Table Of ContentFriedrich-Christian Schroeder
Das Strafrecht des realen Sozialismus
WV studium Band 124
Friedrich-Christian Schroeder
Das Strafrecht
des realen Sozialismus
Eine Einfuhrung am Beispiel der DDR
Westdeutscher Verlag
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Schroeder, Friedrich-cbristian,
Das Strafrecht des realen Sozialismus: e. Einf. am
Beispiel d. DDR/Friedrich-Christian Schroeder.
Opladen: Westdeutscher Verlag, 1983.
(WV-Studium; Bd. 124)
ISBN-13: 978-3-531-22124-3 e-ISBN-13: 978-3-322-88230-1
DOl: 10.1007/978-3-322-88230-1
NE:GT
© Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1983
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Inhalt
Die Bedeutung des Strafrechts der DDR fiir die Deutschland
forschung und die politische Wissenschaft - Ansatz und Auf-
bau der Darstellung 9
I. Grundlinien der Entwicklung 18
l. Die Thesen von Marx, Engels und Lenin zum Strafrecht 18
2. Das Strafrecht der Sowjetunion 1917 -19 5 2 19
3. Die Strafrechtsgeschichte der Sowjetischen Besatzungszonel
DDR im realsozialistischen Kontext 25
Vorbemerkungen zur Periodisierung 25
a) Die Stalinisierung des Strafrechts (1945-1952) 26
b) Die Abwehr von Liberalisierungsbestrebungen nach dem
Tod Stalins (1953-1960) 29
c) Die Dbernahme der differenzierenden Kriminalpolitik
aus der Sowjetunion (1961-1967) 33
d) Die Weiterfiihrung des sowjetischen Vorbilds im Strafge-
setzbuch von 1968 40
e) Erneute Verscharfung in den Reformen von 1974, 1977
und1979 47
II. Theoretische Grundlagen 53
l. Ursa chen und Wesen der Kriminalitat aus der Sicht der
DDR 53
2. Die Aufgaben des Strafreehts in der DDR 55
3. Die Schuldkonzeption der DDR 58
4. Gesetz, Richter und Rechtswissenschaft in den kommuni-
stisch regierten Staaten 66
5. Der raumliche Geltungsbereich des Strafrechts der DDR 73
5
III. Die mit Strafe bedrohten Handlungen 75
1. Die Systematik der strafbaren Handlungen im Strafgesetz·
buch der DDR 75
2. Die wichtigsten Komplexe 76
a) Das politische Strafrecht 76
Technik der Ausweitung - Unschme - Unterscheidung
zwischen Hoch· ued Landesverrat - Ausrichtung auf das
Konkret-Faktische - Totale Abschottung gegeniiber dem
Ausland - Verfassungsfeindlicher ZusammenschluB -
Flucht aus der DDR - Schutz der verbiindeten Staaten -
Friedensschutz
b) Widerstand gegen die Staatsgewalt und Demonstratio-
nen 92
c) Arbeitsscheu, "Parasitismus" und asoziales Verhalten 96
d) Vermogensdelikte und Wirtschaftsstrafrecht 101
e) Straftaten gegen Jugend und Familie 108
f) Schwangerschaftsabbruch 113
g) Der Schutz von Personlichkeitswerten 115
h) Der Schutz der Rechtspflege 119
3. Allgemeine Griinde fiir den Nichteintritt der Strafe 123
IV. Die Strafen 129
1. Arten, Grundsatze fiir die Auswahl und Verteilung 129
2. Die Strafen im einzelnen 137
a) Die Verhandlung vor einem Gesellschaftsgericht 137
b) Verurteilung auf Bewiihrung 139
c) Geldstrafe und offentlicher Tadel 142
d) Die Freiheitsstrafen 143
e) Die Todesstrafe 146
f) Aufenthaltsbeschrankung, Vermogenseinziehung und
Schadensersatz 147
V. Das J ugendstrafrecht 150
VI. Vorzeitige Entlassung, Amnestien und Freikauf 154
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VII. Flankierende Magnahmen zur Kriminalitatsbekampfung 160
1. Aufsicht iiber Strafentlassene 161
2. Neuartige Instrumente der Kriminalitatsbekampfung 163
a) Generalpravention durch Beteiligung am Richten 163
b) Verantwortlichkeit von Betriebs- und Behordenleitern
fiir die Beseitigung von Kriminalitatsursachen 164
c) Erklarung zum "kriminell gefahrdeten Biirger" 166
d) Vorbeugungsprogramme der ortlichen Volksvertretun-
gen und der Betriebe, sozialistischer Wettbewerb 168
VIII. Die Kriminalitat in der DDR 171
1. Die Megbarkeit der Kriminalitat in der DDR 171
2. Die Vergleichbarkeit mit der Bundesrepublik 176
3. Ursa chen und Bedeutung der Hohe der Kriminalitat 180
4. Die Kriminalitatsstruktur 183
5. Die Entwicklung der Krininalitat in der DDR 190
IX. 1st das Strafrecht der DDR deutsch oder sowjetisch? 194
Ober den Verfasser 199
Bibliographie 200
Stichwortregister 201
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Die Bedeutung des Strafrechts der DDR fur die
Deutschlandforschung und die politische Wissenschaft
Ansatz und Aufbau der Darstellung
Das Strafrecht der DDR kann in der Bundesrepublik aus vielerlei
Griinden auf ein besonderes Interesse rechnen. Besucher der DDR
und Transitreisende mochten ganz einfach wissen, was in der DDR
verboten ist. Verwandte, Rechtsanwalte und Initiativgruppen fragen
danach, wie sie Beschuldigten in der DDR zu Hilfe kommen konnen.
Aber auch unabhangig von solchen praktischen Problem en interessie
ren sich viele Deutsche diesseits der Grenze zur DDR dafiir, unter
welchen Bedingungen ihre Landsleute jenseits der Grenze leben. Die
vergleichende Deutschlandforschung fragt danach, wie weit im Straf
recht noch eine Gemeinsamkeit zwischen der Bundesrepublik und der
DDR besteht. Umgekehrt fragen Ost- und Kommunismusforscher da
nach, ob und wieweit das Strafrecht der DDR Abweichungen gegenii
ber dem Recht der iibrigen kommunistisch regierten Staaten aufweist.
Wieder andere mochten wissen, wie sich das Strafrecht bei einem
Obergang zum realen Sozialismus verandert, und sehen hierbei das
Strafrecht der DDR, da auf deutschem Boden errichtet, als besonders
lehrreiches Beispiel an. Aber auch, wer umgekehrt an eine Annahe
rung der politischen Systeme in Ost und West, ihre "Konvergenz"
glaubt, kann an dem Strafrecht der DDR, da hier nationale und so
ziale Gemeinsamkeiten hinzukommen, nicht vorbeigehen.
Angesichts unbezweifelbarer Erfolge bei der Reduzierung der
Kriminalitat stellt sich fiir Rechtspolitiker und urn die Verbesserung
unseres Rechts besorgte Biirger aber auch die Frage, ob in der DDR
Losungen entwickelt worden sind, die fiir eine Obernahme in unser
Recht in Frage kommen.
SchlieSlich ist das Strafrecht auch fiir das Verstandnis des poli
tischen Systems der DDR von zentraler Bedeutung. Mehr als alle
anderen Rechtsgebiete, ja Lebensbereiche iiberhaupt ist das Straf
recht die Visitenkarte eines politischen Systems. Der Gegensatz
9
zwischen Individuum und Gemeinschaft spitzt sich hier zu einem
Konflikt zu, bei welchem die Gemeinschaft die scbarfsten Ein
griffe in die Freiheit des einzelnen verhangt, tiber die sie verftigt.
Damit zeigt das Strafrecht mit untibertrefflicher Deutlichkeit, wel
chen Wert das jeweilige politische System dem Individuum einraumt,
wie es urn die "juristische Lebensqualitat" in diesem System bestellt
ist. Das Strafrecht bringt, insbesondere im Bereich des Jugendstraf
rechts, die Auffassung des jeweiligen politischen Systems von den
Ursachen der Kriminalitat und seine Einschatzung der Moglichkeiten
der Erziehung zum Ausdruck und legt zugleich seine Zukunftspla
nung auf dem Gebiet der Behandlung abweichenden Verhaltens
offen. Ftir die Analyse des politischen Systems der DDR ist es
wichtig, welche Rolle das Strafrecht darin spielt und welchen Beitrag
es zur Durchsetzung der politischen Ziele der Fiihrung leistet.
Kontrastive Komparatistik
Die folgende Darstellung mochte diesem weitgespannten Inter
essenspektrum soweit wie moglich gerecht werden. Dabei wird ver
sucht, statt einer rein deskriptiven Bestandsaufnahme vor allem das
von dem Strafrecht der Bundesrepublik Abweichende herauszuar
beiten. Auch in dieser Herausarbeitung der Abweichungen bleibt
diese Arbeit Komparatistik, freilich "kontrastive" Komparatistik1•
Sie ist femer teilweise "abgektirzte" Komparatistik, indem sie bei
der Darstellung des Strafrechts der DDR nicht jedesmal betont,
daB die einzelnen Institute von denen der Bundesrepublik abwei
chen, und auch die zahlreichen noch bestehenden Gemeinsamkei
ten nur dann ausdriicklich erwahnt, wenn sie tiberraschend sind2• Der
Leser kann davon ausgehen, daB bei den hier nicht dargestellten
Fragen keine relevanten Abweichungen zwischen den beiden Straf
rechtsordnungen bestehen. Ein detaillierter, auch die Obereinstim-
Fiir die Rechtsvergleichung s. Jerome Frank, Civil Law Intluences on the
Common Law - Some Reflections on ,Comparative' and ,Contrastive'
Law, Univ. of Penn. L. Rev., Band 104, 1955/56, S. 887ff., 914, 923.
2 Zur "abgekiirzten" RechtsvergIeichung s. F.-C. Schroeder, Wandlungen
der sowjetischen Staatstheorie, 1979, S. 13.
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mungen beriicksichtigender Vergleich zwischen dem Strafrecht der
DDR und der Bundesrepublik findet sich bei
F.-e. Schroeder, Die Strafgesetzgebung in Deutschland. Eine synoptische
Darstellung der Strafgesetzbiicher der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik, Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck),
Tiibingen, 1972
Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1972 (Deutscher Bundestag,
Drucksache VI/3080), S. 302-358.
"Sozialistisches" Strafrecht?
Das Strafrecht der DDR wird sowohl in der DDR und in den iibri
gen kommunistisch regierten Staaten selbst als auch in den westli
chen Staaten als in typischer Weise von dem Strafrecht der westli
chen Staaten abweichend, als "sozialistisch" angesehen. Dag diese
Charakterisierung in den kommunistisch regierten Staaten als posi
tiv, in den westlichen Staaten dagegen als negativ aufgefagt wird,
spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Das Strafgesetzbuch der DDR verwendet iibrigens den Aus
druck "sozialistisch" in besonders reichem Mage. Hieriiber hat
sich bereits im Jahre 1969 der bekannte jugoslawische Strafrechts
wissenschaftler Professor Dr. Bogdan Zlataric, kurz darauf zum
Generalsekretar der Internationalen Vereinigung fiir Strafrecht ge
wahlt, mokiert. Er hatte errechnet, dag das Wort in der Praambel
fiinfzehnmal und im ersten Kapitel des Strafgesetzbuchs neun
zehnmal verwendet wurde3. Die Praambel wurde 1977 neu ge
fagt und dabei die Haufigkeit des Wortes "sozialistisch" immer
hin auf neunmal reduziert.
Fiir die kommunistisch regierten Staaten beruht die Verwen
dung des Begriffs "sozialistisch" auf der Weiterentwicklung des
Marxismus durch Lenin. Marx und Engels hatten ihr beriihmtes
Manifest bekanntlich "kommunistisch" genannt. In seiner Schrift
"Staat und Revolution" von 1917 verwendete Lenin dann den
Begriff "Sozialismus" fiir die von Marx in seiner "Kritik des Gothaer
3 Kriminalpolitische Tendenzen der neuen Strafgesetzbiicher einiger sozia
listischer Lander, Zeitschrift flir die gesamte Strafrechtswissenschaft,
Band 82 (1970), S. 479ff.
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