Table Of ContentSTUDIEN ZUR
SPRACHE, GESCHICHTE UND KULTUR
DES ISLAMISCHEN ORIENTS
Beihefte zur Zeitschrift „Der Islam"
Herausgegeben von
BERTOLD SPULER
Neue Folge
BAND 6
W
DE
G
WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK
1974
MECHTHILD PANTKE
Der arabische Bahräm-Roman
Untersuchungen
zur Quellen- und Stoffgeschichte
W
DE
G
WALTER DE GRUYTER BERLIN NEW YORK
1974
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
©
ISBN 3 11 003990 7
Library of Congress Catalog Card Number: 73-79372
Copyright 1973 by Walter de Gruyter «SE Co., vormale G. J. Göschen'sche Verlagehandlung — J. Guttentag,
Verlagsbuchhandlung — Georg Beimer — Karl J. Trübner —Veit & Comp. Berlin — Printed in Germany.
Alle Bechte dea Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Photokopien und
Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten.
Herstellung : Walter de Gruyter & Co., Berlin 30
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde 1971 als Dissertation bei Herrn Professor
Hans Wehr in Münster eingereicht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft,
der ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte, ermöglichte den
Druck der Arbeit. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch meinen Lehrern,
Herrn Professor Hans Wehr in Münster und Herrn Dozent Davoud Monchi-
Zadeh in Uppsala, die mich beide mit ihrem wertvollen Rat unterstützten,
sowie Herrn Professor Jes P. Asmussen in Kopenhagen, der mir großzügig
die Benutzung der Bibliotheca Christenseniana gestattete, noch einmal
herzlich danken.
Münster, im August 1972
Die Verfasserin
Inhaltsverzeichnis
Α. Einleitung 1
Β. I. Inhaltsangabe der Rahmenerzählung 9
II. Kommentar zur Rahmenerzählung 33
1. Die Kindheit und Jugend Bahräm's 33
2. Der Thronstreit 100
3. Die Geschichte der Sklavin Fitna 133
4. Der Krieg mit dem König von China 142
5. Der Feldzug gegen den Kaiser von Rüm 153
6. Das indische Abenteuer 165
7. Das Leben Bahräm's mit den 7 Prinzessinnen 164
Exkurs: 7 Klimata, Wochentage, Planeten und Planetenfarben . . . 167
8. Die Geschichte vom ungetreuen Wezir und Bahräm's Tod 184
III. Die Geschichte der drei Söhne des Königs von Ceylon 198
C. Zusammenfassung der Ergebnisse der Quellenanalyse 210
Bibliographie 215
Namen- und Sachregister 222
Themen- und Motivregister 229
Α. Einleitung
Die Qissat Bahräm-Säh, der die vorliegende Untersuchung gilt, gehört
zur Gattung der sogenannten „Volksbücher". Im weitesten Sinne1 umfaßt
dieser Begriff schriftlich fixiertes volkstümliches Erzählungsgut, das sich
vor allem an die weniger gebildeten Volksschichten wendet. Gerade durch
die Wahl dieses Adressaten hebt sich das Volksbuch von den Werken der
„hohen" Literatur, die nur den Gebildeten zugänglich sind, ab. Der wesent-
liche Unterschied hegt also in der Form ; denn es sind in erster Linie Sprache
und Stil eines Werkes, die seine Leserschicht und damit die Zugehörigkeit
zur Kunst- oder Volksliteratur bestimmen.
Für die arabische Kultursphäre tritt noch ein anderes Kriterium hinzu,
durch das sich die Volksliteratur scharf gegen die „hohe" Literatur abgrenzt:
die Zielsetzung. Während die Volksliteratur nur unterhalten will, verfolgt
die „hohe" Literatur immer Bildungsabsichten. Das trifft auch für die
„Adab-Literatur" zu, die manchmal irrtümlich mit „Unterhaltungslitera-
tur" in unserem Sinne gleichgesetzt wird. Durch ihre belehrende Tendenz,
aber auch formal2 steht sie der „wissenschaftlichen" Fachliteratur näher als
der Volksliteratur. Mit wenigen Ausnahmen3 behandelt sie keine erfundenen
Sujets. Diese sind weitgehend der Volksliteratur überlassen, jedoch nicht
ausschließlich, so daß dieses Kriterium mit Vorsicht angewandt werden
muß. Längere oder kürzere fiktive Erzählungseinheiten wie Fabeln, Mär-
chen, Sagen und Legenden sind vielmehr in den meisten Zweigen der
„hohen" arabischen Literatur zu finden4.
Im Bereich der persischen Literatur hat nur das erste, formale Krite-
rium Geltung5. Von der Zielsetzung her kann man die Kunstliteratur nicht
gegen die Volksliteratur abgrenzen. Wie in der klassischen antiken Literatur
will die hohe Literatur nicht nur nützen, sondern auch unterhalten. So
1 J. CEJPEK will in seiner ausgezeichneten Abhandlung Die iranische Volksdichtung
(in RYPKA'S Literaturgeschichte) den Begriff des Volksbuches enger gefaßt wissen
und unterscheidet Volksbuch und Volksdruck. Der Unterschied wird m. E. in seiner
Darstellung nicht ganz klar. Vermutlich versteht er unter Volksbüchern die nicht
gedruckten älteren Vorgänger der Volksdrucke (s. S. 516f.).
2 So wird der Anschein der Historizität oftmals durch einen Isnäd gewahrt.
3 Diese finden sich vor allem in der Übersetzungsliteratur, ζ. B. Kaiila wa-Dimna\
aber auch die Maqämenliteratur behandelt fiktive Episoden. Der philosophische
Roman des Ibn Tufail, Hayy b. Yaqzän gehört ebenfalls hierher.
4 S. unten S. 8.
5 S. dazu CEJPEK S. 463.
1 Pantke, Roman
2 Einleitung
trifft Horaz' Definition aut prodesse volunt aut delectare fioetae voll und ganz
auf die persische Literatur zu. Das delectare ist also nicht auf die „niedere"
Literatur beschränkt, was Werke von höchstem künstlerischem Rang, z. B.
die Epen Nizämi's, beweisen6. Aus ihnen geht auch hervor, daß die Frage,
ob der Stoff eines Werkes Fiktion ist oder nicht, für seine Zuordnung zur
Kunst- oder zur Volksliteratur keinerlei Rolle spielt. So kann hier ein und
derselbe Stoff vom Dichter wie vom Volkserzähler verarbeitet werden,
unabhängig voneinander oder unter wechselseitiger Einwirkung.
Weder im arabischen noch im iranischen Bereich gilt ein anderes, sonst
übliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Volks- und Kunstliteratur: das
Kriterium der mündlichen oder schriftlichen Überlieferung. Der Bestand
an eigentlicher Volksdichtung, wie Märchen u. ä., die nur in der münd-
lichen Tradition lebendig ist, erscheint gering. Erst die verhältnismäßig
junge Dialektforschung hat einige echte Volksmärchen ans Licht gehoben.
Allerdings ist die Unabhängigkeit von der schriftlichen Tradition auch hier
nicht immer gesichert. Die meisten Märchen- und Sagenstoffe liegen jedoch
seit vielen Jahrhunderten in schriftlicher Form vor. So entstammt alles,
was an arabischen Märchen vor dem 19. Jhd. aufgezeichnet ist, literari-
schen Quellen und nicht dem Volksmund7. Das bekannteste Beispiel dafür
ist 1001 Nacht, aber auch arabische Volksromane wie die Sïrat 'Antar, Saif
b. Dï Yazan u. a. finden sich bereits in alten Handschriften. Natürlich
haben diese Werke vor ihrer schriftlichen Fixierung eine lange Entwicklung
durchgemacht, deren einzelne Etappen schwer herauszuschälen sind, da
eine lange mündliche Überlieferung vorauszusetzen ist und oft nur die letzte
von mehreren schriftlichen Überlieferungsstufen erhalten blieb8.
Neben der alten schriftlichen Überlieferung lebt, wenn auch im Aus-
sterben begriffen, noch immer die mündliche Erzählertradition fort. Sie
wird zu einem großen Teil durch berufsmäßige Erzähler, die ihre Zuhörer
in den Bazars und Kaffeehäusern um sich scharen, getragen. Die Erzähler
nehmen ihre Sujets mit Vorliebe aus den alten Stoffen der arabischen oder
iranischen Sage. Dieser ursprüngliche Kern wird allerdings von Erweite-
rungen und Zusätzen, die der reichen Phantasie des Erzählers entspringen,
überwuchert. Das Verhältnis dieser Erzähltradition zur schriftlichen Über-
lieferung ist nicht von vornherein als Abhängigkeit zu definieren. Zwar mag
das meistens zutreffen ; in Persien sind z. B. einzelne Episoden aus Fir-
• Nizâmî selbst sagt in der Vorrede zu den Haft Paikar: „Ich suchte aus ausgezeich-
neten, passenden Büchern heraus, was das Herz erfreuen kann" (4,18).
7 S. B. HELLER bei BOLTE/POLIVKA IV S. 413.
8 Nur für 1001 Nacht liegen hier eingehende Untersuchungen vor. Die wichtigste ist
noch immer J. 0STRUP'S Studier over 1001 nat. 0STRUP bestimmt die einzelnen
Uberlieferungsschichten für die verschiedenen Erzählungen sehr genau.