Table Of ContentDr. Piers Steel
Warum wir immer alles auf morgen
verschieben und wie wir damit aufhören
Übersetzung aus dem kanadischen Englisch
von Dr. Jürgen Neubauer
Lübbe Digital
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes
Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG
Titel der kanadischen Originalausgabe:
»The Procrastination Equation. How to Stop Putting Things Off
and Start Getting Stuff Done«, erschienen bei Random House Canada
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2010 by Procrastinus Inc.
Published by arrangement with MOHRBOOKS AG Literary Agency, Zürich
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Textredaktion: Dr. Kirsten Reimers, Frankfurt
Datenkonvertierung E-Book:
Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-8387-0632-0
Sie finden uns im Internet unter:
www.luebbe.de
Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de
Für meinen Bruder Toby.
Er wusste, dass die Uhr immer tickt.
Inhalt
Ein Wort vorab
1 Porträt eines Aufschiebers
2 Die Aufschiebeformel
Die Essenz aus tausendundeiner Untersuchung
3 Das Aufschiebe-Gen
Warum Vertagen menschlich ist
4 Die aufschiebende Gesellschaft
Warum das moderne Leben Ablenkung garantiert
5 Der Preis der Ablenkung
Was wir verpassen, versäumen und verlieren
6 Die Kosten des Aufschiebens
Was wir als Gesellschaft verlieren
7 Mit Optimismus ans Werk
Wie Sie das richtige Maß an Selbstbewusstsein finden
8 Lieben statt Schieben
Wie Sie Sinn in Ihrer Arbeit finden
9 Alles zu seiner Zeit
Wie Sie Ihre Impulse und Ziele unter einen Hut bringen
10 Der Praxistest
Wie Sie im Alltag weniger aufschieben
Schluss mit dem Aufschieben
Dank
Anmerkungen
Ein Wort vorab
Aufschieben ist das Thema meines Lebens, beruflich wie privat. Das
kommt nicht von ungefähr, denn Forschung ist immer auch ein bisschen
Selbsterforschung. Viele Wissenschaftler sind mit ihrem Forschungsgebiet
bestens vertraut: Sie untersuchen ihre eigenen Probleme. Ich kann nur zu gut
nachempfinden, wie sich chronische Aufschieber fühlen, denn ich war selbst
lange einer.1a Seither habe ich es mit der Aufschieberei weit gebracht, ich coache
angehende Manager, und an der Wand meines Büros hängen alle möglichen
Auszeichnungen und Urkunden für meine Arbeit in Forschung und Lehre. Aber
die meiste Zeit meines Lebens hatte ich das Gefühl, dass mein Potenzial
ungenutzt verkümmerte. Ich war frustriert, weil ich meine guten Vorsätze, mich
endlich zu ändern, nie durchhielt. Wenn ich Leute kennenlernte, die es weiter
gebracht hatten als ich, führte mir dies meine eigenen Unzulänglichkeiten
besonders schmerzhaft vor Augen, entmutigte mich und weckte ungerechte
Ressentiments. Glücklicherweise interessierte ich mich für ein Gebiet, in dem es
um die Frage geht, wie wir Veränderungen in unserem Leben und unserer Arbeit
bewirken können. Diese Erkenntnisse habe ich Schritt für Schritt für mich selbst
umgesetzt.
Mein Spezialgebiet ist die Arbeits-und Organisationspsychologie, die sich mit
unserem Denken und Handeln am Arbeitsplatz beschäftigt. Diese Disziplin geht
der Frage nach, wie wir unsere Leistung, unsere Zufriedenheit und unsere
Motivation rund um die Arbeit steigern können. Leider sind viele der Techniken,
die Psychologen auf diesem Gebiet entwickelt haben, nie in die Öffentlichkeit
vorgedrungen. Sie schlummern verschüttet in obskuren wissenschaftlichen
Zeitschriften und sind in einem Fachchinesisch geschrieben, das nur
Eingeweihte verstehen. Das Thema Aufschieben macht da keine Ausnahme.
Wirtschaftswissenschaftler und Neurologen haben zwar mehr als achthundert
Artikel in allen möglichen Sprachen verfasst, aber die zu finden und vor allem
zu verstehen ist keine leichte Aufgabe.1 Hier komme ich ins Spiel. Um das
Aufschieben zu erforschen, habe ich zweierlei getan: Erstens habe ich eigene
Experimente angestellt, die ich Ihnen im Laufe dieses Buches vorstelle. Auf
diese Weise konnte ich neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie und warum wir
Dinge aufschieben und eigene Theorien aufstellen. Und zweitens habe ich die
Berge von Artikeln aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen
ausgewertet. Dabei hatte ich das Glück, über eine neue Technik namens
»Metaanalyse« zu stolpern.
Bei der Metaanalyse handelt es sich um eine mathematische Methode, mit
deren Hilfe Wissenschaftler Tausende von Untersuchungen auswerten und das
Wesentliche herausdestillieren können. Sie ist heute ein entscheidender Motor
der Wissenschaft und kommt auf allen Gebieten zum Einsatz. Wenn Sie
beispielsweise zum Arzt gehen, um sich wegen Asthma oder Alzheimer
behandeln zu lassen, dann ist die Behandlungsmethode vermutlich das Resultat
von solchen Metaanalysen.2 Ich hatte die Chance, an der Entwicklung dieser
Methode mitzuarbeiten, habe Software dafür erdacht und meine, ich habe ein
gewisses Händchen dafür.3 Daher lag der Gedanke nahe, mithilfe dieser neuen
Methode die umfangreiche Literatur zum Thema Aufschieben auszuwerten. Das
war allerdings eine gewaltige Aufgabe, denn Wissenschaftler haben jeden
erdenklichen Ansatz aufgefahren, um dem Phänomen auf den Grund zu gehen.
Sie haben Laborversuche durchgeführt, Tagebücher gelesen, mit
Neurotransmittern hantiert und Gene entschlüsselt. Sie haben das Aufschieben in
allen erdenklichen Situationen und Schauplätzen beobachtet, von Flughäfen bis
zu Einkaufszentren. Sie haben ganze Klassenzimmer verkabelt, um jedes
Blinzeln jedes Schülers aufzuzeichnen. Sie haben Aufschieber aller Art
untersucht, von Tauben über Ungeziefer bis zu Politikern. Bei dem Versuch,
diese verschiedenen Forschungen und Artikel unter einen Hut zu bringen, habe
ich mich oft gefühlt wie der Dirigent eines Orchesters im Irrenhaus. Die
Streicher, Bläser und Schlagzeuger spielten zwar alle dieselbe Melodie, aber in
unterschiedlichen Räumen und mit unterschiedlichen Rhythmen und Tonarten.
Meine Aufgabe war es, dieses Durcheinander irgendwie in Musik zu
verwandeln.
Dabei bin ich zu Erkenntnissen gelangt, die Sie vermutlich überraschen
werden und die alle herkömmlichen Theorien über das Aufschieben über den
Haufen werfen. Einige meiner Untersuchungen habe ich in Fachzeitschriften wie
dem Psychological Bulletin veröffentlicht, andere sind in Magazinen und
Tageszeitungen in aller Welt erschienen. Doch die meisten Erkenntnisse
veröffentliche ich hier zum ersten Mal. Unter anderem habe ich festgestellt, dass
wir das Aufschieben lange vollkommen falsch diagnostiziert und falsche
Ursachen dafür verantwortlich gemacht haben. Die wahren Ursachen des
Aufschiebens sind zum Teil genetischer Natur und in unserem Gehirn angelegt,
weshalb das Phänomen in sämtlichen Kulturen und Epochen bekannt war. Doch
auch die Umwelt spielt eine wichtige Rolle: Sie ist zwar nicht dafür
verantwortlich, dass wir aufschieben, sehr wohl aber dafür, wie gern und wie
häufig. Und gerade in unserer modernen Gesellschaft ist die Aufschieberitis zu
einer regelrechten Epidemie geworden.
Aber ich habe mich natürlich nicht nur mit der Frage beschäftigt, warum wir
aufschieben. Ich habe auch Strategien entwickelt, die wir im Alltag – in der
Schule, am Arbeitsplatz und in unserem Privatleben – anwenden können, um
unsere angeborene Saumseligkeit zu überwinden. Ein dickes Brett? Das kann
man wohl sagen. Deswegen habe ich auch ein paar Jährchen gebraucht, um
dieses Buch fertigzustellen. Jetzt bleibt mir nur noch zu hoffen, dass Sie nach der
Lektüre besser verstehen, wie Sie Ihre Zeit verwenden und verschwenden.
Kapitel 1
Porträt eines Aufschiebers
Verschiebe nichts auf morgen, was du auch auf übermorgen verschieben kannst.
Mark Twain
In diesem Buch geht es um jedes Versprechen, das Sie sich je gegeben
und nicht gehalten haben. Es geht um jedes Ziel, das Sie sich gesetzt und nicht
erreicht haben, weil Sie sich nicht dazu aufraffen konnten. Es geht um all die
abgebrochenen Diäten, all die durchgearbeiteten Nächte vor einer Deadline und
all die enttäuschten Blicke anderer – von denen im Spiegel ganz zu schweigen.
Es geht darum, was es bedeutet, sich als der Faulpelz der Familie und der
Versager im Freundeskreis zu fühlen. Es geht um die bleierne Last der
unerledigten Aufgaben, von den nicht bezahlten Rechnungen bis zum Chaos in
Ihrer Wohnung. Es geht um den Arztbesuch, den Sie vor sich herschieben, und
um Ihre Finanzen, die Sie immer noch nicht in Ordnung gebracht haben. Es geht
um Bummeleien, Verzögerungen, Versäumnisse, vertane Chancen und vieles
mehr.
Sogar um sehr vieles mehr. In diesem Buch geht es nämlich auch um die
andere Seite. Es geht um die Momente, in denen Ihre Trägheit plötzlich der
Klarheit und Konzentration weicht, in denen Sie Dinge ohne jedes Zögern
erledigen und es Ihnen nicht einmal in den Sinn kommt aufzugeben. Es geht um
Ihre persönliche Veränderung und darum, wie Sie Ihre Ziele umsetzen können,
ohne sich dabei selbst ein Bein zu stellen, und wie Sie nach getaner Arbeit ohne
Schuldgefühl Ihre Freizeit genießen können. In diesem Buch geht es darum, wie
Sie Ihr Potenzial ausschöpfen können, statt es brachliegen zu lassen, und wie Sie
sich Ihre Träume verwirklichen, statt sie zu vergessen. Es geht vor allem darum,
wie Sie Ihr Leben in die Hand nehmen, statt es aufzuschieben.
Wenn wir unsere Vorsätze vergessen und unsere Ziele nicht erreichen, dann ist
oft unsere Aufschieberitis schuld. Aufschieben hat nichts mit Faulheit zu tun,
auch wenn die beiden gern verwechselt werden. Anders als hartgesottene
Faulpelze wollen Aufschieber ihre Aufgaben erledigen, und irgendwann
schaffen sie es schließlich auch, aber oft nur unter immensen Qualen. Wie wir