Table Of ContentLorenz Pöllmann
Clara Herrmann Hrsg.
Der digitale
Kulturbetrieb
Strategien, Handlungsfelder und Best
Practices des digitalen Kulturmanagements
Der digitale Kulturbetrieb
Lorenz Pöllmann · Clara Herrmann
(Hrsg.)
Der digitale Kulturbetrieb
Strategien, Handlungsfelder
und Best Practices des digitalen
Kulturmanagements
Hrsg.
Lorenz Pöllmann Clara Herrmann
Berlin, Deutschland Berlin, Deutschland
ISBN 978-3-658-24029-5 ISBN 978-3-658-24030-1 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-24030-1
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Beitrag Ellen Euler „Open Access, Open Data und Open Science als wesentliche Pfeiler einer (nachhaltig) erfolg-
reichen digitalen Transformation der Kulturerbeeinrichtungen und des Kulturbetriebes“ veröffentlicht als Open
Access Onlinepublikation mit Heidelberg University Publishing auf ART-Dok 2018, Volltext als pdf: https://doi.
org/10.11588/artdok.00006135, Lizenz: CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Lektorat: Barbara Roscher
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Vorwort
Der digitale Wandel erfasst alle Lebensbereiche der Gesellschaft, Wissenschaft, Wirt-
schaft sowie der Politik und verändert die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten, kom-
munizieren, konsumieren und uns informieren. Auch der Kunst- und Kulturbereich ist in
besonderem Maße betroffen und muss sich strukturell sowie thematisch neu organisieren,
um auf die rasanten Entwicklungen von digitaler Technologie und Internet reagieren zu
können und den Anschluss nicht zu verlieren. Im Spiegel des allumfassenden gesellschaft-
lichen Wandels durchdringt die Digitalisierung auch alle Ebenen sowie Handlungs- und
Wirkungsbereiche des Kulturbetriebs, sei es die künstlerische Arbeit, die Kulturgüter
oder das Management von Kulturbetrieben mit seinen Teilaufgaben wie Marketing,
Finanzierung, Projektmanagement u. a. Neben der internen Organisation verändert sich
insbesondere seine Präsentations- und Vermittlungsarbeit elementar, was zu einer grund-
sätzlichen und nachhaltigen Öffnung und damit auch neuem Selbstverständnis der Institu-
tionen führt.
Einige Museen, Theater und Konzerthäuser arbeiten seit geraumer Zeit bereits verstärkt
an digitalen Strategien und Angeboten, um technische Neuerungen zu integrieren. Ein
neues digitales Kulturmanagement und Know-how ist hier gefordert, das flexibel und agil
auf die Technologien und Dienste reagieren kann, um sie bewerten und kreativ, aber auch
kritisch nutzen zu können. Das „technologische Dilemma“ (Kelly 2010, S. 5), das Kultur-
institutionen und ihre Besucher1 gleichermaßen betrifft, ist in Bezug auf die Digitalisie-
rung beispiellos: Die Adaption der digitalen Technologien durch die Gesellschaft verläuft
im Hinblick auf den Durchdringungsgrad der Lebensbereiche und der Entwicklungs-
geschwindigkeit ungleich radikaler im Vergleich zu anderen neuen technologischen Ent-
wicklungen – sie weist eine bis dato nicht dagewesene Wirkung auf (Jaekel 2017, S. 18).
Nicht nur das exponentielle Wachstum digitaler Technologien stellt Kulturbetriebe vor
enorme Herausforderungen, hinzu kommen auch neue hybride analog-digitale Kultur- und
1Für eine bessere Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf auf die gleichzeitige Verwendung von männ-
licher und weiblicher Sprachform verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für alle
Geschlechter.
V
VI Vorwort
Kommunikationsformen von Besuchern und Usern, die nicht mehr zwischen online und
offline, analog und digital unterscheiden, was neue differenzierte Interaktionsformen zwi-
schen Kulturbetrieb und Besuchern sowie crossmediale Ansätze fordert und die Frage
nach „relevanten Touchpoints“ (Vogelsang 2018, S. 12) zwischen Kulturinstitutionen und
ihren Zielgruppen aufwirft. Neue digitale Geschäftsmodelle, Formen der Kommunikation,
Vermittlung von Kunst und Kultur sowie Potenziale von Virtualität werden in Bezug auf
das Kulturmanagement 2.0 oder Kultur 2.0 bereits seit einiger Zeit diskutiert (Scheurer
und Spiller 2010; Landwehr et al. 2011; Janner et al. 2011; Pöllmann 2013; Hausmann
und Frenzel 2014; Frank 2016). Die wissenschaftliche und praktische Auseinander-
setzung hatte dabei bislang aber vor allem die Digitalisierung von Medien, insbesondere
soziale Medien und User-generated Content im Blick. Dieser Fokus muss in Bezug auf
die Entwicklungen im Bereich Virtual und Augmented Reality sowie Künstliche Intelli-
genz, Robotik und 3-D-Technologie der letzten Jahre erweitert werden, um Einblicke in
die signifikanten Transformationspotenziale, Konzepte und Angebote zu erlangen. Zudem
beeinflusst der digitale Wandel die Inhalte und organisationellen Strukturen von Kultur-
betrieben viel tiefgreifender als bisher angenommen.
Angelehnt an den Begriff der Industrie 4.0 (Blaeser-Benfer und Pollety 2017, S. 20)
ist vereinzelt nun auch von Kultur 4.0 die Rede, wobei sich diese Einordnung vor allem
auf die vernetzte Produktion bezieht bzw. auf Innovationen wie das Internet der Dinge
sowie Smart Homes2 und sich aufgrund des Dienstleistungscharakters der Kulturbetriebe
nicht spiegelbildlich auf diese übertragen lässt. Dennoch spielen vernetzte Strukturen
und die Omnipräsenz des Internet sowie die damit verbundene Veränderung der Lebens-
realität und Konsumgewohnheiten für Kulturbetriebe eine Rolle, die als Smart Places
digitale Erlebniswelten einrichten (Szope 2019). Grundlegend für den vorliegenden
Sammelband ist neben den neuen digitalen Innovationen vor allem die Verschiebung der
Debatte über die Digitalisierung der Medien hin zu einer Debatte um die Digitalisierung
aller Bereiche der Gesellschaft und in Relation dazu auch aller Bereiche der Kultur-
betriebe, wie eingangs bereits erwähnt wurde.
Über die Darstellung von Strategien, Handlungsfeldern und Best Practices möchte
der Sammelband eine erste Bestandsaufnahme des digitalen Kulturbetriebs leisten im
Hinblick auf den Einsatz der in den letzten Jahren neu hinzugekommenen oder weiter-
entwickelten digitalen Technologien und ihrer Potenziale, die unterschiedlichen Kultur-
bereiche sowie denen des Managements, um eine praxisorientierte Übersicht zu digitalen
Möglichkeiten des Kulturmanagements zu bieten. Dazu wurden Autorinnen und Autoren
aus Wissenschaft, Praxis und Kulturpolitik eingeladen aktuelle Themen, Tendenzen und
Projekte zu besprechen mit unterschiedlicher Ausrichtung – entweder ausgehend von der
Technologie, der Strategie eines bestimmten Kulturbetriebs oder umfassender mit Blick
2Als Smart Homes werden Wohnräume bezeichnet, die aufgrund vernetzter Haustechnik und
Haushaltsgeräte eine automatische Steuerung und Interaktion der Geräte ermöglichen, mit dem
Ziel die Lebensqualität der Bewohner zu steigern.
Vorwort VII
auf einen Kultur- und Managementbereich, um ein möglichst vielschichtiges Bild zu
erzeugen, an das die Forschung weiter anknüpfen kann.
Der digitale Wandel vollzieht sich für Kulturbetriebe nicht einheitlich, sondern es
kann von unterschiedlichen Digitalisierungsgraden gesprochen werden. Während sich
die eine Kultureinrichtung noch dem Ausbau der digitalen Infrastruktur und digita-
len Arbeitsplätzen widmet, ist für die andere der Umgang mit virtuellen Welten bereits
selbstverständlicher Teil der digitalen Kulturvermittlungsarbeit. Welche Kompeten-
zen und Ressourcen vorhanden sind, aber auch die Innovationskultur (Simon 2019) der
jeweiligen Institution spielen hier eine entscheidende Rolle. Dabei haben vor allem Wis-
sens- und Kulturerbeeinrichtungen wie Museen, Archive und Bibliotheken in den letzten
Jahren auf die Digitalisierung reagiert und angefangen ihre Sammlungen zu digitalisie-
ren und sie im Netz zu präsentieren, um freie Zugänge zu den Digitalisaten wie Büchern,
Musikstücken, Denkmälern, Filmen u. v. m. zu bieten (Euler und Klimpel 2015; Euler
2019; Weißpflug et al. 2019). Im Vergleich zu anderen Kulturbetrieben verfügen Museen
zudem bereits über digitale Strategien, die sie auf ihren Webseiten veröffentlichen (Gries
2019). Initiativen von Internet-Unternehmen wie Google mit dem Programm Google
Arts and Culture treiben die Digitalisierung des Kulturerbes noch weiter voran und die
Technologie Künstliche Intelligenz wird hier bereits zur Neuordnung der digitalen Daten
eingesetzt. Neben der Kuration und Rezeption wird Maschinenlernen derzeit zudem ver-
mehrt bei der Kreation und Produktion von Kulturgütern und Kunstwerken angewandt,
bringt bemerkenswerte kreative Ergebnisse hervor und ist auf dem besten Weg zur
Standardtechnologie zu werden (Volland 2019; Euler 2019).
Der spielerische und experimentelle Umgang mit Hochkultur mit klarer kulturver-
mittlerischer Perspektive und mit dem Ziel sie neuen Zielgruppen zugänglich zu machen,
ist dabei ein zukunftsweisender Weg für beispielsweise neue offene Ausstellungsformate
(Szope 2019), Angebote im Netz wie Digitorials (Eschenfelder 2019) oder im Hinblick
auf die kreative und partizipative Nachnutzung des digitalen Kulturerbes. Indem digitali-
sierte Materialien von kulturellen Institutionen online frei zur Verfügung gestellt werden,
können sie, über den traditionellen Bildungsauftrag hinaus, Besucher im Sinne demo-
kratischer Teilhabe dazu befähigen (Roh-)Material für die eigene kulturelle Arbeit zu
nutzen (Stalder 2018). Zudem können neue Event-Formate wie Kultur-Hackathons wie-
derum Kulturbetriebe und freie Entwickler, Designer, Coder und Konzepter der Kreativ-
szene im Sinne von Maker-Spaces und Fablabs zusammenbringen und die Entwicklung
von Innovationen auf Basis der digitalisierten Daten vorantreiben (Fischer 2019). Auf
diese Weise ist es Kulturbetrieben möglich den – kritischen – Umgang mit Techniken
und Tools zu lernen und an deren Entwicklung und Gestaltung mitzuwirken, um ihren
Einsatz in der künstlerischen Produktion, der Vermittlung und Kommunikation von der
Kunst und Kultur aus zu denken. Mit dem Erwerb der notwendigen Kompetenzen kann
einer weiteren Monopolisierung von Wissen und zu großen Abhängigkeiten von digita-
len Ökosystemen der Anbieter von Diensten und Technologien entgegengewirkt werden.
Die Integration von Prinzipien wie Open Access, Open Data und Open Science ist hier
VIII Vorwort
grundlegend, um Wissen und Technik offen zu gestalten, teilbar zu machen und dem
Druck von außen, der durch immer neuere digitale Technologien entsteht, zu begegnen.
Zudem werden die eigenen Möglichkeiten kollaborativ und kokreativ im Verbund mit
anderen Kulturinstitutionen weiter ausgeschöpft, Wissen ausgetauscht und Ressourcen
geschont (Euler und Klimpel 2016, S. 10; Euler 2019). Über die Entwicklung eigener
digitaler und auch disruptiver Innovationen in dafür eingerichteten Experimentier- und
Laborräumen und -situationen kann der Transformationsprozess des gesamten Betriebs
angestoßen (Eschenfelder 2019; Euler 2019; Simon 2019; Szope 2019) und digitales
Denken oder Digital Literacy (Stahl und Walter 2019) nachhaltig implementiert wer-
den. Integrative Ansätze, bei denen Bildung, Vermittlung, Marketing und zum Teil auch
wissenschaftliche Forschung einbezogen werden, sind bei der Entwicklung der neuen
Angebote dabei notwendig, nicht nur um das interdisziplinäre Arbeitsfeld zu beherrschen
und die Zielgruppen adäquat zu erreichen, sondern auch um digitale Expertise in allen
Abteilungen des Kulturbetriebs zu verankern (Eschenfelder 2019).
Aber nicht nur über die Entwicklungen von digitalen Angeboten und einer Anbindung
an die Maker-Kultur der Kreativszene kann der digitale Wandel von Kulturbetrieben
vorangetrieben werden. Auch Künstlerinnen und Künstler experimentieren mit digitalen
Technologien und Themen und stoßen damit Veränderungsprozesse beispielsweise in der
Ausstellungspraxis an. Sie bieten andere kreative und kritische Perspektiven (Herrmann
2018) und damit verbunden eine Reflektion der Digitalisierung, die gesellschaftliche
Fragen und insofern auch den Menschen wieder ins Zentrum rückt. Vor allem Internet-
künstler thematisieren seit der Entwicklung des World Wide Web die Gefahren, die sich
aus der Macht der Internet-Konzerne, aus Überwachung und Abhängigkeiten von Medien
ergeben (Baumgärtel 2017). Und nicht zuletzt seit der Errichtung sozialer Verhaltens-
datenbanken, wie es in China der Fall ist, scheinen einige Dystopien bereits wahr zu
werden, was eine digitale Ethik und digitale Menschenrechte fordert (Berners-Lee 2017,
S. 75). Mit neuen Programmen, Plattformen und Applikationen verändert sich das Netz
dabei laufend weiter und im Wechselspiel damit auch die Kunst, die sich neuer Techniken
des Remix, Mashup und Resample bedient, wodurch tradierte Modelle von Autorschaft
und Urheberrecht aufgelöst werden (Euler 2019). Künstler nutzen soziale Medien zur
Verbreitung ihrer Arbeiten. Dabei verschwimmen die Grenzen von Kommunikation und
Kunst zunehmend: Einerseits können Künstler als Influencer die Kommunikationspolitik
eines Kulturbetriebs unterstützen. Andererseits kann die Onlinekommunikation zu einer
virtuellen Erweiterung des Kulturbetriebs beitragen (Pöllmann 2019).
Die Praxis von Künstlern das Internet simultan als Ort der Produktion, Distribution
und Rezeption zu nutzen, stellt Institutionen des etablierten Kunstbetriebs wie Gale-
rien und Museen als Gatekeeper prinzipiell infrage (Herrmann 2019). Jüngst zeigte eine
Guerilla-Kunst-Aktion von Internet-Künstlern im Moma New York, wie die Techno-
logie Augmented Reality nicht nur zur Vermittlung in Kunstmuseen eingesetzt wer-
den kann, sondern auch die Ausstellungsräume der großen Häuser demokratisiert.
Über eine App konnte eine zweite Ausstellung in der erweiterten Realität besucht wer-
den, die die gezeigten Gemälde auf dem Smartphone in neue digitale Kunstwerke und
Vorwort IX
Games verwandelte (Lässig 2019). Aber auch neue digitale Räume der Künstlerförderung
erschließen sich beispielsweise über Web Residencies – Künstlerresidenzen, die im Inter-
net stattfinden –, bei denen die Arbeit der Künstler, die das Internet als Produktionsstätte
nutzen, im institutionellen Kontext sichtbar gemacht und unterstützt wird oder auch die
Web-basierte Praxis von Künstlern anderer Sparten gefördert werden kann. Dabei wird
die Zusammenarbeit von Institution und Künstlern im Online-Raum neu gedacht, was
wiederum auch auf die Arbeitsweise der Einrichtung wirkt, Hierarchien senkt, Demo-
kratisierungsprozesse vorantreibt und digitales Wissen vermittelt (Herrmann 2019).
In jüngster Zeit rückt der Darstellende Kunstbereich mit Initiativen verstärkt nach,
wartet mit einem neuen digitalen bzw. virtuellen Theater auf und erkundet das Poten-
zial neuer kultureller Räume und Kunstformen zwischen digital/analog und online/off-
line mit Virtual und Augmented Reality, Motion Capture und Künstlicher Intelligenz,
die neue Erfahrungen für den Rezipienten bereithalten und die Schauspielerin 4.0 vor
neue Herausforderungen stellt (Schwarz und Soland 2019) Eine neue Akademie für
Digitalität und Theater soll in Kürze in Dortmund als ein Modellprojekt für digitale
Innovation, künstlerische Forschung und technikorientierte Weiterbildung starten in
Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen und Kulturinstitutionen in Deutschland
für den zunehmenden Bedarf an innovativen technischen Lösungen für die Darstellenden
Künste (Kerlin 2019). Und auch im Bereich der klassischen Musik – bei Festivals wie
bei Konzerthäusern – zeigt sich eine programmatische Öffnung für neue digitale For-
mate wie 360-Grad-Filme und virtuelle Konzerte, um via Augmented und Virtual Reality
Musik und Wissen neu auf der Grundlage von Immersion, Interaktion und Partizipa-
tion zu vermitteln und einer breiteren Schicht bzw. jüngeren Zielgruppen zugänglich zu
machen, um damit auch einen weiteren Beitrag in Bezug auf kulturelle Teilhabe zu
leisten (Kountidou und Thoma 2019). Der digitale Raum bietet das Potenzial sich als
Kulturbetrieb neu zu inszenieren – und diejenigen digitalen Konzepte, die sich ganz auf
das Internet verlagern und von überallher und zu jeder Zeit abgerufen werden können,
überwinden dabei architektonische und geografische Grenzen und ermöglichen eine
dezentrale Rezeption von Kunst und Kultur, die nicht mehr an Ort und Zeit gebunden ist
wie beispielsweise Streamingangebote von Konzerten.
Ein bestimmender Faktor dabei, welcher Kulturbetrieb den Konsumgewohnheiten der
Besucher im digitalen Zeitalter am besten begegnen kann, spielen zudem Vertrieb und
Marketing. Insbesondere für das Ticketing sind integrierte Ansätze vonnöten, um den
Bedürfnissen nach einfachen und elektronischen Lösungen mittels Smartphone nachzu-
kommen, und vielleicht werden in Zukunft Ticketbestellungen sogar über Alexa erfol-
gen (Glaap und Heilgenberg 2019). Bei all den neuen Möglichkeiten sind Besucher und
User seit den NSA- und Cambridge-Skandalen aber auch sensibilisiert für Datenschutz
und verlangen nach einer Auskunft, inwiefern ihre Daten im Rahmen von Big Data
gespeichert und analysiert werden, um Zielgruppen beispielsweise für Kampagnen zu
identifizieren. Nicht nur aufgrund der diesjährig in Kraft getretenen Datenschutzgrund-
satzverordnung, die einen größeren Schutz der Nutzerinnen und Nutzer und ihrer Daten
bedeutet (Risch-Kerst 2019), haben Kulturbetriebe hier auch eine andere Verantwortung
X Vorwort
als der E-Commerce und können sogar Korrektiv sein (Szope 2019). Die Frage, welche
Dienste noch genutzt werden können und welche Daten gesammelt werden dürfen, um
die Besucher besser kennenzulernen, stellt sich in diesem Kontext für alle Formen von
Kulturinstitutionen. Und auch die den Kulturbetrieben angeschlossenen Institutionen wie
Förder- und Freundeskreise (Liegel 2019) erfahren durch die Digitalisierung eine Neu-
organisation ihrer Organisationsprozesse.
Ein Blick auf den kommerziellen Kunstmarkt zeigt, dass die Digitalisierung
umgekehrt auch Transparenz fördern kann: Durch Apps, die mittels Crowdsourcing auf
Datenbanken zugreifen und Nutzern Informationen zu Preisen von Kunstwerken bereit-
stellen oder Online-Galerien, die Informationen über Preise und Künstler der Kunst-
werke offenlegen und ein niedrigschwelliges Angebot außerhalb des von Exklusivität
und Intransparenz geprägten Kunstmarktes bieten. Vor allem das Interesse an Block-
chain-Technologie breitet sich rapide aus. Die noch junge digitale Technologie soll eine
dezentrale auf weltweit verteilten Rechnern gespeicherte Datenbank ermöglichen, die
alle Transaktionen mit Kryptowährungen wie Bitcoin transparent gestaltet und Fälschun-
gen und Manipulationen unmöglich machen soll (Fassio 2019).
Die geschilderten Entwicklungen zeigen die Notwendigkeit für ein neues digitales
Kulturmanagement und auch die Rolle der Kulturinstitutionen als Räume der Innova-
tion, des Experiments und des freiheitlich-demokratischen Denkens (Eschenfelder 2019)
im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Gesellschaft muss neu überdacht und dis-
kutiert werden, um neue digitale Narrative für die Zukunft im Sinne einer „positiven
Digitalerzählung“ (Lobo 2014) zu formen. Seit der Digitalisierung erlebt Storytelling als
Marketingstrategie von Unternehmen und Kulturbetrieben eine Renaissance (Herrmann
2017, S. 8), aber es sind auch die Geschichten um die Digitalisierung selbst, die neu
bestimmt werden müssen. Dies aber kann nur in menschlicher Gemeinschaft und über dauer-
hafte Prozesse geschehen und nicht anhand der Symboliken und Marketingbotschaften glo-
bal vernetzter Internet-Unternehmen (Jaekel 2017, S. 5), die nicht am Gemeinwohl orientiert
sind, aber entscheidend bei der gesellschaftlichen Transformation mitwirken (Lätzel 2019).
Insofern möchte der Band Der digitale Kulturbetrieb auch Anstoß zur Diskussion
sein. Während alte kulturelle Formen, Institutionen und Gewissheiten, Konventionen
und Routinen (Stalder 2016, S. 9) erodieren, bilden sich im Zuge der Digitalisierung
neue heraus, an deren Gestaltung Kulturbetriebe aktiv mitwirken müssen. Der Kultur-
und Medienwissenschaftler Felix Stalder liefert für diese Diskussion mit der „Kultur der
Digitalität“ einen umfassenden Kulturbegriff, für den Referentialität, Gemeinschaftlich-
keit und Algorithmizität charakteristisch sind. Je nachdem, von wem und wie die Kul-
tur der Digitalität gestaltet wird, mündet sie entweder in Monopolisierung von Wissen,
Überwachung und postdemokratischen sowie neoliberalen Strukturen oder in einer Kul-
tur der Commons3 und der Partizipation, die Wohlstand und Gemeinwohl unterstützt
3Der Begriff der Commons bezeichnet Ressourcen, die aus selbstorganisierten Prozessen des
gemeinsamen Produzierens, Verwaltens, Pflegens und Nutzens (Commoning) hervorgehen und an
Bedürfnissen orientiert sind.