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AKKORDLOHN
ARBEITSRECHTLICHE SEMINARVORTRÄGE
III
HERAUSGEGEBEN VON
DR. WALTER KASKEL
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT
BERLIN
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
1927
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER UBERSETZUNG
IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN.
ISBN 978-3-662-34955-7 ISBN 978-3-662-35289-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-35289-2
Vorwort.
Um den Arbeitslohn als Mittelpunkt gehen mehr oder minder alle Streitigkeiten
aus dem Arbeitsverhältnis. Um die rechtliche Lehre vom Arbeitslohn als Grundstock
rankt sich daher mehr oder minder das gesamte Arbeitsrecht. Der Arbeitslohn ist
nun entweder Zeitlohn oder Akkordlohn, wobei in der Praxis der Akkordlohn über
wiegt. So müßte die Lehre vom Akkordlohn im Mittelpunkt des Arbeitsrechts stehen.
In Wirklichkeit ist der Akkordlohn auch dem arbeitsrechtlich geschulten ,Juristen
ein fast unbekanntes Land: Von der Gesetzgebung so gut wie gar nicht erwähnt,
von der Literatur kaum behandelt, von der Rechtsprechung ängstlich gemieden und
möglichst auf den Vergleichsweg verwiesen, gleicht die Lehre vom Akkordlohn in der
Jurisprudenz den einstigen Landkarten von Afrika, dem "unbekannten und dunklen
Erdteil", dessen gewaltigen Umfang man wohl kannte, dessen Inhalt man aber nur
durch einen großen weißen Fleck anzudeuten vermochte.
Es mag manchem vermessen erschienen sein, die Aufgabe der Ausfüllung dieser
Lücke einem Universitätsseminar zu übertragen und ihm damit eine juristische
Forschungsarbeit von gewaltigem Ausmaß zuzuweisen, und ich selbst habe dem Ver
lauf nicht ohne Besorgnis entgegengesehen. Nur die einzigartige Zusammensetzung
dieses Seminars aus Praktikern und Theoretikern und die mehrjährige Schulung
seiner Mitglieder, von denen einzelne dem Seminar seit seiner Gründung, also schon
im sechsten Jahr, angehörten, konnte einen fololchen Versuch vielleicht rechtfertigen.
Indem ich biermit die gesamten Vorträge des Wintersemesters 1926/27 über den
Akkordlohn wiederum der Öffentlichkeit übergebe, möge diese darüber entscheiden,
ob und inwieweit der Versuch geglückt ist.
Von vornherein war ich mir darüber klar, daß die mangelnde Beschäftigung der
Juristen mit dem Akkordlohn nicht auf der juristisch-dogmatischen Schwierigkeit der
Materie, sondern nur auf der Unkenntnis der hier besonders schwierigen und dem
Juristen fernliegenden tatsächlichen Vorgänge beruhen konnte. Noch mehr als in
früheren Jahren mußte also auf die Beschaffung dieses tatsächlichen Materials, die
Sammlung und Sichtung der rechtstatsächlichen Grundlagen, Gewicht gelegt
werden. Erst auf diesen Grundlagen konnte der rechtsdogmatische Aufbau aufgeführt
werden, während den Abschluß wiederum rechtsvergleichende Vorträge bildeten.
Daß ich persönlich in der juristischen Würdigung der tatsächlichen Vorgänge viel
fach von den einzelnen Verfassern abweiche, die überall und immer nur die eigene
Meinung vertreten, bedarf wohl kaum der Hervorhebung.
So möge auch dieser dritte Band der arbeitsrechtlichen Seminarvorträge eine
freundliche Aufnahme finden und werben und wirken für die junge Rechtsdisziplin
des Arbeitsrechts als einen immer bedeutsameren Bestandteil der juristischen Wissen
schaft und einen immer bedeutsameren Bestandteil des akademischen Rechts
unterrichts.
Berlin, im September 1927.
Walter Kaskel.
Inhaltsverzeichnis.
Erster Teil.
Allgemeine Grundlagen.
Seite
Der Akkordlohn in seiner geschichtlichen Entwicklung. Von Dr. ARTUR BoRMANN-Berlin 1
Die sozialpolitischen Grundlagen des Akkordlohnes (unter besonderer Berücksichtigung
der Einstellung der Arbeiter zu dieser Lohnform). Von Dr. EDITH KLAUSNER-Berlin 21
Der Akkordlohn im Tarifvertrag. Von Dipl.-Volkswirt KURD ScHULZ-Berlin .... . 30
Der Akkordlohn in der Praxis. Von Dr. PETER GöTZE-Berlin ............ . 43
Die Lohnberechnung beim Akkordlohn, rechtstatsächliche Grundlagen. Von Dr. KuRT
MEISSNER-Berlin-Siemensstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Die Lohnberechnung beim Akkordlohn als Rechtsproblem. Von stud. jur. FRIEDRICH
JAHN-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Die Grundformen des Arbeitsvertrages. Von Referendar FRANZ HENNIG-Berlin ... . 82
Das Wesen des Akkordvertrages. Von Referendar FRITZ WoLF-Berlin ....... . 91
Akkord und partiarische Lohnabreden. Von Dr. LoUIS THAL-Berlin, früher Universitäts-
professor in Moskau ............................ . 103
Gesetzliche Regelung des Akkordvertrages. Von Referendar FRITZ GRUBERT-Berlin .. 109
Die gesetzliche Sonderregelung für Betriebsrat und Akkordvertrag. Von Ministerialrat
im Preuß. Min. für Handel und Gewerbe Dr. GEORG FLATOW-Berlin ...... . 117
Anwendung der gesetzlichen Vorschriften bei Mischformen im Akkordvertrag. Von
Rechtsanwalt Dr. HERMANN MEISSINGER-Berlin ............. ~ .. . lHl
Zweiter Teil.
Einzelfragen.
Das Direktionsrecht bei Akkordarbeit. Von Dr. Lunwm GossMANN-Berlin . . . . . . 128
Das Direktionsrecht bei Akkordarbeit. Korreferat. Von Referendar E. HELLMUT
JACOBY-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Unmöglichkeit und Leistungsverzug beim Akkordvertrag. Von Referendar Dr. HERMANN
REINMUTH-Ühemnitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Annahmeverzug beint Akkordvertrag. Von Senatspräsident im RVA. Dr. HERMANN
DERSCH-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Lohnanspruch bei unvollendeter Akkordarbeit. Von stud. jur. GEORG ScHRÖDER-Berlin 171
Vorschriftswidrige und fehlerhafte Akkordarbeit. Von Dr. ALFRED SCHNEIDER-Berlin,
Osram-Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Akkordlohn bei Minderlieferung, Mißlingen und Untergang des Arbeitsstückes. Von
Referendar WILHELM PLEuss-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses; gelten die sonstigen Bestimmungen auch für den
Akkordvertrag? Von Referendar ILDEPHONS RICHTER-Berlin. . . . . . . . . . . 195
Arbeiterschutz bei Akkordarbeit. Von Dipl.-Ing. E. SAUERBREI, Gewerberat im preuß.
Min. f. Handel u. Gewerbe, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Die Arbeitszeit und der Urlaub im Akkordvertrag. Von Referendar Dr. GüNTHER
ToNN-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Die Beschäftigungspflicht im Akkordvertrag. Von Amts- u. Landrichter Dr. jur. WILLY
FRANKE-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Die Zuweisung der Arbeit bei 'Akkord. Von Dr. FRIEDRICH WEGENER-Berlin, Osram-Werke 229
Der Gruppenakkord. Von Syndikus Dr. ÜTTO GROTE-Berlin . . . . . . . . . . . . 236
Der Gruppenakkord. Korreferat. VonReferendar HERBEBT BACHE-Berlin-Hohen-Neuendorf 245
Praktische Fälle der Kolonne. Von cand. jur. LEOPOLD ÜLAUSNITZER-Berlin-Malchow. 258
Dritter Teil.
Ausländisches Recht.
Der Akkordvertrag im französischen Rechtskreis. Von cand. jur. HEr.MUTH KARTH-Berlin 268
Der Akkordvertrag im russischen Recht. Von cand. jur. GERHARD KRAMER-Spandau 282
Rechtsvergleichende Ausblicke. Von Dr. Lours THAL-Berlin, früher Universitätsprofessor
in Moskau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Erster Teil.
Allgemeine Grundlagen.
Der Akkordlohn in seiner geschichtlichen
Entwicklung\
Von Dr. ARTuR BoRMANN-Berlin.
Da sich die Rechtsentwicklung im Anschlusse an die gegebenen wirtschaftlichen
und sozialen Verhältnisse vollzieht, so kann eine geschichtliche Darstellung des
Akkordrechts nur im unmittelbaren Anschluß an die Entwicklung der wirtschaft
lichen und sozialen Zustände gegeben werden. Der Umstand, daß wir die Akkord
verhältnisse nach ihrer rechtlichen Seite geschichtlich verfolgen wollen, zwingt
uns dazu, die Einteilung des Stoffes nach rechtlichen Gesichtspunkten, nach den
Epochen der Rechtsentwicklung, vorzunehmen.
Wir unterscheiden daher:
I. Die Zeit vor dem römischen Recht;
II. Das römische Recht;
III. Das germanische und mittelalterliche Recht vor der Rezeption;
IV. Das deutsche Recht nach der Rezeption bis zum 19. Jahrhundert;
V. Die neueste Entwicklung.
1 Literatur: AnNET: Le louage de services, Diss. Paris 1892. - BAUDRY-WAHL: Du
contrat de louage. Paris 1898. - BEAUCHET: Droit prive de la republique Athenienne IV.
Paris 1897.- BERNHARD: Die Entstehung und Entwicklung der Gedingeordnungen im deut
schen Bergrecht. Leipzig 1903. - BoECKH: Die Staatshaushaltung der Athener I. 1886. -
BRANTS: De la Condition du Travailleur libre dans l'industrie Athenienne, in Revue de l'in
struction en Belgique XXVI, p. 100-118. - BRUCKER: Strasburger Zunft. und Polizeiordnungen
des 14. und 15. Jahrhunderts. 1889. - BURMEISTER: Alterthümer des Wismarischen Stadt
rechtes. Harnburg 1838. - W. ENDEMANN: Die rechtliche Behandlung der Arbeit, in Jahrb.
f. Nationalök. u. Stat. 67, S. 688ff. - ENNECCERUS: Recht der Schuldverhältnisse. Marburg
1922.-v. GIERKE: Die Wurzeln des Dienstvertrages, in der Festschrift für Brunner. München
1914. - JANNER: Die Bauhütten des deutschen Mittelalters. - Leipzig 1876. - KoHLER
UNGNAD: Harnmurabis Gesetz 111, IV, V. Leipzig 1909-1911.-KosCHAKER-UNGNAD: Harn
murabis Gesetz VI. Leipzig 1923. - LAPPENBERG: Die ältesten Stadt-, Schiffs- und Land
rechte Hamburgs. 1845. - LEW ALD: Zum Recht der Personal-Exekution im Recht der Papyri.
Leipzig 1910. - LEXER: Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg. 1464-1475.
Stuttgart 1862 .. - v. LOESCH: Die Kölner Zunfturkunden I, II. 1907. - LOTMAR: Der Arbeits
vertrag, II. Leipzig 1908. - OHR. MEYER: Das Stadtbuch von Augsburg, insbesondere das
Stadtrecht vom Jahre 1276. Augsburg 1872.-MoLITOR: Zur Geschichte des Arbeitsvertrages,
in Zeitschr. f. d. ges. Handelsr. 87, S. 37lff. - MoMMSEN: Gesammelte Schriften 111. Berlin
1907. - ~IOMMSEN-BLÜMNER: Der Maxintaltarif des Diocletian. Berlin 1893. - NÜllLING:
Ulnter Baumwollweberei im Mittelalter. Leipzig 1890. - RANGABE: Antiquites helleniques,
Athenes I, II, 1842. 1855. - ROTHENBÜCHER: Geschichte des Werkvertrages nach deutschem
Recht, Breslau 1906. - RüDIGER: Die ältesten Hamburger Zunftrollen. 1874. - RÜMELIN:
Dienstvertrag und Werkvertrag. Tübingen 1905. - ScHANZ: Zur Geschichte der deutschen
Gesellenverbände. Leipzig 1877. - TITzE: Recht der Schuldverhältnisse. Berlin 1923. -
WILCKEN: Griechische Ostraka I. Leipzig, Berlin 1899.-ZYCHA: Das Recht des ältesten deut
schen Bergbaues bis ins 13. Jahrhundert. Berlin 1899.
Kaskel, Akkordlohn. 1
2 ARTUR BORMANN:
I.
Ein Forschen nach dem Vorhandensein und gegebenenfalls nach der Regelung
von Akkordverhältnissen im Altertum führt vor allem zur Betrachtung von drei
durch ihre frühe kulturelle Entwicklung für uns bedeutsamen Völkern: den Baby
Ioniern (A), Ägyptern (B) md Griechen (C).
A. In Babylonien wie überall in den ältesten Zeiten gab es zwei Möglichkeiten
der Nutzbarmachung der menschlichen Arbeitskraft, nämlich entweder mittels
eines zwischen dem Träger der Arbeitskraft und dem Berechtigten bestehenden
Gewaltverhältnisses (l) oder mittels eines zwischen diesen bestehenden Vertrags
verhältnisses (2).
l. Vorherrschend war die Leistung auf Grund eines Gewaltverhältnisses. Ein
solches bestand nicht nur zwischen Hausherrn und Sklaven, sondern auch zwischen
Hausherrn und Familienangehörigen. Geradeso wie dieser über die Arbeitskraft
eines Sklaven wie über jedes gebrauchsfähige Gut gewisse Rechtsgeschäfte ab
schließen, ihn insbesondete vermieten konnte, konnte er auch seinen eigenen Sohn
vermieten.
Für die Berechnung der Mietvergütung kamen wie beim freien Lohnvertrag
zwei Möglichkeiten in Frage: die Berechnung nach der Zeit (a) und nach der Lei
stung (b).
a) Das bei weitem Häufigste war entsprechend der Vermietung auf Zeit auch
die Berechnung der Mietvergütung nach der Zeit. Das ist ganz selbstverständlich.
Denn da die menschliche Arbeitskraft lediglich als Sache angesehen wurde und
für die Bachvermietung die Zugrundelegung des Zeitmoments das Gegebene war,
lag zu einer besonderen Behandlung der menschlichen Arbeitskraft kein Anlaß vor.
b) Daneben kam aber auch eine Vermietung für spezielle Arbeiten mit ent
sprechend festgesetzter Vergütung vor, so insbesondere für Erntearbeiten. Aber
diese Vermietung der Arbeitskraft eines Sklaven oder eines Hausangehörigen, bei
der die Vergütung nach der Leistung bemessen war, kann noch nicht als Akkord
vertrag bezeichnet werden. Denn da wir von dem Dienstvertragsbegriffe ausgingen
und die Existenz eines Dienfitvertrages als Voraussetzung für die Existenz einer
Akkordabrede erkannten, müssen wir diesen Verhag, der die Vermietung eines
Sklaven oder eines Hausangehörigen zum Gegenstand hat, getade in einen Gegen
satz Zuni Dienstvert.rage stellen.
Das könnte bei der Vermietung z. B. des unmündigen Sohnes zweifelhaft er
scheinen, indem man hter nach unseren heutigen Anschauungen versucht sein könnte,
den Vert.rag so zu konstruieren, daß der unmündige Sohn infolge seiner Geschäfts
unfähigkeit nicht in der Lage wäre, über seine Arbeitskraft selbst zu verfügen und
daß statt seiner der Inhaber der väterlichen Gewalt den Vertrag abschließt.
Aber dann müßte eben der Hausherr für seinen Sohn den Vertrag abschließen.
Das war aber nicht der Fall, sondern der Hausherr schloß einfach über die Arbeits
kraft seines Sohnes den Vert.rag ab. Der Kontrahent war nicht der Hausherr als
Vertreter seines Sohnes, sondern als Gewalthaber, und diese Verfügungsgewalt
unterschied sich wenig von der Verfügungsgewalt über einen Sklaven. Der Vert.rag
zwischen Vermieter und Mieter hatte also nicht die Leistung von Arbeit zum Gegen
stande, sondern nur die Bereitstellung der Arbeitskraft eines Familienangehörigen
oder Sklaven. Es lag also kein Dienstvertrag und daher auch kein Akkordvertrag vor.
2. Aber auch die freie Lohnarbeit spielte in ältesten Zeiten eine gewisse Rolle.
Die Form, in der der Vertrag abgeschlossen wurde, war die gleiche wie die bei der
Vermietung eines Sklaven, einer Sache. Der Gewalthaber über die Arbeitskraft
war in diesem Falle nur der Träger der Arbeitskraft selbst. Infolgedessen vermietete
er selber seine Arbeitskraft. Auch hier ist wieder zu unterscheiden zwischen der
Berechnung der Vergütung nach der Zeit (a) und der nach der Leistung (b).
Der Akkordlohn in seiner geschichtlichen Entwicklung. 3
a) Vorherr~:.chend blieb immer der Zeitlohnvertrag, und zwar aus leicht begreif
lichen Gründen, auf die weiter unten kurz einzugehen sein wird.
b) Die Miete, die wir als Akkord bezeichnen können, kommt in zwei Formen
vor: einmal in der regulären Verdingung der Arbeitskraft gegen eine Pauschal
vergütung (a) und dann in der Form des sog. Abarbeitungsvertrages (ß).
a) Pauschalvergütung läßt sich in vereinzelten Urkunden nachweisen, in denen
sich jemand zu Erntearbeiten schlechthin verdingt, ohne daß dabei von einer Be
messung des Lohnes nach der Zeit die Rede ist. Ebenso finden wir Fälle, daß sich
jemand "für den Zug des Königs" mieten läßt (KOHLER-UNGNAD III, S. 243),
d. h. wohl für den Hofdienst oder eine Reise, eine Jagd oder einen Feldzug. Die8e
Vmträge weisen gegen die üblichen Zeitlohnverträge keine Besonderheiten auf.
Das Quellenmaterial ist in dieser Hinsicht außerordentlich dürftig, so daß wir
uns mit der Feststellung deo: vereinzelten Vorkommens solcher Verträge begnügen
müssen.
ß) Die andere Form, in der Arbeitsverträge abgeschlossen wurden, die des sog.
Abarbeitungsvertrages (vgl. LEWALD, S. 13), bestand darin, daß jemand ein Dar
lehen aufnahm, gegen das er sich verpflichtete, bei der Einbringung der nächsten
Ernte mitzuarbeiten. Es kann allerdings zweifelhaft erscheinen, ob hier die Ver
mietung de1: Arbeitskraft das Primäre ist, ob es sich nicht vielmehr überhaupt um
reine Schuldknechtschaft handelt. Wahrscheinlich wird beides nebeneinander vor
gekommen sein. Auch hier ist das Gewöhnliche die Berechnung der Vergütung für
die Arbeitsleistung nach Zeiteinheiten. Es kommt aber auch ganz entsprechend
wie in den oben angeführten Fällen die Gegenüberstellung einer bestimmten Arbeits
leistung gegenüber der Darlehensschuld unmittelbar vor. Allerdings wird hier eine
Arbeitsleistung für die Abgeltung einer Darlehensschuld geleistet, statt daß um
gekehrt, wie man bei Arbeitsverträgen erwartet, eine Vergütung für eine Arbeits
leistung gewährt wird. Aber es erscheint durchaus zweifelhaft, daß es sich bei
diesen Arbeiten, die auf Grund einer Darlehensschuld geleistet werden, vorwiegend
um Schuldknechtschaft handelt. Besonders ein uns bekannter Fall deutet darauf
hin, daß die vorher hingegebene Geldsumme bereits nach der zu erwartenden Arbeits
leistung bemessen und daß die Form des Darlehensvertrages nur eine äußerliche
war. Und zwar handelt es sich darum, daß fünf Arbeiter gegen ein bestimmtes
Quantum Getreide die Verpflichtung übernommen haben, Bewässerungskanäle
auf einem Felde auszuheben (KoHLER-UNGNAD V, Urk. 1175). Die vorherige Hin
gabe des Getreides bedeutet offenbar den Abschluß des Vertrages, so daß wir es
hier mit einem Realvertrage zu tun haben (KoscHAKER-UNGNAD VI, S. 100). Da
es sich hier kaum um eine Gruppe von Werkunternehmern im heutigen Sinne handelt,
sondern um regelrecht organisierte Trupps freier landwirtschaftlicher Arbeiter, wie
sie auch unserem heutigen Wirtschaftsleben nicht fremd sind, so muß man meines
Erachtens die Verträge, die diese Arbeiter insgesamt oder durch ihre Führer ab
schließen, als die ersten Gruppenakkordverträge ansehen. KüHLER (IV, S. 96)
hält allerdings diese Erscheinung, daß ein Vormann gegen vorherige Bezahlung
sich zur Stellung von Arbeitern verpflichtet - ob in dieser Form der Vertrags
inhalt richtig wiedergegeben ist, kann meines Erachtens zweifelhaft erscheinen -,
für eine Form der Arbeitsvermittlung. Das möchte ich aber im Anschluß an KoscH
AKER nicht annehmen, sondern es handelt sich hier meines Erachtens um regel
rechte Gruppenak.kordverträge, die eine direkte Parallele in den heutigen Ver
trägen der Lippischen Ziegeleiarbeiter haben.
Über Einzelheiten ist uns naturgemäß wenig überliefert. Die Verträge erschöpfen
sich darin, daß sie einen Lohn und die entsprechende Arbeit angeben und dann
in der Regel noch eine Konventionalstrafe für Vertragsbruch festsetzen.
B. Wenig veränderte Verhältnisse finden wir vor in Ägypten, wo wir in den
Papyri und Ostraka der Ptolemäerzeit, also die drei Jahrhunderte vor Christi Ge-
I*
4 ARTUR BORMANN:
hurt, Nachweisungen darüber haben. Soweit freie Lohnarbeit in Frage kommt,
können wir hier wieder das Vorherrschen des Zeitlohns (1) gegenüber dem Akkord
(2) beobachten.
1. Wir wissen von freien Arbeitern, die im Zeitlohn beschäftigt wurden in den
königlichen Ölfabriken, und die überdies eine Beteiligung am Gewinn hatten. Ebenso
wurden in den Steinbrüchen und in der Landwirtschaft freie Arbeiter in der Regel
gegen Zeitlohn verwandt.
2. In der Landwirtschaft, zu der man wohl auch die mit der Bewässerung des
Landes zusammenhängenden Arbeiten rechnen muß, finden wir wieder auch Verhält
nisse, die man als Akkord ansprechen muß. Neben den Fronarbeiten an den Nil
dämmen, zu denen dort. jeder eine bestimmte Zahl Tage im Jahre verpflichtet war,
gab es auch zeitweise nicht unerhebliche Meliorations- und Kanalisationsarbeiten,
die an Werkunternehmer vergeben wurden. Diese hatten den von ihnen gedungenen
Arbeitern den mit der Regierung vertraglich festgesetzten Arbeitslohn zu zahlen.
Er richtete sich nach bestimmten Kubikmassen, Naubien, ausgehobener oder fort
geschaffter Erde (WILCKEN, S. 333). Der Arbeitsvertrag, in dem diese Arbeiter
zum Unternehmer standen, war also ein reiner Akkordvertrag. Immerhin mag
die Bedeutung dieser an moderne Verhältnisse erinnernden Akkordverträge nicht
überschätzt werden. Einzelheiten, die uns tiefere Einblicke hier geben könnten,
sind uns nicht überliefert.
C. Ebenso dürftig ist das Material, das uns aus Griechenland selbst aus
seiner Blütezeit erhalten ist.
Regelmäßig erfolgte auch hier die Entlohnung nach der Zeit. Im Einzelfall ist
es vielfach gar nicht möglich festzustellen, ob Tagelohn oder Akkord gemeint ist.
Es sind uns Inschriften überliefert, die eine Abrechnung der an die Staatsarbeiter
gezahlten Löhne darstellen (z. B. RANGARE I, Urk. 56). Hierin werden die Arbeiter
bezeichnet, deren Tätigkeit und Lohn. Ob sich aber der Lohn auf die Tätigkeit
schlechthin bezieht oder ob er für einen Tag gezahlt wurde, geht nicht daraus hervor.
Die größere Wahrscheinlichkeit spricht für das letztere. Zuweilen wird es auch auf
dasselbe hinausgekommen sein, z. B. bei den Löhnen für Schauspieler und Musiker.
Lohn für eine Vorstellung und Lohn für einen Tag war hier dasselbe.
D. Zusammenfassend kann man für die Zeit ältester Gestaltung eines Arbeitsver
trages sagen, daß der Akkord durchaus etwas Seltenes und der Zeitlohn bei weitem
vorherrschend war. Ich glaube, hierfür insbesondere drei Gründe anführen zu können:
I. Die Bedeutung des Akkordes tritt in entscheidendem Maße nur bei der
Leistung von körperlicher Arbeit hervor. Diese wurde aber früher in der Regel von
Sklaven geleistet, so daß die relativ recht geringe Verbreitung freier Lohnarbeit
keine Möglichkeit für die Entwicklung besonderer Lohnformen gab.
2. Der Vertrag über die Vermietung der eigenen Arbeitskraft war entstanden
aus der Sachmiete. Diese wurde regelmäßig auf Zeit abgeschlossen und auch nach
Zeit vergütet. Dem mußte naturgemäß die erst in der Entwicklung befindliche
und an die Sachmiete eng angelehnte Dienstmiete zunächst folgen. Diese Un
selbständigkeit in der Behandlung des Arbeitsvertrages, die zum größten Teil auf
die alte Anschauung von dem Unwert körperlicher Arbeit zurückzuführen ist, hat
ja bis in die neueste Zeit angehalten.
3. Das Gebiet, auf dem heute der Akkordvertrag eine beherrschende Bedeutung
erlangt hat, ist die industrielle Stückarbeit. Diese beruht auf einer weitgehenden
Arbeitsteilung, die es ermöglicht, dem einzelnen Arbeiter immer nur ein gleich
artiges Stück zu fortdauernder Anfertigung zu übertragen. Die Voraussetzungen
der Arbeitsteilung, das Vorhandensein industrieller Tätigkeit und die Möglichkeit
der Verwertung maschineller Kraft, fehlten aber in den von uns betrachteten
Zeiten frühester Entwicklung eines Arbeitsvertrages fast vollständig. Infolgedessen
ist hier für die Existenz eines Stücklohnvertrages noch kein Ranm.
Der Akkordlohn in seiner geschichtlichen Entwicklung. 5
II.
Von entscheidendem Einfluß auf die gesamte Rechtsentwicklung insbesondere
Europas ist das römische Recht gewesen. Ihm gilt daher unser Hauptinteresse.
Die Regelung des Arbeitsvertrages im römischen Recht ist außerordentlich
schwach. Suchen wir aus den Arbeitsverhältnissen wieder Akkordverhältnisse her
auszuschälen, so müssen wir feststellen, daß die tatsächlichen Verhältnisse relativ
viel reicheres Material liefern als die rechtlichen. Infolgedessen betrachten wir
zuerst die wirtschaftlichen und sozialen Zustände, soweit sie für die Erforschung
von Akkordverhältnissen in Frage kommen (A), und wenden uns dann der Unter
suchung der rechtlichen Regelung dieser Verhältnisse zu (B).
A. Stark ausgeprägt ist bei den Römern die Unterscheidung zwischen höherer
und niederer Arbeit, den artes liberales (1) und den operae sordidae (2).
1. Die artes liberales wurden nur auf Grund eines Mandats ausgeübt. Auch
heute noch ist es vielfach zweifelhaft, ob und wann die Tätigkeit der Angehörigen
der freien Berufe dem Dienstvertragsrecht zu unterstellen ist. Diese Unsicherheit
in der Behandlung dieser Tätigkeit und die Tatsache, daß die Römer eine solche
Tätigkeit nicht als "Arbeit" werteten, lassen es meines Erachtens gerechtfertigt
erscheinen, die Erörterung des Mandatrechts hier auszuschließen und uns auf die
Fälle zu beschränken, die auch heute noch im Vergleich zu denen bei der Ausübung
der artes liberales eine überragende Rolle spielen und uns als die eigentlichen arbeits
rechtlichen Verhältnisse in erster Linie interessieren.
2. Für die Leistung niederer Arbeit kamen drei Klassen in Frage: die Sklaven
(a), die Freigelassenen (im Verhältnis zu ihrem Patron) (b) und die Freien (und
Freigelassenen im Verhältnis zu anderen Freien) (c).
a) In viel größeren Ausmaßen als bei anderen Völkern herrschte in Rom Sklaven
wirtschaft. Der bei weitem größte Teil körperlicher Arbeit, die ja eines freien
Mannes unwürdig war, wurde daher von Sklaven geleistet. Für einen Arbeits
vertrag war hier naturgemäß kein Raum.
b) Wurde ein Sklave freigelassen, so war er seinem Patron gleichwohl noch zu
Diensten verpflichtet, nicht auf Grund eines zwischen ihnen abgeschlossenen
Arbeitsvertrages, sondern als Folge einer Verpflichtung, die der Freigelassene bei
der Mannmission eingehen mußte, die, wie ENDEMANN (S. 648) sagt, die Auflage
darstellt, unter der die Freilassung gewährt wurde. Auch die auf Grund dieser
Verpflichtung geleistete Arbeit müssen wir unberücksichtigt lassen.
c) So bleibt denn schließlich nur die Arbeit übrig, die von Freien oder Freige
lassenen anderen im frei abgeschlossenen Arbeitsvertrage geleistet wurde. Die
Zahl der Freien, die sich zu körperlicher Arbeit "herabwürdigten", war natürlich
sehr gering. Erst im Laufe der Zeit, als durch die Freilassung von Sklaven sich
ein ständig wachsender Stand der Liberten entwickelte, die mangels Vermögens
auf den Erwerb mit der ihnen gewohnten körperlichen Arbeit angewiesen waren,
erst von dieser Zeit ab, der Kaiserzeit, kann man von dem Aufkommen freier Lohn
arbeit, die einigermaßen Beachtung verdient, sprechen.
Erst aus dieser Zeit vornehmlich haben wir daher Material zur Verfügung,
und zwar hauptsächlich in dem sog. Maximaltarif des Diokletian, der, im Jahre
301 zur Bekämpfung der fortschreitenden Teuerung erlassen, für Waren und Löhne
bestimmte Taxen festsetzte. Wir finden hier bei den Arbeitslöhnen sowohl Zeit
lohn- (a) wie Akkordpositionen (ß).
a) Auf die Anschauung von dem Sachencharakter der Arbeitskraft, die, wie
wir sahen, nicht erst römischen Ursprungs ist, ist es zurückzuführen, daß auch bei
den Römern die Dienstmiete analog der Sachmiete in der Regel auf Zeit und des
wegen auch gegen nach Zeitabschnitten bemessene Vergütung erfolgte.