Table Of ContentJüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit
Herausgegeben von Werner Georg Kümmel
in Zusammenarbeit mit
Christian Habicht, Otto· Kaiser,
Otto Plöger und Josef Schreiner
Band V . Lieferung 5
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit
Band V
Apokalypsen
Belkis Philonenko-Sayar und Marc Philonenko:
Die Apokalypse Abrahams
1982
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
Die Abkürzungsverzeichnisse
befinden sich in der ersten· Lieferung dieses Bandes
ISBN 3-579-03955-5
© Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1982
Gesamtherstellung: Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
Printed in Germany
Belkis Philonenko-Sayar und
Mare Philonenko
Die Apokalypse Abrahams
Inhalt
·Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
I. Die Handschriften •..................... 415
2. Die Komposition ...................... 416
3. Die ursprüngliche Sprache ................ 417
4. Die Unversehrtheit des Textes .............. 417
5. Die religiösen Ideen ..................... 418
6. DasEntstehungsdatum .................. 419
7· Literaturverzeichnis ...................... 419
übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . 421
Namenregister ..................•....... 455
Stellenregister .......................... 457
Einleitung
I. Die Handschriften
Die Apokalypse Abrahams hat Aufnahme gefunde~ in den russischen "Pallla«-Hand
schriften; aber ohne Zweifel ist sie nicht schon d~ ursprünglichen Redaktion der Pa
Illa eingefügt worden; das bezeugt die Ungeschicklichkeit, mit der sie an die vorange
hende Erzählung angeschlossen ist1• Sie fügt sich recht und schlecht ein in eine Folge
von Erzählungen, die Abraham gewidmet sind. Bei unseren .Forschungen in den Bi
bliotheken von Moskau und Leningrad haben wir ein Dutzend der Pallla-Handschrif
ten einsehen und vergleichen können, die sich über den Zeitraum von der ersten Hälf
te des 14. und bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts verteilen.
Die Handschrift jedech, die uns als die älteste und interessanteste erschienen ist
und die wir unserer Arbeit zugrunde gelegt haben, ist diejenige des Silvester-Kodexes.
Die Apokalypse Abrahams bildet in diesem Sammelband des 14. Jahrhunderts, der aus
hagiographischen Erzählungen und aus Apokryphen besteht, einen eigenen Text mit
einer Überschrift, die in den Pallla-Handschriften fehir.
Der Text erscheint in den Handschriften in zwei Formen: Der Silvester-Kodex (S)
bietet eine lange Version), ebenso die Mehrzahl der Paläa-Handschriften:
eine kommentierte Pallla der Sammlung Uvarov, 16. Jh. (P);
ein Chronograph der Sammlung Tichonravov, 16 Jh. (N);
eine kommentierte Paläa des Klosters des hl. Josif von Volokolamsk, 15. Jh. (A);
eine Paläa des 16. Jh.s der Moskauer Geistlichen Akademie (M);
eine Paläa der Bibliothek des Solovki-K1osters vom Ende des 16./Anfang des 17.
Jh.s (K);
eine Paläa der Sammlung Vjazemskij, 17.]h. (0);
eine Paläa der Sammlung Rumjancev, Ende des 16./Anfang des 17. Jh.s (L).
Dagegen findet sich in den folgenden Handschriften nur der erste Teil des Textes (die
Kapitel I bis 8):
ein Chronograph der Sammlung Rumjancev, Ende des 15. Jh.s (R);
eine Paläa der Sammlung Undol'skij, 14· Jh. (1);
eine kommentierte Paläa des Krechiv-K1osters, 15.-16. Jh. (U);
eine kommentierte Paläa der Synodalbibliothek, zweite Hälfte des 15. ]h.s M.
Schließlich gibt es Paläa-Handschriften, die nur das Kapitel 7 dieses Textes (von
I. lJa. Porfir'ev: Apokrificeskije skazanija 0 vetchozavetnych licach i sobytijach po rukopisjam
soloveckoj biblioteki (= Apokryphe Erzählungen über altestamentliche Personen und Ereignisse
nach Handschriften der Bibliothek.von Solovki), Sankt Petersburg 1877, S. 12-13.
2. Mit Ausnahme der Paläa der Sammlung Uvarov (P).
3. Der Text der Handschrift S endet in 3 I,J.
7,1 bis 8,r) enthalten. Es sind zwei Handschriften dieses Typs von uns benutzt wor
den:
eine Paläa aus Kolomna, aus der Sammlung des Dreifaltigkeitsklosters des hl. Ser
gij (Troice-Sergieva Lavra), Anfang des 15· Jh.s (W);
eine kommentierte Paläa von Kostroma, Ende des 14./Anfang des 15· Jh.s (V).
Zwar ist es bisher nicht möglich, ein Stemma im eigentlichen Sinne herzustellen, da
das Gebiet der Paläa noch weithin unerforscht ist; dennoch haben wir feststellen kön
nen, daß es mehrere Familien von Handschriften gibt: Sund P bieten gleiche charak
teristische Eigenarten (gleiche Lesungen, gleiche Zufügungen oder Auslassungen, glei
che sprachliche Besonderheiten); die sehr unvollkommene Handschrift N steht ihnen
nahe; die Handschrift M steht der Handschrift A sehr nahe, ist aber ihrem Umfang
nach kürzer; Kund 0, beide sehr spät, bieten oft wertlose Lesungen; R, T, U und Y,
einander sehr nahestehend, paraphrasieren häufig den ursprünglichen Text in dem Be
streben, ihn zu kürzen. Die Handschrift L endlich ist äußerst schlecht; offensichtlich
hat der Abschreiber den Text an vielen Stellen nicht verstanden.
Die T extvarianten haben im allgemeinen wenig Bedeutung, zeugen aber nichtsde
stoweniger von verschiedenen Überlieferungssträngen. So lassen sich in Sund P Aus
lassungen feststellen, während Kund 0 im Gegenteil eine gewisse Zahl von Einschü
ben bieten; gewisse Stellen haben Anlaß zu unterschiedlichen Lesungen geboten (be
sonders zwischen SP und AM); Kund 0 setzen den ganzen ersten Teil der Erzählung
in die erste Person; schließlich enthält die Mehrzahl der Handschriften (außer S, P
und N) Abschweifungen, in denen Kommentare gegeben werden, die sich an den »un
frommen Juden« richten (am Anfang von Kapitel 8 und am Ende von Kapitel 29).
Unsere Übersetzung beruht auf einer noch nicht edierten Textgestalt, die auf
Grund der oben aufgezählten Handschriften hergestellt worden ist. Wir haben uns be
müht, so nahe wie möglich am Text von S zu bleiben, welches die weitaus beste
Handschrift zu sein scheint, und haben in den Anmerkungen die bedeutsamen Varian
ten sowie Auslassungen und Hinzufügungen der anderen Handschriften angeführt.
Schließlich haben wir Bezug genommen auf die Arbeiten von N. Bonwetsch, G. H.
Box und J. 1. Landsman, auf die wir hinweisen, wenn wir stark von ihnen abweichen.
2. Die Komposition.
Die Apokalypse Abrahams enthält zwei voneinander unterschiedene Teile. Der erste
umfaßt die Kapitel I bis 8. Es ist dies eine Legende der Haggada, in der berichtet
wird, wie Abraham, ein Sohn des Thares, für den er Götzenbilder herstellt, sich zu
Gott dem Schöpfer bekehrt.
Der zweite Teil umfaßt die Kapitel 9 bis 31, und er macht die Apokalypse im ei
gentlichen Sinne aus. Sie geht aus von einer Art Midrasch über Genesis 15,9-II. Die
ser Teil enthält zwei Abschnitte. Der erste beschreibt das Opfer Abrahams und seine
Begegnung mit Jaoel und Asasel. Er geht von 9,1 bis 15,1. Der zweite Abschnitt be
richtet von der Vision, die Abraham zuteil wurde, als er auf den Flügeln der Taube, in
Begleitung des Erzengels Jaoel, in den Himmel hinauffuhr. Er geht von 15,2 bis 29,19.
Die Kapitel 30 und 3 I berichten in der Form eines kurzen Epilogs über die Offenba
rung, die dem Abraham bei seiner Rückkehr zur Erde von Gott zuteil wurde.
Der erste Teil der Apokalypse Abrahams muß unabhängig vom zweiten existiert
haben; dagegen scheint der zweite keine unabhängige Existenz besessen zu haben, da
er in 10,13; 25,1 und 26,2-3 ausdrücklich auf den ersten anspielt. AllerWahrschein
lichkeit nach ist der zweite Teil als eine Ergänzung zum ersten konzipiert worden.
Diese Vermutung findet eine Bestätigung in der Tatsache, daß einige Handschriften
nur den ersten Teil kennen.
3. Die ursprüngliche Sprache
Der slawische Text ist nur die Übersetzung eines griechischen Textes. In 2,3 sieht man
die Spuren eines verderbten griechischen Textes. Der griechische Text selbst ist nichts
anderes als die Übersetzung eines semitischen Originals. Strenggenommen müßte man
hier den ersten Teil vom zweiten unterscheiden, aber diese Unterscheidung erweist
sich in diesem Fall als nutzlos. Der erste Teil enthält gewisse Wortspiele, die die
Kenntnis des Hebräischen voraussetzen, wie etwa das über »Marumath" in 1,2, oder
die des Aramäischen, wie das über »Barisath« in 5,3. Der zweite Teil bietet in I),rO
ein Wortspiel über das Wort »Ratgeber«, das nur im Hebräischen und im Aramä
ischen möglich ist.
Der wiederholte und eintönige Gebrauch der Konjunktion »und« spiegelt das
»waw co~secutivum". Die Wendung »und es geschah, daß« in 1,3· Jj 5,)· 9; 8,1. 4;
10,1; 13,5; 15,1 übersetzt das hebräische »wajehi«. Gewisse Genitivverbindungen wie
»Wohnsitz deiner Unreinheit« in 13,7 oder »eine große Stimme der Heiligkeit. in 16,)
sind stark hebraisierend.
Schließlich ist zu bemerken, daß in 24,4-8 die Reihenfolge, in der die Zehn Gebote
des Dekalogs gebracht werden, diejenige des masoretischen Textes ist und nicht die
der Septuaginta.
Alle diese Hinweise führen zu einer Schlußfolgerung: Die Apokalypse Abrahams
beruht letztlich auf einem Original, das in einem hie und da aramäisch gefärbten He
bräisch geschrieben war.
Die Verse 8-10 des Kapitels 17 geben Anlaß zu einer besonderen Beobachtung.
Dieser Abschnitt enthält eine Reihe von Adjektiven, die mit alpha privativum gebildet
sind, und er muß deswegen in Griechisch geschrieben sein; er könnte eingeschoben
sein, als das hebräische Original ins Griechische übersetzt wurde. Nichts zwingt uns
zu der Annahme, daß dieser Einschub christlichen Ursprungs sei; aber diese Hypothe
se kann natürlich auch nicht völlig abgewiesen werden.
4. Die Unversehrtheit des Textes
Abgesehen von den Versen 8-11 des Kapitels 17 sind wirklich problematisch nur die
Verse 2b-11 des Kapitels 29. Box betrachtet sie als einen christlichen Einschub; aber
diese Vermutung macht einen Abschnitt nicht klarer, der für uns in jedem Fall rätsel
haft bleibt.
5. Die religiösen Ideen
Man kann die Apokalypse Abrahams als ein Drama mit drei Personen betrachten.
Abraham kommt in direkter Linie vom Alten Testament her; er erscheint so, wie
die Tradition ihn gesehen hat. Im ersten Teil der Apokalypse ist es der Typus des Zer
störers von Götzenbildern, im zweiten die Gestalt des Visionärs.
Die überraschendste Gestalt der Apokalypse ist ohne Zweifel Jaoe!. Er spielt hier
die Rolle, die im Testament des Abraham der Erzengel Michael und in der mystischen
Tradition des Judentums, wie sie vom hebräischen Henoch bezeugt ist, Metatron inne
hat. Seine Macht beruht auf der Tatsache, daß er Träger des Gottesnamens ist, gemäß
Exodus 23,21: »Denn Mein Name ist in ihm.« Die Apokalypse bezieht diesen Vers
ausdrücklich auf ihn, ebenso wie Metatron (lU. Henoch 12,5) sich auf ihn beruft. So
ist er der zweite nach Gott, der einmal (in I7,II) selbst den Namen Jaoel trägt.
J aoel ist es, der Abraham auf dem seltsamen Gespann der Turteltaube und der Tau
be (15,2) in den siebten Himmel geleitet und ihm die himmlischen Geheimnisse ent
hüllt. Als Leiter der göttlichen Chöre (10,10) lehrt er Abraham die himmlischen Ge
sänge (17,7). Er stiftet Frieden zwischen den miteinander entzweiten Cherubim (10,9).
Und schließlich .ist er es, der die Leviathane zurückhält und in der diesseitigen Welt
die Götzenanbeter zunichte macht, als ersten den Thare. Er schützt Abraham und das
auserwählte Volk; in Erfüllung dieser Aufgabe ist er mit Michael verbunden.
Asasel ist das Gegenstück zu Jaoel und sein Gegner. Er ist die personifizierte Un
frömmigkeit (13,6), und die Gerechtigkeit ist sein Feind (14,4). Er hat die Stellung
verloren, die er einstmals in den Himmeln innegehabt hatte (13,12) und hat den Men
schen die himmlischen Geheimnisse offenbart (14,2), hierin völlig gleich den gefalle
nen Engeln des Buches Henoch. Herr des höllischen Feuerofens (14,)), herrscht er
auch über die Erde und übt Herrschergewalt über die Menschen aus (13,7); er ist der
Ursprung aller Übel, die die Menschen treffen (1),8). In der Gestalt einer Schlange
hat er sich eingeschlichen zwischen Adam und Eva, um sie zu versuchen, indem er ih
nen die Frucht des Weinstocks anbot (2),6-7). In gleicher Weise versucht er alle Men
schen, »denn Gott hat ihm Macht gegeben über die, die ihm antworten« (14,6).
Wie der Fürst des Lichtes und der Fürst der Finsternis in der »Lehre über die zwei
Geister« sind Jaoel und Asasel Exponenten eines Dualismus, der in der Apokalypse
Abrahams andere, sehr charakteristische Ausdrucksformen findet.
Die Menschen sind »geboren mit den Sternen« (14,4). Das besagt, daß ein strenger
Determinismus einem jeden einen festen Platz in der Welt zuweist. So gehören sie zu
zwei Losen, die in jeder Hinsicht einander entgegengesetzt sind (13,6). Die Bezeich
nung »Los« ist hier terminus technicus; er wird in den Qumran-Texten ständig ge
braucht zur Feststellung, ob ein bestimmter Mensch zum »Los« des Lichtes oder zum
»Los« der Finsternis gehön.
Der Gegensatz von "Zeitalter der verdorbenen Welt« und ,.Welt der Gerechten«
(17,14) muß im Rahmen dieses Dualismus gesehen werden, ebenso die von »linker
Seite« und »rechter Seite« (22,5-6; 29,). 10), die in den Clementinischen Homilien
klassisch formuliert wird.
Die Vision Abrahams erreicht ihren Höhepunkt in der Vision des Thrones und der
vier Geschöpfe, die ihn tragen (18,2-11).