Table Of ContentVerlag von J. F. Bergmann, Monehen und Wiesbaden.
Von demselben Verfasser er!lchienen im gleichen Verlage:
Die Ohrenheilkunde des Hippokrates.
M. -.6o.
Wesen und Wert der homerischen Heilkunde.
M. -.Bo.
Das homerische Tiersystem und seine Bedeutung
für die zoologisehe Systematik des Aristoteles.
M. I.JO.
Erinnerungen eines deutschen Arztes und Hoch
schullehrers. 1858-1914. Mit 9 Bildnissen. M. 2r.-,
geb. M. 28.-.
DER
EID DES HIPPOKRATES.
VORTRAG
GEHALTEN IM
DOZENTENVEREIN DER UNIVERSITÄT ROSTOCK
AM n. FEBRUAR 1921
VON
DR. OTTO KÖRNER
GEHEIMER MEDIZINALRAT, O. ü. PROFESSOR DER MEDIZIN UND DIREKTOR DER OHREN•
UND KEHLKOPFKLINIK IN ROSTOCK.
SPRINGER-YERLAG BERLIN HElDEiBERG GMBH
1921.
Nachdruck verboten.
Übersetzungen, auch ins Ungarische, vorbehalten.
ISBN 978-3-662-29885-5 ISBN 978-3-662-30029-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-30029-9
Die unter dem Namen des Hippakrates uns überkom
mene Schriftensammlung enthält ein hodegetisches Stück mit
grassartiger Auffassung vom Lehren und Ausüben der Heil
kunde, den sogenannten hippokratischen oder Asklepiadeneid.
'rn ihm ist uns ein Kulturdokument von höchstem Werte
erhalten, denn er gibt Nachricht über Verfassung und Lehr
tätigkeit der alten griechischen Ärztegenossenschaft der As
klepiaden und lehrt uns die sittlichen Pflichten kennen, welche
sich die Mitglieder dieser Gilde im beruflichen Verkehr mit
den Kranken auferlegten.
Der Eid ist oft übersetzt worden: zunächst ins Lateinische,
solange dieses die Gelehrtensprache war, und dann in alle
Kultursprachen. Unter den lateinischen Übersetzungen wird
die des Rostocker Professors Janus Cornarius (r) aus der
ersten Hälfte des r6. Jahrhunderts von den späteren latein
schreibenden Autoren unverändert übernommen. Vonneueren
Übersetzungen sind am bekanntesten die französische von
Litt re (2) 1844 und die deutsche von Fuchs (3) r8gs; noch
andere werden später zu nennen sein.
Was nun die Zuverlässigkeit der vorhandenen Über
setzungen des Eides betrifft, so finden wir an zwei Stellen,
darunter an einer von höchster Wichtigkeit, schroffe Wider
sprüche zwischen verschiedenen Übersetzern, die merkwür
digerweise bis jetzt nicht nur den Übersetzern selber, sondern
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auch den Erklärern entgangen zu sein scheinen, ein Beweis,
wie gering noch die Bemühungen waren, zu einem guten V er
ständnis des Eides zu gelangen. Ich werde darauf zurück
kommen und gebe zunächst die Übersetzung neben dem
Text (4) so, wie sie mir richtig zu sem scheint:
"O,uvwu 'AnoV..wva l'YjrQOV xai "Ich schwöre bet" Apollon
'Aaxl."'mov xai 'Yyelav xai llat: dem Arzte, bet" Asklepzos,
axatav xat :iwv!; nav'l"a~ n xai Hygiez"a und Panakeia, und
n&aa~, W'l"O(la~ notEVftEv~, bn rufe alle Gi/tter und Giit!z"-m7en
nUa noti;auv xani Jvvatuv xai zu Zeug·en , dass tch dtesf'tl
XQtOtll ittfJv Öf!XOV 'l"ovoe xat ovy meznen Eza und dzese metne
')'Qacpfjv 'Cf;vde. Verjjlzchtung nach Vermögen
und Ez.nszcizt nf/lllen wrrdc:
'Hyf;oao:Jat 1tiv 'Cov ouJ&gand ,Jch will meinf'n Lehrer
'fTJv
f1F. 'CEXV1)V 'l"aV'C1)V ioa yevifn tn dt"eser Iümst meinf'11 Eltern
Otll ittoiat xai (Jlov xotvwaao:iat glezchachten, das j'\Totwendt"ge
xat X(!EWV 'XQt;i,ovu ftE'l"adnmv zin Leben mz"t ihm tet"len, tnm
notf;aao.ftat, xal. yivn~ 'Co e; au:f Verlangen gewiihren, wesse11
aV'COV dJp).(fOi{; tOOV EntX(IIVEiv er bedarf, seine Nachkommen
UQ(!EC1l xat oto&;etv 'CTJV 'CE'XVT,V gletdz mezizen Brüdern halteu
-cav''I'J"• t)v XQ'I'Ji,wm ttav.:Jdvw,, und sze ohne Entgelt und ohne
avw 111 o:iov xal, ovyyQacpij~·, 1raQar Verpjlichtungsschetn unter
ye).ir;~ u xat dxQof;mo~ xal. 'Cij~ richten, <oenn sie dt"rsc I\unst
).omij!; ändor;~ tta.:Jf;ow~ f1E'Ca erlernen wollen. Dif' Vor
c1oow nntf;oao.:Jat vwioi '&8 ittoir,; seitriften, dze Vorträge und
xai -cnir,; 'Cov itti otodsavw~ xat den ganzm übrigen Lernstofl
,ua.:Jr,t;fjOt avyyey(!attivotai 'CE xai zot/1 zch meznett und metnes
c])(!XLOpEVOL{; voprp L1)'C(!tXi[J, äUlJI Lehrers Söhnen, soz11ie den etiz
Öe CYMFvi. getragenen und auf das ärzt
ltche Gesetz verp/ltchteten
Schülern mzttdlen, sonst aber
niemandem.
5
dtat-rfutaal n xefJaottat En' "Ich wztl das Hezlveifahren
cbpeleln xattt~ot~"lwv xaul övt~afttll nach Vermo'gett und Ezizszcht
xat xelott~ ittTJII, ini or;lljoet oE zum Nutzen der Kranken an
xat Mucin eiesett~. ordnen, und Gefährdung und
Schädz'gung von ihnen ab-
welzren.
Ov owow OE ovoe tpd(!fiO"-OV ,,Ich wt'll keinem, der es
ovoevt aln;.:tel!O .:fat~datflO'II ovoe verlangt, ein tö"dltches ll1ittel
bpr;riJoopat avp(Jovllr;t~ -rotljt~oe · geben, noch sez'n Vorhaben mit
Öpolwf> ÖE OVOE yvJiaUct neaaov Ratschlägen unterstützen, auclt
p.:toetov owaw. dYt~wf; ÖE xat wzll ich kezitem Wezoe ein
öalw10 Öta1;r;q/Jaw (Jiov -rov ittov fruchtabtrezoendes Zäjfchm
xal -rixvnv -r1Jv ipfJv. geben, (denn) ohne Fehl und
unbescholten wt"ll zch leben und
mezne Kunst ausüben.
ov
npiw ÖE oME 11i'Jv lt ,,Ich wt'll bez· Steznkrankm
.:ftwt~"la(;, ixxwqljaw oE iQyd'(;natv unter keinen Umständen de11
dvoqaat nefJscog '(;iJaöe. Schnitt machen, sondern das
den Männern überlassen, deren
Beruf es t"st.
'E"; ulxla~ oe öxoaa!O liv ialw, " Wolu1t ICh auch ko1/t1/l{',
iaeJ.evaottat in' cbpeJ.ein xapt~ov- will z'ch zum Hetle der Kranken
-rwt~, ix-ro10 iciw ndar;10 d.Otxlr;~ in die .IIäuser gelten, frei vott
hcoval'ljf; xal p.:toqir;!O, 1;ij10 n jeder S chädt'gungsabszi:ht und
dUr;i> xat dreoötalwt~ eeywt~ ini Kränkung, und frez: wze von
1;e ,-wauceiwv owpd-rwv xat dv- jedem anderen Laster, so auch
öqc{Jwt~, elev.:IE(!WII -re xat OOVAol.ti:V. von jlet"schlti:lter Lust nach
Frauerz und Männern, Freien
und Sklaven.
·A_ ö6 liv iv :JeQannln 'I} iow " Was zi:h bei der ärztlti:hen
'I} dxovaw, 'I} xal dt~bv .:teQan1Jl1J~> Behandtzmg· selte und ho"re,
xa-ra (J/0'11 dv.&qwnwv, li t•i'J 'X(!TJ oder auch ausserhalb derselben
TT.O"lE ixJ..aJ..eia3at E'gw, Ul'fTJUOfiU.t, im gewö'hnltchm Leben (über
- 6 -
ÜQ~'f)'fa ljysvp~vo~ elvat ni 'fOt- dze Kranken) eifahre, wt"ll zch
als Gelzetimns ansehen und
verschweigen, wenn es nzcht ziz
die Öffentlichket"t gebracht wer
den muss.
"'O(!XOV !tEV oliv flOt -rovoe int "Bldbe zch diesem Ezde treu
'fEUa notiovu, xat pij avyxiwu, ztnd breche zhn nzcht, so möge
E.'b; inav~aa:fat xal. {J/.ov xal. ich ziz Leben und Beru:f glück
'fEXVf}~ oo;a~opivqJ naea naatv lz"ch seziz und bei den Menschelt
dv:l-QWnOtf,; e~ 'fOV alet X(lOVOV. au:f zimtzer geachtet werdell;
oe
na~a{Jaivovn xat ento~XOVV'l t wenn zch tlzn aber mezizndig
'fUVaV'f/.a 'fOVZ"EWV. breche, möge mir das Gegen
tet"l wzdeifahren."
Seitdem man weiss, dass die angeblich hippokratische
·Schriftensammlung aus Aufzeichnungen und Abhandlungen
besteht, die aus verschiedenen Schulen und Zeiten stammen,
hat man darüber gestritten, wann der Eid entstanden sei, und
auch heute noch herrscht keine völlige Übereinstimmung
darüber. Manche halten ihn für vorhippokratisch. Sehr be
achtenswert für die Zeitbestimmung ist es, dass alles, was im
Eide steht, für die Zeit des h ist o ris c h e n Hip po kr ates
Geltung hatte, also auch damals als ärztliches Verfassungs
und Sittengesetz zusammengefasst worden sein kann. P laton (5)
gibt uns Nachriebt über seinen älteren Zeitgenossen Hip p o
krates, wonach dieser von der Insel Kos stammte, dem
Asklepiadengeschlechte angehörte und gegen Honorar seine
Kunst lehrte. Nach dem Eide soll nun der Lehrende von
den Söhnen seines eigenen Lehrers kein Honorar nehmen,
woraus hervorgeht, dass er ein solches von den übrigen
Schülern nehmen durfte, wie es auch Hip p o k rate s nach
PI a t o n s Mitteilung zu tun pflegte. Ferner gab es zur Zeit
des historischen H i p p o k r a t es ärztliche Periodeuten, wie sie
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im Eide mit den Worten gemeint sind: Wohin ich auch
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komme. will ich zum Heile der Kranken in die Häuser gehen",
und einige der besten Schriften des Corpus Hippocraticum
sind von Periodeuten verfasst (7). Endlich findet der Eid
manche Ergänzung in nicht weniger als sechs anderen Stücken
des Corpus Hippocraticum (6), die ebenfalls ärztliche Sitten
lehren enthalten, und dürfte darum der gleichen Zeit ent
stammen wie diese, wohl aber kaum der alexandrinischen Zeit,
denn diese ist nicht mehr fruchtbar an solchen sittlichen Vor
schriften. Für die Entstehung wenigstens eines Teiles des
Eides in alexandrinischer Zeit wurde neuerdings (8) geltend
gemacht, dass die nach Ce 1s u s damals übliche Einteilung
der Heilkunde in Diätetik, Pharmazie und Chirut~gie im Eide
angedeutet sei, weil da Diät, Gifte und Steinschnitt hinter
einander genannt werden. Diese Reihenfolge ist aber in dem
Eide, der nur ethischen Inhalt hat, bedeutungslos und wohl
nur zufallig.
Abgesehen von der Eingangs- und Schlussformel besteht
der Eid aus zwei Teilen.
Der erste Teillehrt uns die Einrichtung und den Zweck
der Genossenschaft kennen, in die der Schwörende eintreten
will. Es ist eine nach aussen hin unabhängige, streng in sich
geschlossene Gesellschaft, die sich nur aus den Söhnen ihrer
Mitglieder und aus eingeschriebenen und durch den Eid ver
pflichteten Schülern ergänzt und ihre Mitglieder durch eine
gegenseitige Hilfs· und Unterstützungspflicht zeitlebens an
einander bindet. Ihre besondere Aufgabe ist das Lehren der
Heilkunde. Es geschieht in drei Lehrgängen, nämlich den
Vorschriften'' (ruJqayyei..b;), worunter vielleicht allgemeine
11
Grundlehren zu verstehen sind, den Vorträgen" (dxe6aat-),
11
die wohl als kritische Erörterungen zu deuten sind, und dem
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"übrigen Lernstoff" (A.omij tuifff}atfö). Dass nur erbberechtigte
und eidlich verpflichtete Schüler zugelassen werden, hat wohl
nur den Zweck, Unwürdige oder Ungeeignete fernzuhalten,
und berechtigt nicht zur Annahme, dass die Lehre der As
klepiaden eine Geheimlehre gewesen sei; soweit sie in der
hippokratischen Schriftensammlung enthalten ist, war sie für
die Öffentlichkeit bestimmt.
Wenn auch die Mitglieder dieser Organisation und dieses
Lehrbetriebs ihre Abstammung (9} auf den Heilgott A s k 1e p i o s
und dessen Ahnherrn Apo 11 o n zurfickführen und deshalb
diese beiden vor allen anderen Göttern anrufen, so finden wir
doch im Eide keinerlei Andeutung eines ärztlichen Priester
tums des Asklepios oder einer Verbindung der Asklepiaden
schule mit einem Asklepiostempel. Der Eid ist ein Laien
eid, kein Priestereid. Was wir von Priester- und Tempel
medizin durch die berühmten Ausgrabungen in Epidauros er
fahre·n haben, ist teils Suggestivbehandlung und Hypnose in
einer klimatisch günstig gelegenen, mit allen Bequemlichkeiten
wie auch Gelegenheiten zu Sport und Theaterbesuch aus
gestatteten Heilstätte, teils grober Priestertrug mit Tempel
schlaf und Traumdeutung und steht in schroffem Gegensatz
zu der auf scharfe Beobachtung begrUndeten und durch klares
Denken geläuterten Erfahrung, die aus den meisten Schriften
des Corpus Hippocraticum hervorleuchtet. Wenn der histo
rische H i,p p o k rate s, wie P 1 a t o n versichert, ein Asklepiade
war, so war er doch kein Asklepiospriester, und jeder V t'r
such, eine Verbindung zwischen Schriften des Corpus Hippo
craticum und Tempelmedizin zu konstruieren, ist bis jetzt ge
scheitert. Der Gegensatz zwischen Laien- und Priestermedizin
schliesst aber nicht aus, dass lehrende Asklepiaden sich neben
HeiligtUmern ihres göttlichen Ahnherrn niedergelassen und
dort die Heilkunst wissenschaftheb und praktisch betrieben
haben. Meyer-Steineg (IO) hat wohl recht, wenn er meint,