Table Of ContentFORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
Nr. 2005
Herausgegeben im Auftrage des Ministerpräsidenten Heinz Kühn
von Staatssekretär Professor Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt
DK 620.178.322.2:669.14 (043)
Prof Dr.-lng. Dr.-lng. E. h. Hermann Schenck
Prof. Dr.-lng. Bugen Schmidtmann
Dr.-lng. Peter Emrich
Institut für Eisenhüttenwesen der Rhein.-Westf. Techn. Hochschule Aachen
Die Ausbildung der Wählerkurve
eines niedriggekohlten Stahles
bei Zug-Druck-Wechselbeanspruchung
unter Berücksichtigung von V erfestigungs
und Entfestigungsvorgängen
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
ISBN 978-3-663-19969-4 ISBN 978-3-663-20316-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-20316-2
Verlags-Nr. 012005
© 1969 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Köln und Opladen 1969.
Inhalt
I. Einleitung ....... 00 . .......... 0. ............ 0. .. 0. 00 0 0 . .... 00 0 . 00 . . 5
Ho Theoretischer Teil- Literaturübersicht . 0. ...... 00 0 0 . .. 0. ... 0. 00 0 0 . . 0... 6
1. Theorie der Ermüdung ..... 0. ..... 0. ... 0. ..... 0. 00 . ......... 00 0 0 . . 6
1.1. Plastische Verformung ... 00 0 0 . ...... 00 0 0 . ... 0. 0. . 0. .... 00 0 0 6
o
1.2. Rißbildung .... 0. 00 . ...... 0. 0. 0. .... 00 0 0 . .. 0. . 00 . 00 0 . .. 00 0 . . 9
1.3. Rißausbreitung . 0. .... 0. . 00 0 . 0. .. 0. . 00 0 0 . .... 00 . ... 00 0 o ..... 10
2. Verformungsalterung während einer Wechselbeanspruchung 00 0 . 0. . . . . . 11
30 Einfluß der Korngröße auf das Wechselfestigkeitsverhalten 0. .. 0. 00 0 0 0 0 0 14
40 Zielsetzung ... 0. . 00 0 . .. 0. 00 0 0 0 . 0. 00 . 00 0 . . 00 0 0 0 0 . 00 . 00 . 00 0 0 0 . .... 0 14
III. Experimenteller Teil ....... 0. 00 0 . .. 00 0 0 0 0 . ... 00 0 0 0 0 . ... 00 0 0 0 0 0 . .. 0... 15
1. Versuchseinrichtung und -durchführung 00 . 0. .. 0. .. 0. . 0. 0. .. 0. 00 0 0 0 0 . 15
1.1. Dauerwechselversuche bei Temperaturen von Raumtemperatur
bis -100°C 0. .. 0. .. 0. ... 00 . 00 0 0 . ... 00 0 0 . 0. .... 00 0 0 ......... 15
1.2. Zugversuche ...... 0. ...... 00 . ....... 0. 0. ...... 0. 00 . .... 0... 16
1.3. Aufnahme mechanischer Hysteresekurven . 0. . 00 0 . 00 . . 0. . 0. . 00 .. 16
1.40 Messung der Dämpfung und des Elastizitätsmoduls im kHz-Bereich 17
2. Probenmaterial und Probenvorbereitung 00 0 0 . .. 00 0 0 0 0 0 0 0 . 0. 00 0 0 0 0 0 0 . 0 17
2.1. Chemische Zusammensetzung .. 0. 0. 0. .... 00 0 . ....... 00 0 0 0 0 . 00 . 17
2.2. Vorbereitung .... 00 0 . ..... 0. . 0. ....... 00 . ........... 00 . . . . . . 17
2.3. Wärmebehandlung . 00 0 0 . . 00 . . 0. 00 0 . . 0. 00 0 0 0 0 0 . .. 0. 00 0 0 0 0 0 0 00 18
3. Beschreibung der Versuchsergebnisse . 00 0 . 0. 00 0 0 . 00 . . 0. 00 . ........ 0. 19
3.1. Verformungsverhalten bei Raumtemperatur nach unterschiedlicher
Vorverformung ....... 0. .... 0. ....... 00 0 0 . ....... 00 0 . 00 . . 00 . 19
3.1.1. Veränderung von Dämpfung und Elastizitätsmodul im kHz-Bereich 19
3.1.2. Veränderung der Streckgrenze ........... 00 . ......... 0. .. 0. . . . 19
3.2. Wechselfestigkeitsverhalten des geglühten, nicht vorverformten Ma
terials im Temperaturbereich von Raumtemperatur bis -100°C im
Einstufenversuch . 0. ........... 00 0 0 0 . 00 . .......... 0. ...... 0. 20
3.2.1. Wählerkurven und Schadenslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.2.20 Spannung-Dehnung-Verhalten nach Wechselbeanspruchung mit
unterschiedlicher Spannungswechselzahl und Amplitude . . . . . . . . . 20
3.2.3. Dämpfung und Elastizitätsmodul im kHz-Bereich nach Wechsel-
beanspruchung ......... 0. . 0. ........ 0. . 0. 0. ... 0. 00 . 00 0 . 0. . . 21
302.40 Dämpfung und Elastizitätsmodul im kHz-Bereich während Wechsel-
beanspruchung 00 0 . 00 0 0 0 0 0 0 . ..... 0. 00 0 0 0 . 00 . . 00 0 0 0 0 0 . 00 0 . 0. 0 21
3
3.2.5. Wechselfestigkeitsverhalten mit zwischenzeitlicher Auslagerung bei
Raumtemperatur ........................................... . 22
3.2.6. Mechanische Hysterese bei Zug-Druck-Beanspruchung ......... . 22
3.2.7. Einfluß der Korngröße auf das Wechselfestigkeitsverhalten ...... . 23
3.2.8. Einfluß erniedrigter Temperatur auf das Wechselfestigkeitsverhalten 24
3.3. Wechselfestigkeitsverhalten im Einstufenversuch bei Raumtempera-
tur und bei -80 ° C nach unterschiedlicher statischer Vorverformung 25
3.3.1. Wählerkurven nach statischer Vorverformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.3.2. Wählerkurve bei Raumtemperatur und bei -80°C nach 2%
statischer Vorverformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.3.3. Spannung-Dehnung-Verhalten nach 2% statischer Vorverformung
und Wechselbeanspruchung bei unterschiedlichen Amplituden . . . . 26
3.3.4. Dämpfung und Elastizitätsmodul im kHz-Bereich während Wechsel
beanspruchung nach 2% statischer Vorverformung . . . . . . . . . . . . . . 26
3.3.5. Mechanische Hysterese nach 2% statischer Vorverformung . . . . . . . 27
3.3.6. Spannung-Dehnung-Verhalten nach 13% statischer Vorverformung
und Wechselbeanspruchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.3.7. Dämpfung im kHz-Bereich nach 13% statischer Vorverformung
während Wechselbeanspruchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.4. Wechselfestigkeitsverhalten im Mehrstufenversuch bei Raumtempe-
ratur und -80°C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.5. Strukturveränderung unter Zug-Druck-Wechselbeanspruchung . . . 30
3.5.1. Versetzungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.5.2. Oberflächenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
IV. Erörterung der Versuchsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
1. Verformungsalterung nach statischer und Wechselverformung . . . . . . . . . . 30
2. Verformungsalterung während Wechselbeanspruchung . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3. Vorgänge bei der Wechselbeanspruchung des nicht vorverformten Materials
im Temperaturbereich von Raumtemperatur bis -100°C . . . . . . . . . . . . . . 35
4. Einfluß einer statischen Verformung auf das Wechselfestigkeitsverhalten . . 38
V. Zusammenfassung................................................... 40
VI. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Anhang: Diagramme und Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4
I. Einleitung
Das Verhalten metallischer Werkstoffe unter elastisch-plastischen, wechselnden Bean
spruchungen ist, seiner technischen Bedeutung für den allgemeinen Maschinenbau ent
sprechend, bereits seit Beginn der Werkstoff-Forschung Gegenstand umfangreicher
Untersuchungen gewesen. Es hat in der Folgezeit nicht an Versuchen gefehlt, Modell
vorstellungen und rechnerische Ansätze zu entwickeln, um die infolge wiederbalter
Verformungsumkehr zum Ermüdungsbruch führenden Vorgänge zu erklären. Trotz
der Vielzahl der entwickelten Hypothesen ist es bis heute nicht gelungen, die Mannig
faltigkeit der Ermüdungserscheinungen in einen umfassenden theoretischen Zusammen
hang zu bringen. Daraus wird ersichtlich, daß die Vorgänge bei wechselsinniger Werk
stoffbeanspruchung komplizierterer Natur sind als die bei einsinniger Beanspruchung.
Folglich ist eine Übertragung der für einsinnige Verformungsvorgänge entwickelten
Vorstellungen auf die Ermüdung nicht ohne weiteres möglich. Der V ersuch, mittels
statistischer Methoden quantitative Aussagen über das Ermüdungsverhalten zu machen,
gewann zwar für die Betriebsfestigkeitsforschung an Bauteilen Bedeutung-daraus ent
wickelte sich eine zweite Forschungsrichtung -, vermochte jedoch auch nicht die bei
Wechselbeanspruchung spezifisch auftretenden Erscheinungen metallkundlieh zu
deuten.
Erst mit der Entwicklung verfeinerter Meßmethoden sowie der Möglichkeit, Metall
folien im Elektronenmikroskop zu durchstrahlen und damit Einblick in die Feinstruktur
des verformten Gefüges zu gewinnen, konnte ein besseres Verständnis vor allem bei der
Wechselbeanspruchung kubisch-flächenzentrierter Metalle erreicht werden.
Bei Werkstoffen mit kubisch-raumzentrierter Struktur, vor allem bei Reineisen und
niedriglegierten Stählen mit heterogenem Gefügeaufbau, kann das Ermüdungsverhalten
durch . gleichzeitiges Auftreten von Verformungsalterung beeinflußt werden. Über
diesen für die Praxis bedeutsamen Einfluß der Verformungsalterung liegen in dem um
fangreichen Schrifttum zum Ermüdungsverhalten von Stählen sehr unterschiedliche
Auffassungen vor.
Die vorliegende Arbeit ordnet sich in das Bestreben ein, durch eine V ersuchsmethodik,
die denneueren Vorstellungen über Wechselbeanspruchung und Verformungsalterung
angepaßt ist, einen Beitrag zu liefern zur Deutung der bei elastisch-plastischen Wechsel
verformungen von unlegiertem, kohlenstoffarmemStahl stattfindenden Vorgänge unter
besonderer Berücksichtigung der Verformungsalterung. Sie stellt damit eine Weiter
führung der in früheren Jahren im Institut über dieses Problem durchgeführten For
schungsarbeiten dar.
Die Zielsetzung soll im Anschluß an eine zusammenfassende Darstellung des neueren
Schrifttums im einzelnen aufgezeigt werden.
5
II. Literaturübersicht
1. Theorie der Ermüdung
Der gesamte Ermüdungsprozeß von Metallen setzt sich aus drei Stadien zusammen: dem
der plastischen Verformung, dem der Rißbildung und dem der Rißausbreitung [1, 2, 3].
Diese einzelnen Prozesse sind zeitlich nicht scharf voneinander zu trennen, sondern
überlagern sich in mehr oder weniger starkem Maße.
1.1. Plastische Verformung
Das Anfangsstadium der Wechselbeanspruchung eines geglühten Metalles ist durch
plastische Verformung gekennzeichnet, d. h. durch Gleitprozesse infolge Erzeugung
und Bewegung freier Kristallversetzungen. Es hat sich gezeigt, daß ein Metall ohne
plastische Verformung nicht ermüden kann, d. h. daß ein Dauerbruch ohne voran
gehende Verformung nicht möglich ist [4 ]. ] edoch können Gleitprozesse auftreten, ohne
daß es zum Dauerbruch kommt.
Die plastische Verformung tritt nicht von Beginn der Beanspruchung an in ihrem vollen
Ausmaß ein, sondern erreicht erst nach einer bestimmten Zeit bzw. Spannungs- oder
Verformungswechselzahl ihr Maximum. Dieses Maximum, der sogenannte »Sättigungs«
oder »kritische« Wert ist von der Höhe der aufgebrachten Spannungs- oder Verfor
mungsamplituden abhängig; er wird bei hohen Amplituden schneller erreicht als bei
niedrigen [3]. Die Zunahme der plastischen Verformung, d. h. der Versetzungsdichte,
erfolgt nicht gleichmäßig, sondern zu Beginn sehr rasch und strebt dann allmählich dem
kritischen Wert zu. In zahlreichen Untersuchungen zeigte sich, daß kubisch-flächen
zentrierte Metall-Legierungen mit niedriger Stapelfehlerenergie (austenitischer Stahl,
Cu-Al-Legierungen, cx-Messing) ihren Sättigungswert bei ausreichend niedrigen Ampli
tuden erst sehr spät erreichen, Legierungen mit hoher Stapelfehlerenergie (Al, Cu, Ni)
dagegen schon sehr früh [3, 31]. Inwieweit diese Feststellungen auch auf kubisch-raum
zentrierte Eisenstrukturen zutreffen, ist nicht bekannt.
Anderung der mechanischen und physikalischen Eigenschaften
Entsprechend der Zunahme an freien Versetzungen verändern sich sowohl die anfäng
lichen mechanischen und physikalischen Eigenschaften als auch die Ausgangsstruktur
des Materials.
Durch die plastische Verformung kommt es in den meisten reinen Metallen sowohl
kubisch-flächenzentrierter als auch kubisch-raumzentrierter Struktur zu einer Ver
festigung, nachweisbar an einem Anstieg der mechanischen Härte, Erhöhung der Fließ
spannung in einem an die Wechselbeanspruchung anschließenden Zugversuch [6-13].
Bei cx-Eisen kann dem V erfestigungsprozeß eine Entfestigung vorgelagert sein. Darauf
wird später gesondert eingegangen. Weiterhin nimmt bei V ersuchen mit konstanter
Verformungsamplitude die zu ihrer Aufrechterhaltung erforderliche Spannung zu bzw.
bei Versuchen mit konstanter Belastung die Verformungsamplitude ab.
Die mechanische Hystereseschleife ändert in dem gleichen Sinne ihr V erhalten und
weist nach Erreichen des kritischen Wertes eine konstant bleibende Form auf [8, 20,
29-31]. Die gegen Versuchsende auftretenden erneuten Veränderungen spiegeln im
Regelfalle Auswirkungen der Rißausbreitung wider und dürfen nicht im Zusammen
hang mit den Erscheinungen im ersten und zweiten Ermüdungsstadium gesehen werden.
Das Auftreten konstanter Werte nach Erreichen der Sättigung mit nochmaliger Ver-
6
änderung der Eigenschaften gegen Ende des Versuches ist bei hohen Spannungs- oder
Verformungsamplituden allerdings nicht genau voneinander zu trennen. Durch die
Überlagerung mit der Rißausbreitung, die bei hohen Amplituden nahezu den gesamten
Ermüdungsprozeß bestimmt, entsteht dann der Eindruck von sich bis zum Bruch
ständig verändernden Eigenschaften. Unter hohen Amplituden seien hier und im fol
genden solche Amplituden verstanden, die etwa im Bereich von 104 bis 105 Bean
spruchungswechseln, unter niedrigen Amplituden solche, die im Bereich oberhalb 105
Beanspruchungswechseln zum Bruch führen oder einen Grenzwert, die sogenannte
»Dauerfestigkeit«, genauer » Dauerwechsel«- oder » Dauerschwing«-Festigkeit, er
reichen.
Ebenso wie die mechanischen ändern sich die physikalischen Eigenschaften im Verlauf
des Ermüdungsprozesses. Infolge der Zunahme der Versetzungs- und Leerstellendichte
steigen der elektrische Widerstand [14, 15] und die Koerzitivfeldstärke an, der Elasti
zitätsmodul nimmt ab, die Dämpfung [16] zu.
Eine Entfestigung, d. h. eine Zunahme der Wechselverformung bzw. eine Abnahme der
Wechselspannung kann in folgenden Fällen eintreten:
1. bei niedriglegierten, kohlenstoffarmen Stählen, vermutlich auch bei ähnlich aufge
bauten Legierungen wie Cu-Sn-Legierungen [32], die im Zugversuch eine ausge
prägte obere und untere Streckgrenze und eine Lüdersdehnung aufweisen [12, 17].
Erst nach Erreichen eines bestimmten Entfestigungsbetrages tritt hier die im Regel
fall beobachtete Verfestigung auf. Eine Erklärung für diese Ausnahmeerscheinung
liegt im Schrifttum nicht vor. Eine mögliche Deutung wird im experimentellen Teil
dieser Arbeit vorgeschlagen.
2. bei kaltverformten Strukturen
Kaltverformte Metalle entfestigen unter Wechselbeanspruchung bestimmter Ampli
tude. Ein solcher Entfestigungsprozeß ist in Abb. 1 am Härteverlauf von kaltver
formtem Kupfer dargestellt [8]. Das besondere Merkmal dieses Entfestigungs
prozesses ist das Erreichen eines kritischen Wertes. Nur wird hier dieser kritische
Grenzwert über eine Entfestigung erreicht, während dies bei geglühtem, unbean
spruchtem Material über eine Verfestigung geschieht. Beide Ausgangsstrukturen er
reichen nahezu den gleichen Grenzwert. Der Betrag der Entfestigung ist unabhängig
von der Art der Verformung, dagegen abhängig vom Grad der vorangegangenen
Kaltverformung, von der Höhe der Wechselamplitude und bei kubisch-flächen
zentrierten Metallen von der Stapelfehlerenergie. Metalle mit hoher Stapelfehler
energie entfestigen schneller als Metalle mit niedriger Stapelfehlerenergie [3, 30].
Abb. 2 zeigt die Entfestigung eines niedrig legierten, kaltverformten Stahles [8]. Der
Wiederanstieg der Härte nach Überschreiten des Minimums sollte auf Verformungs
alterung zurückzuführen sein.
Die praktische Bedeutung des Auftretens einer Entfestigung liegt darin, daß der oft
als wechselfestigkeitssteigernde Einfluß einer vorangehenden Kaltverformung in
vielen Fällen infolge Entfestigung wieder rückgängig gemacht wird. Es konnte be
sonders deutlich durch Röntgenrückstrahlaufnahmen gezeigt werden, wie sowohl
bei kubisch-flächenzentrierten als auch bei kubisch-raumzentrierten Eisenlegierungen
[18] ein fortschreitender Abbau der Kaltverformung durch Wechselbeanspruchung
stattfand.
Strukturveränderungen
Mit Hilfe der elektronenoptischen Durchstrahlung mechanisch und chemisch gedünnter
Metallfolien von 1000 bis 5000 A Dicke konnten die durch Wechselbeanspruchung ver-
7
ursachten charakteristischen Erscheinungen in der Feinstruktur nachgewiesen werden
[3, 12, 20-26, 30].
Bei hohen Amplituden bilden Metalle mit hoher Stapelfehlerenergie eine Zellstruktur,
wobei die Zellgröße mit steigender Amplitude abnimmt. Bei niedrigen Amplituden
dagegen bilden sich Bänder oder Knäuel von Versetzungsschleifen und Versetzungs
dipolen aus, die in ihrer Dichte und Häufigkeit mit der Amplitude und der Temperatur
ansteigen. Gemischte Strukturen entstehen bei mittleren Amplituden. Sie enthalten
entweder in den Zellwänden Dipole, oder die Dipole vereinigen sich zu zellähnlichen
Gebilden [3, 20, 26].
Kubisch-flächenzentrierte Metalle mit niedriger Stapelfehlerenergie bilden bei hohen
Amplituden lediglich eine Versetzungsdipolstruktur. Nur bei extrem hohen Amplituden
(in weniger als 104 Wechseln zum Bruch führend) kommt es auch hier zur Ausbildung
einer Zellstruktur. Bei niedrigen Amplituden entstehen Bänder von Versetzungen und
Stapelfehlern [3, 20-26].
Wird während der Wechselbeanspruchung die Amplitude verändert wie z. B. beim
sogenannten Trainieren, ändert sich die Zellgröße sehr schnell auf die der neuen Ampli
tude entsprechende [8].
Die Veränderungen der physikalischen und mechanischen Eigenschaften unter Wechsel
beanspruchung beruhen also auf der Veränderung der Feinstruktur, d. h. der Konzen
tration und Verteilung der Gitterfehler.
Der Prozeß der Entfestigung bei Wechselbeanspruchung nach vorangegangener
Kaltverfestigung ist ebenfalls über die Umordnung der Versetzungsstruktur zu
erklären.
Wird ein durch einsinnige Verformung verfestigtes Material wechselbeansprucht, kommt
es entweder zu einer Verfestigung, wenn die Sättigungszellstruktur bei der Amplitude
geringer ist als die anfängliche, oder zu einer Entfestigung, wenn die kritische (Sätti
gungs-)Zellgröße gröber ist als die Ausgangsgröße (FELTNER und LAIRD in [3]).
Obwohl mit Hilfe der Durchstrahlungselektronenmikroskopie gut übereinstimmende
und reproduzierbare Ergebnisse gewonnen werden, erhebt sich die Frage, welchen Ein
fluß die Präparation der Folien auf die im Bild sichtbare Feinstruktur ausübt.
Reversible plastische Verformung und BAUSCHINGER-Effekt
Das für eine wechselnde Beanspruchung kennzeichnendste Merkmal im Werkstoff
verhalten ist die reversible plastische Verformung. Zwar lehnen KErTH und GrLMAN [33]
die Ermüdung auf der Grundlage umkehrbarer plastischer Verformung ab, jedoch
zeigen die meisten experimentellen Untersuchungen [3, 12, 26, 30, 37 und 39] an Hand
mechanischer Hysteresekurven und Veränderungen der Verformungsspuren an der
Oberfläche recht deutlich, daß die in der einen Richtung erfolgte plastische Verformung
teilweise oder ganz je nach Werkstoff und Versuchsbedingung bei Beanspruchung in
Gegenrichtung wieder rückgängig gemacht und bei erneuter Belastung in der ersten
Richtung erneut umgekehrt wird. Diese Umkehrbarkeit der plastischen Verformung
ist nur unter der Annahme des BAUSCHINGER-Effektes, d. h. der Erniedrigung der Fließ
spannung bei Richtungsumkehr der Beanspruchung, zu erklären und wird am deut
lichsten am Verlauf mechanischer Hystereseschleifen ersichtlich. Der dem BAUSCHINGER
Effekt zugrunde liegende Mechanismus ist in seinen Einzelheiten noch nicht geklärt.
Rückspannungen wie sie 0RowA N [36] annimmt, und spezifische Reaktionen von
Gitterfehlern [21, 35] sollten in erster Linie für die erleichterte Verformung in Gegen
richtung verantwortlich sein.
Mechanische Hystereseschleifen werden entweder mit konstanter Belastungs- oder mit
konstanter Verformungsamplitude aufgenommen. Im ersten Fall ist die plastische Ver-
8
formung die abhängige V ersuchsvariable, im letzteren Fall die Kraft oder die Span
nung.
In V ersuchen mit konstanter Belastung wird die Breite einer Hystereseschleife bei
a = 0 [kpjmm2] durch die reversible plastische Verformung bestimmt. Bei den meisten
geglühten Metallen nimmt mit steigender Spannungswechselzahl die Schleifenbreite ab,
gleichbedeutend mit einer Verfestigung. Nach Erreichen der Sättigung stellt sich ein
von der Amplitude, dem Werkstoffzustand und der Temperatur abhängiger konstanter
Wert der Wechselverformung ein, der erst mit Einsetzen der Rißausbreitung wieder ver
ändert wird.
Nach AvERY und BACKOFEN [30] bedeutet das Erreichen der Sättigung nicht auch, daß
das Ende der Verfestigung erreicht ist. Die Sättigung bedeutet nur, daß der BAu
SCHINGER-Effekt wirksam genug ist, die resultierende Verfestigung Null werden zu
lassen, mit anderen Worten, es stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Verfestigung und
Entfestigung ein.
Die bei sehr geringen Amplituden nach Erreichen der Sättigung noch beobachtbare kon
stante plastische Verformungsamplitude ist nach FELTNER [37] in erster Linie durch eine
rasche Hin-und-Her_.Bewegung von Versetzungsdipolen zu erklären, darüber hinaus
jedoch zu weit geringerem Anteil auch auf das Durchbiegen sowohl von fixierten Primär
versetzungen als auch der Längsseiten der Dipole. Die beiden letzten Anteile würden
jedoch lediglich einen Beitrag zur elastischen Wechselverformung liefern. Nach HAM [3]
sind alle genannten Prozesse reversibel und führen daher nach erreichter Sättigung
zu keiner weiteren fortschreitenden Änderung der Struktur und damit der Eigen
schaften.
Bei hohen Amplituden, bei denen in erster Linie eine Zellstruktur gebildet wird, wird
das reversible Gleiten nach HAM [3] durch die Hin-und-Her-Bewegung freier Primär
versetzungen in dem versetzungsfreien Volumen innerhalb der Zellen ermöglicht. Dabei
kommt es zu einem ständig wechselnden V ersetzungsaufstau an den Zellwänden und zu
Reaktionen der freien Versetzungen mit den in den Zellwänden vorhandenen.
1.2. Rißbildung
Die Rißbildung setzt bei niedrigen Amplituden nach Erreichen der Sättigung ein. Bei
hohen Amplituden werden Sättigung und Rißbildung schnell erreicht und können ex
perimentell nur sehr schwer voneinander [3] getrennt werden. Die Bildung von Er
müdungsrissen kann grundsätzlich über eine Anzahl von Mechanismen und an be
liebigen Stellen einer Probe erfolgen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß vor allem an
kubisch-flächenzentrierten Metallen die Rißbildung stets an einer freien Oberfläche ein
setzt und ihr eine plastische Verformung vorausgeht [3]. Ausnahmen, d. h. Rißbildung
im Probeninneren, können auftreten, wenn ein Material Einschlüsse oder starke Gefüge
eigenspannungen enthält. Durch Maßnahmen, die die plastische Verformung auf der
Oberfläche behindern, durch mehrmaliges Glühen vor Erreichen der Sättigung oder
durch mehrmaliges elektrolytisches Abätzen der Verformungsspuren z. B. konnte die
Rißbildung zwar zum Teil beträchtlich verzögert, jedoch nicht verhindert werden [38].
Die Rißbildung setzt in Zonen reversibler plastischer Verformung ein, die als soge
nannte »persistent slip bands« bezeichnet werden. Es sind dies Gleitbänder, die sich
nach MoTT [39] infolge Querleitung im Verlaufe des Ermüdungsprozesses (im Stadium
der Sättigung) stark verbreitern und nach Beseitigung an derselben Stelle bei weiterer
zyklischer Beanspruchung wieder auftreten. Das Profil dieser Gleitbänder besteht aus
Graten (extrusions) und Einschnitten (intrusions). Letztere bewirken als Kerben eine
örtliche Spannungskonzentration, die so hoch werden kann, daß durch Überschreiten
9