Table Of ContentOFFENE  WELT 
WIRTSCHAFTS- UND GESELLSCHAFTSPOLITISCHES 
BILDUNGSWERK 
NR. 99/100 . 1969 
DIE  DRITTE WELT 
ALS  BILDUNGSAUFGABE 
WESTDEUTSCHER VERLAG· KÖLN  UND OPLADEN
Anmerkung der Redaktion: 
Redaktionsschluß für den größten Teil der Beiträge 
war Juni 1969. 
ISBN 978-3-322-98338-1  ISBN 978-3-322-99073-0 (eBook) 
DOI 10.1007/978-3-322-99073-0 
@ 1969 by Westdeutsmer Verlag GmbH, Köln und Opladen 
567 Opladen, Ophovener Straße 1-3 
Preis: Einzelheft DM 4,-, Doppelheft DM 7,-
Herausgegeben von der Wirtsmaftspolitismen Gesellsmaft von 1947, Frankfurt a. M., 
Gernot Gather - Ulrim von Pufendorf 
Redaktion: Helga Boss-Stenner, Wolfgang Hug, Uirim von Pufendorf, K. Friedrim Smade 
Falkensteiner Straße 27, Fernruf 55 31 60 
Postsmeckkonto Frankfurt a. M. 880 00
Inhalt 
I. Die politische Herausforderung 
Vlrieh von Pufendorf 
Mitdenken - Mitwissen - Mithandcln  5 
Klaus Lefringhausen 
Der Eintritt der Entwicklungsvölker in die Weltpolitik ..................  12 
E. O. Czempiel 
Das Problem der Entwicklung in der Theorie internationaler Beziehungen..  20 
Hans-Eekehard Bahr 
Entwicklungsprozeß und Revolutionstheorie  ..........................  30 
Detlev Kantowsky 
Revolution, Evolution, Dritte Welt  ..................................  38 
11.  Konzeption und Strategie 
Teil A: Faktum und Konsequenz 
Theodor Dams 
Die Zukunft der Dritten Welt in der globalen Entwicklung ..............  43 
Redaktion 
Zur Konzeption der deutschen Entwicklungspolitik  58 
Richard F. Behrendt 
Entwicklung als gezielt er Kulturwandel  ..............................  76 
Dieter Danckwortt 
Der Rückkoppelungsprozeß aus der Entwicklung der Dritten Welt auf die 
lnd ustrieländer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..  86 
Bruno Knall 
Strukturelle Eigenänderungen in der BRD im Hinblick auf eine wirkungs 
vollere Entwicklungshilfepolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..  94 
Hussein Mullick 
Die Krise der Entwicklungshilfe und Entwicklungsphilosophie  ..........  98 
Norman Paech 
Entwicklungshilfe oder kollektive Hilflosigkeit -
Ansichten von rechts und links  ...................................... 108
Henrich von Nussbaum 
Entwicklungspolitik aus der Konsequenz der verschiedenen politischen und 
gesellschaftlichen Systeme  .......................................... 124 
Teil B: Institutionalisierung und Durchführung 
Günther Schulz 
Institutionen der Entwicklungsförderung .............................. 143 
Helga Boss-Stenner I K. Friedrich Schade 
Perspektive multilateral  ............................................ 166 
K. Friedrich Schade 
Regional integrierte Entwicklungspolitik  .............................. 176 
Andreas Bodenstedt 
Regionale Förderungsprogramme in Entwicklungsländern - am Beispiel der 
Landwirtschaft .................................................... 188 
III. Die Bildungsaufgabe 
Gott/ried Hausmann 
Bildungshilfe im Entwicklungsprozeß  199 
Kurt Optiz 
Erziehung als Entwicklung .......................................... 211 
Helga Boss-Stenner I Vlrich von Pufendorf 
Die Pflege "öffentlicher Beziehungen" als Grundlage entwicklungspolitischer 
Zusammenarbeit  .................................................. 223 
K. Friedrich Schade 
Der Bürger und die Entwicklungspolitik - Umfrageergebnisse  ............ 231 
Hans Tietgens 
Entwicklungsländer als Thema der politischen Bildung  .................. 256 
Wol/gang Hug 
Didaktische und methodische Ansätze für den Unterricht über Entwicklungs-
länder  .......................................................... 272 
Wol/gang Hug 
Themenvorschläge für den Unterricht über die Dritte Welt  .............. 282 
Hans-Claus Poeschel 
Ägypten und der Nil-Hunger in der Welt - Zwei Lehrprogramme für den 
Unterricht in der Hauptschule  ...................................... 291 
fose/ Birkenhauer 
Entwicklungsprobleme am Beispiel Indiens  ............................ 306 
Glossarium - Literatur - Informationsquellen - Statistiken .............. 317
1.  DIE POLITISCHE HERAUSFORDERUNG 
Vlrieh von Pufendorf 
Mitdenken - Mitwissen - Mithandeln 
In den letzten beiden Jahrzehnten ist ein politischer und gesellschaftlicher 
Lernprozeß im Weltrnaßstab in Gang gesetzt worden, für den es  keine 
historische Parallele gibt. Die Anstöße dazu kamen aus dem Eintritt der 
sogenannten Entwicklungsvölker in die Weltpolitik; der Prozeß wurde 
beschleunigt durch die Universalisierung der Information und des Ideen 
austausches, von Ansprüchen und Interessen und der Allgegenwart von 
Macht und Machtmitteln. Damit hat "Weltpolitik" im wahrsten Sinne 
des Wortes begonnen. 
Die Auflösung alter politischer Machtstrukturen und die rasche Ausbrei 
tung der industriellen Lebensform über die Erde hin haben die soziale 
Dimension zu einer zentralen Frage der Weltpolitik werden lassen. Damit 
tritt als neuer Konfliktstoff das Problem der sozialökonomischen Unter 
schiede, d. h. der Gegensatz zwischen arm und reich, in das weltpolitische 
Spannungsfeld. Als weiterer Faktor kommt hinzu, daß der Blick geöffnet 
wird für die wechselseitige Bedingtheit der Vorgänge in den Bereichen 
Wirtschaft, Politik und Kultur, die in der Epoche der nationalstaatlichen 
Schutzpolitik noch  ihre  Eigengesetzlichkeit  voreinander  beanspruchten. 
Jeder einzelne vermag nun zu erkennen,  daß  auch  das  wirtschaftliche 
Geschehen politische und soziale Folgen hat, und daß das polifische Han 
deln die Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung schafft; beide 
aber werden in ihren Entfaltungsmöglichkeiten durch das verfügbare gei 
stig-kulturelle Potential determiniert. 
Aufarbeitung der eigenen Probleme 
Die Umsetzung und Einordnung solcher neuen Dimensionen in das Be 
wußtsein der Menschen kann nicht nur denjenigen zugemutet werden, die 
die  Aufgabe  haben,  die  heranwachsende  Generation auf ein  Leben in 
einer veränderten Welt und sozialen Situation vorzubereiten. Gerade an 
den Problemen der sogenannten Dritten Welt zeigt sich, daß als Bildungs 
gut nur umgesetzt werden kann, was in den Ziel- und Wertvorstellungen 
der jeweils tragenden Generation einer Gesellschaft bereits seinen Bezug 
findet. Wissenschaft und Technologie haben aber den Entwicklungsprozeß 
in einer Weise beschleunigt, daß zur Zeit zwischen der Bewußtseinsstruk 
tur dieser Generation und der modernen Weltwirklichkeit eine tiefe Kluft 
besteht.  5
Darum ist das Leitthema dieser Ausgabe der Offenen Welt "Die Dritte 
Welt als Bildungsaufgabe" eine Aufforderung an uns alle zum Mitdenken, 
Mitwissen und Mithandeln. Erst wenn sich  aus  einem solchen  gemein 
schaftlichen Prozeß ein dauernder Dialog zwischen den progressiven Kräf 
ten der Gesellschaft und der Pädagogik über die Probleme der Weltent 
wicklung herauskristallisiert, wird man der kommenden Generation eine 
Ausgangsbasis anbieten können, die ihr eine Identifikation mit der eige 
nen Gesellschaft wie mit der Welt ermöglicht. 
Diese Kluft zwischen Bewußtseinsstruktur und realen Existenzbedingun 
gen ist mit eine Ursache dafür, daß einmal die Auffassungen über das Ver 
hältnis zur sogenannten Dritten Welt je nach dem sozialen oder politischen 
Standort des Einzelnen in den Lebensbereichen von Politik, Wirtschaft, 
Wissenschaft oder Kulturleben weit auseinanderklaffen - so  weit,  daß 
von  einer  verbindenden  Gesamtkonzeption  nicht  gesprochen  werden 
kann. Zum andern finden die junge und ältere Generation unserer Gesell 
smaft nicht zueinander. Die überwindung dieser Diskrepanzen ist eine 
vordringlime gesellschaftspolitische Bildungsaufgabe. Sie läßt sich weder 
mit den Mitteln staatlicher Machtanwendung oder mit Verwaltungsakten 
lösen nom dadurch, daß die Träger "radikaler" Auffassungen in der jun 
gen Generation einfach negiert oder diskriminiert werden. 
Ein Generationenproblem? 
Die Besmäftigung mit den Problemen der Dritten Welt sollte nach unserer 
Auffassung als die Chance erfaßt werden, jenes moderne gesellschaftliche 
Selbstverständnis bei uns zu entwickeln, an dem es noch allenthalben man 
gelt. Die ältere Generation darf sich nicht scheuen einzugestehen, daß sie 
es - verwirrt durch viele Katastrophen der eigenen Geschichte und einge 
spannt in die Aufgaben des Wiederaufbaus - nicht geschafft hat, gleich 
zeitig einen erneuerten geistigen und moralischen Bezug zur Welt als Gan 
zes zu gewinnen. Demgegenüber ist in den letzten Jahren deutlich gewor 
den, daß die kritische Jugend die Weltfragen von vornherein in ihr poli 
tisches Bezugsfeld eingebaut hat. Der Konflikt zwischen bei den besteht 
darin: 
Die Älteren wollen die heutige Bedingtheit der eigenen Existenz durch 
die Außenwelt nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie sich von nationalstaat 
lim-machtpolitischen Vorstellungen der Vergangenheit nicht zu befreien 
vermögen. 
Die Jungen finden bisher nicht den Weg,  ihre an den Weltproblemen 
gewonnenen sozialen Erkenntnisse sinnvoll auf die Stufe der eigenen ge 
sellschaftlichen Entwicklung zu transformieren. Ihre berechtigte Unruhe 
gegenüber einer im Status-quo-Denken verharrenden Vorgeneration fin-
6  det zur Zeit ihren Ausdruck im Bekenntnis zu revolutionären Prinzipien.
Dabei kann sie sich auch auf die großen Verzögerungen in der Anpassung 
der Strukturen, insbesondere des gesamten Bildungswesens, an die Erfor 
dernisse der Zukunft berufen. Sie hat selbst Wesentliches zur Erkenntnis 
der Reformbedürftigkeit beigetragen, indem sie die Diskrepanz zwischen 
unserer materiellen Wohlstandsentwicklung und dem  Rückstand in der 
Pflege des geistig-kulturellen Potentials ins öffentliche Bewußtsein brachte. 
Diese durchaus positiven Anstöße können sich für unsere Gesellschaft nur 
fruchtbar auswirken, wenn die progressiven Kräfte mit aller Entschlos 
senheit die Instrumente planender Voraus schau für die Gestaltung der Zu 
kunft einsetzen, die mindestens in Ansätzen von der Wissenschaft her ver 
fügbar sind. Auf diese Weise können die Lücken in der wissenschaftlichen 
Aufarbeitung unserer eigenen gesellschaftlichen Strukturprobleme im Ver 
hältnis zur Weltentwicklung sichtbar gemacht werden.  Gerade die kri 
tische jüngere Sozialwissenschaft kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. 
Richtpunkt für eine offene Gesellschaft 
Einer der Leitgedanken bei der Vorbereitung der vorliegenden Ausgabe 
der Offenen Welt war die überzeugung von der unabdingbaren Inter 
dependenz  zwischen  der  Emanzipationsbewegung  der  ehemalig  kolo 
nialen Völker und Prozessen in der eigenen Gesellschaft. Hier gilt es im 
Zuge der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung den übergang von 
der repräsentativen zur gesellschaftlichen Demokratie zu vollziehen. Da 
mit ist die Verwirklichung der offenen Gesellschaft gemeint. Trotz aller 
unbezweifelbaren Fortschritte auf dem Wege zu einer modernen Demo 
kratie lassen sich aus der Entwicklung unserer politischen Strukturen noch 
keine sicheren Maßstäbe erkennen, daß damit bereits der Anschluß an die 
moderne Entwicklung im internationalen Wettbewerb der Gesellschafts 
systeme gefunden wäre. Die erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung hat 
hier manches verdeckt. Deswegen sind wir in unserer Lage mehr als andere 
darauf angewiesen, auch Begründungen für notwendige Veränderungen 
und Anpassungen aus der Weltentwicklung im ganzen abzuleiten. In die 
sem Zusammenhang hat die Mitarbeit an der Ausbildung einer globalen 
Konzeption  zur  Schaffung  moderner  gesellschaftlicher  Strukturen  und 
Systeme die Bedeutung eines Richtpunkts für eine Neuorientierung des 
eigenen gesellschaftlichen Denkens und Gestaltens. Indem wir unser natio 
nales gesellschafts politisches System in Anpassung an eine internationale 
Ordnung verbessern, leisten wir zugleich einen Beitrag zur Relativierung 
einer einseitigen national- und machtpolitischen Interpretation der inter 
nationalen Beziehungen. 
Im Ringen um eine Konzeption 
Als  roter  Faden  zieht  sich  durch  diese  Offene  Welt  die  Frage  nach 
einer verbindenden und tragfähigen entwicklungspolitischen Konzeption.  7
Die aufgezeigten Kriterien lassen sich jedoch noch nicht zu einem über 
zeugenden Bild vom Ganzen zusammenfügen. Man nennt eine Konzep 
tion den "gedanklichen Entwurf zu einer geistigen Schöpfung". In unse 
rem Fall bedeutet das eine erstmalige Anstrengung, die Welt trotz aller 
Widersprüche - vielleicht gerade ihretwegen - als ein Ganzes zu begreifen 
und danach den Standort und die Funktion der Nation neu zu bestimmen. 
Diese Aufgabe kann weder die Politik allein bewältigen, deren Mandat 
primär durch die Wahrnehmung der Interessen der eigenen Nation be 
grenzt bleibt, noch sind einzelne gelehrte oder ungelehrte Minderheiten 
dazu imstande. Eine solche Konzeption kann nur im Prozeß der öffent 
lichen  Meinungsbildung  durch  ein  Zusammenspiel  zukunftsorientierter 
Kräfte erarbeitet werden. Die konstruktive und humane Gestaltung des 
gesellschaftlichen Fortschritts im eigenen Lande wird immer die Ausgangs 
basis für diesen Prozeß bilden müssen. 
Zunächst einmal muß die öffentlichkeit in bezug auf. die internationale 
Entwicklung  und  die  Interdependenz  der  Wachstums fra gen  überhaupt 
erst problembewußt werden. Sie muß aus dem Stadium einer mehr oder 
weniger naiven, d. h. unpolitischen oder einseitigen interessenbezogenen 
Betrachtung des Phänomens Entwicklung herauskommen und zu einer kri 
tischen Beurteilung der Entwicklungsprozesse im Rahmen der Weltpolitik 
vorstoßen. Dazu gehört auch die Konfrontation mit extrem gegensätz 
lichen Standpunkten. 
Zu den Fakten, die zur Zeit noch eine sachgerechte Urteilsbildung erschwe 
ren, gehören u. a.: 
a)  Die wachsende Teilhabe aller am Wohlstand hat einen Immobilismus 
erzeugt, der auf der irrigen Auffassung beruht, materieller Wohlstand 
verstehe sich von selbst und sei nicht auch entscheidend durch geistig 
kulturelle, politische und internationale Faktoren mitbestimmt. 
b)  Die gesellschaftlichen Wandlungen in der Bundesrepublik werden nicht 
als Teilerscheinungen eines weltweiten Wandels begriffen; daher wird 
auch nicht erkannt, daß wir in einem globalen dynamischen Prozeß 
der Angleichung aller Kulturen an die Daseinsmittel des  technisch 
wissenschaftlichen Zeitalters stehen, auf den wir keinen unmittelbaren 
Einfluß haben. 
c)  Eine Ursache für dieses Unverständnis der Weltsituation liegt in dem 
Verlust an Zeitgefühl und historischem Bewußtsein begründet. Erst 
aus der Umdeutung unserer eigenen Geschichte als einem sozio-kultu 
rellen und sozial-ökonomischen Wandlungsprozeß gewinnen wir auch 
Maßstäbe für eine sachgerechte Beurteilung der Entwicklungsprozesse 
in anderen Völkern. Die rasche räumliche, d. h. horizontale Ausbrei 
tung unserer Welterfahrung können wir nur verkraften,  wenn wir 
8  dieser die historische,  d.  h.  vertikale Dimension wieder hinzufügen.
d)  Unsere Kenntnis der Kulturen und Strukturen anderer Völker ist bei 
weitem nicht ausreichend. Hier stellt sich insbesondere der Erwachse 
nenbildung eine Aufgabe, die sie nur mit aktiver Hilfe der Geistes 
wissenschaften, besonders der Sozialwissenschaften, lösen kann. 
Kritik als Anstoß zum Umdenken 
Wir werden bei uns selbst eine Fülle von Umorientierungs- und Anpas 
sungsaufgaben besonders kultureller Art leisten müssen,  wenn wir eine 
neue Willensbildung in unserem Volke in Richtung auf die Mitarbeit an 
den Weltentwicklungsaufgaben erreichen wollen. 
Bestimmte Wissenschaftseinrichtungen, vor allem aber die junge Genera 
tion, bringen gegen den bisherigen Weg der Entwicklungspolitik wesent 
liche kritische Einwände vor. Wir lassen solche Stimmen hier zu Wort 
kommen, weil erst durch die Prüfung der Frage, inwieweit sie berechtigt 
sind, Anstöße zur sachgerechten Erfassung der Grundproblematik gewon 
nen werden können. 
Veränderungen sind notwendig, sowohl innerhalb unseres eigenen Gesell 
schaftssystems wie in  den Beziehungen der hochentwickelten  Industrie 
länder zu den Entwicklungsländern. Der Druck aus der Dritten Welt wird 
zunehmend größer. Zur Zeit erscheint die Frage "Revolution" oder "Evo 
lution" in der öffentlichen Betrachtung in den Industrieländern noch als 
ein theoretisches Problem. Doch läßt sich wohl aus allen Beiträgen dieser 
Ausgabe herauslesen, daß mit den bisherigen Mitteln der Entwicklungs 
förderung der Gegensatz zwischen reich und arm nicht kleiner, sondern 
größer wurde. Hält dieser Trend an,  so  ist  zu erwarten,  daß auf die 
Dauer der Ausbruch in revolutionäre Explosionen nicht aufzuhalten ist. 
Die Signale dazu können nicht länger übersehen werden. Daher müssen 
wir die Frage prüfen, ob Evolution immer der mögliche Ausweg ist und 
uns mit denjenigen auseinandersetzen, die die Fähigkeit des kapitalisti 
schen  Systems zur Lösung des  Weltentwicklungsproblems  grundsätzlich 
in Frage stellen. Diese Einwände beziehen sich bei näherer Betrachtung 
weitgehend auf das  kapitalistische System in seiner engen Verflechtung 
mit dem nationalen Machtstaat. Die große Frage, ob dieses System auch 
fähig wäre, sich aus  dieser Umklammerung zu lösen und neue Formen 
internationaler Kooperation zu entwickeln,  ist  noch  nicht beantwortet. 
Dazu müßte auch das Feld der internationalen Beziehungen mit Hilfe 
der Sozialwissenschaften und insbesondere der Konflikts-, Friedens- und 
Zukunftsforschung noch weiter durchleuchtet werden. Entscheidend wird 
dabei auch sein, wie man eine integrierte Planung der einzelnen Entwick 
lungsprozesse landwirtschaftlicher, industrieller und infrastruktureller Art 
auf regionaler Ebene, d. h. als "Entwicklung von unten", in Gang zu set-
zen vermag. Das ist ohne neue Formen der Kooperation und wissenschaft- 9
lich planender Vorausschau auf internationaler Ebene nicht möglich. Ein 
solcher Prozeß könnte aber entscheidend gefördert werden, wenn sich die 
Industriestaaten  endlich  dazu  entschlössen,  den  Schwerpunkt  von  der 
bilateralen zur multilateralen Entwicklungsförderung zu verlagern. Da 
mit würde der Erkenntnis Rechnung getragen, daß die Entwicklung der 
Dritten Welt ein langfristiges Ziel ist, das auch in der Politik der einzel 
nen Industrie- und Entwicklungsländer einen breiteren Raum beanspru 
chen kann. Nur auf dieser Basis läßt sich die gleichberechtigte Beteiligung 
und Mitwirkung der Völker der Dritten Welt an der Gestaltung der Ent 
wicklungsprozesse überzeugend dokumentieren. Wir müssen aus den bis 
herigen entwicklungspolitischen Erfahrungen die Lehre ziehen, daß uner 
läßliche  soziale  Reformen  nicht  allein  durch  Geschäfte  auf bilateraler 
Ebene zustande gebracht werden können. 
Freiheit ist unteilbar 
Ein weiterer Vorwurf aus der Dritten Welt ist der, daß das Maß an indi 
vidueller Freiheit, dessen sich die westliche Industriewelt rühmt, auf der 
Unfreiheit der Menschen in der übrigen Welt beruhe. Er artikuliert sich 
in Schlagworten wie "Neokolonialismus" und "Ausbeutung mit ökono 
mischen Mitteln". Darin zeigt sich, daß es uns bisher noch nicht gelungen 
ist, den Freiheitsbegriff außerökonomisch, d. h. geistig-kulturell, überzeu 
gend darzutun, wie es den besten abendländischen Traditionen entspräche. 
Inzwischen ist der Prozeß der Befreiung des Menschen aus der Abhängig 
keit von der Natur und von den sich darauf gründenden Herrschafts 
formen in teils revolutionären, teils evolutionären Bewegungen über die 
ganze Erde gegangen. Wir müssen daraus die Folgerung ziehen, daß Frei 
heit unteilbar geworden ist. Deswegen gehört die Frage nach ihr zum 
Kernproblem entwicklungspolitischer Bildungsarbeit. 
Bei  aller Kritik an  der bisherigen  entwicklungspolitischen  Konzeption 
sollte man doch festhalten, daß sich - verglichen mit der geistigen, poli 
tischen und materiellen Ausgangslage in der Bundesrepublik seit Mitte der 
fünfziger Jahre - in allen Lebensbereichen und bei allen beteiligten Grup 
pen ein beachtlicher Lernprozeß vollzogen hat, der in einer fortschreiten 
den Differenzierung in Methodenfragen wie Zielvorstellungen zum Aus 
druck kommt. 
Mehr wissen um besser zu handeln 
Unsere Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt, daß der Prozeß der geisti 
gen Klärung in unserem Verhältnis zur Dritten Welt - der "Zweidrittel 
welt" im Sprachgebrauch der jungen kritischen Generation - schon weit 
10  genug vorangeschritten ist, um so etwas wie eine Gesamtvorstellung von