Table Of ContentDER GRUNDWORTSCHATZ DES ALTIRISCHEN
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung der Doktorwürde
der
Philosophischen Fakultät
der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Bonn
vorgelegt von
Martina Lucht
aus
Sieglar (jetzt Troisdorf)
Bonn 2007
Gedruckt mit der Genehmigung der Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Zusammensetzung der Prüfungskommission:
Vorsitzender: Prof. Dr. Karl Reichl, Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie
Betreuer und Gutachter: Prof. Dr. Karl Horst Schmidt, Institut für Anglistik,
Amerikanistik und Keltologie
Gutachter: Prof. Dr. Stefan Zimmer, Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie
Weiteres prüfungsberechtigtes Mitglied: Prof. Dr. Heinrich Beck, Institut für
Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft
Tag der mündlichen Prüfung: 11.04.2006
Diese Dissertation ist auf dem Hochschulschriftenserver der ULB Bonn
http://hss.ulb.uni-bonn.de/diss_online elektronisch publiziert.
2
Vorwort
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die Druckfassung der Dissertation, die im März 2006 von der
Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität angenommen wurde.
All den Personen, die mich auf vielfältige Weise bei der Fertigstellung dieser Dissertation unterstützt
haben, sei hiermit ausdrücklich gedankt; dennoch bin ich selbstverständlich für den Inhalt und alle
darin enthaltenen Fehler und Unzulänglichkeiten allein verantwortlich.
Besonderer Dank gebührt meinem “Doktorvater“, Herrn Prof. Dr. Karl Horst Schmidt. der die Arbeit
angeregt und über Jahre hinweg geduldig betreut hat. Darüber hinaus danke ich auch dem Zweit-
gutachter, Herrn Prof. Dr. Stefan Zimmer, für zahlreiche zusätzliche Anregungen, die in die Druck-
version eingeflossen sind.
Des weiteren bedanke ich mich bei Stefan Schuster † für Unterstützung in technischen Belangen,
insbesondere die Erstellung der Sonderzeichensätze. Bei Christiane Batke und Gwenael Beaujean
bedanke ich mich für wertvolle Hinweise zum Britannischen, insbesondere zum Bretonischen.
Nicht zuletzt gilt mein Dank meinen Eltern: Meinem Vater für das Korrekturlesen der verschiedenen
Versionen, meiner Mutter † für die stetige Ermutigung, die Arbeit an dieser Dissertation trotz zahl-
reicher Hindernisse zu Ende zu führen. Ihnen widme ich dieses Buch.
Martina Lucht Rheinbach, im Juni 2007
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Einleitung
Einleitung: Zielsetzung und Definitionen
Das Ziel der vorliegenden Dissertation besteht darin, den sogenannten Grundwortschatz (GWS) des
Altirischen zu analysieren, und zwar unter folgenden Aspekten:
a) synchronisch: Dies beinhaltet die Bestandsaufnahme des Materials und die Bewertung hinsichtlich
der Zugehörigkeit zum Grundwortschatz anhand des Kriteriums “semantische Unmarkiertheit”.
b) diachronisch: Dies bedeutet zum einen die etymologische Rückführung der Elemente des Grund-
wortschatzes auf rekonstruierte proto-keltische1 bzw. proto-indogermanische2 Formen, zum
anderen auch die Untersuchung der weiteren etymologischen Entwicklung bis hin zum Neuirischen.
Innerhalb dieses historischen Rahmens wird versucht, jeweils ein Bild darüber zu gewinnen, ob ein
Element des Grundwortschatzes beibehalten oder durch eine Neubildung oder ein Lehnwort ersetzt
wurde und für welches Sprachstadium ein solcher Ersetzungsvorgang zu datieren ist.
c) vergleichend: Der etymologisch Vergleich mit anderen keltischen bzw. indogermanischen Sprachen
ist erforderlich, um die unter b) genannten Entwicklungen zu belegen. Des weiteren sind Hypo-
thesen in bezug auf semantische Entwicklungen häufig durch – nicht auf genetischer Verwandt-
schaft beruhende – Parallelen in anderen (auch nicht-indogermanischen) Sprachen verifizierbar.
Abschließend soll die Gesamtheit der Befunde dazu verwendet werden, einen Überblick über den
Anteil der ersetzten (geneuerten) Elemente3 im Vergleich zu den erhaltenen Elementen zu gewinnen
und daraus eventuell Rückschlüsse auf die Stellung des Altirischen innerhalb der keltischen bzw.
indogermanischen Sprachen abzuleiten. Außerdem sollen eventuelle Einflüsse durch benachbarte
Sprachen oder durch Super- bzw. Substrate4 aufgezeigt werden.
In bezug auf lexikalische Neuerungen des Kelt. gegenüber dem Proto-Idg. unterscheidet SCHMIDT
2000, S. 439 drei Gruppen von Lexemen: 5
(1) Fälle, in denen das idg. Erbwort in genereller Verwendung bewahrt ist;
(2) Fälle, in denen das idg. Erbwort in reduzierter Verwendung als Archaismus bewahrt ist;
(3) Fälle, in denen das idg. Erbwort vollständig durch ein neues Lexem verdrängt wurde
(ebd.; weitere Prinzipien ebd., S. 443 f.). Wie weiter unten im Kapitel “Ergebnisse und Schluß-
folgerungen” gezeigt wird, ist auf dieser Basis eine weitere Differenzierung möglich, nämlich abhängig
von der Art der Innovation (Entlehnung, Neubildung mit ererbtem Material, semantische
Verschiebung). Im Fall der semantischen Verschiebung ist das funktionale Prinzip von KURYºOWICZ
(1956, S. 12 ff.; vgl. 1964, S. 11) in die Betrachtungen einzubeziehen, wonach eine Form häufig in
ihrer Hauptfunktion durch eine andere Form ersetzt wird, während sie in einer Nebenfunktion erhalten
bleibt (vgl. SCHMIDT ebd.; 1976a, S. 335 f.). Diese ursprünglich für den Bereich der Flexion geltende
Beobachtung läßt sich durchaus auch auf andere sprachliche Ebenen – wie das Lexikon – übertragen.
Daraus ergibt sich als eine weitere Untergruppe diejenige der Lexeme, deren Form zwar erhalten,
deren Bedeutung jedoch geneuert worden ist. Eines der Ziele dieser Arbeit besteht darin, den Anteil
der betreffenden Gruppen am GWS zu ermitteln.
1 Unter “proto-keltisch” (proto-kelt.) wird hier die aus den belegten keltischen Sprachen rekonstruierte keltische
Grundsprache verstanden; unter “proto-indogermanisch” (proto-idg.) die aus den belegten indogermanischen
Einzelsprachen rekonstruierte Grundsprache. Die so gewonnenen Proto-Sprachen werden damit eindeutig als
theoretische Rekonstrukte gekennzeichnet, die zwar mit dem Ziel gewonnen wurden, historische Realität
widerzuspiegeln, die diesem Anspruch jedoch nicht notwendigerweise genügen. Entsprechend werden
Elemente von Proto-Sprachen – wie allgemein üblich – durch Davorstellen eines Asterisks (*) als rekon-
struierte Formen gekennzeichnet. Demgegenüber werden die Bezeichnungen “keltisch” (kelt.) bzw. “indo-
germanisch” (idg.) als Oberbegriffe für belegte Sprachformen der jeweiligen Gruppe verwendet.
2 S. die vorangehende Fußnote.
3 Eine Beschreibung verschiedener Typen von Ersatzbildungen im Bereich des Lexikons bietet WACHTER
1998, vgl. beS. die Zusammenfassung ebd. S. 207.
4 Zur Frage vorkeltischer Substrate vgl. z.B. K.H. SCHMIDT 1990b, S. 190 f.
5 Diese Kriterien lassen sich selbstverständlich auch auf alle anderen Sprachzweige und -familien anwenden.
4
Einleitung
Unter “Keltisch” ist eine Gruppe von Sprachen zu verstehen, die durch ein Bündel gemeinsamer
Merkmale (die auf verschiedenen Sprachebenen angesiedelt sind) definiert sind und sich in diesen
Merkmalen von anderen idg. Sprachen unterscheiden (vgl. RUSSELL 1995b, S. 10 ff.; SCHMIDT
1976a, S. 330 zur Definition von “Common Celtic”). Das wichtigste dieser Merkmale ist der Schwund
von proto-idg. *p. Weitere Merkmale hat das Keltische mit anderen Sprachfamilien gemeinsam
(S. unten).
Was die Stellung des Keltischen innerhalb der indogermanischen Sprachen betrifft, so sind neben (a)
Archaismen auch (b) verschiedene Neuerungen (auf verschiedenen Sprachebenen) auszumachen, die
das Keltische mit verschiedenen anderen idg. Sprachzweigen teilt und die zu unterschiedlichen Zeiten
eingetreten sein müssen (vgl. z.B. die Zusammenstellung bei SCHMIDT 1992, S. 69 ff.; 1996), z.B:.
(a)
– die Bewahrung der Femininformen bei den Zahlwörtern ‘3’, ‘4’ im Air. und in den brit. Sprachen
(sonst nur im Indoiran. erhalten);
– die Bewahrung des Relativstamms *io- (gegenüber der Verwendung des Interrogativstamms *kwo-
als Relativpronomen, wie z.B. im Anatolischen);6
– die Bewahrung der Unterscheidung von proto-idg. *o und *a;7
(b)
– Zusammenfall der proto-idg. Palatale mit den Velaren (Isoglosse mit anderen Centum-Sprachen);
– Zusammenfall von Mediae und Mediae aspiratae in Mediae (Isoglosse mit Iranisch, Baltisch,
Slavisch, Albanisch) – mit Ausnahme der Labiovelare, die im Kelt. unterschieden bleiben;
– Assimilation *p…kw > *kw…kw (Isoglosse mit Italisch)8;
– Superlativ auf *-is(cid:1)mo- (Isoglosse mit Italisch);
– Bildungsweise des sog. “s-Futurs” im Air. (Isoglosse mit Indoiranisch);9
– Futur auf *-sye/o- im FLK (Isoglosse mit ostidg. Sprachen);
– gemeinsame lexikalische Neuerungen, z.B.:
(a) die Einführung von *teut~ ‘Volk’, *mori ‘Meer’ im Sinne von KRAHEs “Alteuropa”-Hypothese
(Isoglosse mit Italisch, Germanisch, Illyrisch, Baltisch);
(b) keltisch-italisch-germanische Gemeinsamkeiten, z.B. *wiros (mit kurzem 0; vgl. die Ausfüh-
rungen unten s.v. ‘man’);
(c) Keltisch-Germanische Gemeinsamkeiten, z.B. die semantische Weiterentwicklung von proto-
idg. *oitos ‘Gang’ > ‘Eid’
(Merkmale nach SCHMIDT 1992, S. 71, jedoch mit anderer Anordnung). Im Falle der Archaismen (a)
ist die sogenannte Marginaltheorie in die Betrachtungen einzubeziehen, derzufolge ältere Merkmale
eher am Rande eines Sprachareals erhalten bleiben als in dessen Zentrum, in dem sich Neuerungen
eher durchsetzen (MEILLET 1908, S. 38; BARTOLI 1925; BONFANTE, Word 28 (1977), S. 6 ff.; vgl.
SCHMIDT 1998, S. 30 ff.). Nach VENDRYES, MSL 20 (1918), S. 265 ff. ist das Keltische innerhalb
des Idg. als Marginalsprache zu betrachten (ebenso DILLON 1973; vgl. SCHMIDT ebd., S. 33 f.).
Bei den unter (b) angeführten Kriterien ist stets zu fragen, ob es sich um gemeinsame Neuerungen der
genannten Sprachen oder um zufällig eingetretene (weil naheliegende) konvergente Entwicklungen
handelt – die letztere Interpretation ist z.B. im Falle des Zusammenfalls Mediae / Mediae aspiratae
6 Dieses Merkmal wird von SCHMIDT ebd. als Neuerung gewertet; m.E. kann es jedoch ebenso als Archaismus
interpretiert werden.
7 Dieses Merkmal ist hier unter den Archaismen aufgeführt – ebenfalls abweichend von SCHMIDT ebd., wo es
unter den Neuerungen rangiert, was jedoch in Widerspruch zum Prinzip von LESKIEN steht (SCHMIDT ebd.,
S. 76; vgl. die Ausführungen unten), da “fehlender Zusammenfall” nicht als positives Merkmal gewertet
werden kann.
8 Wie WATKINS 1966, S. 33 ff. gezeigt hat, ist diese Isoglosse nicht als gemeinsame Neuerung zu werten,
sondern als unabhängig voneinander vollzogene (konvergente) Entwicklung (vgl. RUSSELL 1995b, S. 19 f.).
9 Vgl. GOI, S. 414 f.: Das air. s-Futur entspricht formal den ai. Desiderativbildungen (gekennzeichnet durch
Reduplikation mit Vokal -i-, Schwundstufe der Wurzel, Formans -s- bei Wurzeln auf Verschlußlaut und
thematische Flexion).
5
Einleitung
vorzuziehen. Darüber hinaus sind als “gemeinsame Neuerungen” nur solche Merkmale zu fassen, die
dem Prinzip von LESKIEN genügen: “Die Kriterien einer engeren Gemeinschaft können nur in
positiven Uebereinstimmungen der betreffenden Sprachen, die zugleich Abweichungen von den
übrigen sind, gefunden werden.” (LESKIEN 1876, S. VII).
Zur Ausgliederung der verschiedenen idg. Einzelsprachen aus dem Proto-Idg. gibt es verschiedene
Modelle (vgl. die zusammenfassende Diskussion bei SCHMIDT 1998, S. 31 ff.; 34 ff.), z.B.:
- die sog. “Indo-Hittite”-Hypothese, wonach das Anatolische sich von einer Vorstufe des Proto-Idg.
abspaltete, während die übrigen Sprachen sich eine Zeitlang gemeinsam weiterentwickelten (nach
FORRER 1921, S. 26 ff.; STURTEVANT, Lg. 38 (1962), S. 105 ff.; derS. 1964, S. 106);
- das hauptsächlich auf dem Indoiran. und Griech. basierende Modell des Proto-Idg. (nach
HOFFMANN, MSS 28 (1970), S. 540);
- das sog. “raumzeitliche Rahmenmodell” von MEID 1975, S. 205.
Ob die vorliegende Arbeit einen Beitrag im Rahmen dieser Diskussion zu leisten vermag, wird im
Kapitel “Ergebnisse und Schlußfolgerungen” besprochen.
ELSIE 1979, S. 166; 1990, S. 318 ff. hat für das (britannische) Keltische versucht, die relative Nähe
der Verwandtschaft zu anderen idg. Sprachzweigen auf der Basis des Lexikons zu bestimmen, und
zwar mittels einer statistischen Untersuchung, wieviele der Wurzeln des (1979 von ihm untersuchten)
brit. GWS in anderen idg. Sprachzweigen vertreten sind. Dabei hat er folgende Rangfolge ermittelt
(1979, S. 163):
1. Germanisch (61,0 %)
2. (Lat.) Italisch (55,2 %)
3. Indoiranisch (52,3 %)
4. Griechisch (50,9 %)
5. Baltisch (45,0 %)
6. Slavisch (43,0 %)
7. Armenisch (34,9 %)
8. Albanisch (25,6 %)
9. Tocharisch (21,5 %)
10. Hethitisch (14,0 %)
Diese Ergebnisse, die auf eine relativ große Nähe des Keltischen zum Germanischen und auch
Italischen hinweisen, scheinen die Auffassung PORZIGS zu bestätigen, daß in einer Spätphase des
Proto-Idg eine dialektale Nähe der Vorstufen dieser drei Sprachzweige (“West-Idg.”) auszumachen sei
(1954, S. 215; vgl. K.H. SCHMIDT 1996; ELSIE 1979, S. 167).10
Die Methode ist allerdings aus mehreren Gründen mit Vorsicht anzuwenden:
- Aufgrund der unterschiedlichen Belegsituation der verschiedenen Sprachzweige kann diese
Untersuchung die realen Verwandtschaftsverhältnisse höchstens annähend widerspiegeln, wie
ELSIE ebd. (S. 152) selbst einräumt.
- Des weiteren ist das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein von Wurzeln in bestimmten Sprach-
zweigen m.E. ein untaugliches Instrument zur direkten Messung von Sprachverwandtschaft, da es
weder die Arten der Weiterbildung11 noch die Semantik berücksichtigt.
Dieselben Vorbehalte sind auch gegenüber der Methode von BIRD 1982 einzuwenden, der auf der
Basis der gesamten in IEW enthaltenen Belege die Verteilung von proto-idg. Wurzeln auf idg. Sprach-
zweige statistisch erfaßt hat. Die auf diese Weise ermittelten Zahlenwerte für Übereinstimmungen
10 Wie K.H. SCHMIDT ebd. ausführt, geht die Idee eines sog. “West-Idg.” zurück auf LOTTNER, KZ 7 (1858),
S. 18 ff., 161 ff.; KSB 2 (1861), S. 309 ff.; EBEL, KSB 2 (1861), S. 137 ff.; J. SCHMIDT 1872, S. 25 und
wurde u.a. von MEILLET 1908, S. 131 wieder aufgegriffen. – Die Idee einer besonders engen Verwandtschaft
zwischen Keltisch und Germanisch wurde bereits von ZEUSS 1837, S. 193 formuliert (vgl. K.H. SCHMIDT
ebd.).
11 Vgl. die ausführliche Beschreibung verschiedener Wortbildungstypen des Proto-Idg. bei SPECHT 1944. –
Auch LEHMANN 1993, S. 241, 245 weist darauf hin, daß für das Proto-Idg. der Begriff “Wurzel” eher eine
abstrakte Einheit darstellt als ein tatsächliches Bildungselement der Sprache, und daß wir von frühester Zeit an
vornehmlich mit weitergebildeten Stämmen (die er “principal parts” nennt, ebd. S. 241) zu tun haben –
zumindest gilt dies für den Bereich des Nomens.
6
Einleitung
zwischen verschiedenen Sprachzweigen weisen für das Keltische ebenfalls den höchsten Wert in
bezug auf das Germanische auf (ebd. S. 119).
Sinnvoller erscheint die Bestimmung von Verwandtschaftsgraden aufgrund von Wortgleichungen,
wobei auch der semantische Aspekt zu berücksichtigen ist. Dies tut ELSIE 1979, S. 161 und findet
allerdings auch hier die größte Anzahl von Isoglossen zwischen dem (brit.) Keltischen und dem
Germanischen. Mit dieser Methode kann auch die relative Nähe zu weniger gut belegten Sprachen /
Sprachzweigen bestimmt werden, indem man nämlich nur solche semantischen Konzepte in die
Untersuchung einbezieht, die in allen zu vergleichenden Sprachen belegt sind.
Über die Stellung des goidelischen Sprachzweigs innerhalb der keltischen Sprachen herrscht seit
geraumer Zeit Uneinigkeit: Dem eher traditionellen Ausgliederungsmodell, demzufolge das Goide-
lische relativ früh aus dem Proto-Kelt. ausgegliedert wurde, während das Gallo-Britannische noch eine
Zeitlang als Einheit erhalten blieb (was gemäß der o.g. Marginaltheorie eine Tendenz zur Erhaltung
von Archaismen im Goidel. implizieren würde), steht ein Modell gegenüber, das eine zeitweilige Einheit
der inselkeltischen Sprachen (Goidelisch und Britannisch) mit gemeinsamen Neuerungen gegenüber
dem Festlandkeltischen, also auch dem Gallischen, favorisiert. Die erstere Richtung wird u.a. vertreten
von K.H. SCHMIDT (vgl. z.B. SCHMIDT 1976a; 1988; 1990a; 1992, S. 71 ff.; 2001, S. 598),
FLEURIOT, KOCH, LAMBERT, LEJEUNE; die letztere Richtung u.a. von McCONE (vgl. z.B. McCONE
2001) und SCHRIJVER (vgl. den Überblick über die Diskussion bei RUSSELL 1995b, S. 14 ff.; MEID,
Kratylos 43 (1998), S. 1 f.; WATKINS 1999; 1999a).
Es wäre nun denkbar, daß aus der Untersuchung des Grundwortschatzes Hinweise auf die Verwandt-
schaftsgrade gewonnen werden könnten. Somit ergibt sich als ein weiteres Ziel der vorliegenden
Arbeit, derartige Hinweise zu ermitteln. Insbesondere soll dies durch die Gegenüberstellung der hier
gewonnenen Ergebnisse mit denen von ELSIE (1979 und 1983/84) zum Grundwortschatz des
Britannischen geschehen. ELSIE 1979 konnte in dieser Frage naturgemäß nur wenig beitragen, da
seine Untersuchung sich auf das Brit. beschränkt. Indem er feststellt, daß 85 % der “Wurzel-
morpheme” des brit. GWS auch im Goidel. vorhanden sind (ebd. S. 164), kann er lediglich auf enge
Verwandtschaft im Rahmen des Keltischen (“high degree of linguistic unity of Celtic“) schließen.
Eine differenziertere Aussage über den Verwandtschaftsgrad kann naturgemäß nur durch eine
Gegenüberstellung mit dem Festlandkeltischen (FLK) erfolgen – dieses jedoch ist aufgrund seiner
fragmentarischen Überlieferung für diesen Zweck nicht sonderlich geeignet (vgl. SCHMIDT 1992,
S. 71 f.; ELSIE 1979, S. 165). Für eine absolute Bewertung sollten daher (a) nur jene Belege in
Betracht gezogen werden, für die eine Entsprechung im FLK belegt ist, und (b) sollte dies nur dann
erfolgen, wenn für ebendiese Entsprechung eine Aussage in bezug auf den Grad der semantischen
Markiertheit getroffen werden kann. Versuchsweise wurde im Rahmen dieser Arbeit das bei BILLY
1993, S. 167 ff. angegebene “gallische” Vokabular (das teilweise aus rekonstruierten Formen besteht
und dessen Bedeutung nicht immer klar ist) als “unmarkierte Bezeichnung” in die Übersichtstabellen
am Ende der Lemmata eingetragen; bei der Bewertung dieser Belege muß man sich der
beschriebenen Problematik jedoch immer bewußt sein.
Unter “Altirisch” wird hier – wie allgemein üblich – primär die Sprache der Bibelglossen des 8.-9.
Jahrhunderts verstanden;12 sodann jene Schichten der Sagen-, Rechts- und sonstigen Literatur, die
zwar in Handschriften jüngeren Datums überliefert sind, deren Urfassung aber aufgrund sprachlicher
Kriterien auf den erwähnten Zeitraum zurückzuführen ist.
Das hier verwendete Wortmaterial und dessen Quellen sind – wo nicht anders gekennzeichnet – dem
Wörterbuch des Altirischen (DIL) entnommen.
Unter “Grundwortschatz” wird eine feststehende Liste von Begriffen verstanden, die in allen Sprachen
der Welt sehr häufig gebraucht werden bzw. für die ein relativ häufiger Gebrauch auf universaler
Ebene postuliert wird, und zwar unabhängig vom kulturellen Umfeld. Damit verbunden ist die
Lehrmeinung, daß die Elemente des Grundwortschatzes tendenziell gegenüber Fremdeinflüssen
12 Eine Auflistung der relevanten Quellen findet sich in GOI, S. 4 ff.
7
Einleitung
resistenter sind als andere Wörter, da die häufige Verwendung zur Stabilisierung13 beiträgt (MEILLET
1921, S. 159 ff.)14.
Die Konzeption eines derartigen Grundwortschatzes setzt allerdings die Verwendung universal einheit-
licher semantischer Konzepte voraus – was in der Praxis keineswegs gegeben ist (vgl. HAARMANN
1990, S. 27 ff.). Unter diesem Vorbehalt läßt sich eine theoretische Grundwortschatzliste dennoch als
Hilfsmittel einsetzen, wenn es darum geht, die oben genannten Zielsetzungen zu verfolgen.
Notwendige Einschränkungen werden im Hauptteil dieser Arbeit unter dem jeweiligen Lemma
beschrieben.
Die systematische Erstellung von Grundwortschatzlisten (“basic core vocabulary”) wurde in den 50er
Jahren unter dem Aspekt der Glottochronologie bzw. Lexikostatistik betrieben (SWADESH 1950, 1955;
FODOR 1961; DYEN 1964) mit dem Ziel, durch Vergleich der Listen den Verwandtschaftsgrad
verschiedener Sprachen zu bestimmen. Der ursprüngliche Anspruch der Glottochronologie,
bestimmten prozentualen Graden von Übereinstimmung absolute Zeitwerte divergenter
Sprachentwicklung zuzuordnen, wurde bald wieder aufgegeben; als Instrument zur Bestimmung
relativer Sprachverwandtschaft sind die Listen jedoch nach wie vor von Nutzen.15 Diese Meinung wird
auch von LEHMANN vertreten: “Applied with care, ... the method of glottochronology may provide
additional insights into ... interrelationships.” (LEHMANN 1993, S. 37)16.
Im Bereich der indogermanischen Sprachen wurden bislang u.a. Grundwortschatz-Untersuchungen
angestellt für die slavischen Sprachen (FODOR 1961, S. 297 ff.), das Ossetische (BIELMEIER 1977),
die baltischen Sprachen (LANSZWEERT 1984) und die britannischen Sprachen (ELSIE 1979 und
1983/84). Insbesondere auf die letztere Untersuchung wird – wie schon erwähnt – im Rahmen der
vorliegenden Arbeit besonders Bezug genommen, da nunmehr die Befunde für die beiden wichtigsten
Zweige des Keltischen miteinander verglichen werden können.
13 “Stabilisierung” bezieht sich hierbei auf die dauerhafte Verwendung eines Wortes in einer bestimmten
Bedeutung, jedoch nicht auf die lautliche Gestalt des betreffenden Wortes, da diese gerade bei häufigem
Gebrauch eher zu Veränderungen neigt (vgl. BYBEE 2002, S. 59; nach SCHUCHARDT 1885, S. 26).
14 MEILLET ebd. verwendet noch nicht den Begriff “Grundwortschatz”.
15 Zur allgemeinen Kritik am Konzept des GWS vgl. BIELMEIER 1977, S. 51 ff. – Zum Aussagewert der
mathematischen Analyse von Isoglossenlisten für die Bestimmung von Sprachverwandtschaft S. zuletzt
HOLM, IF 108 (2003), S. 38. – Vgl. auch die Bestandsaufnahme durch EMBLETON 1991.
16 In diesem Zusammenhang ist auch die Untersuchung von DOLGOPOLSKY 1986 zu nennen, der anhand des
idg. Materials von BUCK 1949 zunächst eine Liste der 15 stabilsten semantischen Konzepte erstellt und diese
Liste sodann verwendet, um gewisse Grade von Verwandtschaft zwischen Sprachfamilien der sog.
“nostratischen” Gruppe zu ermitteln. Diese Liste – geordnet nach Stabilitätsgraden – lautet wie folgt:
1. “First person marker”
2. ‘2’
3. “Second person marker”
4. ‘who’, ‘what’
5. ‘tongue’
6. ‘name’
7. ‘eye’
8. ‘heart’
9. ‘tooth’
10. “Verbal NEG”
11. ‘finger/toe nail’
12. ‘louse’
13. ‘tear’ (noun)
14. ‘water’
15. ‘dead’
Die meisten dieser Konzepte (alle bis auf ‘tear’ und ‘dead’) sind auch in der hier zugrundegelegten 100-Wort-
Liste von Swadesh enthalten und werden entsprechend im Hauptteil (“Index”) behandelt.
Des weiteren sind die Forschungsberichte von BLUST 1990 (zu den Verwandtschaftsverhältnissen innerhalb
der austronesischen Sprachfamilie) und DIXON 1990 (zu den australischen Sprachen) zu erwähnen, die
ebenfalls die Methode der Lexikostatistik verwenden.
8
Einleitung
Als Basis der vorliegenden Untersuchung wurde die 100-Wort-Liste nach SWADESH 1955 verwendet.
Da ELSIE 1983/84 die Elemente dieser Liste ebenfalls gesondert markiert aufführt, ist ein direkter
Vergleich möglich.
Die Liste umfaßt folgende Begriffe:
all dog green meat round this
ashes drink hair moon sand thou
bark dry hand mountain say tongue
belly ear head mouse see tooth
big earth hear mouth seed tree
bird eat heart name sit two
bite egg horn neck skin walk
black eye I new sleep warm
blood fat kill night small water
bone feather knee nose smoke we
breast fire know not stand what
burn fish leaf one star white
claw fly lie person stone who
cloud foot liver rain sun woman
cold full long red swim yellow
come give louse road tail
die good man root that
9
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
Neben den nachfolgend aufgelisteten Abkürzungen werden auch diejenigen des DIL verwendet
(s. DIL, S. vii f.).
abg. altbulgarisch gallorom. galloromanisch
abret. altbretonisch geg. gegisch
abrit. altbritannnisch Gen. Genitiv
Acc. Akkusativ germ. germanisch
acorn. altcornisch gl. glossiert
adj. Adjektiv GN Göttername
ae. altenglisch goidel. goidelisch
afrz. altfranzösisch got. gotisch
ags. angelsächsisch gr. griechisch
ahd. althochdeutsch GWS Grundwortschatz
ai. altindisch heth. hethitisch
air. altirisch hier.-heth. Hieroglyphen-hethitisch
aisl. altisländisch hier.-luw. Hieroglyphen-luwisch
aks. altkirchenslavisch, keil.-luw. Keilschrift-luwisch
altbulgarisch hom. homerisch
akymr. altkymrisch idg. indogermanisch
alat. altlateinisch IK inselkeltisch
alb. albanisch Imper. Imperativ
an. altnordisch Impf. Imperfekt
and. altniederdeutsch Ind. Indikativ
anorw. altnorwegisch indef. indefinit
apers. altpersisch indekl. indeklinabel
apoln. altpolnisch indoiran. indoiranisch
apr. altpreußisch Inf. Infinitiv
arab. arabisch inf. Pron. infigiertes Pronomen
arm. armenisch ital. italisch
as. altsächsisch italien. italienisch
aserb. altserbisch Inst. Instrumental
avest. avestisch Is. Inschrift
bask. baskisch javest. jungavestisch
Bed. Bedeutung kat. katalanisch
bret. bretonisch (= Neubretonisch, Kaus. Kausativ
wo nicht anders bezeichnet) kelt. keltisch
brit. britannisch kib. keltiberisch
bulg. bulgarisch Komp. Kompositum/-a
coll. kollektiv Kompar. Komparativ
corn. cornisch Konj. Konjunktiv
Dat. Dativ ksl. kirchenslavisch
Dem.-pron. Demonstrativpronomen kymr. kymrisch (= Neukymrisch, wo
Denom. Denominativum nicht anders bezeichnet)
dial. dialektal lat. lateinisch
Dim. Diminutiv lep. lepontisch
dt. deutsch lett. lettisch
Du. Dual lit. (Sprache:) litauisch
engl. englisch lit. (Sprachgebrauch:) literarisch
enkl., enklit. enklitisch Lok. Lokativ
Equ. Equativ LW Lehnwort
f-~ femininer ~-Stamm luw. luwisch
f-i femininer i-Stamm m-n maskuliner n-Stamm
f-u femininer u-Stamm m-o maskuliner o-Stamm
Fem. Femininum m-u maskuliner u-Stamm
finn. finnisch Masc. Maskulinum
FLK festlandkeltisch mbret. mittelbretonisch
Fl.N Flußname mcorn. mittelcornisch
frz. französisch mkymr. mittelkymrisch
gall. gallisch