Table Of ContentDer
Weltkampf gegen Nußland
und
ſeine großen Ereigniſſe.
Verbunden
mit den Schilderungen der Oertlichkeiten, der Sitten und
Lebensweisen der verschiedenen bei dem Kampfe betheiligten
Völker; nebst den Biographien der hervorragendsten
Persönlichkeiten aller Krieg führenden Parteien.
Ein
geschichtliches Gedenkbuch für alle Volksklaſſen
von
Fr. Lubojazky.
Löbau,
Verlag der J. G. Walde'schen Buchhandlung.
Buchdruckerei von Ferdinand Rühle in Dresden (gr.Brüderg.4).
BIBLIOTHECAL
REGLA
MONACENSIS
Erstes Kapitel.
Die heiligen Stätten der Christenheit.
Jeruſalem und ſeine heiligen Stellen. ―――――― Die heilige Stätte von)Bethlehem.- Die Ver
―――― -
wandlung der heiligen Stätten-Frage. Christliches Unweſen. Geſchichtliches und
Frankreichs peremtorisches Auftreten.— Rußland als Gegner Frankreichs in der heiligen
Stätten-Frage. Die Sunniten. — Beurtheilung des türkischen Volks-Charakters.
-
Türkische Toleranz im Vergleich zu der christlichen in verſchiedenen Staaten Europas.
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Mohameds Religion ist des Fortschritts fähig. Was Mohamed von Chriftus lehrte. —
Die blutige Palmsonntagsfeier 1853 in der heil. Grabkirche zu Jeruſalem.
Die Frage wegen der heiligen Stätten, das Vicelönig von Egypten, abzutreten, aus deſſem
heißt, wegen jener Derter, wo der Stifter un Befiß es wieder in dem der Pforte überging.
serer hetligen Religion, Jesus, geboren, ge Durch Verträge zwischen den chriftlichen Fürsten
wandelt, gelehrt, gelitten und begraben worden, Europas und den Sultanen ward den chriftli
-
ist eine aus früheren Jahrhunderten auf die chen Pilgern und deren gab es in den frühe
gesammte Chriftenheit vererbte und um des ren Jahrhunderten jährlich mehrereHunderttau
gangbaren Ausdrucks uns zu bedienen, unauf sende, jest kaum ein Biertel dieser Anzahl
hörlich fort brennende. Die Kreuzzüge haben gestattet, die ihnen heiligen Orte in Palästina
Hunderttausende von Menschenleben im Kampfe als Wallfahrtsstätten gegen eine festgesette Ab
mit denSaracenen um denBefiß dieserheiligen gabe zu besuchen.
Derter verschlungen. Palästina, das den Juden Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß die
wie Chriften heilige Land, fraß die Blüthe der Türken diesen Pilgern harte Bedrückungen auf,
chriftlichen Ruterschaft, und auf demselben Bo erlegten, indeß ist auch leider nicht zu leugnen,
den, wo der Heiland wandelte, bleichten die daß das Betragen der frommen chrißilichen Be
Gebeine der Streiter für seine Lehre. ter keineswegs geeignet war, Achtung vor der
Mit Strömen Blutes war damalsJeruſa erhabenen Chriftusreligion thnen einzuflößen.
lem erobert und zu einem chriftlichen Herzog Fast immerwährender Zank und Streit, ja nicht
thum gemacht worden; aber deffenDauer leider selten Ausbrüche des roheften fanatiſchenHafſfee,
nur von kurzer Zeit. Nach hundertjährigem Be der in blutigeHandgreiflichkeiten ausartete, fan
#tandeging Jerusalem im Jahre 1187 wieder in den zwischen den verschiedenen chriftlichenSekten
dieHand derTürken über, undblieb in derselben statt, um den Vorrang an den heiligen Orten,
unter allen Stürmen der Jahrhunderte. Die in Angesicht des Grabes Deejenigen zu erlan
Pforte (Regierung des Sultans) sah sich im gen, welcher als Lehrer der Bruderliebe diese
Sommer 1833 genöthigt, Syrien, von welchem mit seinem Tode am Kreuze befiegelt_hatte.
Palästina ein Theil ist, anMehemed Ali, dem Den Türken blieb beisolchen Gelegenheiten
1*
die Aufgabe, unter den fich blutig ſchlagenden die Türken am Eingange, strecken sich aufPol
Christen Ruhe und Friede mit Gewalt wieder ftern, rauchen Labak und trinken Kaffee.
herzustellen. Natürkich konnten die Ruheftifter Gleich am Eingange in dieſe große Kirche
keine Hochachtung vor den Chriften hegen, die bezeichnet eine viereckige Marmorplatte auf dem
ja nicht einmal so viel Hochachtung vor der Fußboden ein wichtiges Ereigniß für die Chri
Helligkeit der Drie hatten, wo fie fich des Er ften, es ist der Salbungsstein. In Mitte des
löſers, ſeiner Liebe, ſeines Leidens erinnern ſoll Schiffes der Kirche befindet sich eine kleine in
ten, statt sich in Fauftkämpfen zu ergehen. Lei zwei Theile geſchiedene Kapelle. In der ersten
der fönnen wir nicht sagen, daß es in unserer Hälfte liegt eine Steinplatte mit Marmor ein
Gegenwart anders geworden ist; derselbe Haß, gefaßt und soll dieſe der Stein ſein, auf wel
dieselbe Feindschaft wie früher umlagert noch Hem der Engel saß, und den Frauen die Auf
das heilige Grab, wie der Leſer ſpäter erfahren erstehung verkündete, als sie kamen, um Jeſu
wird. Leichnam einzubalſamiren. Die zweite Hälfte
Werfen wir zuvörderft einen Blick auf die der Kapelle enthält das Grab Chrifti, einen
heiligen Stätten. Sarkophag von weißemMarmor. DerZugang
dahin führt durch eine sehr niedere Pforte, wo
Jerusalem ist nicht nur Chriften und Ju
man fich büden muß, umhineinzukommen. Das
den, sondern auch den Mohamedanern heilig,
Grab nimmt die ganze Länge der Kapelle ein
weshalb fie diese Stadt Kudfi-Cherif, die Heis
und wird als Altar verwendet. LagundNacht
lige, nennen. Von den Arabern wird fie in
brennen hier 47 Lampen über dem Grabe. Der
gleicher Bedeutung Elkods genannt. Die Ur
Raum ist so eng, daß, wenn derPriesterMesse
sache, weshalb fie ihnen heilig ist, beruht auf
Iteft, faum noch 3 bis 4 Personen Plaß haben.
dem Umstande, daß in der von dem großenKa
Die Kapelle ist ganz von Marmor und gehört
lifen Omar an Stelle des weltberühmtenTeme
den Lateinern (Römischen Katholiken); abwech
pels Salomon's erbauten Moschee, genannt El
ſelnd dürfen auch die Griechen hierMefſe leſen.
Haram, welche aus mehreren türkischen Gebet
Rings um diese Kapelle befinden sich in einer
häusern besteht, der halbrunde schwarze Stein,
Entfernung viele Nischen, die den verschiedenen
Sacra-Kalah, fich befindet, welcher von den
chriftlichen Glaubenssekten angehören.
Christen als dasKopffiffen, woraufderStamm
In der Kirche giebt es ferner die unterir
vater der Juden, Jakob, sein Haupt gelegt (als
dische Niſche, in der Jeſus als Gefangener ſaß,
er von der Himmelsleiter träumte), von den
dann die Nische, in welcher die Soldaten um
Türken aber als der Schemel ihres Propheten
seine Kleider würfelten, dann des heil. Nicode
Mohameds, von dem dieſer in denHimmel ge
mus Grab. Ferner ist auch die Kapelle der
ftiegen sein soll, verehrt wird. Diese Moschee
Lateiner da; abwärts auf einer Treppe von 27
ift im Innern auf's Reichste ausgeschmückt, eine
Stufen kommt man zur Kapelle der heil. He
prachtvolle von 8 korinthischen Säulen getragene
lena, welche dasKreuzChriftisuchen ließ; einige
Pforte führt in dies türkische Heiligthum.
Stufen tiefer bezeichnet eine Marmorplatte die
Die heilige Grabeskirche dagegen ist ein Stelle, wo man es gefunden. Wieder empor
weitläufiges Gebäude mit zwei majestätischen gestiegen, findet man die Schimpf- und Spott
Rundgewölben und faßt die heiligen Leidensör Säule, wo Jesus gebunden und gekrönt wurde;
ter Chriftiinsth. DieTürken haben die Schlüſ, auch die, an der er die Geißelung empfing, ste
sel zu ihr, die immer verfchloffen gehalten wird, ift mit einem Gitter umgeben. Eine Treppe
in Verwahrung, und öffnen fte den Pilgern ge von 18 Stufen Höhe führt zur Schädelftätte,
gen eine kleine Vergütung von 3 oder 4 Pia wo Jesus gekreuzigt wurde; auf dem Fußboden
Kern. Während die Pilger hineingehen, bleiben bezeichnet ein Kreuz von Marmor die Stelle,
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པ
wo man ihn an's Kreuz nagelte. Gleich da der Delberg, eine halbe Stunde von der Stadt,
neben befindet sich die Schmerzen-Kapelle, in bietet dafür einen ziemlich ansehnlichen Raum.
der Maria geftanden haben und Zeugin gewor Zu den heiligen Stätten gehören ferner noch
den sein soll, als man ihren Sohn an's Kreuz Bethlehem, Nazareth, Kana, Tiberias u. s. w.
schlug. Die Schädelftätte ift ganz ummauert, Bethlehem befizt ein kleines Kloster und
der Fels nicht sichtbar, ſondern oben von Mar dazu gehörige Kirche, welche genau auf der
morplatten bedeckt. Auf der andern Seite der Stelle erbaut worden sein sollen, wo Chriftus
Schmerzen-Kapelle gegenüber, iftdieDeffnungzu geboren wurde. DieZeit hat an dem Bau dies
ſehen, inderdasKreuz gestanden; hier und auch ſer Kirche arg ihren Zahn geweßt, sie ist sehr
unten in der Kirche derRiß bemerkbar, der den zerfallen und wird nur durch gelegentliche Re
Felsen spaltete. Oben ist er mit einer Silber paraturen etwas aufgefrischt, ehedem besaß fie
platte eingefaßt, um ihn gegen das viele Küffen unter den Kirchen Palästinas den Vorrang der
der Pilger zu schüßen. Schönheit und Größe. Alle Pilger, welche Je
Die Kapelle der Griechen ist die größte, rusalems heilige Stellen besuchen, wandeln auch
schönste und reichste unter allen Kapellen, man hierher zu dem Geburtsorte des Heilands. Das
kann fie, eine Kirche in der Kirche nennen. kleine Bethlehem ift der Anfangspunkt, Jerusa
DieLateiner bestsen in diesem großen weite lem der Endpunkt des großen Lebens Jesu.
läufigen Kirchenraume das Heilige Grab, die Unter dem Hochaltar der großen Kirche zu
Geißelungs-Saule, die Grotte der Kreuzauf Bethlehem liegt die Grotte, in der er geboren
findung, den Ort der Annagelung und die wurde. Ihre Wände und Fußboden find mit
Schmerzenkapelle. Die andern Stätten gehören Marmorausgetäfeltund eine Marmorplatte ents
den Griechen, Armeniern und Kopten (egypti hält die lateinische Inschrift: Hier ist von der
sche Christen). Jungfrau Maria Jesus Chriftus geboren wor
Stets um 4 Uhr des Nachmittags halten den". Eine ftrahlende Sonne im Hintergrunde,
die Lateiner Prozession zu allen den genannten die ihr Licht von vielen immerwährend bren
Stätten undMitternachts erhebt sich ein wahr nenden Lampen erhält, deutet als Symbol den
hafter Höllenlärm, die verschiedenen Gottesdien Aufgang desLichts durch die GeburtChrifti an.
fte beginnen. Die Griechen und Armenier schla Der Plaz, wo die drei Könige zu dem Kinde
gen und hämmern auf freihängende Metallftan Jesu kamen und der Ort wo die Krippe stand
gen oder Bretter, die Lateiner spielen auf der (welche fich in Rom befindet) find nahe bet.
Orgel und fingen und beten, während diePrie Die Bethlehemsche große Kirche gehört den La
fter der übrigen Sekten ebenfalls fingen und teinern, Griechen, Armeniern gemeinschaftlich,
ſchreien. Zu bemerken ift, dasdiePrieftersämmt welche jede Part für sich, ein Klöfterchen an
licher christlicher Confeffionen, die hier Gottes die Kirche gebaut haben. Die Rähe von Beth
dienst halten, auch hier wohnen und daß die lehem enthält noch mehrere solche heilige Stellen,
Pilger des Nachts über in der Kirche bleiben, unter andern die Milchgrotte, in der sich der
um ihre Andacht zu verrichten. Sage nach die heilige Familie auf der Flucht
AlleBerichteReisenderstimmen darin über nach Egypten verborgen und Marie demSaug
ein, daß es als eine Art Unglück zu betrachten linge Jesu die Bruft gereicht haben soll. Un
sei, wenn die griechischen Ostern mit denen der weit davon befindet sich das Feld, wo der En
Lateiner zusammen fallen, weil es dann ſtets in gel den Hirten die Geburt Jeju verkündete.
der Kirche blutige Köpfe, ja sogar Leichen als Daß von den Chriften noch eine Menge
Opfer gegenseitigen chriftlichen Haßes giebt. solcher heiligen Stellen der Erinnerung an den
Außerden genannten heiligen Stellen giebt Heiland besucht werden, bedarf wohl keiner weis
es in und außer Jerusalem noch eine Menge, teren Berficherung. Kana, Tiberias und an
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dere Städte find Haltpunkte ihrer Wallfahrten, lichen Cofeffionen in Jerufalem geht, mag fol
der Jordan und die Wüfte reihen fich an jene gender Vorfall beweisen. ImJahre 1852 ward
an. Jeder Fleck Erde, welcher nur einiger Maa die Kuppel der heiligen Grabeskirche ſchadhaft,
ßen mit dem Andenken an Jesu in einer Be so daß der Regen ungehindert auf die Kapelle
rührung stand, ist benußt, um die Aufmerkſam des Grabes, welche allen Nationen gemeinschaft
keit und Andacht der Pilger zu feffeln. lich gehört, herabftrömte. Nun sollte man auch
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Mit dieser kurzen Schilderung der Dert denken, daß Alle gemeinschaftlich sich beeilt ha
lichkeit der Sanctuarien oder heiligen Stätten ben würden, um den Schaden zu beſſern und
magesgenugsein,dawirdurchdieselbennurbeab das größte ihrer Heiligthümer zu ſchüßen. Da
fichtigen,den Leserhinsichtlichihrer Wichtigkeitauf von geschah gerade das Gegentheil. Jede Con
dem religiösen Gebiete zu unterrichten und ge= fession stritt der andern das Recht ab, die schad
wiß nichtohneGrund glaubten,daßdieKenntniß, hafte Kuppel ausbeſſern zulaſſen, der Streit zog
was man eigentlich unter Bezeichnung „Heilige 1 fich dermaßen in die Länge, daß da der Regen
Stätten" zu verstehen habe, Vielen unbekannt zur Winterzeit sehr unangenehm zu werden drohe
geblieben sei. te, die Türken fich ins Mittel schlugen und der
Palästina war in früheren Zeiten derQuell Sultan aufseine Kosten dieschadhafteKuppel
blutiger Streitigkeiten und ist es jezt, wenig, ausbeſſern ließ. An diesem Pröbchen chriftlicher
ftensscheinbarwieder geworden, indemderGlau Einnigkeit wird der Leser genug haben.
benseifer als Deckmantel zur Erreichung politi
scher Pläne benußt wurde. Der Haß zwischen Die geschichtlichen Ereignisse stehen mit der
Griechen und Lateinern ist ein unabreißbarer, heiligen StättenFrage in folgender Weise in
wahrhaft labyrinthischerFaden, deſſen EndeNie Verbindung: Frankreich übte, auf Verträge ge=
mand abfieht. Aus ihn hat sich die orientalis ftüßt, seit den ältesten Zeiten, eine Art Protek
scheFrage entwickelt, die fich bald in eine euro torat (Schußrecht) über die Lateiner (katholische
päische verwandelte, welche sowohl in Peters Chriften) im Orient aus. Es war seit ural
burg und Konstantinopel als in London und ten Zeiten Beschüßerin des heiligen Grabes und
Paris die Geister in heftige Bewegung fezte. nahm sich besonders von je her der Francis
Ste fann sehr leicht eine asiatische werden, kanermönch in Syrien an. Keiner Menschen
wenn es Rußland gelänge vermöge seiner geo feele fiel es ein, Frankreich das Schußrecht strei
graphischen Lage auf Perfien, Khiwa und Bock tig zu machen, bis es im Jahre 1852 einige
hara einen militairischen Einfluß zu üben und alte Mönchsftreitigkeiten durch seinen Einfluß
mit den Afghanen schließlich ein Bündniß ge. zu Gunsten der Lateiner zu entscheiden und die
gegen die Engländer in Indien einzugehen. katholische Religion, welche von der Ueberlegen
Vollkommen treu dem von Raßlandsogrell heit der reichern und geschäßteren Griechen sehr
hervorgehobenen Charakter der Anmaßung, der unterdrückt wurde, aus dieser Unterordnung zu
Selbstüberschäzung hatten die griechiſßen Chri erheben suchte. Das rief den alten Streitigen
ften im Laufe eines Jahrhunderts bezüglich der Geist zwischen Griechen und Lateinern ins Le
heiligen Stätten es dahin zu bringen gewußt, ben. Frankreich beriefsich auf die Defrete der
daß die Lateiner, welche im Jahre 1740 neun Sultane bezüglich der heiligen Stätten zu Gun
zehn solche Heiligthümer in Palästina besaßen, ften derLateiner und da die Verhandlungen fich
im Jahre 1850 nur noch Herren von zehn der lau und schläfrig bis zum Februar 1852
selben waren. Durchallerlei Machinationen und hinzogen und wiees schien, von keiner Entschet
Intriguen war es den Griechen gelungen, sich dung im Sinne Frankreichs so bald die Rede
neun derHelligthümer der Lateiner anzueignen. sein würde, entwickelte das Leßtere erwas mehr
Wie weit die gegenseitige Eifersucht der chrift Rachdruck und verlangte peremtoriſch, daß fol
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gende fieben heilige Orte ausschließlich demBe pört, daß er abreißte. Niemandem kam diese
fiß der Lateiner zugesprochen würden: von derPforte den Lateinern gemachte und von
1) die große Kuppel um die Kirche des den griechischen Unterthanen derselben als die
entehrendste Zurückseßung und Unterdrückung ih
heiligenGrabes inJeruſalem; 2) die kleineKup
pel um das Grab Chrifti; 3) den Stein der rer Religion betrachtete Zusage, welche den tiefs
Salbung; 4) die fieben BogenderheiligenJung ften Groll bei denLeßteren hervorgerufen, mehr
frau; 5) die große Kirche inBethlehem; 6) den zu Statten als eben Rußland, welches lange
Altar der Geburt; 7) die Grotte der Verkün schon im Stillen geheime Pläne genährt hatte,
auf gute Weise ohne großen Lärm fich das
bigung.
Recht der Einmischung in der Türkei zu ers
Der Marquis von Lavalette, welcher auf
werben und im Verlaufe der Zeitenbei günftigen
einemKriegsschiffe von Frankreich ausnachKon
GelegenheitendieTürkeiselbstalseinesehrschmack
ftantinopel gesendet wurde, erhielt von derPfor
hafte friedliche Eroberung an fich zu bringen.
te die Bewilligung dieser Forderungen in Aus
ficht geftellt; kaum erfuhr dies der ruffiche Kai Das Auftreten Rußlands durch seinen Ges
fer, als er sogleich die Pforte bedrängen ließ, sandten den Großadmiral Fürft Menschikow in
einen Ferman auszufertigen, vermöge deffen Al Konftantinopel war von einer Art und Weise,
les beim Alten belaffen werden sollte. Damit welche deutlich verrieth, daß Kaiser Nikolaus
noch nicht zufrieden, wurde der ruffische Gesand mit Gewißheitannahm, die Pfortewerdesich eins
te in Konstantinopel vom petersburger Hofe ſchüchtern und dieübrigen Mächte Europa's ihn,
angewiesen, die Pforte überdieß zum Erlaß ei ausFurchtvoreinemZusammenstoßemitdem als
nes sogenannten Vezier-Schreibens zu drängen, ſo unüberwindbar verschrieenen Coloß Rußland,
welches das Versprechen enthielt, daß denLatet ruhig gewähren laffen. DieErzählungvonMen
nern die Schlüffel der großen Kirche zu Beth schikowe Ankunft in Konftantinopel und dem
lehem nicht übergeben würden. Kaum hatte verfehlten Zweck seines Aufenthalts dafelbft set
FrankreichKunde von dieſer Wendung der Din der Gegenstand des folgenden Kapitels.
ge bekommen, als es mit bedeutenden Reclama
Es sei uns erlaubt zum Schluſſe dieſes
tionen auftrat, und das Resultat davon war,
erften in Kürze auf die von Rußland bis da
daß die Pforte den Lateinern den Schlüssel ge
hin sehr stark bezweifelte Lebensfähigkeit der
nannter Kirche zusagte und die Abficht hatte,
Türkei einen Blick zu werfen und bei der Ge
denselben den Griechen abzunehmen.
legenheit auch des Volkscharakters, der moha
Zur befferen Verständlichkeit muß hier be medanischen Religion, so wie deren Ansichten
merkt werden, daß früherLateiner, Griechen und von der Religion und der Person Jesu zu ges
Armenier gemeinschaftlich einen Schlüffel zur denken, da eine solche Kenntniß dem Leſer un
Grotte der Geburt Chrifti besaßen, die Erfteren ftreitig eine richtige Anschauung dieser Dinge
aber dies Vorrecht verloren undes alsonurvon von besondererWichtigkeit zu verleihen im Stan
bem guten Willen der Griechen und Armenier de sein und manches von Jugend auf genährte
abhing, fie die in dieſe Grotte führenden Stu Vorurtheil gegen dieſe andersgläubige Nation
fen pafftren zu laſſen. beseitigen dürfte.
Die Abficht der Pforte, den Lateinern den Der größte Theil der Mohamedaner besteht
Schlüssel zu übergeben, brachte unter den bis aus Sunniten, was so viel bedeutet, als
gotten Griechen die heftigste Entrüftung hervor LeutediederihnenvonMohamedvorgeschriebenen
und der griechische Patriarch von Jeruſalem Sitte oder Regel gemäßleben, denn Sunnaiſtein
fand sich durch diese vermeinte Beeinträchtigung arabisches Wort und heißt so viel wie Sitte,
seiner Gerechtsame und Vorrechte so sehr em BrauchoderRegel. DieSunnaift fürdenMoha
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medanernächstdemKorandieheiligsteUeberliefer des Willens und doch ist dieselbe feige, willen
ungsquelle und erfindet darinfürAllesRathund lose Nation, sobald der rechte Funke in ih
Belehrung. Sunniten sind also die echten Be reHerzen fällt, voll Energie, ritterlicher Tapfer
kenner Mohameds und obwohl sie sich in vier feit und einer erhabenen würdevollen Repräsen=
verschiedene Ritus theilen, die nur in einigen tation, wenn es gilt im Rathe über wichtige
Gebräuchen und Anfichten über die Aussprüche Angelegenheiten zu entscheiden. Ueberhaupt liegt
Mohameds von einander abweichen, ſo bilden der Hang zu feierlichem Wesen im türkischen
fie doch gewissermaaßen die fefte Grundlage des Charakter, deffen Grundzug ein tiefer ruhiger
Jelams, es ist keine Feindseligkeit zwischen ih Ernst ist, welcher Leßtere vorzüglich von Mo
nen, fie find in vollkommenfter Einigkeit und hameds Lehre genährt und unterſtüßtwird. Eine
zählen zuſammen ohngefähr 150 Millionen An besonders auffallender Gegensaß im Charakter
hänger der ftrengen orthodorenLehre ihres Pro der Türken ist die Toloranz, Duldung die fie
pheten. Die Bewohner Afrikas, Egyptens, allen andern Religionenerzeigen, und dann wie
Syriens, Arabiens, derTartarei gehören zu die der der fie zuweilen bis zum Wahnsinn treibende
fem starken Phalanr. Im Gegenſaße zu ihnen religiöse Fanatismus, in welchem fie Alles ver
ftehen die Schiiten, d. h. Sektirer in ſehr be nichten, was nur die Spur einer andern Relis
deutender Minderzahl. gion trägt. Einmal von diesem religiösen Fa
natismus ergriffen, find fieMeister aller Grau
Eine Angelegenheit, die den Bestand des
famkeiten, die man sich nur denken kann, fie
Jelams überhaupt betrifft, ist selbstverständlich
finken zu derselben Bestialität herab, wie im
alſo eine allgemeine Angelegenheit für alle Sun
dreißigjährigen Kriege die katholischen Croaten
niten ins Besondere. In diesem Haupttheil der
schaaren oder die proteftantischen Schweden.
muselmannischen Bevölkerung der Türkei beru
Im Ganzen beurtheilt ist das Volk schreck,
hen noch viele und wesentliche Bedingungen
lich unwiffend, aber es erseßt den Mangel an
zur Erhaltung des Staatsorganismus. Dies
Kenntnissen durch gesunden Menschenverstand
fann von dereuropäischen Türkei nicht mit der
und die richtige Beurtheilung des Charakters
ſelben Bestimmtheit behauptet werden, denn es
麵 Derjenigen, mit Denen esinBerührung kommt.
giebt in derselben große Mängel und Schwä
Die von den Türken unterworfenen und ihnen
chen, Zerklüftungen und Abweichungen von dem
tributpflichtigen Völker, wie z. B. Beduinen,
türkischen Volkscharakter insgemein und die Re
Araber, Drufen, Maroniten, Kurden, Serbier,
gierung findet wegen der Ueberzahl Andersgläu
Bosnier u. f. w. genießen große Freiheiten,
biger so viele Schwierigkeiten in Ausübung ih
welche ihnen von keiner andern Regierung ein
rer Hoheitsrechte, daß ihr Bestehen allerdings
gerdumt werden würden.
nichtzu besonderer Lebensfähigkeit gedeihenkann.
Der größte Krebsschaden der Türkei ist die
Die europäische Türkei ist für die Pforte eher
heillose Beamtenwirthschaft, wo Jeder, der nur
ein schadhaftes Anhängsel, das ihr viel Sorgen
Macht erlangen kann, sein Schäfchen nachMög
macht, ohne ihr einen wesentlichen Nußen zu
lichkeit zu scheeren sucht aufKosten derUnglück
gewähren.
lichen, über die er gesezt ist. Die Gesetzgebung
Der VolkscharakterderTürken ist das treue und das Finanzwesen leiden an großen Mån
fte Abbild der wunderbarsten Gegenfäße ihres geln. Für Handel und Industrie lebt keine
Vaterlandes, ein sich widerstreitendes Gemisch große Neigung im türkischenVolke, obwohl von
von schönen und schlimmen Eigenschaften. Der der Regierung die weit ausgegehntefteHandels
Despotismus, die Tirannei hat sclavische Unter freiheit begünstigt wird. Ein großer Nachthell
würfifgeit erzeigt. Man findet in der Türkei find die in wahrhaft traurigem Zustande befind
die felgfte Ergebung, die unsäglichste Schlaffheit lichen Communikationswege. Von alle dem läßt
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fich leicht schließen, daß die Türkei kein geſun Wir brauchen wahrlich gar nicht weit um
der Staat ift; aber das find nurUebel, die der uns zu blicken, um mit Schreck zu bemerken,
Besserung fähig sind und unter einer umfichti daß die Liebe, welcheJesuslehrte, wohlvon den
gen starken Regierung mit Ernst angegriffen, Kanzeln gepredigt, aber durchaus nicht oder
auch gewiß verbessert werden können. nur sehr wenig geübt wird und es inmanchem
Die Ruhe und lasse Gleichgültigkeit der chriftlichen Lande heißt: richtet euch nach mei
Türken find seitBeginn dieses Jahrhunderts im nen Worten, aber nicht nach meinen Thaten."
Abnehmen, weil die Zeit selbst fte um ihrer It es etwas Neues, daß den Leuten das Les
eigenen Selbsterhaltung willen zu Reformen ſen der Bibel verboten ist, daß die Juden vers
drängte. Der Einfluß des Verkehrs mit den folgt werden, weil sie in den Augen fanatischer
Christen macht sich immer bemerkbarer und der chriftlicherPriester das Unglück haben, von dem
jezige Krieg ist vollkommen geeignet, nicht nur Bolke abzuftammen, das dereinst schrie: „Kreu
--
Verbesserungen im Staats- undBolfsleben her zige ihn freuzige ihn!" giebt es nicht pro
beizuführen, sondern auch die alten Vorurtheile testantische Länder, in welchem die Katholiken
gegen die Chriften zu vertilgen, eine Sühne gedrückt werden und katholische Länder, wo troß
zwischen den Türken und ihnen anzubahnen. allerSchönrednerei dieProteftanten ein erbärm
Sie werden von den Freunden und Bundesge liches Dasein hinfriften, keine Kirchen bauen,
noffen lernen, was sie von den Feinden ihrer keine Gottesäcker anlegen, kein Glockengeläute
Religion anzunehmen verschmähten und mit fa haben dürfen? Oder ist das chriftlicher Dul
natischen Eifer und Entrüftung von sich abstie dungsgeift, wo wie in Rom, Neapel, Spanien,
ßen. Dies wird der größte und einzige Segen Schweden u. f. w., die Staatskirche keinen
sein, den die Türken aus diesem mörderischen anderen öffentlichen Gottesdienst gestattet?
Kampfe davon tragen. Man nennt die Türken blutige Chriften
Was der vorige Sultan Mahmud durch verfolger und vergißt dabei, daß Frankreich
Blutvergießen und Gewaltthat hinsichtlich gro Hunderttausende seiner Bevölkerung hinschlach
Ben tief in's Staatsleben eingreifender Refor tete, dem Feuertode opferte, als Bettler über
men erzwang, das führt sein Sohn, der jeßige die Grenzen jagte, well sie . . . Proteftanten
friedliebendePadiſchah (Großherr) Abd-ul-Med waren, daß die spanische Inquifition in ihren
schid, mittelft Unterſtüßung feines humanenMi Kerkern viele TausendeUnglücklicher verſchmach
nisterchefs, Reschir-Pafcha, auf gütlichem Wege ten ließ und zuweilen dem dummen bigotten
durch und schon mancher schwere Uebelstand ift Volfe ein Freudenfest gab, indem sie Kezer
auf dem Wege der Milde bereits beseitigt, so öffentlich verbrennen ließ. Ift der dreißigjäh
mancher Fortschritt in's Leben gerufen worden. rige Krieg, welcher Deutschland so sehr entvöl
Man muß nur in Betracht ziehen, daß in ei ferte, daß einReichstagsbescheidsogar denMän
nem so großen Reiche die Ausführung vonRe nern erlaubte, zwei Frauen zu ehelichen, damit
formen unendlich schwieriger ist, als in einem der große Menschenverlust wieder erseßt werde,
kleinen Staate, daß oft beim beften Willen die welcher Folge der blinden Religionswuth, der
Leute nicht aufzutreiben find, welche die dieRe Mordfuchtderkatholischenund lutherischenMord
organisation des Reiches fördernde Befehle klug banden einesTilly, Wallenstein, Bannier, Tor
und geschickt auszuführen verstehen. Bei allen ftensohn u. f. w. gewesen war? Haben wir
ihren großen Mängeln, Schwächen und Schä nicht in derNeuzeitBeispiele der Intoleranz ges
den ist die Türkei doch in einer Beziehung für nug, ohne erst den Blick nach Rußland wenden
so manchen chriftlichen Staat einMuster, näm zu dürfen, wo das SeligmachendurchdieStaats
lich in der Toleranz oder Duldung andererRe firde geschlich zu sein scheint, um uns, errö,
ligionsgesellschaften. thend vor uns selber, geftehen zu müssen, daß
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"
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die Chriften, welcher Confeffion fte auch ange= med ift seinProphet." Mohamed lehrte keinen
hören mögen, wahrlich feinen Grund haben, den Haß derLehreChrifti. Nach ihm giebt esſecbs
Stein der Verdammung auf die Türken wegen Propheten undApoftel: Adam,Noah, Abraham,
VerfolgungAndersgläubigerſchleudernzudürfen? Moses, Jesus und er selber, Mohamed. Jeder
Es ist ein großer Irrthum, wenn man die von diesen Sechsen hat ein geoffenbartes Geſetz
!
Türken ihrerReligionwegenhaßt, dies istwahr erhalten. Mohamed, der leßte Prophet, war 1
lich das übelfte Zeichen eines beschränkten Geis aber der größte. Nach dem Koran, dem heilis
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ftes. The man haßt, muß man das genau gen Buche der Mohamedaner, hat Gott keinen
kennen, was uns verabſcheuungswürdig erſcheint, Genoffen, keinen Sohn, und es heißt wörtlich
man muß gerecht ſein und die Türken von ih darin: „Wahrlich, derMeffias Jeſus, derSohn
rem eigenenStandpunkte, nicht vom chriftlichen Marias, ist ein Gesandter Gottes, auch sein
beurtheilen. Wort, daß er in Maria übergetragen, und ſetn
Der Jelam, die LehreMohameds, hat viele Geift. Glaubet daher an Gott und seinenGe
Halbheiten, uns ungereimt Scheinendes, weil sandten, faget aber nichts von einer Dreieis
wir keine Drientalen find, welche Phantastisches nigkeit."
brauchen, um zu geiftiger Erhebung zu gelan Im Koran wirdJesus, obwohl seineSohn.
gen, aber er hat auch große ewige Wahrheiten schaft zu Gott nicht anerkannt wird, als durch
in fich, er ist keine Religion, die es ihren Be eine wunderbare Veranstaltung Gottes ohne els
fennern leicht macht, ihren Geboten gemäß zu nen menschlichenBater von der heiligen Marta,
leben, sondern ihnen schwere Berpflichtungen einer reinen Jungfrau, empfangen, bezeichnet.
auferlegt. Wie das Judenthum und das Chri Mohamed nennt ihn wie der Evangelift Jo
ftenthum im Verlaufe der Zeiten fich verändert hannes Das Wort", wenn gleich er ihn nicht
haben, denn Niemand wird läugnen, daß das als Erlöser der Welt betrachtet. Der Rame
Judenthum ehemals ein anderes als das jezige „unſer Herr Jesus" wird bei den Türken nie
und unserChristenthum heutzutage sehr verschie ohne den Zusaß: "Friede über ihn," und der
den von dem zu Zeiten der Apostel ist, so auch Name unsere Herrin Maria" nie ohne den
P
verhält es sich mit der Religion Mohameds. Zusas: "Gott sei mit ihr zufrieden" ausges
Esnimmtin unserenTageneinen andernStand sprochen.
punkt als früher ein, viele Stellen im Koran Der Mohamedaner glaubt, das Chriftus
1
haben durch die veränderten Verhältnisse der nicht gestorben, sondern von Gott lebendig in
Zeit ihreBedeutung verloren und so istderIs den Himmel geführt und ftatt ſeiner ein ihm
lam wieChristens und Judenthum des vernünf ähnlicher Menſch von den Juden gekreuzigt
tigen Fortschritts und der freieren Entwickelung wurde. Manche chriftliche Sekten glauben dass
fähig. Mohamed entnahm dem Juden wie selbe. Auferstehung und Gericht, Unfterblichkeit
dem Christenthum die Lehren der von ihm ge des Geistes, Belohnung und Bestrafung nach
Atifteten Religion, in der fich eine große Nach dem Tode, das find die Glaubensfäße, die der
ftenliebe, Gerechtigkeitsliebe und Gotterhebung Koran enthält und es muß Jedem überlaſſen
als Hauptbedingung findet. Sie ist eine Relis bleiben, einUrtheil über eineReligion zu fällen,
gion voll tiefen Ernstes und einer Strenge, die die mit den Glaubensſäßen der unsrigen so viel
unsChristen sehr fremd vorkommt. Gebet und gemein hat. Nie wird es einemMohamedaner
Mildthätigkeit find ihre unerläßlichenForderun einfallen, fich über die Gebräuche einer andern
gen an ihre Bekenner. Kann fie also schlecht, Religion luftig zu machen, nie wird er einen
verachtenswerth sein? Nein. frommen andächtigen Pilger ftören, er geht
Der Hauptgrundsaz des Islams ift fol schweigend an ihm vorüber, weil seinHerz von
gender: "Es giebt nur einen Gott und Moha demGlaubenerfülltist, esgiebtnur einen Gott.