Table Of ContentDER SINNHAFTE AUFBAU
DER SOZIALEN WELT
EINE EINLEITUNG IN DIE VERSTEHENDE
SOZIOLOGIE
VON
ALFRED SCHOTZ
WIEN
WIEN· VERLAG VON JULIUS SPRINGER· 1932
ISBN 978-3-7091-3103-9 ISBN 978-3-7091-3108-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-7091-3108-4
ABe Rechte, insbesondere das der Ubersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten
Copyright 1932 by Julius Springer in Vienna
Vorwort
Das vorliegende Buch geht auf eine vieljahrige intensive Befassung
mit den wissenschaftstheoretischen Schriften MAx WEBERS zuriick. 1m
Verlaufe dieser Studien hatte sich in mir die Uberzeugung gefestigt,
daB MAx WEBERS Fragestellung zwar den Ansatzpunkt jeder echten
Theorie der Sozialwissenscha'ften endgiiltig bestimmt hat, daB aber seine
Analysen noch nicht bis .in jene Tiefenschicht gefiihrt sind, von der
aHein aus viele wichtige, aus dem Verfahren der Geisteswissenschaften
selbst erwachsende Aufgaben bewaltigt werden konnen. Tiefergehende
Uberlegungen habeI,l vor allem bei WEBERS Zentralbegriff des subjektiven
Sinns einzusetzen, der nur ein Titel fiir eine Fiille wichtigster Probleme
ist, die WEBER nicht weiter analysiert hat, wenn sie ihm auch gewiB
nicht fremd waren. Fast alle diese Probleme hangen mit dem nur in streng
philosophischer Selbstbesinnung erschlieBbaren Phanomen der Er
lebniszeit (des inneren Zeitsinnes) auf das engste zusammen. Erst von
diesem aus kann die hochst komplizierte Struktur geisteswissenschaft
licher Grundbegriffe, wie Selbstverstehen und Fremdverstehen, Sinn
setzung und Sinndeutung, Symbol und Symptom, Motiv und Entwurf,
Sinnadaquanz und Kausaladaquanz, vor aHem aber das Wesen der
idealtypischen Begriffsbildung und damit der besonderen Einstellung der
Sozialwissenschaften zu ihrem Gegenstand klargestellt werden. Freilich
sind hiezu weitlaufige und mitunter recht schwierige Uberlegungen er
forderlich, die aber nicht vermieden werden konnen, will man sich die
Grundthematik der Sozialwissenschaften und ihre spezifische Methode
verdeutlichen. Nur eine solche Explikation der bisher nicht hinreichend
analysierten Urphanomene des gesellschaftlichen Seins kann die prazise
Erfassung der sozialwissenschaftlichen Verfahrensweisen verbiirgen, nur
eine derart philosophisch fundierte Methodenlehre kann die Schein
probleme beseitigen, welche heute mehr denn je die Forschung auf dem
Gebiete der Sozialwissenschaften und insbesondere der Soziologie be
hindern.
In der vorliegenden Arbeit ist der Versuch unternommen, die Wurzeln
der sozialwissenschaftlichen Problematik bis zu den fundamentalen
Tatsachen des BewuBtseinslebens zuriickzuverfolgen. Grundlegend sind
hiefiir die Untersuchungen, welche BERGSON und HUSSERL iiber den
inneren Zeitsinn angestellt haben. Erst die Arbeiten dieser Forscher,
IV
vor allem H USSERLS transzendentale Phanomenologie, haben jene
Schichten philosophischen Denkens erschlossen, in denen eine wirkliche
Begriindung des Sinnproblems angestrebt werden kann.
Indem ich dieser groBen Philosophen in tiefster Ehrerbietung ge
denke, bin ich mir wohl bewuBt, in wie hohem MaB diese Arbeit und
mein ganzes Denken von ihrem und MAx WEBERB Werk abhangig ist.
Innigen Dank schulde ich Herrn Professor TOMOO OTAKA von der
Universitat Keijo (Japan) fiir das tiefe Verstandnis, das er meinen Ge.
dankengangen entgegenbrachte, und fiir seine teilnehmende Hilfsbereit
schaft, ohne die das Erscheinen dieses Buches unter den jetzigen schwierigen
Verhaltnissen leicht in Frage gestellt gewesen ware; sowie Herrn Dozenten
FELIX KAUFMANN, Wien, der das Entstehen meiner Arbeit in allen
Phasen mit nie· erlahmendem Interesse begleitet und gefordert, sich auch
der miihevollen Durchsicht der Korrekturbogen unterzogen und mir
manche iiberaus wertvolle Anregung gegeben hat.
Wien, im Marz 1932. Der Verfasser
Inhaltsverzeichnis
Erster A bschnitt
Einleitende Untersuchungen
Seite
§ 1. Vorbemerkungen zur Problemstellung ......................... I
§ 2. Der Begriff des sinnhaften Handelns bei MAX WEBER. . . . . . . . .. 12
§ 3. Die Vorgegebenheit des alter ego und das Postulat der Erfassung
des subjektiven Sinns........................................ 17
§ 4. Kritik der Begriffe "aktuelles" und "motivationsmaBiges" Verstehen
bei :MAX WEBER.. .......................................... 23
§ 5. Subjektiver und objektiver Sinn.............................. 29
§ 6. Ubergang zur Konstitutionsanalyse. Auflosung des Begriffes "mit
einer Handlung verbundener Sinn" ........................... 36
Zweiter Abschnitt
Die Konstitution des sinnhaften Erlebnisses in der je eigenen Dauer
§ 7. Das Phanomen der inneren Dauer. Retention und Repro-
duktion ................ .. ............................... .. 43
§ 8. Die "sinngebenden BewuBtseinserlebnisse" bei HUSSERL und der
Begriff des Sich-Verhaltens ................................. 51
§ 9. Der Begriff des Handelns. Entwurf und Protention .......... 55
§ 10. Das "bewuBte" Handeln und seine Evidenz .... . . . . . . . . . . . . .. 62
§ 11. Das willkfuliche Handeln und das Problem der Kiir .......... 67
§ 12. Zusammenfassung: KHtrung des ersten und urspriinglichen Sinn-
begriffes .................................................. 72
§ 13. Erweiterung des ersten Begriffes von Sinn: A. Die attentionalen
Modifikationen des Sinns.................................... 75
§ 14. Fortsetzung: B. Der Zusammenhang der Erlebnisse. Sinn-
zusammenhang und Erfahrungszusammenhang ................ 78
§ 15. Der Aufbau der Erfahrungswelt und ihre Ordnung unter Sche-
maten..................................................... 83
§ 16. Die Schemata der Erfahrung als Deutungsschemata. Selbst
auslegung und Deutung. Problem und Interesse . . . . . . . . . . . . .. 89
§ 17. D~~ Mo~ivzusammenhang als Sinnzusammenhang. A. Das "Um-
zu -MotlV ................................................. 93
§ 18. Fortsetzung: B. Das echte Weil-Motiv ....................... 99
Dritter Abschnitt
Grundzftge einer Theorie des Fremdverstehens
§ 19. Die Generalthesis des alter ego in der natiirlichen Anschauung .. 106
§ 20. Fortsetzung: Die Gleichzeitigkeit des fremden Erlebnisstromes.. U 1
VI
Seite
§ 21. Die Aquivokationen im popularen Begriff des Fremdverstehens.
Die Fundierung des Fremdverstehens durch Akte der Selbst-
auslegung ................................................. 117
§ 22. Die Wend ung zum eigentlichen Fremdverstehen ............... 124
§ 23. Ausdrucksbewegung und Ausdruckshandlung .................. 128
§ 24. Zeichen und Zeichensystem......................... . . . . . . . .. 131
§ 25. Sinnsetzung und Sinndeutung ............................ . .. 140
§ 26. Der Sinnzusammenhang des Kundgebens. Zusammenfassung ... 145
§ 27. Subjektiver und objektiver Sinn. Erzeugnis und Zeugnis. . . . . .. 149
§ 28. Exkurs liber einige Anwendungen der Theorie yom subjektiven
und objektiven Sinn in den Geisteswissenschaften ............ 153
Vierter Abschnitt
Strukturanalyse der Sozialwelt. Soziale Umwelt, Mitwelt, V orwelt
A. Einleitung
§ 29. Vorblick auf die weitere Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156
B. Soziales Verhalten, soziales Handeln, soziale Beziehung
§ 30. MAX WEBERS Begriff des "sozialen Handelns". Fremdeinstellung
und Fremdwirken .......................................... 161
§ 31. WEBERS Begriff der sozialen Beziehung. Einstellungsbeziehung und
Wirkensbeziehung .......................................... 169
§ 32. Der Motivationszusammenhang der Wirkensbeziehung ......... 177
c.
Soziale' Umwelt
§ 33. Die soziale Umwelt und die Wirbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. lSI
§ 34. Analyse der umweltlichen sozialen Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . .. IS6
§ 35. Die umweltliche Beobachtung ............................... 192
D. Soziale Mitwelt und Idealtypus
§ 36. Ubergang zum Problem der sozialen Mitwelt. Kontinuierliche
Sozialbeziehungen .......................................... 196
§ 37. Das alter ego in der Mitwelt als Idealtypus. Die Ihrbeziehung .. 202
§ 3S. Die Konstitution des idealtypischen Deutungsschemas ......... 210
§ 39. Die Anonymitat der Mitwelt und die Inhaltserfiilltheit des Ideal-
typus ..................................................... 220
§ 40. Die mitweltliche soziale Beziehung und die mitweltliche Be-
obachtung ........................•........................ 229
E. Das Verstehen der Vorwelt und das Problem der Geschichte
§ 41. Das Problem der Vergangenheit in der Sozialwelt ............ 236
Fiinfter Abschnitt
"Ober einige Grundprobleme der Verstehenden Soziologie
§ 42. Rlickblick auf die bisherigen Untersuchungsergebnisse ......... 247
§ 43. Die mitweltliche Beobachtung und das Problem der Sozialwissen-
schaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252
§ 44. Die Funktion des Idealtypus in WEBERS Soziologie ........... 256
VII
Seite
§ 45. Kausaladaquanz............................................ 262
§ 46. Sinnadaquanz ............................................. 267
§ 47. Objektive und subjektive Chance ............................ 270
§ 48. Die Bevorzugung rationaler Handelnstypen durch die verstehende
Soziologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 273
§ 49. Objektiver und subjektiver Sinn in den Sozialwissenschaften ... 275
§ 50. Schlull: Hinweis auf weitere Probleme ....................... 284
N amen verzeichnis ............................................ 286
Erster Abschnitt
Einleitende Untersuchungen
§ 1. Vorbemerkungen zur Problemstellung
Der Kampf um den Wissenschaftscharakter der Soziologie ist eines
der merkwiirdigsten Phanomene in der deutschen Geistesgeschichte der
letzten ftinfzig Jahre. Seitdem der Beziehung des EinzeInen zum gesell
schaftlichen Ganzen systematisch nachgeforscht wird, herrscht tiber das
Verfahren und Ziel solcher Betatigung erbitterter Streit. Anders als in
anderen Wissensgebieten geht der Kampf nicht allein um die Bewahrung
einzelner Theorien und Methoden, vielmehr wird der Gegenstandsbereich
der Sozialwissenschaften selbst und seine Vorgegebenheit als Realitat
der vorwissenschaftlichen Erfahrung in Frage gestellt. Die sozialen
Phanomene werden bald in Analogie zu den Naturereignissen als kausal
bedingte Ablaufe der auBeren Welt, bald im Gegensatz zu den Natur
dingen als Gegenstande einer Welt des objektiven Geistes aufgefaBt,
die zwar verstanden, aber nicht unter Gesetzen begrif£en werden kann.
Stillschweigende oder ausgesprochene metaphysische Voraussetzungen,
Werturteile und ethisch-politische Postulate bestimmen oft genug die
prinzipielle Einstellung des sozialwissenschaftlichen Forschers zu seinem
Gegenstand. Er fiihlt sich bei seiner Arbeit von Problemen bedrangt,
ohne deren Losung ihm sein ganzes Unterfangen sinn- und zwecklos
erschiene: Hat es die Sozialwissenschaft mit dem Sein des Menschen
an sich oder nur mit seinen gesellschaftlichen Verhaltensweisen zu tun?
1st das gesellschaftliche Ganze dem Sein des EinzeInen vorgegeben, so
daB das Individuum nur ist, weil es Teil einer Ganzheit ist, oder ist
umgekehrt das, was wir das gesellschaftliche Ganze nennen und
seine Teilorganisationen eine Synthesis von Funktionen der ein
zelnen menschlichen Individuen, deren Sein allein Realitat zukommt?
1st es das gesellschaftliche Sein des Menschen, das sein BewuBtsein,
oder umgekehrt sein BewuBtsein, das sein gesellschaftliches Sein be
stimmt? Kann das historische Geschehen der Menschheits- und Kultur
entwicklung unter Gesetzen begriffen werden oder sind umgekehrt
alle als "Gesetze" ausgegebenen Deutungsversuche der vorgeschrittensten
Sozialwissenschaften, wie z. B. der Nationalokonomie, ihrerseits bloB
historisch bedingte Abstraktionen? Es ist begreiflich, daB derjenige,
Sc h ii tz, Der sinnhafte Aufhau
2 Einleitende Untersuchungen
auf den Fragen von solcher Tragweite einstiirmen, der Versuchung unter
liegt, ihre Losung naiv vorauszusetzen und von seinem, durch Tempera
ment, wertende oder politische Einstellung oder bestenfalls metaphysi
schen Instinkt diktierten Standpunkt aus an die einzelnen Tatsachen
heranzutreten.
Eine solche Haltung vertragt sich aber nur schlecht mit dem jeder
wissenschaftlichen Betatigung zugrunde liegenden Postulat nach schlichter
Erfassung und Deskription der vorgegebenen Tatsachenwelt. Eben diese
Welt der sozialen Tatsachen selbst unvoreingenommen zu erfassen, in
rechtschaffener logischer Begriffsarbeit zu ordnen und das so gewonnene
Material mit den Mitteln exakter Analyse zu verarbeiten, muG unter
allen Umstanden die vornehmste Aufgabe jeder Betrachtung der Sozial
welt bleiben, die fur sich den Titel der Wissenschaftlichkeit in Anspruch
nimmt.
Die Einsicht in diese wahre Aufgabe der Sozialwissenschaften fUhrte
zunachst zur Forderung nach Schaffung einer Formenlehre der mensch
lichen Gesellschaft. Es ist das unbestreitbare Verdienst SIMMELS, dieses
Problem als erster gesehen und seine DurchfUhrung in Angriff genommen
zu haben. Freilich ist die methodische Grundhaltung SIMMELS vielfach
verworren und unsystematisch, weshalb er bei seinen tastenden Versuchen
besonders intensiv danach strebt, seine theoretische Auffassung vom
Wesen der Gesellschaft an vielfaltigen Einzelphanomenen der sozialen
Sphare wieder und wieder bewahrt zu finden. In solchen Einzelanalysen
hat SIMMEL vielfach Bleibendes und dauernd Wertvolles geschaffen,
wenngleich nur wenige der von ihm aufgestellten Grundbegriffe (auch
nicht sein soziologischer Hauptbegriff der "Wechselwirkung") einer
kritischen Analyse standhalten. SIMMELS leitende Idee aber, aIle materialen
sozialen Phanomene auf die Verhaltensweisen Einzelner zuruckzufUhren
und die besondere gesellschaftliche Form solcher individuellen Verhaltens
weisen deskriptiv zu erfassen,l hat fortgewirkt und sich als tragfahig
erwiesen.
An dem gleichen Leitgedanken ist die "verstehende Soziologie"
MAX WEBERS orientiert. Damit solI nicht etwa die Originalitat der ge
waltigen Leistung MAx WEBERS bestritten oder gar seine Abhangigkeit
"Ich bezeichne nun aIles das, was in den Individuen, den unmittelbar
1
konkreten Orten aIler historischen \Virklichkeit, als Trieb, Interesse, Zweck,
N eigung, psychische Zustandlichkeit und Bewegung derart vorhanden ist,
daB daraus oder daran die Wirkung auf andere und das Empfangen ihrer
Wirkung entsteht - dieses bezeichne ich als den Inhalt, gleichsam die Materie
der VergeseIlschaftung. .. Die Vergesellschaftung ist also die in unzahligen
verschiedenen .Arten sich verwirklichende Form, in der die Individuen auf
Grund jener ... Interessen zu einer Einheit zusammenwachsen und innerhalb
deren diese Interessen sich verwirklichen." SHIMEL, Soziologie, 2 . .Auf!.,
Munchen 1922 (1. .Auf!., 1903), S.4.
Vorbemerkungen zur Problemstellung 3
von SIMMEL behauptet werden. Vielmehr ist WEBERS Werk, das so viel
fache Stromungen seines Zeitalters zusammenfaBt, durch und durch
personliches Produkt seines erstaunlichen Ingeniums. Er hat der heutigen
deutschen Soziologie, soweit sie als Wissenschaft und nicht als Heils
lehre auft ritt, ihre Bestimmung gewiesen und ihr das logisch-methodische
Riistzeug an die Hand gegeben, dessen sie zur Losung ihrer besonderen
Aufgabe barlarf. Die wichtigsten Werke der zeitgenossischen deutschen
Soziologie, wie z. B. die von SCHELER, WIESE, FREYER, SANDER,
waren ohne seine grundlegenden Arbeiten nicht denkbar.
Worin besteht nun die groBe Leistung MAx WEBERS ~ Zunachst hat
er als einer der ersten die Wertfreiheit der Sozialwissenschaften ver
fochten und den Kampf gegen jene politischen oder Wert-Ideologien auf
genommen, die nur ailzu leicht bewuBt oder unbewuBt die Denkergebnisse
des sozialwissenschaftlichen Forschers beeinflussen. Er hat auf diese
Weise der Soziologie an Steile metaphysischer Spekulation die schlichte,
aber wahrhaftige Deskription des geseilschaftlichen Sems zur Aufgabe
gesetzt. "Soziologie ist bei ihm nicht mehr Philosophie des Menschseins,
sie ist partikulare Wissenschaft yom menschlichen Sichverhalten und
seinen Konsequenzen."l
Dieser Grundhaltung entspricht der Aufbau seiner Soziologie,2 die
hier als bekannt vorausgesetzt werden darf. Ausgehend yom Begriff
des sozialen Handelns und der sozialen Beziehung gelangt er durch immer
neue Deskriptionen und Typisierungen zu den Kategorien der "Vergemein
schaftung" und "Vergeseilschaftung", aus welchen durch Einfiihrung des
Begriffes der "Ordnung" der Typus des "Verbandes" und der "Anstalt"
abgeleitet wird. Wie MAx WEBER sich dieses Apparates bedient, urn Wirt
schaft, Herrschaft, Recht und Religion soziologisch zu bearbeiten, soil
hier nicht weiter geschildert werden. Worauf es uns ankommt, ist, daB
MAx WEBER aile Arten sozialer Beziehungen und Gebilde, aile Kultur
objektivationen und Regionen des objektiven Geistes auf das urspriing
lichste Geschehenselement des sozialen Verhaltens Einzelner zuriickfiihrt.
Zwar behalten aile komplexen Phanomene der Sozialwelt ihren Sinn,
aber dieser Sinn ist eben derjenige, den die in der Sozialwelt Handelnden
mit ihren Handlungen verbinden. Nur das Handeln des Einzelnen und
dessen gemeinter Sinngehalt ist verstehbar und nur in der Deutung des
individueilen Handelns gewinnt die Sozialwissenschaft Zugang zur
Deutung jener sozialen Beziehungen und Gebilde, die sich in dem Handeln
der einzelnen Akteure der sozialen Welt konstituieren.
JASPERS: Die geistige Situation der Zeit, Berlin, Leipzig 1931, S.137.
1
2 Von den Werken MAX WEBERS sind fiir unsere Untersuchungen vor allem
das leider unvollendet gebliebene Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft",
1. Aufl., Tlibingen 1922, und die im Band "Gesammelte Aufsatze zur Wissen
schaftslehre", Tlibingen 1922, enthaltenen Arbeiten von Bedeutung.
l'