Table Of ContentDEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN
SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT
1
DAS WIRKEN DER GÖTTER
IN DER ILIAS
UNTERSUCHUNGEN ZUR FRAGE DER ENTSTEHUNG
DES HOMERISCHEN .GÖTTERAPPARATS«
VON
W O L F G A NG KULLMANN
1956
A K A D E M I E - V E R L A G . B E R L IN
Gutachter dieses Bandes :
Franz Dornseiff und Johannes Irmscher
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher
Redaktor dieses Bandes: Bruno Doer
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH.t Berlin W 8» Mohrenstr. 39
Lizenznummer 202 • 100/366/55
Gesamtherstellung: Druckerei „Thomas Müntzer'* Langensalza
Schutzumschlag: Hans-Joachim Schauß
Bestell- und Verlagsnummer: 2067/1
Printed'in Germany
Geleitwort
Die Sektion für Altertumswissenschaft bei der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin eröffnet mit dem vorliegenden Bande eine Schriftenreihe,
in der Arbeiten aus allen Gebieten der Altertumswissenschaft zum Druck ge-
langen sollen. Die Sektion wünscht so zur Neubelebung der Erforschung des
Altertums beizutragen. Sie will mit ihrer Schriftenreihe im besonderen jungen
Forschern die Möglichkeit bieten, ihre Arbeiten zurVeröffentlichung zu bringen.
Berlin im Herbst 1955
Die Sektion für Altertumswissenschaft
bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
Inhalt
Vorwort 5
Einleitung 7
I. Die Götter in der vorhomerischen Dichtung 9
Fesselung der Hera 12 — Fesselung des Ares 12 — Fesse-
lung des Zeus 14 — Bauernspiele 18 — Elemente der Götter-
lieder 18 — Bellerophontes 22 — Heraklesepos 25 — Vor-
homerische Troiaepik 35 — Zusammenfassung 38 — Homers
Verhältnis zu seinen Vorläufern 39.
II. Der,Götterapparat'der Ilias 42
III. Die volkstümlichen Vorstellungen vom Wirken der Götter
und ihre Weiterbildung in der Ilias 49
1. Aaifxov 49
2. Allgemeine Vorstellungen vom Einfluß der Götter auf
das Menschenschicksal. 57
3. Göttlicher Impuls 68
IV. Göttliche Epiphanie 83
1. Die Auslösung des göttlichen Eingreifens 83
2. Motivierung des göttlichen Eingreifens 87
3. Ankunft des Gottes 89
4. Erscheinungsweise des Gottes 93
5. Götterrüstung 105
6. Freie Willensentscheidung und göttliche Lenkung . . .. 106
V. Die Formen des Wirkens der Götter 112
1. Götterweisung 112
2. Götterparänese 119
3. Entführung 125
4. Göttlicher Schutz 131
5. Göttlicher Kampfesbeistand 134
6. Gegnerschaft des Gottes 141
Schlußbemerkung 147
Register 150
Vorwort
Vorliegender Arbeit liegt meine von Herrn Professor SCHADEWALDT an-
geregte Dissertation ,Das Wirken der Götter in der Ilias' zugrunde, die im
Juli 1952 von der Universität zu Tübingen angenommen wurde. Einige neue,
mir wichtig erscheinende Fragen wurden jetzt zusätzlich erörtert. Auch
konnte die seit 1951 erschienene Sekundärliteratur zum Teil noch berück-
sichtigt werden.
Dank schulde ich vor allem Herrn Professor SCHADEWALDT, nicht nur für
einzelne Ratschläge und persönliche Anteilnahme an der Entstehung der
Arbeit, sondern insbesondere auch für die allgemeine methodische Schulung,
die seine Seminare vermittelten, die ich in den Jahren 1946—1950 in Berlin
besuchen durfte. Wertvolle Anregungen gab mir außerdem das Homer-
seminar von Herrn Professor GTTNDERT im Sommer 1951 in Freiburg, an
dem ich als Gasthörer teilnahm.
Für Unterstützung bei der Drucklegung fühle ich mich Herrn Professor
IBMSCHER sehr verpflichtet. Beim Lesen der Korrekturen halfen mir HELLMUT
FLASHAR und KLAUS WEIDAUER, denen ich auch an dieser Stelle vielmals
danken möchte.
Hinterzarten/Schwarzwald WOLFGANG KULLMANN
Im Herbst 1955
Abkürzungen
AfO Archiv für Orientforschung
AJA American Journal of Archeology
AJPh American Journal of Philology
AUW Archiv für Religionswissenschaft
DLZ Deutsche Literaturzeitung
FGrH F. Jacoby Fragmente der griechischen Historiker
HA Iwan Müller Handbuch der Altertumswissenschaft
MusHelv Museum Helveticum
NGG Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
NJbb Neue Jahrbücher
PhW Philologische Wochenschrift
RE Pauly-Wissowa-Kroll-Ziegler Realenzyklopädie der Klassischen Alter-
tumswissenschaft
RhM Rheinisches Museum für Philologie
RML Roscher's Mythologisches Lexicon
RW Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten
SBBerl Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Bsrlin
Einleitung
Die Götter Homers sind in ihrem Wesen und ihrer Eigenart oft charakteri-
siert worden. Man bemühte sich, aus der homerischen Schilderung der Götter
Aufschluß über die vorhomerische Religion und den historischen Wandel der
religiösen Vorstellungen in der Frühzeit der Griechen zu gewinnen,1) oder
man suchte durch die Herausarbeitung der Funktionen der einzelnen Götter
und der Darstellung der rein kultischen Tatsachen zu einem Bild von der
homerischen Götterwelt zu kommen und stellte die ,homerische Religion' den
sogenannten ,Weltreligionen' zur Seite.2) Auch unsere Arbeit, die sich auf die
Ilias beschränkt, will die Besonderheiten des homerischen Weltbildes erfassen.
Sie betrachtet aber dieses Weltbild als ein individuelles, das erst nach seiner
Entstehung auf ,die Religion' anregend wirkte. In methodischer Hinsicht sieht
sie von der Verschiedenheit der einzelnen Götter ab und fragt nach den typi-
schen Formen des göttlichen Wirkens. Darüber hinaus bemüht sie sich, die
Entstehung dieser typischen Formen als das Ergebnis eines historischen Pro-
zesses zu begreifen, an dem die Entwicklung der Dichtung, insbesondere des
Epos, und die Entwicklung der allgemeinen religiösen Vorstellungen gleicher-
maßen beteiligt war.
Die Arbeit geht von der Einheit der Ilias aus. Die alte Homeranalyse hat
zwar gerade das Handeln der Götter in den einzelnen Partien der Ilias wenig
einheitlich und zur übrigen Handlung nicht passend gefunden und oft aus der
vermeintlichen Verschiedenheit der religiösen Vorstellungen ihre Beweise3)
!) Dieses Bemühenist vor allem für die moderne religionswissenschaftliche Forschung
charakteristisch. Vgl. bes. M. P. NILSSON Geschichte der griechischen Religion I Mün-
chen 1941 in HA, 0. KERN Die Religion der Griechen 1 1926.
2) C. F. v. NÄGELSBACH Homerische Theologie ¡"Nürnberg 1884 (11840), ALFRED
ROUSSELL La Religion dans Homère Paris 1914, W. F. OTTO Die Götter Griechenlands
Frankfurt 19473 (!1929).
3) Vgl. A. BISCHOFF Über die homerische Götterdichtung Philologus 34 1876 lff,
B. NIESE Entwicklung der homerischen Poesie Berlin 1882 104, G. FINSLER Die olym-
pischen Szenen der Ilias Gymn.-Progr. Bern 1906, E. BETHE Homer I 1914 362ff,
P. CAUER Grundfragen der Homerkritik 31923 376ff. Auch U.V.WILAMOWITZ-MOELLEN-
DORFF Ilias und Homer Berlin 1916 316f sagt z. B. : „Entscheidend (für die Einheitlich-
keit von A und SO) ist allerdings erst die Behandlung der Götterwelt... Fortgebildet
ist das in der Odyssee und im Q, ohne doch dieselbe Leuchtkraft zu erreichen. Ganz
anders ist die hocharchaische Stilisierung im E, auch im A, das dem Dichter des A sonst
8 Einleitung
führen zu können geglaubt. Ich hoffe aber, daß diese Ansicht schon im-
plizit ihre Widerlegung findet und mir somit eine ausdrückliche Polemik
erspart bleibt.
Anregungen gegeben hat: seinen Olympiern, selbst der Hera, kann man das Gelüste,
Priamos und die Troer roh zu verschlingen (A 35), nicht mehr zutrauen. Der Stil des E
ist dann im 7$ ins Plumpe übertrieben, vom 0 nicht zu reden." — Wesentlich auf
vermeintliche Differenzen zwischen den religiösen Vorstellungen in den einzelnen Par-
tien der Dias gründet auch jetzt noch W. THEILEB Die Dichter der Ilias in: Festschrift
für Edouard Tische zum 21. März 1947 Bern 1947 125 ff und Noch einmal die Dichter
der Ilias in: Thesaurismata Festschrift für Ida Kapp München 1954 113 ff seine
Analyse.
Soeben erscheint von K. SCHEFOLD der instruktive Aufsatz .Archäologisches zum
Stil Homers' im MusHelv 12 1955 132 ff. Bei seinem Vergleich mit dem archäo-
logischen Material geht SCHEFOLD ebenfalls von den verschiedenen Gottesvorstellungen
in einzelnen epischen Schichten (Homer-Iliasdichter-Kyklos) aus. Dem Kyklos kommt
bei ihm für die Gesamtbeurteilung eine Art Schlüsselstellung zu. Da aber gerade
sein Stil schwer zu fassen ist und sein Inhalt größtenteils sehr alt ist (gerade auch
wo er mit den Denkmälern übereinstimmt), wird man gegenüber der ganzen These
SCHEFOLDS sehr skeptisch sein müssen.
I. Die Götter in der vorhomerischen Dichtung
Die Frage nach den Göttern der Ilias ist nicht gleichbedeutend mit der
Frage nach der Religion der homerischen Zeit. Denn die Göttervorstellungen
in einem literarischen Werk werden weitgehend von den literarischen Voraus-
setzungen und Absichten dieses Werkes bestimmt und sind deshalb nur zum
Teil Ausdruck der gleichzeitigen Volksreligion.1) Damit ist natürlich nicht
bestritten, daß ein Epos wie die Ilias seinerseits wieder entscheidend den
Volksglauben beeinflussen kann. Daß die Ilias in einer längeren literarischen8)
bzw. poetischen Tradition steht, wird heute niemand bezweifeln.3) Aber von
welcher Art war diese vorhomerische ,Literatur' und welche Vorstellungen
von den Göttern kamen in ihr zum Ausdruck ? Diese Frage ist neben der Frage
nach den religiösen Vorstellungen der homerischen Zeit vor allem ins Auge zu
fassen, um die Götterwelt der Ilias richtig deuten zu können.
Wohl erst durch Zurückgreifen auf (meist von auswärts übernommene)
Sagen- und Märchenmotive gestalten sich lokale Götterlegenden zu Götter-
liedern und Göttermythen aus, ähnlich wie wohl aus der noch ereignisnahen
Kunde von einer — meist kämpferischen — Begebenheit durch Aufnahme
solcher die Phantasie ansprechenden Sagen- und Märchenmotive das Helden-
lied entsteht. Es ist wichtig, immer diese beiden Komponenten der Lieder im
Auge zu behalten, die zeitlich-örtlichen Daten und die Sagen- und Märchen-
züge, die, wenn sie überhaupt einmal zeitlich-örtlich gebunden waren, diese
Vgl. zum Problem K. MAKÖT Arsbok d. Vetenskaps-Societeten i Lund 1924 151ff,
K. LATTE PhW 45 1925 674ff, J. IBMSCHER Götterzorn bei Homer Leipzig 1950 1.
2) Bei dem Ausdruck .literarisch' ist nicht unbedingt an schriftliche Fixierung ge-
dacht. Ich glaube allerdings, daß der Übergang von ,oral poetry' zu .written poetry'
schon längere Zeit vor Homer lag, daß also die Ergebnisse der großartigen Forschungen
von MILMAN PARRY (vgl. Harvard Studies in Classical Philology 41 1930 73ff, ebd. 43
1932 Iff) für Homer nur mittelbar wichtig sind. Vgl. F. DORNSEIET Die archaische
Mythenerzählung Berlin und Leipzig 1933 43. Anders M. P. NILSSON Homer und
Mycenae London 1933 210f, C. M. BOWRA The Comparative Study of Homer AJA 54
1950 184ff, ders. Heroic Poetry London 1952 240f, H. T. WADE-GERY The Poet of
the Iliad Cambridge UP 1952 38f. Interessant in diesem Zusammenhang G. MURRAY
The Eise of the Greek Epic <1934 93ff.
s) Auch ein Analytiker wie P. VON DER MÜHLL stellt fest: „Weit zurück vor Homer
liegt die ursprüngliche poetische Gestaltung der Geschichte vomtroianischen Krieg..."
(Homers Ilias übers, v. Heinr. Voss, in: Birkhäussr Klassiker 23 herausg. v. P. Von der
Mühll, XIV). Vgl. ders. Kritisches Hypomnema zur Ilias 1952 (= Schweiz. Beitr. zur
Altertumsw. H. 4) 2.6ff.