Table Of ContentThe Project Gutenberg EBook of Der Weltkrieg, by August Niemann
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Title: Der Weltkrieg
Deutsche Träume
Author: August Niemann
Release Date: August 8, 2015 [EBook #49656]
Language: German
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WELTKRIEG ***
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Der Weltkrieg
Druck von
W. Vobach & Co.
Berlin N. 4.
Der Weltkrieg
Deutsche Träume
Roman
von
August Niemann
Berlin-Leipzig
Verlag von W. Vobach & Co.
Alle Rechte,
insbesondere das Recht der Uebersetzung in
andere Sprachen, vorbehalten.
Nachdruck wird gerichtlich verfolgt.
Copyright 1904 by W. Vobach & Co.
I
n meiner Erinnerung taucht der britische Oberst auf, der mir
in Kalkutta sagte: Dreimal bin ich hierher nach Indien
kommandiert worden. Vor fünfundzwanzig Jahren als
Leutnant: — damals standen die Russen fünfzehnhundert
Meilen von der indischen Grenze entfernt. Dann als Kapitän
vor zehn Jahren: — und damals standen die Russen nur noch
fünfhundert Meilen entfernt. Vor einem Jahre als
Oberstleutnant: — die Russen stehen unmittelbar vor den
Pässen, die nach Indien führen.
Die Weltkarte entfaltet sich vor meinen Blicken.
Alle Meere durchpflügt von den Kielen britischer
Kriegsschiffe, alle Küsten besetzt mit Kohlenstationen und
Festungen der britischen Weltmacht. Die Herrschaft über den
Erdkreis ist bei England, und England will sie behalten, es
kann nicht dulden, daß der russische Koloß Leben und
Bewegung aus dem Meere trinkt.
„Ohne Englands Erlaubnis darf keine Kanone auf dem
Meere abgefeuert werden,“ sagte einst William Pitt, Englands
größter Staatsmann.
Seit langen Jahren wächst England empor durch den
Zwiespalt der kontinentalen Mächte unter sich. Fast alle
Kriege seit Jahrhunderten sind zum Vorteil Englands geführt,
fast alle von England angestiftet worden. Nur als der Genius
Bismarcks über Deutschland wachte, besann der deutsche
Michel sich auf seine Kraft und kriegte für sich selbst.
Soll es dahin kommen, daß Deutschland Luft und Licht
und das tägliche Brot nur noch der Gnade Englands verdankt?
Oder lebt noch die alte Kraft in Michels Armen?
Werden die drei Mächte, die im Vertrage von
Schimonoseki nach dem Siege Japans über China
zusammenstanden, um Englands Pläne zu vereiteln, werden
Deutschland, Frankreich und Rußland noch länger müßig
bleiben, oder werden sie sich zu gemeinsamem Handeln die
Hände reichen?
Im Geiste sehe ich die Heere und Flotten Deutschlands,
Frankreichs und Rußlands sich in Bewegung setzen gegen den
allgemeinen Feind, der mit Polypenarmen die Weltkugel
umklammert. Befreiung aus seinen erstickenden Schlingen
bringt für ganz Europa der eherne Ansturm der alliierten drei
Mächte. Die Zukunft trägt den großen Krieg in ihrem Schoße.
Es ist keine Geschichte aus der Vergangenheit, die ich in
den folgenden Blättern schildere. Es ist das Bild, wie es sich
klar vor meiner Seele entrollte, als mir der Inhalt der ersten
Depesche des Statthalters Alexejew an den Zaren bekannt
wurde. Und gleichzeitig tauchte wie ein Blitz in mir die
Erinnerung an das Telegramm auf, das Kaiser Wilhelm II.
nach Jamesons Einfall an die Buren sandte, jenes Telegramm,
das im Herzen der ganzen deutschen Nation ein so
nachhaltiges Echo gefunden hat. Ich schaue in die Zukunft und
erinnere mich der Pflichten und Aufgaben unsers deutschen
Volkes. Meine Träume, die Träume eines Deutschen, zeigen
mir den Krieg und Sieg der drei verbündeten großen Nationen,
Deutschland, Frankreich, Rußland, und eine neue Verteilung
des Besitzes der Erde als Endziel dieses gewaltigen
Weltkrieges.
Der Verfasser.
I.
E
ine glänzende Versammlung hoher Würdenträger und
Militärs war es, die sich im kaiserlichen Winterpalast zu St.
Petersburg zusammenfand. Von den einflußreichen
Persönlichkeiten, die durch ihre amtliche Stellung oder durch
ihre persönlichen Beziehungen zum Herrscherhause berufen
waren, beratend und bestimmend auf die Geschicke des
Zarenreiches einzuwirken, fehlte kaum eine einzige. Aber es
konnte kein festlicher Anlaß sein, der sie hier zusammen
führte; denn in allen Mienen war der Ausdruck tiefen Ernstes,
der sich hier und da bis zu banger Sorge steigerte. Und die in
leisem Flüsterton geführten Gespräche bewegten sich um sehr
bedeutsame Dinge.
Die breiten Flügeltüren gegenüber dem lebensgroßen Bilde
des regierenden Zaren wurden weit geöffnet, und unter
lautloser Stille der Versammelten betrat der greise Präsident
des Reichsrats, der Großoheim des Zaren, Großfürst Michael,
den Saal. Zwei andere Mitglieder des Kaiserhauses, die
Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch und Alexis
Alexandrowitsch, die Brüder des verstorbenen Herrschers,
befanden sich in seiner Begleitung.
Huldvoll erwiderten die Prinzen die tiefen Verbeugungen
der Anwesenden. Auf einen Wink des Großfürsten Michael
gruppierte man sich um den langen, mit grünem Tuch
überzogenen Konferenztisch inmitten des säulengetragenen
Saales. Noch herrschte tiefe, ehrfurchtsvolle Stille; aber auf
ein Zeichen des Präsidenten erhob sich nunmehr der
Staatssekretär Witte, Vorsitzender des Minister-Komitees, um,
gegen die Großfürsten gewendet, zu beginnen:
„Kaiserliche Hoheiten und verehrte Herren! Eure
Kaiserliche Hoheit haben zu einer dringenden Beratung
befohlen und mich mit dem Auftrage betraut, deren Ursachen
und Zweck darzulegen. Wir alle wissen, daß Seine Majestät,
der Kaiser, unser erhabener Herr und Gebieter, die Erhaltung
des Weltfriedens als das höchste Ziel seiner Politik bezeichnet
hat. Die christliche Idee, daß die Menschheit e i n e Herde
unter e i n e m Hirten sein soll, hat in unserm erlauchten
Herrscher ihren ersten und vornehmsten Vertreter auf Erden
gefunden. Die Liga für den Weltfrieden ist das eigenste Werk
Seiner Majestät, und wenn wir berufen worden sind, um
unsere untertänigsten Vorschläge zur Beseitigung der dem
Vaterlande in diesem Augenblick drohenden Gefahr dem
Allerhöchsten Herrn zu unterbreiten, so dürfen unsere
Beratungen immer nur von jenem Geiste erfüllt sein, der dem
christlichen Gebot der Menschenliebe entspricht.“
Unterbrechend erhob Großfürst Michael die Hand.
„Alexander Nikolajewitsch,“ wandte er sich an den
Protokollführer, „vergiß nicht, diesen Satz wörtlich
niederzuschreiben.“
Der Staatssekretär machte eine kurze Pause, um dann mit
etwas erhobener Stimme und nachdrücklicherem Ton
fortzufahren:
„Es bedarf keiner besonderen Beteuerung, daß bei solcher
hochsinnigen Denkungsart unseres höchsten Herrn ein Bruch
des Weltfriedens niemals von uns ausgehen konnte. Ein
heiliges Besitztum aber, das wir von niemandem antasten
lassen dürfen, ist die nationale Ehre, und der Angriff, den
Japan im fernen Osten auf uns unternommen hat, zwang uns
zu ihrer Verteidigung das Schwert in die Hand. In der ganzen
Welt kann es keinen gerecht und billig denkenden Menschen
geben, der um dieses uns aufgezwungenen Krieges willen
einen Vorwurf gegen uns erheben dürfte. Aber es ist in der
gegenwärtigen Gefahr für uns ein Gebot der Selbsterhaltung,
zu erwägen, ob Japan in Wahrheit der einzige und der
eigentliche Feind ist, gegen den wir uns zu verteidigen haben.
Und es liegen triftige Gründe vor, die uns dahin führen
müssen, diese Frage zu verneinen. Die Regierung Seiner
Majestät ist überzeugt, daß wir den japanischen Angriff
lediglich der lange währenden und in ihrer heimlichen
Wühlarbeit nimmer ruhenden Feindschaft Englands zu danken
haben. Unablässig ist England von jeher darauf bedacht
gewesen, uns zur Erlangung eigenen Vorteils zu schaden. Bei
allen unseren Bestrebungen, das Wohl des Reiches zu fördern
und die Völker glücklich zu machen, sind wir von jeher auf
den Widerstand Englands gestoßen. Vom chinesischen Meere
aus durch ganz Asien hindurch bis zur baltischen See legt
England uns Schwierigkeiten in den Weg, um uns der Früchte
unserer Kulturarbeit zu berauben. Niemand von uns ist darüber
im Zweifel, daß Japan in Wahrheit die Sache Englands führt.
Aber auch überall, wo sonst auf dem Erdball unsere Interessen
in Frage stehen, stoßen wir auf die offenen oder versteckten
Feindseligkeiten Englands. Die von ihm erregten und mit den
verwerflichsten Mitteln begünstigten Wirren in den
Balkanländern und in der Türkei haben einzig den Zweck, uns
mit Oesterreich und Deutschland zu verfeinden. Und nirgends
treten die eigentlichen Ziele Britanniens deutlicher zu Tage,
als in Mittelasien. Mit unsäglichen Mühen und den größten
Opfern an Gut und Blut haben weise Regenten die öden, von
halbwilden Völkern bewohnten Landstrecken zwischen dem
Schwarzen und Kaspischen Meere und östlich von diesem bis
zur chinesischen Grenze und an den Himalaja der russischen
Kultur zugänglich gemacht. Nie aber haben wir einen Schritt
nach Osten oder Süden tun können, ohne englischem
Widerspruch oder englischen Intriguen zu begegnen. Jetzt
stehen wir nahe der Grenze des britischen Ostindien und
unmittelbar an der Grenze Persiens und Afghanistans. Wir
haben freundschaftliche Beziehungen zu den Herrschern
dieser beiden Reiche geschaffen, pflegen einen eifrigen
Handelsverkehr mit ihren Völkern, unterstützen ihre
industriellen Unternehmungen und sind vor keinen Opfern
zurückgeschreckt, um diese Länder den Segnungen der Kultur
zugänglich zu machen. Aber auf Schritt und Tritt sucht
England unsere Tätigkeit zu hemmen. Britisches Gold und
britische Hetzereien waren es, die in Afghanistan zeitweilig
eine kriegerische Stellung gegen uns hervorzurufen