Table Of ContentSchriftenreihe des
Interdisziplinaren Zentrums fur Ethik an der
Europa-Universitat Viadrina Frankfurt (Oder)
Herausgegeben von
Professor Dr. jur. Jan C. Joerden, Frankfurt (Oder)
Springer
Berlin
Heidelberg
New York
Barcelona
Hongkong
London
Mailand
Paris
Singapur
Tokio
Jan C. Joerden (Hrsg.)
Der Mensch
und seine Behandlung
in der Medizin
BloB ein Mittel zum Zweck?
Mit 9 Abbildungen
, Springer
Professor Dr. jur. Jan C. Joerden
Europa-Universitat Viadrina
Juristische Fakultat
GroBe ScharrnstraBe 59
D-15230 Frankfurt (Oder)
Gedruckt mit freundlicher Unterstiitzung der Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart.
ISBN 978-3-540-64933-5 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
Die Deutsche Bibliothek· CIP-Einheitsaufnahme
Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin : bloB ein Mittel
zum Zweck? I Hrsg.: Jan C. Joerden. -Berlin; Heidelberg; New York;
Barcelona; Hongkong; London; Mailand; Paris; Singapur;
Tokio: Springer, 1999
(Schriften des Interdiszipliniiren Zentrums fur Ethik an der Europa·
Universitiit Viadrina Frankfurt (Oder)
ISBN 978·3·540-64933-5
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berrechtsgesetzes.
e-ISBN-13: 978-3-642-59976-7
DOl: 10.1007/978-3-642-59976-7
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1999
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Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nieht zu der AnnalIme, daB solche Namen
im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wilren und
daher von jedermann benutzt werden diirfen.
Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg
SPIN 10663266 64/2202-5 4 3 2 1 0 -Gedruckt auf sliurefreiem Papier
VORWORT
"Handle so, daB du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines
jeden anderen, jederzeit als Zweck, niemals bloB als Mittel brauchst."1 So lautet
bekanntlich die sog. "Zweckformel", auch: "Menschenwiirdeformel", von Kants
kategorischem Imperativ. FUr die medizinische Ethik stellt diese Formel eine beson
dere Herausforderung dar. Denn der Patient ist in mancher Hinsicht dem Arzt aus
geliefert: Er handeh nicht, er wird behandelt. In dieser Lage ist dem Arzt eine Ver
antwortung auferlegt, der er nur schwer gerecht werden kann. Einerseits muB er das
(objektive) Wohl des Patienten im Auge haben, andererseits muB er dem subjekti
yen Empfinden des Patienten und dessen moglicherweise im Einzelfall widerstre
bendem Willen die notwendige Achtung entgegenbringen. Dieses Spannungsver
haltnis zwischen der Wurde des Patienten und den objektiven Notwendigkeiten
macht einen GroBteil der Schwierigkeiten im Arzt-Patienten-Verhaltnis aus. Es ist
deshalb ein zentrales Feld medizinethischer Uberlegungen und Diskussionen.
Es liegt auf der Hand, daB sich in unterschiedlichen Kulturen zu diesen und
ahnlichen Fragestellungen zum Teil divergierende Antworten herausbilden. Das
Interdisziplinare Zentrum fur Ethik, das seit dem Jahre 1995 an der Europa-Un iversi
tat Viadrina besteht, hat es sich deshalb im Rahmen eines 2. Interdisziplinaren Sym
posions (13. -16. Februar 1997) zur Aufgabe gestellt, diese Diskussion insbesondere
mit Reprasentanten der Medizinethik im benachbarten Polen aufzunehmen.
Einbezogen wurden dabei auch praktizierende Mediziner von beiden Seiten der Oder.
Der vorliegende Band, der aus dem genannten Symposion hervorgegangen ist,
wurde unter Mithilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem des Interdiszi
plinaren Zentrums fur Ethik und der strafrechtlichen Lehrstuhle an der Viadrina
erstellt, denen dafUr an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Insbesondere gebuhrt Dank
Frau Anette Hubner, Frau Bianca Junghanns, Herrn Thomas Crofts, Herrn Jorg
Bremer und Herrn Peter Stanglow fUr ihre Mitwirkung bei der Herstellung der Druck
vorlagen sowie Frau Jutta Becker fUr die verlagsmaBige Betreuung der Drucklegung.
Fur die groBzugige Finanzierung des Symposions und eines Druckkostenzu
schusses fur den vorliegenden Band dankt das Interdisziplinare Zentum fur Ethik der
Robert Bosch-Stiftung und der Europaischen Union.
Immanuel Kant, Grun<llegung zur Metaphysik der Sinen, Akad.-Ausg., Bd. 4, S. 429
INHALTSVERZEICHNIS
Hans N Weile?'
GruBwort zur Eroffnung des 2. Interdisziplinaren Symposions
des IZE in Frankfurt an der Oder ........................................................................ 9
Ulrich Knefelleamp
Das Verhalten von A.rzten in Zeit en der Pest (14.-18. Jahrhundert) ................... 13
T adeuszB rzezi nski
Historische Grundlagen der medizinischen Ethik in Polen ............................... 41
Heinz-Peter Schmiedebach
Patientenrecht, arztliche Dominanz und die HBedeutungslosigkeit
des Einzelwesens" -Das Individuum und die Medizin um 1900 ......................... 51
Uwe Scheffler
Wozu eigentlich Medizinethik? Eine Polemik ................................................... 67
Roman A. Tokarczyk
Biojurisprudenz.
Eine neue Richtung der Jurisprudenz -GrundriB der Problematik ................... 91
Leszek Malkiewicz
Ethische Theorien und die Ansichten polnischer Hausarzte ........................... 105
Hermann Ribhegge
Rationierung und kollektive Entscheidungen im Bereich
des Gesundheitswesens ................................................................................... 115
Zbigniew Szawarski
The Moral Rights of the Embryo... ..... ......... .......... ........... ........... ....... ........... 129
Werner Mendling
Ethische Probleme in der modernen Geburtsmedizin .................................... 143
Stephan Meder
Schadens-und familienrechtliche Wertungen im Wandel.
Kann der mit Kindesunterhalt verbundene finanzielle Aufwand
als Schaden qualifiziert werden? .................. :. .................................................. 157
Reinhard Merkel
Die chirurgische Trennung sogenannter siamesischer Zwillinge.
Ethische und strafrechtliche Probleme ........................................................... 175
Ursula Marsch-Ziegler
Medizinisch-ethische Aspekte der sozialen Berentungsgutachten .................... 205
Jiirgen Marsch
Die Problematik der Schuldfrage im arztlichen Gutachten
aus chirurgischer Sicht .................................................................................... 211
8 Inhalts'1Jerzeicbnis
Roland Wittmann
Die arztliehe Aufklarungspflieht aus reehtsethiseher Sieht ............................. 219
Jan C. Joemen
Bedingungen der Akzeptanz meruziniseher Versuehe am Mensehen .............. 229
RalfD ziewas
Trosten -nieht Vertrosten. Gedanken eines Krankenhausseelsorgers
zur trostenden Begleitung unheilbar Kranker ................................................. 239
Uwe ScheJJler
Sterbehilfe mit System .................................................................................... 249
Matthias Passon
Gedanken zur gesellsehaftlichen Dimension der Euthanasiediskussion ........... 275
Lothar Russegger
Der Hirntod als Individualtod -eine mediziniseh-ethisehe Gratwanderung .... 283
Gerhard Wolf
Strafbarkeit von Organentnahmen fur Transplantationen? .•.......................... 289
Wolfgang Mattig
Die arztliehe Leichensehau in Recht und Ethik .............................................. 317
Sachverzeichnis ............................................................. '" ............................... 328
Autorenverzeiehnis ........................................................................................ 334
GRUSSWORT
Hans N Weiler
Mir fallt die dankbare Aufgabe zu, Sie heute morgen zu begrii6en und willkommen
zu heiEen, und ich mochte dies tun, indem ich Ihnen in drei Variationen ein Thema
nahezubringen suche, fur das Ihre Zusammenkunft ein besonders sinnvolles Bei
spiel ist: das Thema der Herausforderung, die darin besteht, sich heute wissenschaft
lich mit Fragen der Ethik, mit dem Bereich normativer Werte zu beschaftigen.
Diese Herausforderung stellt sich fur mich in dreifacher Weise dar -als
erkenntniskritische (epistemologische) Herausforderung, die mit den Verande
rungen unserer Vorstellungen von Wissen zu tun hat, als
professionelle Herausforderung, die damit zu tun hat, wie Wissenschaft norma
tiv mit sich selbst umgeht, also mit der Ethik des Betreibens von Wissenschaft,
und als
institutionelle Herausforderung, die etwas mit den mstitutioneUen Bedingungen
fur eine wissenschaftliehe Beschaftigung mit Ethik zu tun hat.
Drei Variationen, oder auch Miniaturen - zu mehr, also zur Ausarbeitung emer
ganzen Sonate in drei Satzen, reichen weder die Zeit noch meine Fahigkeiten.
L DAS STUDIUM DER ETHIK ALS ERKENNTNISKRITISCHE HERAUSFORDERUNG
Jurgen Habermas ist nicht der einzige, sieher aber der eloquenteste unter den zeit
genossischen Denkern, die den folgenschweren wissenschaftshistorischen Verkehrs
unfan einer "kognitivistischen Verengung des Vernunftbegriffs" beklagen und die
Wiedergewinnung der auf diese Weise verloren gegangenen Einheit von kognitiv
instrumentellem und moralisch-praktischem Wissen fordern. Es ist ja auch noch gar
nicht so lange her, seit Apostel der reinen Lehre von Wissensehaft wie TalcottParsons
ihr Evangelium von "wertfreier, objektiver" Wissenschaft predigten und den Be
reich des Normativen in die Domane der Theologen, der Essayisten oder allenfalls
der Philosophen verbannten.
Wir haben seither gelernt, das Verhaltnis von Werten und Wissenschaft neu zu
denken - und zwar sowohl im Hinblick auf die wissenschaftliche Erorterung des
Zustandekommens, der Geltung und der Veranderung von Werten als aueh in der
Anerkennung der Tatsache, daB wissenschaftliches Tun immer auch wertgesteuertes,
normativ eingebettetes Vorgehen ist. Ich erinnere, unter vielen, an die einschlagigen
Bemuhungen von Hilary Putnam, Hans Lenk, Paul Roth -aber auch an die wichtigen
Beitrage zu dieser Diskussion, die aus anderen Kulturkreisen kommen -etwa aus der
indischen Sozialwissenschaft (ich nenne beispielhaft Ashis Nandy), wo man mit dem
Verhaltnis von Werten und Wissenschaft etwas unbefangener umzugehen gelernt
hat, oder die ihren Ursprung in der gerade in dieser Frage ungemein fruchtbaren
feministisehen Wissenschaftskritik haben -ich denke an Sandra Harding.
Die erkenntniskritisehe Herausforderung liegt darin, diese Ansto6e auf- und
ernst zu nehmen und sie einem neuen kritisehen Diskurs zu umerziehen, der nicht
nur -bei allern Respekt -auf Kant zuriickgeht, sondern nach neuen Paradigmen der
Werte der Wissenschaft und der Wissenschaft der Werte suchl.
10 Hans N. Weiler
II. DIE PROFESSIONELLE HERAUSFORDERUNG
Ich habe schon von emem neuen BewuBtsein de!" Werte der Wissenschaft gespro
chen, also davon, wie Wissenschaft normativ mit sich selbst umgeht. Damit scheint
die Wissenschaft, wenn mich nicht alles tauscht, .im Alltag ihres Betriebes bisweilen
ihre liebe Not zu haben. Ich weill nicht, ob es jemals einen verlaBlichen ethischen
Kanon ffu: .:las Betreiben von Wissenschaft gegeben hat -wenn, dann war darin wohl
von der Verwerflichkeit des Plagiats oder von der Notwendigkeit die Rede, wissen
schaftliche Feststellungen angemessen -mit Daten oder FuBnoten -zu dokumentie
ren. Das alles gilt wohl auch noch, aber tiber manches Andere bin ich mir keines
wegs mehr so sicher. Wenn ich mir die Verlotterung ansehe, die etwa in der Erstel
lung von Gutachten fUr akademische Berufungen eingerissen ist (und ich habe sehr
konkrete Beispiele im Auge), oder wenn ich an die immer weiter verbreitete Praxis
denke, Hingst schon verstauhte wissenschaftliche Arbeiten mit neuer Verpackung
als neue Veroffentlichungen auszugeben, oder an die mit ungemein einfallsreichen
Ausfltichten kaschierte Weigerung, das zu tun, was ernstzunehmende Wissenschaft
seit jeher auszeichnet: sich selbst in Frage zu stellen, oder an den oft tiberaus frag
wiirdigen Umgang mit der Anerkennung des Beitragesiiingerer Mitarbeiter in ge~'
meinsam erarbeiteten Pubiikationen, oder an die -keineswegs so seltene -politische
Verteufelung unliebsamer wissenscha.+tlicher Konkurrenten, oder auch an die unter
dem Unwort "Seilschaften" beriichtigt gewordene Variante der wissenschafts
politischen Arterhaltung -oder, oder, oder -S.ie werden die Liste selbst um einiges
verlangern konnen. Ich meine, daB die Wissenschaft fUr den U mgang mit sich selbst
-und keineswegs nur in diesem Lande -neue und solide WertmaBstabe braucht. Sie
braucht sie urn ihrer eigenen Selbstachtung willen, aber auch, um einer in meinen
Augen inzwischen recht bedenklichen Legitimationskrise von Wissenschaft entge
genzuwirken.
III. DIE IN'STITUTIONEllE HERAUSFORDERUNG
Ftir den neuen Wein einer neuen Beschaftigung mit Werten und Wissenschaft sind
alte institutionelle Schlauche nicht besonders brauchbar. Es empfiehlt sich, nicht
nur den Inhalt einer neuen wissenschaftlichen Erorterung von Ethik neu zu den
ken, sondern auch die institutionellen Bedingungen, unter denen diese Erorterung
besonders fruchtbar werden kann. Ich mochte Ihnen dazu zwei Vorschlage machen.
Eine angemessene wissenschaftliche Beschaftigung mit ethischen F ragen kann in
dieser Zeit nur gelingen, wenn sie sowohl interdisziplinar als auch international
angelegt ist. Es bedarf nicht nur einer Kommunikation unter den Disziplinen, son
dem in der Tat einer Synergie ihrer Erkenntnisstrategien, aber auch ihrer kritischen
Selbsteinschatzungen, um mit einem Thema wie der normativen Bewertung von
Technikfolgen, oder der Gewichtung von Umweltschutz und Wirtschaftswachs
tum angemessen umzugehen.
Und gerade wei! eine starkere Beriicksichtigung der normativen Elemente von
Wissenschaft immer wieder, und unausweichlich, auf die einer jeweiligen Gesell
schaft eigenen kulturellen Wurzeln von Wertvorstellungen verweist, kommt einer
kulturvergleichenden Beschaftigung mit Ethik eine so enorme heuristische und er
kenntniskritische Rolle zu.
GrujJwort 11
Es ist zutiefst folgeriehtig, dafi gerade an rueser Universitat ein Forschungszen
trum fUr Ethik seinen Platz gefunden hat. An dieser Universitat -an der wir uns
bemuhen, ein gewisses Mafi an Andersartigkeit zu einer inteUektuellen Kunstform
zu entwicke1n - an dieser Universitat ist Grenzgangertum Programm - Grenz
gangertum sowohl im Sinne der beWU£ten und auf Erkenntnisgewinn ausgerichte
ten Thematisierung kultureller und nationaler Unterschiede, aber auch im Sinne
einer Zusammenfjhrung einze1wissenschaftlicher Uberlieferungen zur gemeinsamen
Bewaltigung zentraler intellektueller Fragen unserer Zeit.
Dieses Symposion, fUr dessen Verlauf Sie meine allerbesten Wiinsche begleiten,
verkorpert diese beiden Pole von Interdisziplinaritat und Internationalitat auf das
Fruchtbarste, und ieh bin Herrn KollegenJoerden und seinen Mitarbeitern dankbar
dafiir, ein so anregendes Programm und einen so anregenden Kreis von !tutoren
hier an der Oder zusammengeruhrt zu haben.
Sie werden gemerkt haben, daB ich es in meinen Gnillworten sorgsam vermie
den habe, irgend etwas zum speziellen ThemaIhrerTagung zu sagen. Das war Ab
sieht, denn ich habe mir auch als Rektor noch einen Rest des moralischen Impera
tivs bewahrt, nicht von Dingen z~ reden, von denen ich nichts verstehe. Das wiirde
naturlich logischerweise dazu fuhren, daB ich mir fUr die nachsten beiden T age das
Vergnugen machen sollte, hier zuzuhoren und von Ihnen zu lernen. Hier setzt die
hochschulpolitische Realitat ein: ein Termin mit dem Minister tiber Hochschul
entwicklungsplanung in Brandenburg wartet. Es ist nicht nur Hoflichkeit, wenn
ich Ihnen sage, dafi ich viellieber bei Ihnen bliebe.