Table Of Content«Der Haschischesser» ist die erste, vollumfängliche Studie der psychologi
schen Zustände und physiologischen Auswirkungen des psychoaktiven
Drogengebrauchs der amerikanischen Literatur. Geschrieben von einem
zwanzigjährigen Studenten, führte diese von de Quincey inspirierte Ab
handlung, als sie 1857 veröffentlicht wurde, zu einer wahren Sensation.
Seit dieser Zeit ist sie im grossen und ganzen vergessen und übergangen
worden, ausser von einigen wenigen Pionieren der Marihuana-Forschung,
Autoren wie Aleister Crowley und den Dichtern der Beat-Generation.
Die vorliegende Fassung, erstmals in deutscher Übersetzung, enthält
neben dem ungekürzten Text eine Einführung des Leiters der Fitz Hugh
Ludlow Memorial Library in San Francisco sowie den Lebenslauf des
Autors und einen kritischen Kommentar. Die Illustrationen des amerikani
schen Künstlers Sätty sind speziell für diese Ausgabe neu überarbeitet und
zusammengestellt worden.
Dieses Buch ist nicht zu beschreiben, sondern muss als reale Erfahrung
erlebt werden - ein kosmischer Ausflug eines Zwanzigjährigen auf den
Spuren de Quinceys, aber mit dem Treibmittel einer anderen Droge. Wir
späteren Zeitgenossen stehen mit den Bleisohlen einer anderen Moral da;
belastet mit erlaubten Drogen der Stumpfheit. Unsere Pharmaka werden
keine Dichter finden. Wir können das Buch öffnen als Berg Sesam, als
kleines Universum unserer verbotenen Träume. Und sehen: All dies ist
möglich. Hans-Georg Behr
«Gründlicher und aufschlussreicher ist die Information aus den hervor
ragenden Studien eines Baudelaire... und Ludlow...» Aleister Crowley
«Sollte Ihnen Fitz Hugh Ludlow begegnen, behandeln Sie ihn gut.»
Mark Twain (1864)
3 85914 608 4
FITZ HUGH LUDLOA
DER HASCHISCH-ESSER
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HERAUSGEGEBEN
VO N MICHAEL HOROW ITZ
MIT 22 ILLUSTRATIONEN
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AUS DEM AMERIKANISCHEN
VO N EVA GÜLDENSTEIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
I.udlow, Fitz Hugh:
Der Haschisch-Esser / Fitz Hugh Ludlow. Hrsg, von Michael
Horowitz. Mit 22 111. von Sätty. [Aus d. Amerikan. von Eva
Güldenstein] — Basel: Sphinx-Verlag, 1981.
Einheitssacht.: The hasheesh eater <dt.>
ISBN 3-85914-608-4
1981
© 1981 Sphinx Verlag Basel
Alle deutschen Rechte Vorbehalten
Originaltitel: The Hasheesh Eater
© 1981 Michael Horowitz
© 1975, 1981 Sätty
Lektorat: Irmtraud Dümotz
Gestaltung: Charles Huguenin
Umschlaggestaltung: Thomas Bertschi
Lithos: Jo Fink, Basel
Gesamtherstellung: Rombach + Co., Freiburg
Printed in Germanv
ISBN 3-85914-608-4
I
nhalt
Einführung 7 Ein Schwur vor dem Tribunal
Vorwort 13 des Wahnsinns 139
Einleitung 15 Im Sog der Gezeiten 145
Der Haschisch-Esser 19 Mein steinerner Wächter 151
Der Weg in die Nacht 21 Auferstehung 155
Im Schatten der Äskulap 31 Der Pythagoräer sagt seinem Lehrmeister
Im Reich der Träume 35 Adieu und macht sich selbständig 159
Kaschmir und China in der Dämmerung 43 Den Doktor betreffend;
Die Stunde der Macht der Finsternis 55 nicht Southeys, sondern meinen 167
Die Nacht der Apotheose 67 Die große Entsagung 175
Vos non vobis - Die Hölle des wilden Wassers und
Worin der Pythagoräer ein Zuschauer ist 77 die Hölle der weiblichen Treulosigkeit 179
Der Schatten des Bacchus, Der Visionär. Ein Kapitel, zu dem der
der Schatten des Thanatos und Zutritt für Unbefugte verboten ist 181
der Schatten der Schmach 91 Die nachfolgende Hölle 187
Nimium - Amrita Kelch der Enthüllung 97 Der Haschisch-Esser
Das Buch der Symbole 105 Eine Bibliographische Notiz 191
Heute Zeus, morgen Prometheus 109 Fitz Hugh Ludlow - Der Lebenslauf 192
Eidola Theatri und der Prinz von Wales 115 Ludlow und Der Haschisch-Esser
Heil Dir! Pythagoras 123 Ein Bibliographischer und Kritischer
«Dann öffnete Shiva sein Auge und Kommentar 194
blickte zornerfüllt auf den Verdammten» 129
E
inführung
«Dass mir dieses Geheimnis (und viele ande tun. Er war nicht imstande, den Virginiatabak
re) offenbar wurde, ist der Lohn meiner Be in seiner geliebten Meerschaumpfeife zu rau
rauschung mit diesem heiligen Kraut, dem chen, und auch die Haschischbonbons blieben
Gras der Araber.. .» unberührt, während er immer grössere Dosen
Aleister Crowley, The Book of Thot Laudanum (Opium in Alkohollösung) ein
nahm, um die Schmerzen, die ihn Tag und
Der junge amerikanische Schriftsteller, der im Nacht peinigten, aushalten zu können.
Sommer des Jahres 1870 in Genf eintraf, mach Als einige Exemplare seines neuesten Bu
te keinen gesunden Eindruck. Seine hellblauen ches, eines Reiseberichtes über die abenteuerli
Augen blickten gehetzt, bedroht von dem Ge che Durchquerung der Präriegebiete Amerikas
fühl des nahen Endes. Fiebriger Schweiss liess und der Rocky Mountains, die er gemeinsam
sein schütter werdendes rotbraunes Haar an mit dem deutschstämmigen Landschaftsmaler
seiner breiten Stirne kleben. Speichel befleckte Albert Bierstadt im Jahre 1863 unternommen
seinen üppigen Vollbart. Sein schmächtiger hatte, aus New York eintrafen, heiterte ihn das
Körper wurde von Zeit zu Zeit von heftigen ein wenig auf. Von seinen beiden treuen Pfle
Hustenanfällen geschüttelt. Und doch bewahr gerinnen unterstützt und ermutigt, begann er,
te er eine würdevolle Haltung, in seinem exqui seine veröffentlichten und unveröffentlichten
sit geschneiderten, hochmodischen New Yor Gedichte zu ordnen, indem er sie seiner Schwe
ker Anzug. Ein Monokel und ein kleines Kru ster aus dem Gedächtnis vortrug, und diese sie
zifix baumelten an einem Silberkettchen um in einem Notizbüchlein festhielt.
seinen Hals. Sein Benehmen war höflich und Er fühlte sich einigermassen wohl, so dass
ehrerbietig, gelegentlich unterbrochen von die kleine Schar seinen 34. Geburtstag in ihrer
warmherzigem Lachen oder aufblitzender Pa Suite feiern konnte. Der Direktor des Hotel de
ranoia. la Paix arrangierte das obligate Geburtstagses
In seinem Koffer befanden sich die ver sen und engagierte einen Musiker, der irische
schiedensten Opiumpräparate, zwölf Flaschen und Schweizer Volkslieder spielte. Ohne Wis
eines Gegenmittels, an dessen Entwicklung er sen der Frauen hatte der Schriftsteller vor Be
selbst mitgearbeitet hatte, sowie Cannabistink ginn der Festlichkeiten ein Haschischbonbon
turen in dunklen Fläschchen und eine Schachtel gegessen - das erste seit langer Zeit. Zum er
mit dem «Arabischen Zauberkraut» - Ha sten Mal seit Wochen waren seine Sinne hell
schisch -, das er in New York für einen Dollar wach, und er gab sich ohne Vorbehalte seiner
gekauft hatte. (Zehn Jahre später hätte der Vision hin, als sich gegen Abend die leuchtende
Schriftsteller wohl auch ein Fläschchen mit Co- Gestalt eines uralten Mannes vor seinen Augen
cainum hydrochloricum bei sich gehabt.) Kein formte. Das Entsetzen des Schriftstellers wan
Polizeiorgan, gleich welchen westlichen Lan delte sich in ungeheure Erleichterung und über
des, hätte ihm je wegen Besitzes eines dieser schäumende Freude, als er seinen geliebten
Stoffe Schwierigkeiten gemacht. Führer Pythagoras erkannte, dem er zum er
Er litt an Lungentuberkulose, die später sten Mal in einer Haschischvision seiner Ju
auch als «Krankheit der Schriftsteller des 19. gendzeit begegnet war und dessen Schriften
Jahrhunderts» bezeichnet wurde. Von seiner ihn empfänglich gemacht hatten für die Philo
zweiten Frau und seiner ihm treu ergebenen sophie des höheren Bewusstseins und für die
Schwester begleitet war er in die Schweiz ge Lehre von der Metempsychose - der Seelen
reist in der verzweifelten Hoffnung, in den wanderung, der frühesten Reinkarnationsform
Kurbädern der Alpen Heilung zu finden. Sein des Westens -, die für ihn zu einem tiefen
Zustand verschlechterte sich jedoch zusehends, Glauben geworden war, echter als der christ
und er konnte keinen Schritt aus dem Zimmer liche Glaube seines Vaters.
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Sein Tod am darauffolgenden Tag blieb wusstseinsveränderung mit Hilfe psychoaktiver
von der Weltpresse, die randvoll war mit den pflanzlicher Stoffe und ihrer Derivate fand.
neuesten Meldungen über den Deutsch-Fran Obwohl amerikanische Siedler, einschliess
zösischen Krieg, unbemerkt. Die beiden lich zweier Präsidenten der Vereinigten Staa
trauernden Frauen kehrten mit der sterblichen ten, Hanf wegen seiner vielfältigen Verwen
Hülle des Schriftstellers nach Amerika zurück. dungsmöglichkeiten anpflanzten und auch die
Nur wenig mehr als ein Jahrzehnt war seit dem Medizin in gewissen Bereichen ihren Nutzen
Tode De Quinceys vergangen; erst drei Jahre daraus zog, war Frankreich vor der Ära Lud
zuvor hatte Baudelaire diese Welt verlassen. An low das einzige westliche Land, in dem der
dem Tag, als der amerikanische Schriftsteller in Stoff ein Mittel war, das Bewusstsein mit dem
Genf verstarb, wurde ein junger, armseliger Ziel zu verändern, sich zu einem neuen Men
Dichter namens Rimbaud aus einem Pariser schen zu entwickeln und schöpferische Kräfte
Gefängnis entlassen, in dem er eine Woche freizusetzen. Eine Gruppe von Schriftstellern
lang eingesessen hatte, weil er davongelaufen (Baudelaire, Gautier, Dumas, Nerval, Hugo,
war. Der berühmte Dumas, dessen Roman Der Müsset, Balzac), Malern, Bildhauern und Ar
Graf von Monte Christo die Phantasie der ame chitekten schlossen sich zum «Klub der Haschi
rikanischen Jugend beflügelt hatte, überlebte schin» zusammen und veranstaltete in den frü
ihn um ganze drei Monate. hen vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhun
Sein Verleger in den Staaten schrieb in der derts in den eleganten Räumen des Hotels Pi-
führenden Literaturzeitschrift einen Nachruf modan auf der Insel Saint-Louis wöchentliche
auf den Schriftsteller. Er liess durchblicken, Soireen. Bei diesen Anlässen, bei denen die Gä
dass der zügellose Genuss von Haschisch und ste zugleich Spender und Geniesser einer ex
Opium die Karriere des Schriftstellers zerstört quisiten Küche und klassischer Musik waren,
und wahrscheinlich zu seinem vorzeitigen Ab stellte der Psychiater J. J. Moreau de Tours das
leben beigetragen habe. Ein ganzes Jahrhun algerische Haschisch (Dawamesc) zur Verfü
dert lang sollte dies die offizielle Version blei gung. Zur selben Zeit etwa führte in Indien der
ben. Die inoffizielle Ansicht liess sich wohl am schottische Arzt W. B. O’Shaughnessy erneut
besten mit den Worten eines kalifornischen Be die Verwendung von Cannabis in der westli
kannten wiedergeben. «Fitz Hugh Ludlow war chen Medizin ein. Während der Aufstände des
ein gewohnheitsmässiger Haschischesser. Er Jahres 1848 zogen die französischen Studenten
war mehr als nur ein bisschen verrückt, aber er mit Fahnen durch die Strassen, auf denen sie
hat einige gute Sachen geschrieben.» für den Genuss von Haschisch und Äther plä
Ludlow war einer der bedeutendsten Män dierten. Doch nichts deutet darauf hin, dass die
ner, die im Verlauf des neunzehnten Jahrhun Kunde von den Experimenten der Literaten
derts über das Erlebnis der Bewusstseinserwei oder von den Studentenunruhen schon damals
terung schrieben. Sein aufsehenerregendes und bis an die Küsten Amerikas drang.
nur allzu bekanntes erstes Buch, das er im er Ludlow lernte den Begriff Haschisch ken
staunlichen Alter von neunzehn Jahren verfas nen, als er die Übersetzungen einiger abendlän
ste und mit einundzwanzig Jahren veröffent discher und orientalischer Werke las: Die Mär
lichte, ist das erste vollständige Werk über den chen von Tausend und Einer Nacht mit ihren
Haschischrausch in englischer Sprache. Auf Haschischgeschichten, wo Traum in Traum
grund tiefwurzelnder sozialer und politischer übergeht, Dumas Der Graf von Monte Christo
Vorurteile in bezug auf die Droge - noch ver mit seiner Schilderung eines Haschischrau
schärft durch die strengen gesetzlichen Bestim sches und Die Reisen des Marco Polo, in denen
mungen im Westen - dauerte es ungefähr hun der Reisende den Anführer der legendären «As
dert Jahre, bis The Hasheesh Eater (Der Ha sassinen» Hassan-ibn-Sabah kennenlernt, von
schisch-Esser), der 1857 das erste Mal veröf dem behauptet wird, er habe sich des Ha
fentlicht wurde, den ihm gebührenden Platz schischs bedient, um seine kriegerischen An
neben Thomas De Quinceys Confessions of an hänger seinem Willen zu unterwerfen und sie
English Opium Eater, 1822 (Bekenntnisse eines unter Kontrolle zu halten. Ausserdem hatte
englischen Opiumessers) und Charles Baudelai- Ludlow zwei Artikel gelesen, deren Verfasser
res Buch Les Paradis Artificiels, 1860 (Die amerikanische Schriftsteller waren, die Anfang
künstlichen Paradiese) als ein Klassiker der Li der fünfziger Jahre des neunzehnten Jahrhun
teratur zum Thema selbstinduzierter Be derts in Damaskus mit Haschisch Versuche ge
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