Table Of ContentGESUNDHEITSSYSTEMFORSCHUNG
Herausgegeben von W. van Eimeren und B. Horisberger
Joachim Neipp
Der optimale
Gesundheitszustand
der Bevölkerung
Methodische und empirische Fragen
einer Erfolgskontrolle
gesundheitspolitischer Maßnahmen
Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
London Paris Tokyo
Dr. Joachim Neipp
Alfred-Weber-Institut der Universität Heidelberg
Grabengasse 14
6900 Heidelberg 1
Bundesrepublik Deutschland
ISBN-13 :978-3-540-17527 -8 e-ISBN-13 :978-3-642-71889-2
DOI: 10.1007/978-3-642-71889-2
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Neipp, Joachim W.: Der optimale Gesundheitszustand der Bevölkerung: method. u. empir.
Fragen e. Erfolgskontrolle gesundheitspolit. Massnahmen I Joachim Neipp. - Berlin ;
Heidelberg ; NewYork ; London ; Paris; Tokyo: Springer, 1987.
(Gesundheitssystemforschung)
ISBN-13:978-3-540-17527 -8
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1987
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daher von jedermann benuizt werden dürften.
2119/3145-543210
Für Christiane
Vorwort
Die Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland wird insbesondere in
den letzten 10 Jahren von dem Dilemma geprägt, einerseits den Anstieg der Aus
gaben im Gesundheitswesen zu dämpfen und andererseits den medizinischen Fort
schritt in Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölke
rung umzusetzen. Für die Lösung dieses Dilemmas kommt der Frage, bis zu wel
cher Kostenhöhe solche Maßnahmen durchgeführt werden sollten, eine zentrale
Rolle zu. Sie steht daher auch im Mittelpunkt einer nahezu verwirrenden Fülle
wissenschaftlicher Publikationen, die auf verschiedenen Konzeptionen beruhen
und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ein weiteres Charakteristikum
dieser Veröffentlichungen ist, daß meist nur Teillösungen erarbeitet werden.
Diese Arbeit stellt den Versuch dar, aus den vorliegenden Ansätzen und Modellen
zu Teilbereichen der oben dargestellten Frage eine in sich geschlossene Konzep
tion für die Bewertung gesundheitspolitischer Maßnahmen zu entwerfen, die
unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des Gesundheitswesens in
der Bundesrepublik Deutschland operationalisiert werden kann. Ziel der Arbeit
ist es also, die theoretische und vor allem die empirische Basis der gesundheitspoli
tischen Entscheidungen zu erwei terno
Der Grundstein der Arbeit wurde während meiner Tätigkeit als Assistent von
Prof. Dr. Maria Blohmke am Institut für Sozial-und Arbeitsmedizin der Universi
tät Heidelberg gelegt. In dieser Zeit konnte ich mich in die Gebiete der Sozialmedi
zin und der Epidemiologie einarbeiten, die für die Zielsetzung der Arbeit eine we
sentliche Bedeutung besitzen. Frau Prof. Dr. Maria Blohmke hat mich dabei als
verständnisvolle und stets gesprächsbereite Mentorin nachhaltig gefördert. Dafür
schulde ich ihr großen Dank.
Im Sommersemester 1984 wurde die Arbeit von der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Heidelberg als Habilitationsschrift angenommen. Sie
wurde zudem mit dem Wissenschaftlichen Preis Gesundheitsökonomie 1984 des
Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ausgezeichnet. Bei ihrer Ent
stehung haben mich viele Personen und Institutionen tatkräftig unterstützt,
wofür ich mich herzlich bedanke. Der Bundesverband der Ortskrankenkassen, der
Bundesverband der Betriebskrankenkassen und das Statistische Bundesamt
halfen mir bei der Beschaffung und Aufbereitung der Daten. Die Mitarbeiter des
Rechenzentrums der Universität Heidelberg, allen voran Gerhard Rathmann und
Bernd Spoer, erfüllten während der EDV-Arbeiten ohne großes Aufheben meine
VII
vielen Sonderwünsche. Wertvolle Hinweise erfuhr ich von Prof. Dr. Hans Jürgen
Jaksch, Privatdozent Dr. Gerhard Wagenhals, Dr. Gunter Stephan und Privat
dozent Dr. Friedrich Breyer, der mich in einer ständigen Diskussion an die theore
tischen Grundzüge der Arbeit erinnerte, wenn ich mich im Dickicht der gesund
heitspolitischen Einzelprobleme zu verlieren drohte. Prof. Dr. Maria Blohmke las
die ersten drei Kapitel der Arbeit und Privatdozent Dr. Friedrich Breyer das ge
samte Manuskript. Von ihrer Kritik haben Inhalt und Stil der Arbeit wesentlich
profitiert.
Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Franz-Ulrich
Willeke. Durch sein geduldiges Zuhören, seine ungezählten Ratschläge und seine
stetige Ermunterung hat er zu dieser Arbeit in unschätzbarem Maße beigetragen.
Heidelberg, im August 1984 Joachim Neipp
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Inhaltsverzeichnis
1 Ausgangspunkt, Zielsetzung und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Ausgangspunkt und Zielsetzung.. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. 1
1.2 Alternative Ansätze zur Operationalisierung
des Begriffs "Gesundheit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.3 Alternative Ansätze zur Erfassung des Gesundheitszustandes
der Bevölkerung ....................................... . . . . . . . . . . . . 9
1.4 Alternative Ansätze zur Bewertung gesundheits-
politischer Maßnahmen ............................................ 13
1.5 Vorgehensweise ................................................... 16
2 Messung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 18
2.1 Konzeption des Modells. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 18
2.1.1 Grundsätzlicher Aufbau des Modells .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 18
2.1.2 Das Maß H' für die Länge des Lebens ................................ 20
2.1.3 Das Maß H für den Gesundheitszustand der Bevölkerung .............. 26
2.2 Methodische Probleme des Beeinträchtigungskonzepts ................ 27
2.2.1 Bildung von Beeinträchtigungsniveaus .............................. 27
2.2.2 Gewichtung der Beeinträchtigungsniveaus .......................... 31
2.3 Operationalisierung des Modells durch Indikatoren
der Morbidität..................................................... 37
2.3.1 Datenquellen zur Morbidität ....................................... 37
2.3.2 Auswahl der Indikatoren für die Beeinträchtitigungsniveaus .......... 43
2.3.3 Gewichtung der gebildeten Beeinträchtigungsniveaus ................ 51
2.4 Berechnung der empirischen Werte für die Jahre 1968-1978 ........... 53
2.4.1 BerechnungderWertedesMaßesH' ................................. 53
2.4.2 Schätzen der Ausgangswerte für die Berechnung
der Werte des Maßes H ............................................. 58
2.4.3 BerechnungderWertedesMaßesH ................................. 66
3 Berechnung der Auswirkungen gesundheitspolitischer Maßnahmen
auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung ........................ 77
3.1 Konzeption des Modells ............................................ 77
3.2 Methodische Probleme krankheitsbezogener Analysen ................ 82
IX
3.3 Berechnung möglicher Veränderungen des Gesundheitszustandes
der Bevölkerung durch die Elimination von Krankheiten
fürdieJahre1968-1978 ............................................ 88
3.3.1 Veränderungen der Werte des MaßesH' .............................. 88
3.3.2 Veränderungen der Werte des Maßes H .............................. 96
4 Bewertung gesundheitspolitischer Maßnahmen ...................... 109
4.1 Konzeption des Modells ............................................ 109
4.1.1 Grundsätzlicher Aufbau des Modells ................................. 109
4.1.2 Opportuntitätskosten gesundheitspolitischer Maßnahmen ............. 113
4.1.3 Maximale Zahlungsbereitschaft für gesundheits-
politische Maßnahmen ............................................. 117
4.2 Bestimmung der Opportunitätskosten gesundheits-
politischer Maßnahmen ............................................ 124
4.2.1 Opportunitätskosten der Ressourcenumschichtung .................... 124
4.2.2 Opportunitätskosten einer Veränderung des Arbeitspotentials ......... 130
4.3 Bestimmung der Maximalen Zahlungsbereitschaft für
gesundheitspolitische Maßnahmen .................................. 133
4.3.1 Explizite Bestimmung der Maximalen Zahlungsbereitschaft
aus Befragungen .................................................. 133
4.3.2 Implizite Bestimmung der Maximalen Zahlungsbereitschaft
aus dem Verhalten im Straßenverkehr .............................. 135
4.3.3 Implizite Bestimmung der Maximalen Zahlungsbereitschaft
aus dem Verhalten auf dem Arbeitsmarkt ............................ 136
5 Schlußbemerkungen ............................................... 142
Anhang
Verzeichnis der Variablen und Datenquellen zur Messung
des Gesundheitszustandes der Bevölkerung in der
Bundesrepublik Deutschland 1968-1978 .................................... 146
Literatur ................................................................ 149
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1 Ausgangspunkt, Zielsetzung und Vorgehensweise
1.1 Ausgangspunkt und Zielsetzung
Im Zentrum der gesundheitspolitischen Diskussion stehen seit etwa 10 Jahren die
"Kostenexplosion" im Gesundheitswesen und die Versuche der "Kostendämp
fung". Ausgelöst wurde diese Diskussion vor allem durch den Ausgabenzuwachs
bei der Gesetzlichen Krankenversicherung zu Beginn der 70er Jahre. Als heraus
ragende Reaktion auf diesen Ausgabenzuwachs wurde 1977 das "Krankenver
sicherungs-Kostendämpfungsgesetz" erlassen mit dem Ziel, die Ausgaben der Ge
setzlichen Krankenversicherung in Zukunft nicht stärker wachsen zu lassen als
die Einkommen der Versicherten.
Den Wert des Verhältnisses zwischen den Ausgaben der Gesetzlichen Kranken
versicherung und dem Einkommen der Versicherten nach oben zu begrenzen, ist
jedoch eine sehr problematische Zielsetzung. Denn sie impliziert, daß der gegen
wärtige Verhältniswert als Optimalwert oder zumindest als Höchstwert angese
hen wird. Selbst wenn jedoch dieser Wert für das derzeitige Einkommen der Versi
cherten der Höchstwert wäre, muß er es bei einer Veränderung des Einkommens
nicht notwendigerweise bleiben. Wäre nämlich Gesundheit ein superiores Gut, wie
gelegentlich behauptet wird (vgl. Herder-Dorneich 1976, S. 20), dann würde diese
Begrenzung des Ausgabenzuwachses den Präferenzen der Versicherten widerspre
chen (vgl. Hamm 1980, S. 11 f.; Metze 1982, S. 50 f.).
Die Kernfrage der Diskussion ist somit die Frage nach der optimalen oder zu
mindest der maximalen Ausgabenhöhe der Gesetzlichen Krankenversicherung
und im Gesundheitswesen überhaupt. Gefragt wird also letztlich nach der allo
kativen Effizienz der Leistungserstellung im Gesundheitswesen. Die Antwort auf
diese Frage besitzt für die Gesundheitspolitik erhebliche Bedeutung, und zwar
unabhängig davon, wie das Gesundheitswesen organisiert ist. Selbst wenn die
Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen des Gesundheitswesens voll
ständig über Märkte erfolgt und somit die Ausgaben für diese Leistungen nicht
mehr direkt über staatliche Entscheidungen, sondern im wesentlichen über
Märkte gesteuert werden, wird eine Antwort darauf gebraucht, um die Aus
wirkungen möglicher Marktunvollkommenheiten abschätzen zu können.
Betrachtet man die bisherigen Arbeiten zu der oben gestellten Frage, so zeigt sich,
daß sie zwar Aussagen zu einzelnen Aspekten enthalten, eine umfassende Antwort
jedoch weitgehend schuldig bleiben. Diese Einschätzung wird auch dadurch nicht
widerlegt, daß es inzwischen eine Vielzahl von Kosten-Nutzen-Analysen und Ko
sten-Effektivitäts-Analysen vor allem für einzelne Leistungen des Gesundheitswe
sens oder einzelne gesundheitspolitische Maßnahmen gibt. 1 Denn diesen Arbeiten
kann aus mehreren Gründen, die wir in einem späteren Abschnitt dieses Kapitels
betrachten wollen, nur eine sehr eingeschränkte Aussagefähigkeit zugestanden
werden.
Obwohl also der allokativen Effizienz der Leistungserstellung im Gesundheitswe
sen eine zentrale Bedeutung für die Gesundheitspolitik zukommt, müssen die
Möglichkeiten einer Bewertung der Leistungserstellung nach diesem Kriterium
als sehr begrenzt angesehen werden. Diese Konstellation ist der Ausgangspunkt
unserer Arbeit. Ihre Zielsetzung besteht darin, die theoretischen und auch die em
pirischen Grundlagen für eine Bewertung der allokativen Effizienz der Leistungs
erstellung im Gesundheitswesen zu erweitern und damit insbesondere die Aus
sagefähigkeit von Kosten-Nutzen-Analysen und Kosten-Effektivitäts-Analysen
als ökonomischen Entscheidungshilfen im Planungsprozeß zu verbessern.
Nachdem wir den Ausgangspunkt der Arbeit und die darin verfolgte Zielsetzung
in einer ersten Näherung angesprochen haben, wollen wir im folgenden darstellen,
welche Grundlagen einer Bewertung der allokativen Effizienz der Leistungserstel
lung im Gesundheitswesen wir bisher für unzureichend halten und welche Erwei
terungen dieser Grundlagen wir anstreben. Dazu werden wir zunächst die verwen
deten Begriffe wie etwa "Gesundheitspolitik" oder "Gesundheitswesen" präziser
formulieren, bei denen wir uns bisher auf ein allgemeines Vorverständis gestützt
haben.
Unter "Gesundheitspolitik" sei im folgenden derjenige Bereich politischen Han
delns verstanden, der die Sicherung, Förderung und Wiederherstellung von Ge
sundheit und die soziale Sicherung für Kranke und Behinderte zum Ziel hat. Mit
dieser Definition schließen wir uns den weitgehend übereinstimmenden Aussagen
zum Inhalt dieses Begriffs in den Äußerungen staatlicher Institutionen, von Par
teien und Verbänden wie auch in der wissenschaftlichen Literatur an (vgl. Bun
desminister für Jugend, Familie und Gesundheit 1971, S.l1; Brück u. Eichner
1974, S. 129 f. ; Rosenberg 1975, S.4 f. ; Thiemeyer 1981, S.576; Wittkämper
1982).
Unter dem Begriff "Gesundheitswesen" lassen sich alle Personen und Institutio
nen zusammenfassen, die Leistungen zur Sicherung, Förderung und Wiederher
stellung von Gesundheit und zur sozialen Sicherung von Kranken und Behinder
ten erbringen. Bei diesen Leistungen unterscheiden wir zwischen "Gesundheits
leistungen" , deren Ziel die Verbesserung des Gesundheitszustandes einzelner Per
sonen und der Bevölkerung insgesamt sind, und "Krankheitsfolgeleistungen", die
das Arbeitseinkommen bei Krankheit und Behinderung ersetzen.
Vgl. dazu die in l.4 genannten Arbeiten und die Arbeiten von Zweifel (1978), Dinkel u.
Schulze-Röbbecke (1982) sowie Graham u. Vaupel (1983).
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