Table Of ContentDenken und Erkennen
im kybernetischen Modell
Von
Dr. H. Stachowiak
Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin
Mit 10 Textabbildungen
Springer-Verlag Wien GmbH
ISBN 978-3-7091-3392-7 ISBN 978-3-7091-3391-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-7091-3391-0
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© 1965 by Springer-Verlag Wien
Urspriinglich erschienen bei Springer-Verlag Wien New York 1965
Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1965
Titei Nr. 9124
Vorwort
Mit dem Denken überhaupt ist auch die besondere Form des operatio
nalen (der Problemlösung dienenden, produktiven) Denkens Gegenstand
der empirischen Psychologie. Das Denken wird heute jedoch, besonders
in den USA, zunehmend auch unter Heranziehung neuartiger quanti
fizierender Methoden und moderner Techniken erforscht, die außerhalb
der Psychologie und keineswegs primär für psychologische Untersuchungs
zwecke aufgebaut wurden. Es sind dies vor allem die unter den Namen
der (angewandten) Kybernetik und der (angewandten) Informations
theorie zusammengefaßten Verfahrensweisen, deren methodische Verall
gemeinerung~n zur Hauptgruppe der formal-operationalen Wissen
schaften (vgl. Abschnitt ll, S. l27f.) gehören.
Die auf dem Grundgedanken der Rückkopplung beruhende allgemeine
oder formale Kybernetik als generelle Untersuchungs- und Verfahrensweise
der Handlungssteuerung (L. CouFFIGNAL) stellt hiernach eine die Stufe
der allgemeinen System-und Modelltheorie erreichende Verallgemeinerung
der Regelungstechnik (Theorie der technischen Regelkreissysteme,
Ingenieurskybernetik) dar, während in Gestalt der allgemeinen oder
formalen Informationstheorie ein selbständiges Forschungsgebiet ent
standen ist, das auf eine umfassende mathematische Theorie der Infor
mation für eine möglichst große Klasse wahrscheinlichkeitstheoretischer
Objekte zielt.
Faßt man, wie im vorliegenden Falle, eine die "klassischen" Ver
fahrensweisen der Psychologie ergänzende "psychokybernetische" und
"informationspsychologische" Analyse des oparationalen Denkens als
Vorstufe auf für die Konstruktion von technischen Simulationsmodellen
der untersuchten natürlichen Funktionen und Funktionsgesamtheiten,
so gewinnt weiterhin die Technologie der modernen Datenverarbeitungs
anlagen Bedeutung. Denn erst die heute verfügbaren Informationswandler
eröffnen den Weg zur Nachbildung nicht nur deduktiv-logischer, sondern
auch induktiv-stochastischer Denkprozesse und der im eigentlichen Sinne
kreativen Funktionen menschlichen Denkens.
In den beiden ersten Kapiteln (A und B) des Buches ist versucht
worden, die vorgenannten Betrachtungsweisen und Methoden zum
Grundentwurf eines theoretisch-funktionalen Modells des operationalen
Denkens zu verbinden sowie die Möglichkeiten der technischen Realisierung
dieses Modells wenigstens anzuvisieren. Der einleitende Abschnitt des
dritten Kapitels (C) stellt den Versuch dar, den zuvor entwickelten
Modellgrundriß auf erfahrungswissenschaftliches Denken - als Sonder-
IV Vorwort
form des operationalen Denkens-anzuwenden. An diesen Abschnitt ( 11)
schließen sich Untersuchungen ergänzender Art an, die sich teils mit
in den Erfahrungswissenschaften häufig zur Anwendung gelangenden
Denkmethoden, teils mit dem Problem der Verifikation erfahrungswissen
schaftlicher Modelle und Theorien beschäftigen.
Daß die im dritten und letzten Kapitel versuchte Übertragung der
kybernetisch-informationstheoretischen Betrachtungsweise auf Probleme
des erfahrungswissenschaftliehen Denkens und der Erkenntnispsychologie
einen ganz fraglos mit mancherlei Mängeln und Unzulänglichkeiten be
hafteten ersten Ansatz darstellt, braucht wohl um so weniger betont zu
werden, als der zugrunde gelegte allgemeine Modellgrundriß selbst noch
der Verbesserung, Ergänzung und Ausgestaltung zum eigentlichen Modell
und darüber hinaus zur (hinreichend empirisch bestätigten) Theorie bedarf.
Dennoch dürfte bereits auf der hier erreichten Stufe der am Aktionskreis
"Mensch-Außenwelt" orientierten Systematisierung von Wissens
beständen, die selbst zum erheblichen Teil der Arbeit des "Wiener Kreises"
und der ihm nahestehenden, ihn fortsetzenden Forscher zu danken sind,
die Tragfähigkeit des kybernetischen Ansatzes, im ganzen wie im einzelnen,
deutlich werden. Der Verfasser ist sich vollauf darüber im klaren, daß
noch ein langer Weg von dieser ersten Leistung bis hin zu einer syste
matisch entwickelten "kybernetischen Erkenntnistheorie" einschließlich
einer sie ergänzenden kybernetischen Methodenlehre des erfahrungswissen
schaftliehen Denkens und Forschens zurückzulegen ist.
Bei dem Versuch, die Gesamtuntersuchung dem vorgegebenen Rahmen
der traditionellen Fächereinteilung näher einzuordnen, dürften sich gewisse
Schwierigkeiten ergeben. Zwar ist, wie betont, vom Gegenstande her
kaum die Zuständigkeit der Psychologie zu bezweifeln. Unzweifelhaft
jedoch verwirklicht sich im Nachdenken über das Denken auch philo
sophisches Bemühen. Die hier vorgelegte Modellkonzeption und mehr
noch die aus ihr gezogenen erkenntnispsychologischen und methodo
logischen Folgerungen enthalten bei aller Berücksichtigung empirischer
Befunde stark gedanklich-konstruktive und wohl auch einige spekulative
Elemente. Auch die betont integrative, den Bereich der einzelnen Fach
wissenschaft überschreitende Methodik scheint die Untersuchung als
überwiegend philosophisch auszuweisen, sofern es nämlich zu den Auf
gaben der Philosophie gehört, die Einzelwissenschaften durch Koordination
ihrer Verfahrensweisen und durch Bereitstellung interdisziplinär ver
wendbarer Denkansätze und Methoden zu unterstützen und zu fördern.
Vielleicht trägt diese Schrift dazu bei, unter dem interdisziplinären
Konzept der augewandten Kybernetik und Informationstheorie dem
Nachbarschaftsverhältnis von Philosophie und Psychologie, das einmal
ein Verwandtschaftsverhältnis war, neue Bewährungschancen zu geben.
Der Entwicklung und Darstellung vor allem des in den beiden ersten
Kapiteln vorgelegten Modellgrundrisses ist selbstverständlich ein aus
führliches Studium zahlreicher Einzeluntersuchungen anderer Autoren
vorangegangen. Diesen im Fortgang der Abhandlung namentlich ge-
Vorwort V
nannten Forschern fühlt sich der Verfasser in erster Linie zu großem und
bleibendem Dank verpflichtet.
Besonderer Dank gebührt darüber hinaus den Herren Prof. Dr. KARL
STEINBUCH, Technische Hochschule Karlsruhe, und Prof. Dr. HELMAR
FRANK, Pädagogische Hochschule Berlin, für die kritische Durchsicht
des Buchmanuskriptes sowie für zahlreiche wertvolle Hinweise und
Anregungen. Der Verfasser fühlt sich fernerhin den Herren Prof. Dr. HANs
MüNZNER, Freie Universität Berlin, und Prof. Dr. HELMUT PACHALE,
Freie Universität Berlin, dankbar verpflichtet, die insbesondere den
mathematischen Teil des Manuskriptes einer kritischen Prüfung unter
zogen und wichtige Ratschläge gegeben haben. Das zuletzt Gesagte gilt
vor allem für den Anhang (vgl. S. 224ff.), dessen endgültiger Fassung
Gespräche mit Herrn Prof. PACHALE vorangingen. Es sei jedoch an dieser
Stelle betont, daß keinen der oben genannten Herren eine auch nur
partielle Verantwortlichkeit für das in diesem Buch Vorgetragene trifft.
Herrn stud. phil. PETER G.Ä.NG sei für sorgfältige Korrekturarbeiten und
die Hilfe bei der Anlage des Namenregisters gedankt.
Nicht zuletzt gilt der besondere Dank des Verfassers dem Springer
Verlag Wien für sein lebhaftes Interesse an der Schrift, für die stets aus
gezeichnete Zusammenarbeit und für die hervorragende Ausstattung
des Buches.
Weiterführende Forschungen auf einem so jungen Gebiet, wie es eine
"Kybernetik des Denkens und Erkennens" darstellt, bedürfen der
Diskussion unter Sachverständigen. Der Verfasser bittet daher insbeson
dere seine Kritiker jeglicher Fachrichtung, ihm (über die Verlagsanschrift)
ihre auf wissenschaftlicher oderfund philosophischer Argumentation
beruhende Auffassung zu einzelnen der in diesem Buch vorgetragenen
Gedanken oder zum Gesamtentwurf des Buches kundzutun. Allen diesen
Förderem der gemeinsamen Sache sei im voraus herzlich gedankt.
Berlin, im November 1964
Herbert Staehowiak
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung ................................................ ·. . . . . . 1
A. Das kybernetische System "Mensch-Außenwelt". . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1. Der Systemteil "Mensch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
2. Der Systemteil "Außenwelt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
3. Zum kybernetischen System "Mensch-Außenwelt" . . . . . . . . . . 5
4. Technische Regelkreissysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
5. Systemisomorphien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
B. Grundriß eines funktionalen Modells des operationalen Denkens . . . 13
6. Der externe Beobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
7. Perzeption der Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
8. Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
9. Kybernetisch-informationstheoretische Beschreibung des Denk-
prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 7
10. "Denkmaschinen"......................................... 80
C. Methodisch-wissenschaftliches Denken........................... 92
11. Wissenschaftstheoretische Folgerungen aus dem Modellentwurf 92
I. Der Erfahrungswissenschaftler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
2. Die Außenwelt des Erfahrungswissenschaftlers. . . . . . . . . . . . . 97
3. Der Erfahrungswissenschaftler und seine Außenwelt als
kybernetisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
4. Die erfahrungswissenschaftliche Außenweltperzeption ....... 100
5. Zur Motivation erfahrungswissenschaftliehen Denkens ...... 104
6. "Kognitive Konditionierungen" des erfahrungswissenschaft-
liehen Denkens ......................................... 109
7. Grundzüge des operativen Aufbaues einer erfahrungswissen
schaftliehen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
8. Die vier Wissenschaftshauptgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
I. Die formal-operationalen Wissenschaften .............. 127
II. Die Naturwissenschaften ............................ 128
III. Die anthropologischen Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 128
IV. Die Kulturwissenschaften ........................... 129
12. Induktives Denken ........................................ 131
13. Deduktives Denken ....................................... 146
14. Die "rein imaginären Welten" ............................. 153
15. Zum Problem des "richtigen" Denkens ..................... 156
Schlußbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Vlli Inhaltsverzeichnis
Seite
Anhang: Zur wahrscheinlichkeltstheoretischen Verallgemeinerung der
Shannonschen Definition der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
I. Definition der Information über einen Zufallsvektor, die in einem
anderen Zufa.llsvektor enthalten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
1. Maß- und Wahrscheinlichkeitsraum ....................... 225
2. Zufa.llsva.riable und Zufallsvektor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
3. Definition der Information für Zufa.llsva.ria.blen und Zufalls-
vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
II. Definition der Information über einen vera.llgemeinerten zu
fälligen Prozeß, die in einem anderen vera.llgemeinerten zufälligen
Prozeß enthalten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
4. Zufa.llsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
5. Zufälliger Prozeß und vera.llgemeinerter zufälliger Prozeß . . . 240
6. Definition der Information für vera.llgemeinerte zufällige
Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Namenverzeichnis ............................................ 245
Einleitung
Faßt man den Menschen im Sinne der zeitgenössischen Anthropologie
als ein nach eigengedanklichen Entwürfen handelndes Wesen auf, so ist der
mit dem Wort ,,Denken'' bezeichnete Tatbestand keine autonome Funktion,
durch die der Mensch eine nach außen abgeschlossene, eigengesetzliche
Welt aufbaut. Vielmehr erweist sich Denken als integrierender Bestandteil
aktiven Tätigseins. Es befähigt den Menschen, die Welt, in der er lebt,
durch deren Widerstände hindurch er sein Leben gestalten muß, ziel
gerichtet zu verändern, wobei die Zielrichtung generell bestimmt ist
durch die Grundforderung der optimalen Anpassung der äußeren
Umstände an seine vitale Bedarfslage und seine erlebten Bedürfnisse,
die er wenigstens innerhalb bestimmter Mindestgrenzen befriedigen muß,
um zu überleben und sich, darüber hinaus, eine daseinserfüllte Welt
aufzubauen.
Unter den Psychologen hat besonders J. PlAGET diese operational
funktionale Auffassung des Denkensund im weiteren Sinne der Intelligenz
auf die Grundtatsache gestützt, daß alle Organismen in wechselseitigen
Austauschprozessen mit ihrer Umwelt stehen und immer dann, wenn
ein Spannungsgefälle zwischen vitalem Bedarf und lebensnotwendiger
Bedarfsdeckung eintritt, dieses auszugleichen suchen, also Gleichgewichts
zuständen zustreben. Dies gilt bereits für die organische, aber auch für
die sensornotorische Anpassung und nicht weniger für die höheren
Intelligenzfunktionen bis hin zum reflexiven Denken1.
Jene Gleichgewichtslagen, soweit es sich jedenfalls um die höheren
Organisationsformen der intelligenten Anpassung handelt, vermag das
Tier immer nur kurzfristig, unter dem Druck der aktuellen Situation,
herzustellen. Dabei bleibt es an seinen unmittelbaren Umgebungsraum
gebunden, der selbst Teil einer artspezifischen Eigenwelt ist. Mit dieser
korrespondieren bestimmte, ebenfalls arteigentümliche, starre Verhaltens
muster und gewisse Organspezialisierungen. Zwar treten bei den höheren
Tieren basale kognitive Funktionen auf wie Unterscheidungsvermögen,
Wahrnehmung und "sensorische Abstraktion"; unter geeigneten, etwa
experimentell hergestellten Bedingungen beobachtet man auch lang
fristig verhaltensdeterminierende Lernleistungen, die zumeist mit dem
teilweisen Zerfall der Instinktsteuerung verbunden sind.
Spracherwerb aber, nämlich Aufbau von (semantischen) Kommuni
kationssystemen, sowie Denken als Prozeß der an das Operieren mit
Zeichen gebundenen Informationsverarbeitung innerhalb dieser Systeme
und als Voraussagefunktion eignen nur dem Menschen2• Er allein über
schreitet die Stufe einer ausschließlich an das Hier und Jetzt seiner
Stachowlak, Kybernetik 1
2 Einleitung
Lebensumstände gebundenen, praktisch-unmittelbaren Intelligenz, vermag
sich freizusetzen vom unmittelbaren Bedürfnisdruck und die Motive
seines Handeins aufzuschieben und zu staffeln. Im Denken, das man
treffend ein verinnerlichtes Probe- bzw. Ersatzhandeln genannt hat, anti
zipiert er - bei ständiger Kontrolle und Modifikation der virtuellen
Vorwegnahme der Zukunft - die aktive Veränderung der Wirklichkeit
je nach der seine Handlungsrichtung und -intensität bestimmenden Motiv
dynamik.
Wie geht dies des näheren vor sich! Es soll nachfolgend versucht
werden, mittels neuerer, vor allem in der theoretischen Kybernetik und
Informationstheorie entwickelter Begriffsbildungen und Modellvorstel
lungen den funktionellen Aufbau des Denkprozesses auf der hier heraus
gehobenen operationalen Ebene unter gewissen vereinfachenden Bedingungen
zu beschreiben. Von dem in Vorschlag gebrachten Grundri,ß eines
funktionalen Modells des oparationalen Denkens aus wird sich dann,
wie zu hoffen ist, vielleicht auch ein fruchtbarer Aspekt für die philo
sophische Analyse wissenschaftlich-methodischer Verfeinerungen des Denkens
einschließlich der empirisch-rationalen Bewährungskontrolle erfahrungs
wissenschaftlicher Theorien und Modellbildungen ergeben3•
Mit "operationalem Denken" kann sowohl eine Denkform als auch
eine Denkebene oder -stufe bezeichnet werden. Als Denkform steht es,
durch seinen hohen Bewährungsgrad ausgezeichnet, neben anderen
Denkformen wie der des magischen, des physiognomisch-affektiven, des
kontemplativen usw. Denkens. Von einer Denkebene oder -stufe dagegen
ist die Rede, wenn der Gesichtspunkt der Entwicklung des individuellen
Denkapparats den Vorrang hat. So unterscheidet PlAGET, dessen
Terminologie auch hier Anwendung finden soll, die Entwicklungsstufen
oder -ebenen des vorbegrifflich-symbolischen Denkens (2. bis 4. Lebens.
jahr), des anschaulichen Denkens (5. bis 8. Jahr), der konkreten Operationen
(9. bis 12. Jahr) und der formalen Operationen (vom 13. Jahr an)4• Der
Begriff des operationalen Denkens schließt die konkreten ebenso wie
die formalen Operationen ein. Entscheidend für die Denkebene, die das
voll entwickelte, "normale" Individuum erreicht hat, ist die Fähigkeit
der Koordinierung, Strukturierung und Umstrukturierung vorgestellter
wirklicher oder rein "imaginärer" Welten, vor allem aber, worauf niemand
so eindringlich hingewiesen hat wie fuGET, die Tatsache, daß die Denk
prozesse auf der operationalen Stufe reversibel variierbar verlaufen.
Operationales Denken tritt in der Realität selten rein auf; zumeist
ist es mit Denkprozessen anderer Formen und Ebenen vermischt. Zu
den vereinfachenden Voraussetzungen des hier vorgelegten Modellentwurfs
gehört indes wesentlich die Annahme, daß der operationale, zu induktiv
stochastisch oder deduktiv-logisch erschlossenen Voraussagen und
Handlungsantizipationen führende Denkprozeß als weitgehend isoZierbar
betrachtet werden kann.