Table Of ContentNadja Odeh •
Dichtung - Brücke zur Außenwelt
ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 178
begründet
von
Klaus Schwarz
herausgegeben
von
Gerd Winkelhane
KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN
ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 178
Nadja Odeh
Dichtung - Brücke zur Außenwelt
Studien zur Autobiographie
Fadwä Tüqäns
K
KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN • 1994
S
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Titelaufnahme
Odeh, Nadja:
Dichtung - Brücke zur Außenwelt : Studien zur Autobiographie
Fadwä Tüqäns / Nadja Odeh. - Berlin : Schwarz, 1994
(Islam'kundliche Untersuchungen ; Bd. 178)
ISBN 3-87997-227-3
NE: GT
Alle Rechte vorbehalten.
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages
ist es nicht gestattet, das Werk oder einzelne Teile daraus
nachzudrucken oder zu vervielfältigen.
© Gerd Winkelhane, Berlin 1994.
Klaus Schwarz Verlag GmbH, Postfach 4102 40, D-12112 Berlin
ISBN 3-87997-227-3
Druck: Offsetdruckerei Gerhard Weinert GmbH, D-12099 Berlin
INHALT
Vorwort V
I. Einleitung 1
1. Zur Biographie Fadwä Tüqäns 2
2. Das literarische Werk 4
3. Das Genre der Autobiographie in der arabischen Literatur 4
4. Das Konzept der räumlichen Geschlechtertrennung 7
5. Der Auftritt der Frau im öffentlichen Raum 7
6. Die Frauenautobiographie 9
7. Die Rihla gabaliyya - rihla sefba 12
n. Die Lebensdarstellung Fadwä Tüqäns 17
1. Die Autobiographie als Erzähltext 17
1.1. Prolog der Dichterin 17
1.2. Die Fiktionalität der Autobiographie 19
2. Ort der Lebenserinnerung - der "weibliche" Raum 19
2.1. Die Frauen der Innenwelt 21
2.1.1. Die Mutter 22
2.1.2. Umm'Abdallah 31
2.1 3 Shaikha 32
3. Die "männliche" Außenwelt 40
3.1. Der Vater 40
3 2. Der DTwän 42
3 .3. Der Schulbesuch 44
-IV-
4. Refügium Natur 47
5. Dichtung - Brücke zur Außenwelt 57
5.1. Die Bruder-Schwester-Beziehung 58
5.2. Initiation in die Welt der Dichtung 61
5.3. Die Rolle der Hansa' 62
5 .4. Die Rolle der Danäriür 71
5.5. Loslösung vom Bruder 75
5.6. Dichtung und Politik 80
6. Die England-Reise 93
6.1. Reisevorbereitung 93
6.2. Der Englandaufenthalt 95
6.2.1. Eine Bildungsreise 96
6.2.2. Die Natur in England 97
6.2.3. Eine Liebe in England 99
6.3. England: bald kolonialer Unterdrücker, bald Ort der Frei-
heit? 101
7. Die Tagebuch-Auszüge 105
III. Nachwort 108
IV. Literaturverzeichnis 113
1. Werke von Fadwä Tüqän 113
2. Sekundärliteratur 114
3. Abkürzungsverzeichnis 120
- V-
Vorwort
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Autobiographie der in Nablus
beheimateten palästinensischen Dichterin Fadwä Tüqän (1917-). Da ich allgemein
sehr gerne Autobiographien lese und mich außerdem mit der Stadt Nablus eigene
Kindheitserinnerungen verbinden, war für mich der Text der Rihla gabaliyya - rihta
sdba besonders reizvoll. Für sinnvoll hielt ich die intensive Beschäftigung mit der
Autobiographie Fadwä Tüqäns auch deswegen, weil das Genre der Autobiographie
und insbesondere der Frauen-Autobiographie in der arabischen Literatur kaum er-
forscht ist, wie es überhaupt nur wenige monographische Studien zu Werken der
modernen arabischen Literatur gibt.
Es würde sich durchaus lohnen, die Autobiographie Fadwä Tüqäns als Dokument
über die Geschichte Palästinas vor 1948 und vor allem als Quelle für die bis heute
nur wenig untersuchte Sozialgeschichte palästinensischer Frauen der Oberschicht zu
benutzen. Doch möchte ich in dieser Arbeit möglichst darauf verzichten.
Ebensowenig soll es darum gehen, noch unbekannte Details aus dem Leben Fadwä
Tüqäns zu erfahren oder in ihrer Autobiographie wiedergegebene Ereignisse histo-
risch zu verifizieren. Vielmehr soll untersucht werden, wie die Dichterin ihre
biographische Wirklichkeit literarisch darstellt und zu welcher Art von Geschichte
sie die Geschehnisse ihres Lebens ausgestaltet. Im Hinblick auf mein methodisches
Vorgehen haben mich besonders die beiden Studien "Blindness and Autobiography"
(1988) sowie "Woman's Body Woman's Word" (1992) der vergleichenden
Literaturwissenschaftlerin Fedwa Malti-Douglas angeregt.
Für die wertvolle Unterstützung beim Zustandekommen dieser Arbeit gilt mein
besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Stefan Wild für seine kritisch-wohlwollende
Betreuung, Herrn Prof. Dr. Peter Heine für seine Bereitschaft zum Lesen der
Zweitkorrektur Danken möchte ich auch Stephan Guth, mit dem ich meine Arbeit
immer wieder besprechen konnte, ferner meinen Eltern, Geschwistern und
Freunden, die mir durch konstruktive Kritik, Ermutigung und sonstigen Beistand bei
der Arbeit geholfen haben.
-VI-
Wär ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
War ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muß ich ätzen so fein und klar.
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar
Und lassen es flattern im Winde!
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
1
L Einleitung
Seit Tähä Husayns al-Ayyäm gebe es keine Autobiographie in der arabischen
Literatur so wagemutig in ihrer Offenheit, so authentisch in dem, was sie erzählt,
und so kraftvoll in ihrer Sprache, schreibt der palästinensische Dichter Sairüh al-
Qäsim in seinem Vorwort zu der Lebensgeschichte Fadwä Tüqäns.1 Ein vielleicht
überschwengliches Kompliment. Immerhin gilt die Lebensbeschreibung Tähä Hu-
sayns als das mittlerweile populärste Werk in der modernen arabischen Literatur.2
Der Text der Rihla gabaliyya - rihla sdba erschien zunächst in Serie in der Haifaer
Zeitschrift al-öadid* Später publizierten weitere arabische Zeitungen die Lebens-
geschichte Fadwä Tüqäns in mehr oder weniger gekürzter Form.4 1985 wurde das
autobiographische Werk schließlich als Buch veröffentlicht.5 Wie der Titel schon
1 Samih al-Qasim: "Kaif wa-iktisäf', in: Fadwä Tüqan: Rihla gabaliyya - rihla sdba. Amman
1985 (Dar aS-Surüq li-n-naSr wa-t-tawzf), S.5.
2 Fedwa Malti-Douglas: Blindness and Autobiography. Al-Ayyäm of Tähä Husayn; Princeton
1988, S 3.
3 Samih al-Qäsim, a.a.O., S. 5.
4 Über den Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung gibt es widersprüchliche Angaben. Fedwa
Malti-Douglas behauptet, der Text sei erstmals von 1978 bis 1979 in al-öadid erschienen, vgl.
Woman's Body, Woman's Word; Princeton 1992, S. 162. Maja van der Velden fuhrt in ihrer
ausführlichen Bibliographie Veröffentlichungen in al-öadid der Jahre 1977/78 an; vgl. En de maan
kwam op. Leven en werk van de Palestijnse dichteres Fadwä Tüqan; (Doktoralscriptie) Amsterdam
1991, S. 138. Einige der fragmentarischen Tagebuchauszüge, die den Schlußteil der Autobio-
graphie bilden, finden sich schon in einer Ausgabe der Zeitschrift al-Ädäb (Beirut) vom Jahre 1970
unter dem Titel Safahät min mufakkira, Jg. 11, Nr.4, S. 22-25 mit dem Hinweis, diese seien der
Zeitschrift al-öadid entnommen. Leider konnte ich die Erstveröffentlichung in al-öadTd nicht
ausfindig machen. Es läßt sich daraus schließen, daß der chronologisch letzte Teil der
Autobiographie, nämlich die Tagebuchfragmente, als erste geschrieben und dem später verfaßten
Text der Autobiographie angefugt wurden. Des weiteren erschien Rihla gabaliyya - rihla sdba,
soweit mir bekannt, in Magallat ad-Dauha (Qatar) in Serie von 1984 bis 1985, sowie im Auszug in
al-Fagr al-adabi, Nr. 55 (1985), S. 11-16.
5 S. Anm. 1; Teile der Autobiographie wurden ins Englische übersetzt von Donna Robinson
Divine, "'Difficult Journey - Mountainous Journey", The Memoirs of Fadwa Tuqan"; in: Domna
Stanton (Hrsg.): The Female Autograph: Theory and Practice of Autobiography from the Tenth to
the Twentieth Century; Chicago 1987, S. 187-204. Wiedergedruckt in: Margot Badran/Miriam
Cook (Hrsg.): Opening the Gates. A Century of Arab Feminist Writing; London 1990, S. 26-40.
Vollständig übersetzt wurde der Text der Autobiographie ohne das Vorwort der Originalausgabe
2
andeutet, erzählt die Rihla gabaliyya von dem hindernisreichen Lebensweg der
Dichterin Fadwä Tüqän. Im Mittelpunkt ihres Erzählens stehen Geburt, Kindheit
und Leben im Hause der Familie sowie ein Studienaufenthalt in England, von dem
sie wieder nach Palästina zurückkehrt. Anschließende, fragmentarische
Tagebuchauszüge fuhren den Leser bis zum Ende des Junikrieges 1967 und zu den
ersten zwei Monaten der israelischen Besetzung des Westjordanlandes. Hier bricht
der Text der Autobiographie ab. Erst 1993 folgt eine Fortsetzung der Rihla
gabaliyya - rihla sdba unter dem Titel ar-Rihla al-afab (Die schwierigere Rei-
se).6 Darin schildert Fadwä Tüqän in kurzen Episoden ihr Leben unter israelischer
Besatzung im Westjordanland von 1967 an bis in die Neunziger Jahre während der
Intifada. Der Frage, warum der erste Teil der Autobiographie zwei Monate nach
Juni 1967 endet, soll zum Schluß der Arbeit noch nachgegangen werden.
1. Zur Biographie Fadwä Tüqäns
Fadwä Tüqän, 1917 als siebtes von zehn Kindern einer einflußreichen Nota-
belnfamilie in der palästinensischen Stadt Nablus geboren, verbrachte den Großteil
ihres Lebens im Hause ihres Vaters. Mit einem vierjährigen Grundschulbesuch
waren für sie die offiziellen Bildungsmöglichkeiten erschöpft. Den gestrengen Sitten
ihrer Zeit und ihres sozialen Standes gemäß durfte sie mit Eintreten der Pubertät das
Haus nicht mehr verlassen, da die Familie um ihre "Ehre" fürchtete. Ihr berühmter
Bruder, der Dichter Ibrahim Tüqän (1905-1941), unterrichtete seine Schwester in
den folgenden Jahren privat. Zudem betrieb Fadwä Tüqän intensive Eigenstudien.
Erst als 44-jähriger Frau wurde ihr von 1961 bis 1968 ein Studienaufenthalt in
von Saimh al-Qasim von Olive Kenny: Fadwa Tuqan: A Mountainous Journey: An Autobiography;
London 1990.
6 Fadwä Tüqän: ar-Rihla cd-cd ab. Amman 1993 (Dar aS-Surüq li-n-naür wa-t-tawzf). Auch
dieser zweite Teil der Autobiographie erschien kurz vor der Buchpublikation zunächst in Serie in
der Ammaner Tageszeitung ar-Ra'y.