Table Of ContentFreda
Warrington
Vaethyr
Die
andere
Welt
Aus dem Englischen von
Elfriede Peschel
3/1971
Dieses Buch widme ich in Liebe Jenny
Gordon,
die jeden meiner Schritte begleitet hat.
~ Auftakt ~
Leben mit dem kalten
Prinzen
Ein Dämon kreischte und Ginny wachte
aus schweren Fieberträumen auf. Sie lag
allein im Bett. Draußen ging der Monsun-
regen nieder und nass glänzendes blaues
Licht fiel durch die geöffnete Tür. Sie ver-
suchte sich zu erheben, aber ein schwerer
Schatten lastete auf ihr. Das Gespinst des
Moskitonetzes hielt sie gefangen.
Ihren Ehemann sah sie von der
Türöffnung gerahmt im Gegenlicht auf
der Veranda stehen. Silberne
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Regentropfen umgaben ihn. Im Hinter-
grund wogte und schimmerte in einem
geschmeidigen Tanz das dichte Gewirr
des Regenwaldes. Unhörbar verlor sich
sein Schrei im Sturm, mit dem er sämt-
liche Bewohner der Anderswelt herbeirief,
all ihre Albträume. Mit seinen Händen
wob er einen weißen Zauber. Sie spürte
sein Entsetzen und seinen Trotz, als er sie
aufforderte, endlich zur Tat zu schreiten;
spürte den Dschungel erzittern, als dieser
das Schreckliche ausspie. Die heiße,
feuchte Luft wogte, als sie kamen.
Er war eins mit ihnen, wild und
wahnsinnig. Das unsichtbare Gewicht, das
sie niederdrückte, war Entsetzen. Sie ver-
suchte zu schreien –
Ginny erwachte. Es regnete, aber alles
war dunkel und die Tür geschlossen. Ihr
Ehemann lag ruhig atmend neben ihr
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unter dem Zelt des Netzes. Sie setzte sich
auf und versuchte keuchend der
feuchtschweren Luft ein wenig Sauerstoff
abzuringen.
Ihr Blick fiel auf Lawrence’ ernstes
Gesicht mit den gemeißelten Zügen unter
demschwarzenHaar,undsiewusste,dass
sie nicht länger bleiben konnte. Immer
wieder hatte sie es versucht, doch es bra-
chte sie um. Sie verzehrte sich nach Eng-
land mit seinen kühlen, grünen Land-
schaften und freundlicheren Feengefilden.
»Ginny?«, sagte er und regte sich.
»Hier gibt es etwas, das uns hasst«,
flüsterte sie. »Ich kann es spüren.«
»Nicht schon wieder.« Seiner Stimme
war der Überdruss anzuhören.
»Ich weiß.« Sie zog ihre Finger durch
das rabenschwarze Gewirr ihrer Haare.
»Das bin nicht ich. Ich bin eine
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erwachsene Frau, eine Mutter, ein
lebenslängliches Mitglied der Weisen und
Alten. Gewissermaßen ist das der Punkt.«
»Inwiefern?«
»Wenn ich sage, dass etwas uns zer-
stören will, dann entspricht das der
Wahrheit.«
Sie hörte ihn seufzen. »Und indem du
wegläufst, willst du zulassen, dass es
gewinnt?«
»Ich laufe nicht weg, Lawrence«, sagte
sie sanft. »Ich möchte nach Hause.«
In seinen Augen glänzte kalte Wut. Ihr
geliebter kalter Prinz, ihr Ehemann, den
sie in Wahrheit gar nicht kannte. »Wir
können nicht nach Hause«, sagte er. »Un-
ser Leben ist hier. Unser Unternehmen.«
»Dein Unternehmen ist in New York
und London. Dein Leben in England.
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Andere könnten die Geschäfte hier leiten,
aber das willst du ja nicht.«
»Du weißt warum. Ich muss es
beschützen … vor Barada.«
»Aber er ist es doch, der uns zerstört!«
Bei früheren Gelegenheiten hatte sie klein
beigegeben, aber jetzt war ihr alles egal.
»Schluck deinen Stolz hinunter«, zischte
sie. »Verkauf an Barada.«
»Nicht in tausend Jahren.« Seine
Stimme war hart. »Er kann es sich gar
nicht leisten.«
»Das Geld zählt doch nicht!«
»Es geht auch nicht ums Geld«, ant-
wortete er ruhig, doch mit der Schärfe
eines Rasiermessers. »Das solltest du
doch vor allen anderen begreifen. Ich
werde meine Arbeiter nicht im Stich
lassen und nicht auf mein Geburtsrecht
verzichten.«
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»Geht es dir wahrhaftig um die
Wahrung deiner Interessen? Oder ver-
birgst du mir etwas?« Ihre Worte waren
gehässig und er reagierte darauf mit der
kalten Feindseligkeit seines Blicks. Ginny
wich innerlich zurück. »Ich weiß, dass die
Mine dir alles bedeutet. Aber Sam und
Jon brauchen uns auch. Denk doch mal
an sie.«
»Sie sind stark«, erwiderte er.
»Nein, das sind sie nicht.« Jedes Mal,
wenn sie ihren Zeh in den Wasserfall der
Schuldgefühle streckte, riss es ihr die
Haut auf. »Es sind kleine Jungs.«
»Die stark werden müssen, damit sie in
dieser Welt überleben können. Ich nehme
sie nicht aus der Schule.«
»Darum bitte ich dich auch gar nicht.«
Ginny streckte ihre Hand aus, um seinen
Arm zu berühren. Er fühlte sich an wie