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Gesellschaft und Außenpolitik in Deutschland 1867-1882
Florian Buch
Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der
Universität Bielefeld als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie
(Dr. phil.) angenommen. Für den Druck wurde sie gekürzt.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar
Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss. 2003
ISBN 3-89958-095-8
URN urn:nbn:de:0002-0956
© 2004, kassel university press GmbH, Kassel
www.upress.uni-kassel.de
Umschlaggestaltung: 5 Büro für Gestaltung, Kassel
Druck und Verarbeitung: Unidruckerei der Universität Kassel
Printed in Germany
INHALT
A. Einleitung 9
Die Fragestellung 11
Eingrenzung und Methode 17
Zur Forschungslage 23
Ad fontes 29
B. Außenpolitik. Begriff, Organisation, Wirkung, Denkstile 32
I. Zum Begriff ‚Außenpolitik’ 32
II. Die Organisation der auswärtigen Gewalt 43
III. Zur Reflexivität des Zusammenhangs von Außenpolitik und
Binnenstruktur 52
IV. Drei außenpolitische Denkstile und ihre Bedeutung 61
C. Das politische Kräftefeld in der ‚liberalen Ära’ 71
I. Akteursgruppen und ihr Selbstverständnis 72
1. Die Liberalen als Kraft der Bewegung 73
2. Kräfte der Beharrung 78
a. Alt-, Neu- und Freikonservative 79
b. Der politische Katholizismus 84
II. Strukturelle Bedingungen der Politik 93
1. Strukturelle Konsequenzen des Dualismus im Verhältnis von
Parteien und Regierung 94
2. Der Faktor Bismarck 102
3. Honoratiorenparteien im diätenlosen Reichstag 112
4. Die Strategie des ‚fiktonalen de facto-Parlamentarismus’ 116
III. Phasen der Konstellationsbildung 129
D. Staatsbildung und auswärtige Gewalt 134
I. Regierung und Liberale im Norddeutschen Bund 135
Die nationalliberale Politik begrenzter Kooperation 136
Die Deutung des Krieges von 1866 141
1. Die Verfassungsdebatte 1867 144
Die Verfassungsberatung und die Luxemburgkrise 147
Verfassungspolitische Konflikte 152
Ursprüngliche Akkumulation machtstaatlicher
Kompetenzen 155
Bewertungen der Verfassung 160
2. Öffentlichkeit und Außenpolitik im Norddeutschen Bund 161
Die Luxemburgkrise – verpaßte Gelegenheit zum Krieg? 162
Abrüstungsforderungen 166
Verfassungspolitische Offensiven 173
Die Interpellation Laskers vom 24. Februar 1870 184
II. Der Krieg als ‚Vater der Einheit’? 189
1. Neubewertung des Krieges 1870/71? 190
Der Beitrag der ‚Gebildeten’ zu den militärischen
Erfolgen 195
Kontinuitäten des Landwehrmythos 205
Kriegszieldiskussionen 210
Symbolischer Bellizismus im Kriegsgedenken
nach 1871? 220
2. Nationale Vergemeinschaftung im Krieg? 228
Gegen das ‚Frankreich im Inneren’ 231
Opferdiskurs 234
Verfassungspolitische Perspektiven am Ende des
Krieges 238
Politischer Katholizismus im ‚neuen Reich’ 242
E. Grenzenüberwindendes Denken und bürgerliche Gesellschaft 249
I. Zum Zusammenhang von Entgrenzung und Außenpolitik 250
1. Verblassende Grenzen: Kommunikation, Verkehr und Freihandel 259
Neue Bewegungen in Raum und Zeit 263
Frieden in der ‚neuen Zeit’ 274
Freunde und Feinde der Mobilität 281
2. Verschmelzende Rechtsräume und Hegung der Machtpolitik 286
Strukturwandel des Staatensystems 288
Krieg und Völkerrecht 293
Das öffentliche Interesse am Völkerrecht 300
Intervention und Souveränität 305
a. Recht ohne Grenzen als Grenze der Politik 311
Naturrechtliche Völkerrechtslehre 313
Die positivistische Selbstverpflichtungslehre 318
b. Muster ‚realistischer’ Argumentationen 324
Haupt- und Machtstaatsaktionen 325
Virtuosen und Verfechter ‚großer Politik’ 331
II. Kämpfe an den Grenzen des Arkanums 337
Der antiparlamentarische Schutzwall des Geheimnisses 340
1. Geheimnisvolle Diplomatie 345
a. Außenpolitisches Wissen und Meinen 345
Wissende und Nichtwissende 347
Sichtbares und Unsichtbares 357
Konstellationspolitische Erwägungen beim Sprechen
über Außenpolitik 367
b. Diplomatie – Pathologische Politik oder hohe Kunst? 372
Dekadente Diplomatie 377
Die Arnim-Affäre 389
Loyale ‚Volkspolitik’ vs. intrigante ‚Kabinettspolitik’ 398
2. Das Militär – versatiles Werkzeug oder defensives
‚Volk in Waffen’? 406
Zur Unterscheidung liberaler und katholischer
Militarismuskritik 411
Zur Marine- und Kolonialpolitik 413
Nationalstaatsgründung und Militarisierung 417
Organisationsfragen und Außenpolitik 419
a. Kampf um die Grenzen des Militärstandes 424
Parallellebenswelt 427
Der Dank des Vaterlandes 436
Vorrang der militärischen Ehre? 442
Das Militär vor Ort 448
Die Kommunalsteuerfreiheit des Militärs 460
b. Der parlamentarische Anspruch auf Kontrolle über das Militär 468
Die Verlängerung der ‚Pauschquantumswirtschaft’ im
Herbst 1871 469
Die Auseinandersetzung um das Reichsmilitärgesetz
von 1874 475
Bemerkungen zur Dienstzeitverkürung 490
Maßnahmen gegen eine Parlamentarisierung des
Militärischen 496
III. Institutionelle Grenzen im Inneren 498
Verfassungskrise im ‚neuen Reich’? 500
1. Innere Friedensfähigkeit 511
a. ‚Rechtsstaat’ oder ‚Machtstaat’? 512
Rechtseinheit als Rechtsgleichheit 516
Rechtsstaat oder Maßnahmenstaat? 519
Das Fehlen einer Verfassungsgerichtsbarkeit 527
b. Einheit vs. Freiheit? 533
Außenpolitische Kompetenzen der Einzelstaaten 543
c. Die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft 553
Diagnosen des Dualismus 558
Haushaltsrechtliche Kompetenzen des Reichstages in
der Diskussion 560
Die Frage der internationalen Staatsverträge 565
F. Am Ende der ‚liberalen Ära’ 575
Krisenzeichen 575
Wirtschafts- und Finanzpolitik als Katalysator der
Wende 579
Nur noch ein Schritt bis zur Parlamentarisierung? 591
Die Verschärfung der Krise durch die Debatte um das
Sozialistengesetz 1878 604
Die schutzzollpolitische Wende 615
Künstliche Bedrohungsszenarien und
konstellationspolitische Taktiererei 1880 621
Der Zerfall der nationalliberalen Partei 635
Die Monarchisierung der Politik 638
G. Ausblick und Schluß 644
H. Anhang 661
I. Siglen und Abkürzungen 661
II. Quellen 663
1. Archivalische Quellen 663
2. Drucksachen und Periodika 665
3. Monographien, Editionen und andere Quellen 666
III. Sekundärliteratur 681
Dank
Die hier in gekürzter Form vorliegende Arbeit entstand ursprünglich als
Dissertation im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten
Graduiertenkolleg ‚Sozialgeschichte von Gruppen, Schichten, Klassen und
Eliten’ an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie
der Universität Bielefeld. Als Erstgutachter hat Prof. Dr. Heinz-Gerhard Haupt
fungiert, als Zweitgutachterin Prof. Dr. Martina Kessel. Als Förderer und als
Diskussionspartner haben mir im Laufe der Zeit überdies vor allem Prof. Dr.
Lutz Häfner, Prof. Dr. Heinrich Rüthing und Prof. Dr. Reinhart Koselleck zur
Seite gestanden. Zudem sehe ich in näherem oder fernerem Zusammenhang
mit dieser Arbeit eine Reihe von persönlichen Freunden, von denen hier nur
einigen namentlich gedankt werden kann. Dabei denke ich an Heike Berger,
Dr. Dirk Bönker, Veronika Huesmann, Georg Klose, Marian Richling, Gunnar
Rüthemann und vor allem an Christian Hörnlein. Die Fehler und
Unzulänglichkeiten der Arbeit sind natürlich mein alleiniges Verdienst.
Mindestens ebenso wichtig ist der Dank an jene, die mich noch persönlicher
durch den normalen Wahnsinn einer solchen Arbeit begleitet haben: Meine
Eltern, Ulrich und Sylvia Buch; meine Tante, Dr. Ulrike Hirschberg; mein
Bruder Martin und seine Frau Britta Stallmeister und schließlich und vor allem
meine Freundin Bettina Engster. Sie alle mussten sich mit mir über
Archivfunde und Ideen freuen, die längst nicht mehr Teil dieses Buches sind.
Und schließlich danke ich in gewisser Weise auch jenen, die mich immer
wieder durch Ihre Ansichten überrascht und mir einen Gegenstand für diese
Arbeit gegeben haben, der über mehr als drei Jahre mein Interesse wachhalten
konnte. Das sind jene Liberalen, deren Politik zwar gescheitert ist, deren
Weltsicht ich aber manchen Irrtümern zum Trotz in vielen Punkten als überaus
ehrenwert empfunden habe. – Schöner hat dies der 1881 geborene pazifisti-
sche jüdische Europäer österreichischer Herkunft Stefan Zweig 1942 formu-
liert: „Es [sei] für uns heute, die wir das Wort ‚Sicherheit’ längst als ein Phan-
tom aus unserem Vokabular gestrichen haben, [billig] den optimistischen
Wahn jener idealistisch verblendeten Generation zu belächeln, der technische
Fortschritt der Menschheit müsse unbedingterweise einen gleich rapiden mora-
lischen Aufstieg zur Folge haben.“ Sei es auch „Wahn“ gewesen, so „doch ein
wundervoller und edler Wahn […] menschlicher und fruchtbarer als die Paro-
1
len von heute.“
1 Zweig, Die Welt, S. 18 f.
Alle politischen Begriffe entstehen aus einem konkreten, außen- oder innenpo-
litischen Gegensatz und sind ohne diesen Gegensatz nur mißverständliche,
sinnlose Abstraktionen. Es ist deshalb nicht zulässig, von der konkreten Situa-
tion, d.h. von der konkreten Gegensätzlichkeit, zu abstrahieren.*
A. Einleitung
Nach der Entlassung der Welt aus dem bipolaren Gegensatz von Freiheit und
Gleichheit sind Bedeutung und Umstrittenheit außenpolitischer Fragestellun-
1
gen im heutigen Zeitgeschehen im Zunehmen begriffen. Hinzu kommen
Verflechtungs- und Zerfallsprozesse, die nationalstaatliche Modelle des Staa-
tensystems als kontingent erscheinen lassen. Historisch argumentierende Re-
konstruktionsversuche der Vielschichtigkeit von Außenpolitik sucht man für
viele historische Kontexte gleichwohl vergebens. Dies mag erstaunen, weil
gerade die neue weltpolitische Lage die gesellschaftliche Relevanz und Bri-
sanz entsprechender Fragestellungen eindrucksvoll vor Augen führt. Zuneh-
mend wird darüber geklagt, daß weite Teile von Gesellschaft und Politik die
politische, gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung von Außenpolitik ein-
2
fach ignorieren. Im Rahmen einer als ‚historische Sozialwissenschaft’ ver-
standenen Geschichtswissenschaft ist außenpolitischen Themenstellungen hin-
gegen wegen der methodischen Einseitigkeiten der Diplomatiegeschichte und
eines großen Teils der Theorie der Internationalen Beziehungen nicht selten
3
ein ironisches Lächeln gezollt worden.
Die Auswirkungen von Außenpolitik auf innenpolitische Fragen sind derzeit
offenkundig. Umgekehrt kann man die Frage der inneren Verfassung außenpo-
litischer Akteure nur dann ignorieren, wenn man im Zuge eines realistischen
Modells der internationalen Beziehungen nicht Binnenstruktur und Handeln
der Akteure, sondern alleine die strukturellen Bedingungen des internationalen
4
Systems für relevant hält. Die Relevanz der Frage nach der konkreten Aus-
prägung dieses Zusammenhangs ist insoweit offenkundig, die klare Scheidung
zwischen ‚Innen’ und ‚Außen’ längst als illusorisch erkannt. Gerade mit Blick
auf das Verhältnis von Innen- und Außenseite des Staates ist von Didier Bigo
treffend das Bild des Möbius-Bandes, also einer einseitigen Fläche, verwendet
worden, bei der sich Innen- und Außenseite immer nur scheinbar unterschei-
5
den lassen. Zudem ist die Erkenntnis keineswegs neu, daß die Beantwortung
der Frage nach Innen- und Außenpolitik zu wichtigen Aufschlüssen über das
* Schmitt, Hugo Preuß, S. 5.
1 Vgl. Diner, Das Jahrhundert, S. 313 ff.; Lacoste, Geographie, S. 19 u. 25; Agnew, Geopoli-
tics, S. 1 f. u. 105 – 123; Krippendorff, Kritik, S. 14 f.; Koselleck, Hinter der tödlichen Li-
nie, S. 26 f.; Bigo, The Möbius Ribbon, bes. S. 101.
2 Hauser, Außenpolitische Komplexe, S. 15; Hoffmann-Axthelm, Warum haben wir, S. 59.
3 Vgl. Elman u. Elman, Diplomatic History, S. 6 u. 16; Ziebura, Die Rolle, S. 85 f.; Lehm-
kuhl, Diplomatiegeschichte, S. 395 f.
4 Vgl. Wendt, Anarchy, S. 394; Czempiel, Kants Theorem, S. 85.
5 Bigo, The Möbius Ribbon, bes. S. 97.
10 Einleitung
gesellschaftliche und politische Gefüge eines Staates, über Alternativen und
6
Konflikte führt. Methodische Defizite größerer Teile der Historiographie ha-
ben den Blick hierauf vielfach verstellt. Jürgen Osterhammel hat jedenfalls zu
Recht betont, daß im Zuge einer „Verleugnung des Internationalen“ eine theo-
retisch und analytisch wenig überzeugende Beschränkung auf national be-
grenzte Akteure, die Ausklammerung wichtiger Erkenntnisse der international
relations theory, die bloße Kaprizierung auf den Streit um ‚Primat der Innen-
politik’ oder ‚Primat der Außenpolitik’, sowie schließlich die „Entpolitisierung
der Konfliktproblematik und die Einschränkung von Gewaltwahrnehmung auf
anthropologische Grundbefindlichkeiten“ zu einer Verengung und Ausblen-
dung wichtiger kultureller, ökonomischer und politischer Fragestellungen ge-
7
führt hat.
Der Versuch, diese Beschränkungen zumindest teilweise zu überwinden und
damit an die noch junge Forschungsrichtung der new international history an-
zuschließen, wird im folgenden für eine zentrale Phase der deutschen Ge-
schichte des 19. und 20. Jahrhunderts unternommen, nämlich für die Grün-
8
dungsjahre des Deutschen Reiches. Dabei geht es vor allem um die Frage,
welche politischen und gesellschaftlichen Wirkungen einer machtpolitischen
Auffassung internationaler Politik beigemessen wurden und welche Versuche
unternommen worden sind, diese Strukturen der internationalen Politik mit den
aus ihnen heraus legitimierten Machtallokationen und gesellschaftspolitischen
Implikationen zu verändern bzw. im Gegenzug zu konservieren. Da hierfür
vielfach – und durchaus zu Recht – eine andere Staatsorganisation für erforder-
lich gehalten wurde, geht es zugleich immer auch um Fragen der Verfassungs-
und der Gesellschaftspolitik und um die Durchsetzungsfähigkeit jener Kräfte,
9
die diese alternativen Entwürfe verfolgten.
In dieser Einleitung wird es zunächst darum gehen, die Fragestellung zu erläu-
tern, bei der es um eine Zusammenführung struktureller Zusammenhänge zwi-
schen Innen- und Außenpolitik einerseits, sowie von Fragen der politischen
Ereignis- und Konstellationsgeschichte andererseits geht. Es tritt hier bereits
das grundsätzliche darstellerische Problem der Arbeit zutage: Es berge, so hat
Hermann Heller treffend bemerkt, die „Eigenart“ dialektischer Vorgänge „für
jede Darstellung eine ungemeine Schwierigkeit; sie besteht in der einfachen
Tatsache, daß man nicht alles auf einmal sagen kann und es doch tun müßte,
wenn man dem dialektischen Zusammenhang, in welchem jede Aussage auf
10
jede andre relativiert sein muß, vollständig gerecht werden wollte.“
6 Vgl. Bracher, Kritische Betrachtungen, S. 115; Osterhammel, Internationale Geschichte, S.
399 – 408.
7 Osterhammel, Krieg, S. 283 f.
8 Vgl. zur new international history: Herren u. Zala, Netzwerk, S. 13 – 17.
9 Klenke, War der ‘deutsche Mann’, S. 64. Vgl. Mollin, Internationale Beziehungen, S. 13 –
15; Conze, Zwischen Staatenwelt, S. 119 – 125; ders., ‚Moderne Politikgeschichte’.
10 Heller, Staatslehre, S. 81.