7. Jahrhunderts 82
a) Die Friedensbotschaft Theodosius' und das c) Die Erschaffung des Ikonoklasten aus dem Zitat 87
Reliquienkästchen von San Nazaro 32
b) Bild und Politik unter Theodosius I. 38 Die Theologie des Christuspomäts 89
c) Die Aufkündigung der Einheit von Christus- und a) Vom Erinnerungszeichen zum Ausweis der ganzen
Kaiserbild. Die Rückkehr des Philosophenbildes im Heilsgeschichte 89
Apsismosaik von Santa Pudenziana 40 b) Die christologische Systemarisierung 91
ba) Maximos der Bekenner und die Antinomien
Das neue Christusbild 45 der Zwei-Naturen-Lehre 91
a) Eine Ikone im Katharinenkloster auf dem Sinai. bb) Die Darstellbarkeit und die Undarstellbarkeit
Eine theodosianische Synthese 45 der gort-menschlichen Person Christi. Eine Kontroverse
b) Tradierung und Datierung der Pantokratorikone auf ohne Ende 93
dem Sinai 47 c) Wandel der Vorstellung der Gestalt Christi durch
den Ikonoklastenstreit 94
Himmlischer Triumph und menschliche Niedrigkeit. -
Die doppelte Gestalt Christi 51
TEIL 3
DAS CHRISTUSPORTRÄT NACH DEM IKONO
TEIL 2 KLASTENSTREIT
WIE DAS CHRISTUSBILD DURCH SEIN ALTERN
ZUM PORTRÄT WURDE Die Konventionalisierung des Christusbildes und die
kaiserliche Christusmimesis 99
Das Christusporträt und die Legenden der nicht von a) Der Ikonoklastenstreit und seine Folgen 99
Händen gemachten Bilder 60 b) Das Christusporträt und die Erneuerung der
a) Das Bild von Kamuliana 61 kaiserlichen Propaganda 100
aa) Die rhetorische Feier des Bildes von Kamuliana c) Das Mosaik über der Kaisertür in der Hagia Sophia
als Staatspalladion 63 und die humifitas des Basileus 107
ab) Das Bild von Kamuliana und die apostolische d) Das Christusbild unter Konstantinos VII.
Mission Iustinianos' II. 65 Porphyrogennetos 111
b) Ein Konkurrent des Bildes von Kamuliana. Die e) Das Mandylion in Konstantinopel 113
5
f) Die Beschreibungen des Mandylion als nicht mit TEIL 5
den Farben der Maler hergestelltes Bild 117 CHRISTUS OHNE ANGESICHT
Die Theologie des Porträts nach dem Das Christusbild im abendländischen Frühmittelalter 145
Ikonoklastenstreit 121
a) Patriarch Photios vor der Vielfalt der Der thronende Christus in der karolingischen und
Christusbilder 121 ottonischen Buchmalerei 146
b) Das Christusporträt als Archetyp 121
c) Das authentische Christusbild als Sakrament 125 Das Christusbild im Bilderstreit des Westens 152
a) Die Libri Carolini 152
Die Entstehung und Vollendung des b) Die Theorie des Kreuzigungsbildes
Christusporträts. Zusammenfassung 127 Die Synode von 824/25 in Paris 156
c) Der Liber miraculorum von Bernhard von Angers 158
TEIL4
ÄSTHETIK DES CHRISTUSPORTRÄTS EPILOG 161
Bildarchäologie statt Bildhypnose 129 Kruzifix und Christusporträt 163
Projektion und Realität
Das antike und das byzantinische Porträt 131 BIBLIOGRAPHIE 166
Mythos oder Mystifikation - Ursprung oder
Verschleierung 133 SACHREGISTER 189
Die Geschichte der Bildbegriffe 135 ORTS- UND PERSONENREGISTER 192
Wandel der Interpretation eines Typus - Die OBJEKTREGISTER 195
Interpretierbarkeit eines Typus 141
ABBILDUNGSNACHWEIS 197
6
Vorwort
Das Vorhaben einer 3. Auflage verschaffte dem Autor die Byzantinistik. Dabei konnten auf lang zurückliegende Studien
Gelegenheit, den Text in kleinen Dingen, aber auch in eini zur griechischen Patristik zurückgegriffen werden. Der erste
gen längeren Abschnitten zu verbessern wie etwa das Kapitel Versuch, sich dem Thema zu nähern, ist in dem 1988 publi
zum Liber miraculorum. Neuere Literatur, die bei der Erst zierten Aufsatz 'Das Chriscusporträt am Scheideweg des
auflage noch nicht zur Verfügung stand, wie etwa Schleier Ikonoklascenscreics im 8. und 9. Jahrhundert' niedergelegt. Er
und Spiegel. Traditionen des Christusbildes und die Bildkon ließ aber die Frage offen, wieso das Christusbild zum Porträt
zepte der Renaissance von Gerhard Wolf oder Die Konzilien wurde.
zur Bilderfrage im 8. und 9. Jahrhundert. Das 7. Ökomenische Um hierin Klarheit zu erlangen, bedurfte es intensiver kolle
Konzil in Nikaia 787 ':'On Hans Georg Thümmel konnte nun gialer Unterstützung. Den Archäologen Rolf Schneider und
berücksichtige werden. Wulf Raeck verdanke ich viele Ratschläge zur Bearbeitung
der spätantiken Kunst. Der Althistoriker Hartmut Leppin
Die Studie zum Christusporträt steht im Zusammenhang hat sich der Abschnitte zu Theodosius I. angenommen. Die
mit anderen Arbeiten zum mittelalterlichen Porträt. Es sollte Byzantinisten Andreas Schminck und Wolfram Brandes
der Frage nachgegangen werden, wieso und unter welchen haben jeweils das ganze Manuskript gelesen und viele hilfrei
Voraussetzungen das Christusbild als Porträt verstanden wer che Vorschläge zum Verständnis der Quellen gemacht. Auch
den kann. Dabei war die aktuelle Diskussion in der Archäo Jörg Engelmann und Bettina Erche und Peter Schmidt
logie, die die rhetorische Funktion des Porträts bewußt haben sich um die Verbesserung des Textes bemühe. Allen sei
gemache hat, hilfreich. Die Untersuchung geriet zwangsläu mein herzlicher Dank ausgesprochen.
fig auf das Territorium der frühchrisclichen Archäologie und
7
Einleitung
Das Porträt Christi scheint der Legende zu entstammen. alles, was darüber hinaus das Chriscusporträt ausdrücken
Irgendwann tauchten die ersten Acheiropoieta auf, Bilder, möchte, spätere Zutaten seien.5 Folge man aber dem Pfad der
die nicht von Händen gemalt seien, in denen Christus durch Geschichte der Bilder, dann zeige sich, daß die Vorstellung
göttliche Kraft sein authentisches Bild überliefere habe. 1 des Christusbildes als Porträt das Ergebnis einer späten intel
Die Epistula synodica, eine Schrift, die wohl Ende des 9. oder lektuellen Bildregie ist. Nicht einmal ist dabei der Gedanke
Anfang des 10. Jahrhunderts als Redaktion des Synodalbriefs an das wirkliche Aussehen Christi erkennbar. Die angestrebte
der Patriarchen des Orients von 836 Gestalt annahm,2 Authentizität soll besagen, daß das Gesicht auf die Diktion
berichtet, daß das Bild Christi älter sei als die Evangelien.3 des Inkarnierten festgelegt wird. Wieso verlangt man schließ
Noch ehe die Evangelien geschrieben worden seien, hätten lich nach dem authentischen Bild, das die Aussagen der
dj"e Apostel die Kirchen mit dem Bild des Erlösers ausgestat Inkarnation verbürgen soll? Zu einer solchen bildlichen
tet. Dieses Bild gäbe die authentische Gestalt Christi wieder, Epiphanie fühlten sich lange Zeit die Christen nicht getrie
- dessen Angesicht als Porträt durch das Mandylion, durch das ben. Nicht durch das Angesicht mußte die Wahrhaftigkeit
· Bild, das Abgar von Edessa erhalten habe, überliefert worden der Inkarnation dokumentiert werden. Es bedurfte keines
sei. 4 Es habe Christus selbst durch den Abdruck seines Ange · Porträts, um Christus als Arzt oder als· guten Hirten etc. zu
sichts in einem Tuch hervorgerufen - Mandylion, von dem zeigen. Die verschiedenen Namen verschaffen Christus ein
arabischen Wort Mandil, heiße nichts anderes a.ls Tuch. Die unterschiedliches Angesicht; er erscheint bald bartlos, aber
Epistula synodica bekräftigt das Bild Christi als Porträt durch auch wieder bärtig. Daran nahm man keinen Anstoß. Augu-.
eine Beschreibung seiner Gestalt, die häretischen Schwätze stinus hält die verschiedenen Darstellungen für ein natürli
reien Einhalt gebieten und die Phantasie der Maler zügeln ches Resultat der Vorstellungskraft. Ein jeder imaginiere sich
soll. Aber auch theologisch wird das Porträt als Form der bei der Lektüre der Evangelien eine jeweils andere Gestalt
Offenbarung Gottes erwiesen. Es dokumentiert, daß Chri Chrisci.6
sc~s wirklich Mensch geworden ist und daß er in dieser Bei aller Vielfalt ist der Ursprung im Philosophenbild nicht
Gestalt wiederkehren wird, von der das Bild Zeugnis ablegt. zu verkennen. Ehe Christus mit kaiserlichen Gewändern
Das Porträt verbürge die himmlische Herrschaft Christi. angetan wurde, trägt er fase ausschließlich das Pallium der
Münzen geben seinem Bild den Titel rex regnantium. Wer Philosophen. In den Anfangen tritt er seiner menschlichen
das Bild Christi verehrt, anerkennt die Herrschaft des im Niedrigkeit wegen in die Fußstapfen der Kyniker
Himmel Thronenden. \ (Abb. 24/25). Aber beim Christus philosophicus zeigt sich
Nachdem der Ikonoklastenstreit beendet war, wurde unter .auch eine andere Tendenz: Es werden Anleihen an das
den makedonischen Herrsche(n das Christusbild als Porträt Heroen-. oder Götterbild gemache. Die geordneten langen
definiert. Die Epistula synodica vermittelt den Eindruck einer Haare. , vo(n_ e inem Mittelscheitel geteilt, sprechen hier die
in sich geschlossenen Vorstellung. Zerreiße man jedoch den deutlichste Sprache (Abb. 2). Das kann insofern nicht ver
Schleier, der das Christusbild verhülle, dann hat man nichts wundern, als viele Quellen von-der doppelten Gestalt Chri
als Versatzstücke in den Händen, die mühsam zum Porträt sti berichten, von seiner Gestalt der humilitas und seiner
und seiner Propagierung zusammengesetzt werden mußten.
Nicht nur sind die Bilder Christi nicht älter als die Evange
lien, sondern auch der Typus des Christusbildes, den die
Makedonische Renaissance anerkennt, ist nicht das Mandylion, 1 Dobschütz, 1899, S. 37 ff.
sondern der Typus einer berühmten Ikone auf dem Sinai 2 Gauer, 1994, S. LXXVII.
(Taf 2). Nicht nur ist die Ekphrasis keine Beschreibung die 3 Ebd., S. 23.
4 Ebd., S. 33.
ses Typus, sondern sie vermittelt auch nicht die Gestalt des
5 Der Vergleich der Ikone mit den ägyptischen Mumienporträts gehört zu
himmlisch herrschenden Christus, auf den die Epistula syn den Standardargumenten der Literatur zur Ikone. Beiring, 2000/200 l,
odica schaue. S. 25 ff., beschreibt die Geschichte des Christusbildes als Konflikt zwi
Diese unterstellt, daß das Bildnis Christi der Ursprung des schen dem Bedürfnis der Erinnerung - ,,il vero ritratto si riferiva a un
vero corpo" - und cler Norwendigkeit, mit dem Bild Eigenschaften Chri-
Christusbildes überhaupt sei. Ist das Chriscusporträt dem
sti zu definieren. In Beiring, Bild-Anthropologie, 2001, S. 143 ff., wird
Wunsche entsprungen, eine Erinnerung an den Menschen
dem Totenkult für die Entstehung des Bildes überhaupt eine große 0
Jesu zu bewahren? Ist es daher innerhalb der Gattung des Bedeutung zugesprochen.
Totenporträts zu diskutieren? Man könnte annehmen, daß 6 Auguscinus, De trinitate VIII, c. 4, § 7.
8
himmlisch verklärten Lichterscheinung, die selbst die Jünger kann nur aus der theodosianischen Kunst entwickelt werden.
nicht ertragen konnten:? In theodosianischer Zeit dringt i11 Die Acheiropoieta dürften dagegen auf schemenhafte
das Christusbild das Vokabular des spätantiken Porträts ein. Gesichtsabdrücke zurückgehen, die im Kult der nestoriani
Raffinierte Bildstrategien - besonders manifest in der Ikone schen Kirche eine Rolle gespielt haben könnten.
des Sinai (Taf. 2) - sind weit entfernt von den zeichenhaften Die Legenden finden ihren Ausdruck in einem Medium, das
Anfängen. Der Typus der Ikone, der in theodosianischer Zeit die artifiziellen Kompositionsweisen des spätantiken Porträts
entstanden sein muß, 8 avancierte zum Christusporträt tradiert. In dem Bild sind nicht die Spuren zu finden, die
schlechthin. Wohl schon im 7. Jahrhundert, mit Sicherheit zum Ursprung der Legenden weisen. Es ist nicht aus dem
aber nach dem Ikonoklastenstreit, wurde er zum Christus Kult geboren. Die Legenden der nicht von Händen gemach
porträt Konstantinopels, das zunehmend auch die Provinzen ten Bilder suggerieren eine von Gott selbst verbürgte Au
dominierte. Auch die Legenden der nicht von Händen thentizität. Dieser Mystifikation kommt ein gesteigertes, aber
gemalten Bilder geraten in den Sog dieses Typus. Es hat ver konservatives Bildbewußtsein entgegen, das an das Christus
wundert, daß sich das tatsächliche Aussehen aller Acheiro bild die Vorstellung einer kultischen Authentizität heftet, die
poieta der Überlieferung entzogen hat. Allein die originäre ursprünglich damit nicht verbunden war. Die Legenden der
Gestalt des Mandylion meinte man eruieren zu können - nicht von Händen gemachten Bilder verlangen deren Vereh
aber vergebens.9"Es ist fraglich, ob eines der legendären Bil rung. Die Acheiropoieta haben übernatürliche Kräfte, die sie
der einen Porträttypu? hervorgebracht hat. Statt dessen von einer besonderen Gegenwart Gottes herleiten. So wurde
spricht alles dafür, daß das Mandylion ebenso wie das Bild das Bild von Kamuliana in Konstantinopel zum Staatspalla
von -Kamuliana nur ein schemenhafter Abdruck in der Art des dion. Das Mandylion, das Bild von Edessa, beschützte lange
Turin:er Grabtuchs (Abb. 53) war. Die Mutmaßung, das Zeit die Stadt vor den Angriffen der Heiden. Die Legende
schemenhafte Christusbild dieses Grabtuchs könne in die gewährt kultischen Vorstellungen durch die Hintertür Ein-.
Zeit Christi selbst hinabreichen, hat bei Ordensleuten den tritt, die die Liturgie und die Theologie verschlossen zu
Eifer entfa<;ht, das Urbild der nicht von Händen gemachten haben glaubten. Sie reicht vor das Christusbild selbst zurück.
Bilder Christi wiederzufinden.10 Kriminalistisch wurden E. v. Dobschütz reiht die Acheiropoieta in die Tradition der
Christusdarstellungen als Phantombilder des entlaufenen himmelentstammenden Götterbilder der Griechen ein. 13
Prototyps betrachtet. Die Fahndung deckte verhüllte Über Das Christusbild scheint somit das pagane Kultbild lediglich
einstimmungen zwischen manchen Bildern auf, so etwa zu transformieren. Darauf stützt H. Belting die Definition
zwischen der Ikone im Katharinenkloster auf dem Sinai des christlichen Bildes als Kultbild.14 Das Verbot durch die
(Taf. 2) und dem Mandylion, wie es im Vatikan und in Theologen habe sich letztlich vor dem tradierten, anthropo
Genua (Abb. 51/52) überliefert ist. Sie schien daher zu ihrem logisch begründeten Kultcharakter als ohnmächtig erwiesen.
Ziel zu führen. pas gesuchte Urbild ist jedoch in der Kon Die Macht des Kultbildes sei erst in der Reformation gebro
ventionalisierung des Christusbildes nach dem Ikonoklasten chen worden. Dagegen ist geltend zu machen, daß sich der
streit zu finden, der der Typus jener Ikone (Taf. 2) zugrunde Konflikt zwischen der Hinwendung des Bildes zu alten vor
lag. Die Typenkritik dechiffriert so die Legende. Nachdem christlichen kultischen Funktionen und der theologischen
das Mandylion von Edessa 944 nach Konstantinopel -Festlegung durch die christliche Kunst selbst hindurchzieht.
gebracht worden war, wurde es aufgrund des konventionali Die griechische Liturgie sanktionierte erst nach dem Ikono
sierten Chr.istusbildes kopiert. Ähnlich dürfre man schon in klastenstreit die Bilderverehrung. Im Westen wurde eine sol
Konstantinopetverfahren sein, als das Bild von Kamuliana che Konsequenz nicht gezogen.
infolge der Kriege gegen die Perser zum '5taatspalladion auf
stieg.
Das Porträt Christi hat keinen natürlichen Anfang, sondern
ist aus Bildern entwickelt worden, die keine Bildnisse sein
wollten. Die Legenden der Acheiropoieta haben nicht einmal 7 Siehe unten, S. 51.
8 Die übliche Datierung ins 6. oder 7. Jahrhundert ist zu bezweifeln; siehe
den gleichen Ursprung wie der Bildtypus, der zum Christus
unten, S. 47.
porträt avancierte. Sie haben sich frühestens im 6. Jahrhun 9 Siehe unten, S. ll 3ff
dert dieses Typus bemächtige. 11 Die Acheiropoieta haben in 10 Vgl. Bulst, Pfeiffer, 1991; hier die weitere Literatur dazu wie Wilson,
Konstantinopel ein bildliches Scheinleben erhalten. Die 1986; Coero-Borga (Ed.), 1981. Den Eifer, mit dem im Bild des Turi
Komplexität des Gegenstandes bringt viele methodische ner Grabtuchs der Ursprung des Chrisrnsbildes gesucht wurde, hemm.te
jedoch die naturwissenschaftliche Untersuchung, die eine mittelalterli
Schwierigkeiten hervor. Aus der Idee des Acheiropoieton
che Datierung nahelegt; vgl. Cormack, 1997, S. 115 ff Zu den Unter
kann nicht die Archäologie des Christusbildes erschlossen
suchungen der Technik des Grabtuchs vgl. Bortin, 1980, S. 109-117.
werden. Ebensowenig taugen dazu die ästhetischen und 11 Siehe unten, S. 57ff.
theologischen Umschreibungen des Bildes als Porträt, wie sie 12 Wie solche Irrtümer entstehen, zeigt wider Willen Kessler, 2000,
in der Epistula synodica zu finden sind. Die Geschichte der S. 64 ff. Das Mandylion vergegenwärtige das originäre Problem der
Kopie, mit dem sich von Anfang an die christliche Kunst beschäftigt
Porträtvorstellung enthüllt nicht die Entstehung der Bildfor
habe; siehe unten, S. 133.
men und ihres ästhetischen Vokabulars. Das ist die Quelle 13 Dobschütz, 1899, S. 1 ff.
zahlreicher Irrtümer. 12 Das Vokabular des Christusporträts 14 Belting, 1990, besonders S. 11 ff.
9
In der Beschäftigung mir dem Christusbild steht gegenwär von Bildern gesprochen, die der Paraliturgie der Privatdevo
tig Aufklärung nicht hoch im Kurs. Statt dessen ist eine neue tion angehören.
Begeisterung für das Irrationale, Vorästhetische oder das die Die fränkische Reaktion auf den byzantinischen Ikonokla
Wahrnehmung transzendierende Göttliche zu spüren.15 srensrreit führte im Westen zu einer Bilderdiskussion, die
Diese Begeisterung teilt die vorliegende Untersuchung nicht. schließlich darin mündete·, den liturgisch geregelten Bilder
Die bloße Konzentration auf die irrationale Macht voräsrhe gebrauch von einer andersartigen Bildpräsenz zu unterschei
tischer Strukturen verleiht den Bildern eine hypnotisierende den. Der Liber miraculorum hält zunächst den Crucifixus, der
Qualität, die sie nicht nur in ihrem kultischen Auftreten ent der Eucharistie dient, für legitim, während er das anthropo
falren, sondern die sie auch an der Wissenschaft selbst zu morphe Reliquiar, das in der privaten Devotion der Laien
erproben scheinen. Der aufklärerische Diskurs, dem E. v. angesprochen wird, verwirft. Er gibt im 13. Kapitel des
Dobschürz folgt, besteht nicht einfach in protestantischer 1. Buches die Position wieder, die der Schüler Fulberrs Bern
Disranziertheit. Zu fragen ist nach dem Unterschied: Den hard von Angers wohl in Chartres kennengelernt hat. Den
Unterschied zu dem Bild, das über die Kraft der Mystifikation Crucifixus legitimiert seine liturgische Einbindung, während
verfügt, macht keine Epochendefinirion deurlich.16 Es be die private Devotion das anthropomorphe Reliquiar in den
darf vielmehr der Engführung. Es ist erstaunlich, daß das Verruf, Idol zu sein, bringt. Bernhard beugt sich schließlich
mittelalterliche Konfliktfeld viel zu weit gefaßt worden ist, der Autorität der heiligen Fides, die vehement ihr Kulrbild
als wäre die mittelalterliche Situation gewöhnlich dadurch zu verteidigt.
beschreiben, daß Bilderverehrung und ihre Ablehnung ein Dadurch, daß das Bild Verehrung auf sich zieht, wird keine
ander gegenüberstünden. Das sind Abstraktionen des soge Kunstform geschaffen, die als nichtästhetisch von der Kunst
nannten Ikonoklastensrreirs. Die Normalsituation kennt der sogenannten Neuzeit unterschieden werden könnte.
mehr die Reibung liturgischer Regelungen des Bilderge Vielmehr ist das Christusbild als authentisches Kultbi/J/, die
brauchs an paraliturgischen Funktionen. Erst dieser Unter Mystifikation des antiken Porträts. Es demonstriert dessen
schied erlaubt, das Kultbild zu definieren. Entweder versteht -ungeachtet ·die Rationalität ästhetischer Strukturen. Eine
man unter Kulrbild jedes Bild, das in den cultus - die Litur genau kalkulierte raffinierte Bildstrategie wird von der
gie heißt in den lateinischen Traktaten cultus - integriert ist Legende durchdrungen oder eingeholt, aber niemals aufge
oder nur das Bild, das eine paraliturgische Funktion erfüllt. löst. Davon, daß das Bild als artifizielle Form bewußt blieb,
Wenn in der kunstgeschichdichen Literatur von Kultbild die zeugt die unendliJhe Bereitschaft zur Manipulation, yon der ,
Rede ist, dann werden überwiegend Eigenarten genannt, die die byzantinische Bildgeschichte voll ist.
für den modernen Leser eine gewisse Sensationslust befriedi Das Christusbild hat genauso wenig einen vorästhetischen
gen. Die Paraliturgie lebt in der Bilderverehrung der Laien Ursprung, wie die chrisrliche Theologie nicht in vorphiloso
oder in dem Wirken von Bildern bei Prozessionen, um Hun phischen Gedanken begründet ist. In der chrisrlichen Theolo
gersnöte oder Feinde abzuwehren etc. Die Bilderverehrung gie kommuniziert die Philosophie mit dem chrisdichen
ist häufig Ausdruck der Krise. Bilder wurden zu Acheiro Mythos und der chrisrlichen Geschichte. Die Bildarchäolo
poieta und als solche zu Palladien, als Justinian I. in den vier gie zeigt cias Christusbild als Tradierung des spätantiken Por
ziger Jahren des 6. Jahrhunderts nicht in der Lage war, träts, hinter dessen Prinzipien der Komposition, der Struktu
Syrien vor den Raubzügen der PJrser zu schützen. Man ver rierung der Wahrnehmung nicht mehr zurückzugeheri war.
langte nach außergewöhnlichen Heilsmitteln, die die gewöhn Die Hartnäckigkeit ästhetischer Formen war durch Mystifi
liche Liturgie nicht bieten konnte. Bestimmte Bilder und kationen nicht zu brechen. Die Analyse macht eine ästheti
bestimmte Reliquien ersetzten die abwesende kaiserliche sche Konstante deurlich, die nicht im Kontext aufzulösen oder
Macht und versprachen einen besonderen Schutz. Sie sollten nµr bedingt zu interpretieren ist. Das Christusporträt operiert
die Gegenwart Christi, Mariae und der Heiligen be mir Regeln der Irritationen der Wahrnehmung, die beim
schwören. Die Art der Verehrung orientierte sich an der Ver Betrachter Erstaunen erregen sollen. :piese Regeln standen
ehrung des Kaiserbildes, das als Stellvertreter betrachtet aufgrund der spätantiken Kunst zur Verfügung, die eine
wurde. Die Legende des Acheiropoieton erhöhte den Wert große Kenntnis der Prozesse der Wahrnehmung erlangt
des Bildes als Stellvertreter. Der Staat und die Kirche haben hatte. Nicht nur die byzantinischen Künsrler greifen auf die
dadurch versucht, ihre Autorität wieder herzustellen, daß sie ses in der Spätantike präsente Vokabular zurück, sondern
sich der Palladien bemächtigten und diese in die Politik und selbst wieder die Frühen Niederländer, die im Abendland
den liturgisch geregelren Kult integrierten. So kam unter mehr als zuvor, das Christusporträt als Vera icon, zur eigen
Justin II., dem Nachfolger Justinians I., das Bild von Kamu ständigen Bildform entwickelt haben. Hier wird eine Grund
liana nach Konstantinopel. Bald darauf nahmen es die lage sichtbar, die mittels der Wahrnehmungspsychologie zu
byzantinischen Heere in den Feldzügen gegen die Perser als erläutern ist. Daher kann es nicht verwundern, daß die
Palladion mir. Der Bilderkult ist ein Krisenphänomen und
seine liturgische Regelung ist eine Art der Krisenbewälti
gung. Der Anlaß des Bilderstreites war die paraliturgische
15 Cormack, 1997; Kessler 2000.
Funktion der Palladien in Konstantinopel. Erst in der zwei l6 Diesen kritischen Weg hat Barber, 2002, S. 83-137, eingeschlagen.
ten Phase des Bilderstreites wird von Formen der Verehrung Besonders hervorzuheben sind die drei letzten Kapitel.
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