Table Of ContentD.H.
DIE ßlÄUEN
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Veröffentlichtim
RowohltTaschenbuchVerlagGmbH,
ReinbekbeiHamburg,JuH 1996
DieErzählungendervorliegenden
AusgabewurdendemBand
«Verliebt»entnommen
Copyright© 1968byRowohltVerlagGmbH,
ReinbekbeiHamburg
Umschlaggestaltung
BeateBecker/GabrieleTischler
(Illustration: ErichWonder)
SatzSabon(Linotronic500)
GesamtherstellungClausen&cBosse,Leck
PrintedinGermany
200-ISBN3 49922073 3
Inhalt
DieblauenMokassins
(Thebluemocassins, 1930)
7
DerSieger
mitdemSchaukelpferd
(Therocking-horsewinner, 1926)
43
DerMann,
derInselnliebte
(Themanivholoved
Islands, 1918)
73
DieJahreszahlen verweisenaufdieErstveröffent-
lichungderjeweiligenErzählung.
Die blauen Mokassins
HeutzutageändernsichFrauentypenrascher
als Frauenmoden. Mit zwanzig Jahren war
LinaM'LeodpeinHchstmodern; mitsechzig
hingegengeradezualtmodisch.
Sie tratmitderIdee dervölligen Selbstän-
digkeit ins Leben. Wenn eine Frau zu jener
verklungenen Zeit, vor vierzig Jahren, von
ihrerSelbständigkeitredete,someintesieda-
mit,daßsienichtsmitMännernzutunhaben
wolle. Siesetztesichdarüber,daßesMänner
gab, hinweg und führte ihr eigenes männer-
losesLeben.
Wennheute ein Mädchenvon seiner Selb-
ständigkeitredet,meintesdamit,daßessich
ausschließlich mit Männern zu beschäftigen
gedenkt—wobeiessichnichtum<denEinen>
zuhandelnbraucht.
Lina M'Leod hatte von ihrer Mutter her
einEinkommen. MitzwanzigJahrenwandte
sie daher ihrem Vater, jenem Urbild der Ty-
rannei, den Rücken undgingnach Paris, um
Kunst zu studieren. Nach vollzogenem Stu-
dium der Kunst widmete sie sich dem Stu-
diumdesErdballs.
Vor ihrer enormen Selbständigkeit
schmolz Afrika zu einer Kleinigkeit zusam-
men,gewaltigeLandstreckenChinaswurden
von ihr tatkräftig erledigt, und die Rocky
Mountains wie die Wüsten Arizonas waren
ihrvertraut, als wäre sie mit ihnenverheira-
tet. Unddasalles,umnichtsmitMännernzu
tunzuhaben.
Es geschah in New Mexico, daß sie die
blauen Mokassins erstand, die mit blauen
Glasperlen bestickten, und zwar von einem
Indianer, derihr als Fremdenführer undUn-
tergebenerdiente. Siewarselbständiggenug,
umsichderMännerzubedienen,abernatür-
lich nur als untergebener, dienender Ge-
schöpfe.
AlsderErsteWeltkriegausbrach,reistesie
nachHause.Siewarjetztfünfundvierzigund
bekam schon graue Haare. Ihr Bruder, der
zweiJahre älter als sie undJunggeselle war,
wurde eingezogen, und sie selber bheb in
dem kleinen Familienhaus daheim auf dem
Landeundtat,wassiekonnte. Siewarklein,
aufrecht und in ihrer Redeweise kurz ange-
bunden. Ihr Gesicht schien aus blassem El-
fenbein, mit einer Haut, die zartem Perga-
ment glich. Ihre Augen waren sehr blau. Es
gab keinerlei Firlefanz um sie her, wenn sie
allerdings auch Bilder malte. Ihr zartes Per-
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gamentgesicht kam nicht einmal mit Puder
in Berührung. So war sie nun einmal, Gott
sei gelobt, und im ganzen Landstädtchen
hattemanmächtigenRespektvorihr.
Infolge ihrer verschiedenen Betätigungen
kam sie häufig mit einem jungen Bankange-
stellten namens Percy Barlow in Berührung.
Als sie ihn im Jahre 1914 zum erstenmal
sah, war er erst zweiundzwanzig, und sie
mochte ihn gleich leiden. Sein Vaterwar ein
armer Landpfarrer aus Yorkshire, und er
war hier fremd. Erwar eine zutrauliche Na-
tur. ErvertrauteLinaM'Leod,vordererge-
waltige Hochachtunghatte, schon sehr bald
seineAbneigunggegenseineStiefmutterund
seineAngstvorseinemVater ansowie auch,
daß dieser wie Wachs in den Händen jenes
Frauenzimmers war und daß er selber aus
all diesen Gründen kein Zuhause hatte. In
seinen angenehmen Gesichtszügen stand
Zorngeschrieben, abereswareinirgendwie
belustigender Zorn, jedenfalls belustigte er
sie.
Er sah entschieden gut aus mit seinem
kräftigen, dunklen Haarschopf, den zwin-
kerndengrauenAugen unterdickenBrauen,
demvollenMundunddertiefenStimme, die
eine zärtliche Heiserkeit in sich barg. Diese
Stimme war es, die Linas festen Halt er-
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schlitterte, wovon er nicht die leiseste
Ahnung hatte; er sah zu ihr hoch empor -;
<Siestehtturmhochübermir>.
Wenn sie ihm beim Tennisspiel zusah,
wennersichetwaeinbißchenzusehrgehen-
ließ, einen Ball zu hart nahm, sich über-
stürzte, oder zu seinem Partner allzu nett
war,zogSehnsuchtdurchihrHerz.DasWai-
senkind in ihm! Und er sollte hinausziehen
und sich totschießen lassen? Sie hielt ihn so
lange es irgend ging mit allerhand Kriegs-
hilfsarbeitzuHausefest, underwarwillens,
alles, was sie verlangte, zu tun - er war ihr
einfachergeben.
Schließhch aber mußte er dann doch ins
Feld.Erwarjetztvierundzwanzigundsiesie-
benundvierzig. Er kam, um in seinerhölzer-
nen Art von ihr Abschied zu nehmen. Sie
mußtesichplötzlichabwenden,ihreStirnge-
gen die Wand lehnen und in Tränen ausbre-
chen. Es warf ihn völlig um, und ehe er
wußte,wieihmgeschah,schlugerdieHände
vorsGesichtundweintebitterlich.
Sie begann ihn zu trösten: «Weinen Sie
nicht,meinLieber,weinenSienicht! Eswird
schonallesgutwerden.
EndlichwischteersichdieTränenmitdem
Ärmel ab und sah demütigzu ihr auf. «Daß
Sieweinten,hatmir'ssoangetan»,brachteer
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