Table Of ContentDemografiesensible Entgeltpolitik
Klaus Schmierl • Stefanie Weimer
Demografiesensible
Entgeltpolitik
Annäherung an ein Zukunftsthema
KlausSchmierl
StefanieWeimer
ISFMünchen
München
Deutschland
DasdiesemBuchzugrundeliegendeForschungsvorhaben„DemografiesensibleEntgelt-
politik. AlternsgerechtePersonal-undEntgeltpolitikinBranchenundUnternehmen
derLowtech-Industrie“(Laufzeit:Mai2010bisJuni2013)wurdeunterderNr.S-2009-
312-3gefördertdurchdieHansBöcklerStiftung.
DieVerantwortungfürdenInhaltliegtbeidenAutoren.
ISBN978-3-658-04978-2 ISBN978-3-658-05349-9(eBook)
DOI10.1007/978-3-658-05349-9
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Lektorat:CoriAntoniaMackrodt,MonikaKabas
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ....................................................... 1
1.1 DasProjekt„DemografiesensibleEntgeltpolitik“–Fragestellung
undmethodischesDesign ..................................... 6
1.2 GesellschaftspolitischerHintergrunddesForschungsvorhabens.... 9
1.3 GliederungdesvorliegendenBerichts........................... 11
2 TheoretischerRahmenundkonzeptionellesForschungsdesign ....... 13
2.1 DemografischerWandelindenBetrieben ....................... 13
2.2 NeueEntgeltsystemeimdemografischenWandel ................ 20
2.3 ZielsetzungenundFragestellungendesProjekts.................. 29
3 DatenbasisundErhebungsdesign .................................. 35
3.1 DasUntersuchungsfeld ....................................... 35
3.2 MethodischesVorgehen ...................................... 38
3.3 Erhebungszeitraum........................................... 40
3.4 CharakterisierungderUntersuchungsbranchen .................. 42
3.5 Untersuchungsunternehmen/Intensivfallstudien ................. 61
4 EntgeltpolitikimdemografischenWandel .......................... 81
4.1 Betriebliche Ausgangslage zur Befassung mit dem Thema
„DemografischerWandel“..................................... 81
4.2 EntgeltpolitikalsheterogenesStrategiefeldmitvielfältigen
Handlungs-,Entscheidungs-undRegelungstatbeständen.......... 83
4.3 (Unterlassene)KopplungdesEntgeltthemasmitdem
demografischenWandel:BlinderFleck,Handlungsohnmachtund
heißesEisen ................................................. 86
4.4 ExemplarischebetrieblicheAusgangslageninderEntgeltpolitik.... 90
V
VI Inhaltsverzeichnis
4.5 Zwischenfazit:DemografieorientierteLösungsansätzeinder
betrieblichenEntgeltpolitik.................................... 97
4.6 AltersspezifischeEingruppierung:Renaissanceder
Senioritätsentlohnung? ....................................... 98
4.7 EntgeltschutzältererBelegschaftsmitglieder ..................... 104
4.8 ResultatevonorganisatorischenMaßnahmen.................... 107
4.9 GruppenschutzundArbeitnehmersolidarität .................... 109
5 AlternsgerechteArbeitspolitik/Arbeitsorganisation ................. 111
5.1 LösungsansatzI:Gesundheitspräventionin
derArbeitsorganisation ....................................... 112
5.2 LösungsansatzII:VeränderungeninderArbeitsteilungund
Arbeitsorganisation .......................................... 116
5.3 LösungsansatzIII:ErhöhungderPersonaleinsatzflexibilität........ 119
5.4 Scheinlösungen .............................................. 124
5.5 HemmendeundförderndeRahmenbedingungeneinesbetrieblichen
AltersmanagementsinKMU .................................. 125
6 Altern,EntgeltundLeistungsgerechtigkeitimBetrieb:DieEbeneder
subjektivenPerspektive ........................................... 129
6.1 EinbeziehungdersubjektivenSituationsdefinition................ 129
6.2 DasBildvon„denÄlteren“indenBetrieben..................... 131
6.3 BetrieblicheBewältigungsmusterimUmgangmitProblemenvon
LeistungswandelundLeistungseinschränkungenimAlter......... 139
6.4 VorstellungenvonLeistungs-undEntgeltgerechtigkeitimAlter ... 146
6.5 BewältigungsformenundsubjektiveDeutungsmustervon
Altern,LeistungswandelundEntgeltfolgenimBetrieb–Zur
GeneralisierbarkeitderempirischenErgebnisse .................. 151
7 ZusammenfassungundAusblick................................... 155
7.1 DemografischerWandelalsHebelfürarbeitspolitischeInitiativen
zugunsten„GuterArbeit“? .................................... 158
7.2 EntgeltpolitischeSchlussfolgerungenundoffeneForschungsfragen. 160
Literatur ............................................................ 165
1
Einleitung
Mit der vorliegenden Veröffentlichung wird ein dreijähriges Forschungsprojekt
des ISF München abgeschlossen, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert
und betreut wurde. Dieses Forschungsprojekt widmete sich im Rahmen des
Forschungsschwerpunkts „Demografischer Wandel und Arbeitspolitik“ einer in
der Demografieforschung weitgehend vernachlässigten Fragestellung: inwieweit
und mit welchen Effekten die betriebliche Entgeltpolitik die Bewältigung des
demografischenWandelsinIndustrieunternehmenbeeinflusst.
InderDemografieforschungderletztenJahrewurdeeineVielzahlvonBefunden
vorgelegt, die sich der Gesundheitsprävention und ergonomischen Maßnahmen
sowiederbetrieblichenArbeitspolitikwidmen.DasindiesemBuchdokumentier-
teForschungsvorhabenhatsichauchmitdiesenMaßnahmenbeschäftigt,weiles
sichdabeiumdasinderökonomischenRealitätoffensichtlichamstärkstenreprä-
sentierteLösungsbündelhandelt. DieentscheidendeZielsetzungdesProjektslag
jedochdarin,spezifischeEntgeltregelungenzuidentifizieren,dievondenBetrieben
ineinemmehroderwenigerengenBezugzumdemografischenWandelundzur
tendenziellenAlterungvonBelegschaftenumgesetztwerden.
Betriebliche Entgeltsysteme stehen im Zentrum der für eine alternsgerechte
PersonalpolitikrelevantenHandlungsfelderErwerbsbiografie,Arbeitspolitik,Qua-
lifizierungspolitik und Leistungspolitik (Schmierl 1995). Wenn Entgeltpolitik im
VerbundmitLeistungspolitikzuphysisch-psychischemVerschleißderArbeitskraft
führtundverhindert,dassÄlterelängerimErwerbslebenverbleibenkönnen,liegt
siegeradezuamKerndes(vermeintlichen)Problems„ÄltereArbeitnehmer“(Wei-
mer2006).Zudemsindderzeit–unteranderemaufgrundneuerTarifverträge(etwa
des ERA) – die betrieblichen Entgeltmodelle in vielen Branchen einem Wandel
unterworfen:NeueEingruppierungsverfahrenundLeistungsparameter(Marktbe-
zug,Prozessorientierungund-optimierung,Variabilisierung,Kennziffernmodelle,
Zielvereinbarungen,Leistungsbeurteilungenetc.)sindinderUmsetzungbegriffen
K.Schmierl,S.Weimer,DemografiesensibleEntgeltpolitik, 1
DOI10.1007/978-3-658-05349-9_1,©SpringerFachmedienWiesbaden2014
2 1 Einleitung
(Schmierl2008,2009a;KratzerundNies2009a,b).InwieweitindiesemVerände-
rungsprozessderEntgeltmodelleallerdingseinBezugzudemografischveränderten
Belegschaftsstrukturenhergestelltwird,istbislangoffen.
Umso erstaunlicher erscheint es, dass die betriebliche Entgeltpolitik und die
Frage der Anpassung der Entgeltsysteme an den demografischen Wandel der
Belegschaftsstrukturen bisher noch kaum in den Fokus der arbeitsweltbezoge-
nen Demografieforschung geraten ist und auch im Kontext der Debatte um
alternsgerechte Arbeitsbedingungen kaum eine Rolle spielt. Das vorliegende
Forschungsprojekt betrat daher mit seiner Fragestellung empirisches und kon-
zeptionellesNeuland,dieempirischenErgebnissetragendamitnotwendigerweise
explorativenCharakter.
Ziel der empirischen Erhebungen war es vor diesem Hintergrund, zunächst
einmal zu identifizieren, ob und wie die Unternehmen mit Anpassungen ihrer
Entgeltpolitik auf den demografischen Wandel ihrer Belegschaften reagieren, ob
undwiesiedemografiebezogeneAnpassungsmaßnahmenentgeltpolitischflankie-
ren und wie sich überhaupt der Zusammenhang zwischen Entgeltsystemen und
demografischenAnforderungenausSichtderBetriebedarstellt. Wirberücksich-
tigten dabei nicht nur die betriebliche Sicht, sondern auch die Einschätzungen
derBeschäftigtenselbst,alsoihreVorstellungenvonLegitimität,wasdemografie-
sensible Engeltpolitik angeht. Darüber hinaus ging es uns darum, auf der Basis
der empirischen Befunde Hinweise darauf zu erarbeiten, welche Anforderungen
demografiesensible Entgeltsysteme zu erfüllen haben und wie sie gestaltet sein
können.
Was verstehen wir in diesem Zusammenhang unter Entgeltpolitik? Diesen
TerminusverwendenwiralseinenSammelbegriff, derdieganzePalettebetrieb-
licherZielsetzungen, Strategien, DetailregelungenundAushandlungenbezüglich
derEntgelteeinbezieht. DerBegriffEntgeltpolitikumgreiftsomitunteranderem
die Vorgaben für die betriebliche Entgeltgestaltung aus tarifvertraglichen Rege-
lungen, dieEntscheidungenderbetrieblichenPersonalabteilungzurAnwendung
spezifischerEntlohnungsgrundsätzeinunterschiedlichenAbteilungenundüberdie
NutzungvonLeistungslohnformenbishinzurErmöglichungalterskohorten-oder
berufsphasenspezifischerUnterschiedeimBerufs-undKarriereverlauf.
AlsdemografiesensibleEntgeltsystemebegreifenwirEntgeltsysteme,diedarauf
abheben, die Zielsetzungen der Leistungsgerechtigkeit und der Altersgerechtigkeit
in Einklang zu bringen. Das kann nur gelingen, wenn in den Entgeltsystemen
die Kriterien dafür, was als Leistung definiert wird und wie diese gemessen und
damit einkommensrelevant wird, um Qualifikations- und Leistungskomponen-
ten ergänzt werden, die den im biografischen Berufsweg (weiter-)entwickelten
besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten älterer Belegschaftsmitglieder entspre-
1 Einleitung 3
chen.Dabeigerätu.a.daskritischeVerhältniseinerengen,alleinaufdasErgebnis
abzielenden Leistungspolitik zu einer aufwandsorientierten Leistungspolitik mit
GratifizierungqualitativeralternsgerechterLeistungsbestandteileindenFokusder
Untersuchung.DerAnsatzpunktdesProjektsrichtetesichimSinneeineralterns-
gerechtenEntgeltgestaltungfürdiegesamteBelegschaftinsofernauchaufdieden
betrieblichenEntgeltsystemenzugrundeliegendeDefinitionundBemessungvon
Leistung und die Frage, inwieweit dabei Leistungsmerkmale und Qualifikations-
komponenten berücksichtigt bzw. vernachlässigt werden, die das mit dem Alter
sich wandelnde Leistungspotenzial berücksichtigen, ohne zugleich die jüngeren
Belegschaftsmitgliederzudiskriminieren.
Folgt man diesen beiden grundlegenden Definitionen, so stellen sich folg-
lich im Rahmen einer empirischen Bestandsaufnahme zu den betrieblichen
EntgeltsystemenfolgendeForschungsfragen:
• InwieweitsindimBranchentarifvertragdemografierelevanteThemenreguliert
undwelcheRollespielendemografierelevanteEntgeltbestandteile?
• Welche Entlohnungsgrundsätze, -methoden und formen werden im Betrieb
angewandt? Welche Art der Arbeitsbewertung (analytisch oder summa-
risch) wird angewandt? Welche Eingruppierungskriterien spielen eine Rolle
(Qualifikationen, Belastungen, Arbeitsplatzanforderungen etc.)? Sind diese
Eingruppierungskriterienaltersspezifischdifferenziert?
• LassensichbestimmteEntgeltgrundsätzeidentifizieren,diefüreinealternsge-
rechtePersonalpolitikderGesamtbelegschaftbesondersgeeignetoderbesonders
ungeeigneterscheinen(Gruppenakkord,Zeitlohn,Polyvalenzlohn)?
• GibtesUnterschiedezwischenGewerblichenundAngestellten?
• Gibt es Leistungsentgelt und nach welchen Beurteilungsdimensionen oder
BewertungskriterienwerdendieLeistungszulagenermittelt?
• InwieweitlassensicherwerbsbiografischeEntgeltmodelleentwickeln,derenEin-
gruppierungsbestimmungenoderLeistungskennzahlensichfürdieunterschied-
lichen Alterskohorten bzw. Berufsphasen unterscheiden? Inwieweit müssten
Bewertungsdimensionen, die in die Leistungsmessung und Leistungsbeurtei-
lung eingehen, um alternsgerechte und berufsphasenspezifische Merkmale
ergänztwerden?
• Welche Erfahrungen mit aktuellen Eingruppierungen und betrieblichen Ent-
geltstrukturenimBezugzumdemografischenWandelgibtes?
• SindmöglicheGenerationenkonflikteerkennbar?WelcheEntgeltsystemebeu-
geneinerAusgrenzungundunsolidarischemVerhaltenzwischenunterschiedli-
chenAlterskohortenvor?GibtesfüraltersgemischteTeamsbesondersgeeignete
Leistungsentgeltformen?
4 1 Einleitung
• WelcheAnforderungenhabenEntgeltsystemezuerfüllen,dieeinekontinuierli-
cheWeiterbildungvonÄlterenunddenorganisiertenWissenstransferzwischen
AltundJungfördern?
• IstdasbetrieblicheEntgeltsystemdendemografischenAnforderungenausSicht
vonbetrieblichenEntgeltzuständigenangemessen?
• Wassindförderndebzw.hemmendeFaktorenfüreineVeränderunginRichtung
einerdemografiesensiblenEntgeltpolitik?
DerexplorativeCharakterunseresForschungsvorhabensbedeutetezunächst,dass
wirinunsererEmpiriekaumauffundiertenempirischenoderkonzeptuellenVorar-
beitenzudemografiesensiblerEngeltpolitikaufbauenkonnten.Dashateinegroße
Ergebnisoffenheit zur Folge. So gingen wir mit einer Ausgangsvermutung in die
empirischeErhebung,vondersichimweiterenVerlaufderUntersuchungenzeig-
te, dass sie in dieser Form nicht zu halten war. Wir nahmen zunächst an, dass
eineunzureichendeAnpassungdervorhandenenEntgeltsystemeandendemogra-
fischenWandelsichalseinwesentlichesUmsetzungshindernisfürdiebetriebliche
Einführung alternsgerechter personalpolitischer und arbeitspolitischer Konzepte
erweisen könnte. Recht bald mussten wir aber feststellen, dass es in der betrieb-
lichen Realität zwar eine Vielfalt von Maßnahmen gibt, die auf die Bewältigung
demografischer Problemlagen zielen, aber kaum explizit darauf gerichtete Ver-
suche einer Anpassung der Entgeltsysteme. Es ließ sich weder eine hemmende
nocheineförderndeWirkungvorhandenerEntgeltsystemeaufdieUmsetzungeines
betrieblichenAlternsmanagementsnachweisen.
Waswirdagegenantrafen,wareinebreitePaletteinformellerentgeltpolitischer
Maßnahmen. Diese folgten im Allgemeinen keiner bestimmten Systematik oder
Strategie,sondernhatteneherdenStatusflexiblerReaktionenaufEinzelprobleme.
Etwaszugespitztgesagt: IndenBetriebenfandensichwenigerAnpassungenvon
gesamten Entgeltsystemen als vielmehr kreative Modifikationen von Detailrege-
lungen,dieallesamtindenArbeitsbeziehungenaufbetrieblicherEbenegemeinsam
vondenArbeitgebervertreternunddenBetriebsrätenentwickeltwurden. Anders
formuliert: DiebestehendenEntgeltsystemeerwiesensichalsunerwartetflexibel,
wasdieBewältigungdermitdemdemografischenWandelverbundenenProbleme
betrifft.
In allen untersuchten Betrieben fanden wir bei der Eingruppierung unter-
schiedliche Formen von Anciennitätsregelungen vor. Ebenso wurden in allen
Unternehmen–inArtundUmfangdurchausunterschiedliche–FormenderVer-
dienstabsicherungbeialtersbedingtemLeistungswandelpraktiziert.DieLegitimität
solcherAnciennitätsprinzipienbeiderEntlohnungundVerdienstabsicherungäl-
terer Kollegen wurde interessanterweise weder vom Management noch von den