Table Of ContentMichael Nagenborg
Das Private unter den Rahmen
bedingungen der IUK-Technologie
Studien zur Wissensordnung
Band 3
Herausgegeben von
Helmut F. Spinner
Um seiner gesellschaftlichen Bedeutung sowie den gegenstiindlichen, ordnungspolitischen
und verhaltensmaBigen Besonderheiten des Wissens gerecht zu werden, sind neue, fach
ubergreifende Konzepte fUr verbundene untersuchungen des Querschittsthemas WISSEN
erforderlich.
Mit dem ersten Band "Die Wissensordnung" ist vom Grunder der Reihe das Rahmenkon
zept fUr den Pluralismus der Wissensordnungen, Wissenszonen und Wissensfreiheiten
vorgelegt worden.
Der damit gestartete KARLSRUHER ANSATZ DER INTEGRIERTEN WISSENSFORSCHUNG erwei
tert dieses rahmenbezogene WISSENSORDNUNGS-PROJEKT in den weiteren Banden durch
das inhaltsbezogene WISSENSARTEN-PROJEKT und das tatigkeitsbezogene WISSENSVER
HALTENS-PROJEKT.
Der "Wissenskreis" bringt eine Obersicht zu den drei groBen Untersuchungsfeldern und
richtungsweisenden Leitkonzepten, mit vielseitigen Anwendungen und Fallstudien.
Alte und Neue
Wissensordnung
Wissens Wissens
strategien ethik
Wissensbaslertes
Probleml6sen
Michael Nagenborg
Das Private unter
den Rahmen
bedingungen der
luK-Technologie
Ein Beitrag
zur Informationsethik
Mit einem Vorwort von Helmut F. Spinner
VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ober <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Gedruckt mit freundlicher UnterstOtzung von
EUFORI - Stiftung fUr Wissenschaft und Kunst, Karlsruhe.
1. Auflage Oktober 2005
Aile Rechte vorbehalten
II:> VS Verlag fUr Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2005
Lektorat: Monika MUlhausen I Tanja Kohler
Der VS Verlag fUr Sozialwissenschaften ist ein Untemehmen von Springer Science+Business Media.
www.vs-verlag.de
Die wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
waren und daher von jedermann benutzt werden dOrften.
Umschlaggestaltung: KOnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem papier
ISBN-13:978-3-531-14616-4 e-ISBN-13:978-3-322-80734-2
001: 10.1007/978-3-322-80734-2
Vorwort des Herausgebers
I. Zur Fortfiihrung der Reihe im neuen Verlag
Die Reihe der Studien zur Wissensordnung wird im neuen VS-Verlag unter dem
alten Namen fortgefuhrt, aueh wenn er daflir zu eng geworden ist. In der ein
sehlagigen Literatur hat sieh das >rahrnende< Wissensordnungskonzept auf der
einen Seite von den alteren, klassifizierenden >Wissensordnungen< der Arehiv-,
Bibliotheks-, Dokumentationswissensehaften deutlieh abgesetzt; auf der anderen
Seite von der neuen Ordnungsterminologie der direktiven >Marktordnungen<
dureh Reehts-, Teehnik-, Verwaltungsregime nieht vereinnahmen lassen. Wo in
dieser Reihe >Wissensordnung< drauf steht, ist zwar mehr als Wissensordnung
drin, aber niehts, was nicht dazu gehOrt.
Damit wird die Wissensordrtung unter der Flagge des >ordnungspolitischen
Denkens< in dieselbe Reihe wie die Reehts- und Wirtschaftsordnung gestellt und
ihre Stellung als dritte Grundordnung der Gesellsehaft unterstriehen. Deshalb
wird der Reihentitel beibehalten, ohne die zeitlieh nachfolgenden Teilprojekte
nachrangig zu behandeln. Sie gehoren zurn Untersuchungsbereich der integrier
ten Wissensforsehung, wobei den weehselnden Fiihrungsverhaltnissen in den
fortschreitenden oder stockenden Untersuchungen keine systematisehe Bedeu
tung zukommt. Die Wissensordnung bildet zwar den Rahmen fUr die Wissensin
halte und Wissenstatigkeiten, hat aber kein Erstgeburtsrecht auf die kiinftige
Federflihrung oder die ganze Erbschaft.
II. Zurn Karlsruher Ansatz der integrierten Wissensforschung
Wissen ist eine >durchlaufende<, das menschliche Denken und Handeln explizit
oder implizit, von innen wie von aussen, mitbestimmende Kategorie. Dass ohne
diesen rnehr oder weniger groBen >Wissensanteil< das mensehliche Verhalten
nieht hinreichend erklart werden kann, war die Botschaft der so genannten kog
nitiven Wende des 20. lahrhunderts, der sich im Gefolge der Wahmehmungsthe
orie, Wissenspsychologie und Wissenschaftstheorie inzwisehen so gut wie aile
Geistes- und Sozialwissenschaften unterzogen haben.
In der Wissensgesellsehaft muss sich heute alles >kognitiv<, >kreativ<,
VI Vorwort des Herausgebers
>intelligent< oder wenigstens >informationell< ausweisen, auch wenn der mit
diesen ungekHirten Modevokabeln nur angedeutete Wissensbezug sich ziellos
verirrt in der begrifflichen Gemengelage aus syntaktischer, semantischer, prag
matischer Information; hochqualifizierter Erkenntnis und kriterienfreier Mei
nung; Kenntnissen und Kompetenzen; Informationsgehalt und Wissenswert;
Wirtschaftsordnung und Wissensordnung usf. Es gibt also flir die damit befass
ten virtuell, wenn auch noch nicht wirklich, vereinigten Wissenswissenschaften
viel zu tun. Aber sie miissen nicht mehr am Nullpunkt anfangen, wenn sie sich
mit Form-, Inhalts- und Geltungsfragen der >hohen< und >niederen< Wissensar
ten, den Rahmenbedingungen flir die arbeitsteiligen Wissenstatigkeiten, den
realen Wissensbasen oder kognitiven Illusionen des Experten- und Laienprob
lem16severhaltens befassen.
Urn seiner allgemeinen kulturgeschichtlichenund gesellschaftlichen Bedeu
tung sowie den gegenstandlichen, ordnungspolitischen und verhaltensmaBigen
Besonderheiten gerecht zu werden, sind fachiibergreifende Konzepte flir verbun
dene Untersuchungen des QUERSCHNITTSTHEMAS WISSEN erforderlich.
Mit dem Wissensordnungs-Projekt wurde in den 90er lahren der KA WI
Karlsruher Ansatz der integrierten Wissensforschung gestartet, urn die ord
nungspolitischen Leitbestimmungen und empirischen Randbedingungen flir die
durch Trennungspostulate mehr oder weniger abgekoppelten gesellschaftlichen
Wissensbereiche zu rekonstruieren. Das Ergebnis war das mit dem ersten Band
der Reihe yom Herausgeber vorgelegte Konzept der Wissensordnung (1994).
Was der daraus entwickelte >dreistrahlige< Karlsruher Ansatz integriert, sind
konzeptuelle Ausarbeitungen, funktionale Ubertragungen und praktische An
wendungen auf drei Themenfeldem:
Das rahmenbezogene Wissensordnungs-Projekt befasst sich mit der dritten
gesellschaftlichen Grundordnung einschlieBlich der sich daraus ergebenden Teil
oder Sonderordnungen flir abgekoppelte Wissenszonen (Qualitatszonen flir krite
riengebundene Erkenntnisse, Verbreitungszonen flir freie Informationen, Schutz
zonen fur sensible Daten etc.) und ausdifferenzierte Wissenstatigkeiten.
Beim inhaltsbezogenen Wissensarten-Projekt geht es nach der Karlsruher
Summenformel urn >Wissen aller Arten, injeder Menge und Giite<. Daflir liefert
der zweite Reihenband (2002) das modularisierte Wissenskonzept zu einer allge
meinen, differentiellen Wissenstheorie flir alle Wissensarten, anstelle von Sor
tentheorien der herkommlichen Erkenntnis- und Wissenschaftslehren.
Die sich hier abzeichnende kognitive Landkarte flir die ganze Artenvielfalt
des Wissens, einschlieBlich neuer technischer Wissensarten, lenkt nicht nur die
Aufmerksarnkeit auf die Inhalts-, Geltungs- und Wertungsfragen des Wissens,
sondem korrigiert die anfangliche Blickverengung des Wissensordnungskonzep
tes auf den nach unten und nach auBen verschlossenen Wissenschaftsbereich.
Vorwort des Herausgebers VII
Das tiitigkeitsbezogene Wissensverhaltens-Projekt untersucht das arbeitstei
lige Wissensverhalten nach bestimmten Funktionsgruppen des Wissensgebrau
chs (Wissen finden oder schaffe n, verarbeiten, verbreiten, bewahren, nutzen
etc.). Es geht urn die Praferenz fur eine qualifizierte Wissensorientierung im Hin
blick auf die Moglichkeiten, individuelles, soziales, staatliches etc. Problem16-
sungsverhalten >liber Wissen ablaufen zu lassen<. Das darf keine Engfuhrung
sein, sondem muss alles einbeziehen, was mit diesen Projekten thematisiert wird,
aber von ihnen nur in Bruchteilen geliefert werden kann.
Was diese Zwischenbilanz schuldig bleibt und auch klinftig nie ganz abge
tragen werden kann, steht unter dem Trostwort Max Webers: "Was ich nicht tue,
machen andere.,,1
III. Zurn vorliegenden Band von Michael Nagenborg
Die Reihe bringt Arbeiten zur fachlibergreifenden Grundlagenforschung (fur die
Konzeptbildung), fachwissenschaftlichen Ausarbeitung (fur die Modellbildung)
und praktischen Anwendung (durch Fallstudien). Zufallig sind das die Schwer
punkte der bisherigen Bandfolge.
Der dritte Band setzt die Grundkonzepte des Karlsruher Ansatzes fur eigene
Ausarbeitungen und neue Anwendungen im Uberschneidungsbereich von Sozial
philosophie (Kant, 1. St. Mill, Foucault, Rawls, Rorty, Walzer etc.), Ideenge
schichte (I. Berlin), Rechtswissenschaft (Hasso Hofmann, Lawrence Lessig,
Datenschutzdiskussion) voraus, urn von ihnen einen freien, anregend eigenwilli
gen Gebrauch fur medienwissenschaftliche Problemstellungen zu machen. Mit
jedem Schritt wird gezeigt, dass man dabei mit der neuerdings in der Politik
beschworenen >Eins-zu-Eins-Ubertragung< von noch so gut entwickelten Kon
zepten nicht weit kommt.
Der Weg von der Theorie zur Anwendung geht liber die Zwischenschaltung
von Modellen, welche an die Stelle der nicht beliebig libertragbaren ordnungspo
litischen Musterlosungenfunktionale A'quivalente setzen, die mit anderen Mitteln
im wesentlichen dasselbe leisten. Wenn die >eigenen vier Wande< im Haus und
die >freien Platze< in der Stadt die klassischen Paradigmen fur Privatheit und
Offentlichkeit verkorpem, dann sind Aquivalenzen erforderlich, welche Pri
vatheit ohne feste Wande, Offentlichkeit unter Videoliberwachung, Intemetver
kehr zwischen >Kleinen< und >Grossen< ohne neue Ungleichheit ermoglichen.
I Was Herausgeber und Mitarbeiter, Kollegen und Kritiker bis 2002 schon gemacht haben, weit tiber
diese Reihe hinaus, berichtet die vom Herausgeber erstellte >kleine Dokumentation< im zweiten
Band: Karsten Weber, Michael Nagenborg und Helmut Spinner, Hrsg., Wissensarten, Wissensord
nungen, Wissensregime, 2002, S. 249-267.
VIII Vorwort des Herausgebers
Das komplementare Privatheits-IOffentlichkeitsthema ist bestens geeignet,
auf breiter Front die mehrfache Ubertragbarkeit der Problemstellungen & Lo
sungsvorschlage zu untersuchen:
• von der jiingeren Vergangenheit (ab 17. lahrhundert) auf die Gegenwart;
• von >kleinen< (Personen in ihren >vier Wiinden<) auf >groBe< soziale
Akteure (Organisationen, Staaten);
• von der Erfahrungswelt auf die Netzwelt (ohne hiiusliche Trennwande, aber
doch in Analogie zur hauslichen und urbanen Realitiit);
• von den handgemachten zu den technischen (Selbst-)Bildem;
• von den sichtbaren zu den unsichtbaren Kontrollformen;
• von der alten Wissensordnung flir forschende Gelehrte und rasonierende
Privatleute zu den regimeartigen Rahmenbedingungen der IuK-Technolo
gien mit neuartigen Protokollen, gar nicht intimen und doch hOchst brisan
ten Prozessdaten, Distributionszonen anstelle von Schutzzonen.
Das ist ein weiter Spannungsbogen zwischen altliberalen Problemstellungen,
denen die neuen Rahmenbedingungen die Geschiiftsgrundlage (die schiitzenden
Wande, die anonymen Platze) entzogen haben, und den funktional aquivalenten
ProblemlOsungen des Autors.
Wie in der Evolution, so flihrt auch in der Ideen- und Institutionengeschich
te der gesellschaftlichen und technischen >Ordnungen< kein Weg zuriick: Wer
klassische Problemstellungen auf unsere Verhaltnisse iibertragen will, muss
daflir neoklassische L6sungen fUr die neuen Bedrohungen des Privaten und Of
fentlichen durch >unpolitische<, >rein protokollarische<, vorgeblich ordnungs
konforme Wissenstatigkeiten finden.
Hier sind Nagenborgs neue, neoklassische Vorschlage zur laufenden Ver
suchsreihe des Karlsruher Ansatzes.
Helmut F. Spinner
Vorwort und Danksagung des Autors
Der vorliegende Band ist eine Uberarbeitete und aktualisierte Fassung meiner
Dissertation, die ich im Sommer 2003 fertig gestellt habe. Auf dem noch jungen
Gebiet der "lnformationsethik" sind zwei Jahre eine sehr lange Zeit. Ich habe
mich dennoch dazu entschlossen, keine Rundumerneuerung des Textes vorzu
nehmen, sondern diesen lediglich dort zu erganzen, wo es mir geboten erschien.
FUr diesen Weg habe ich mich auch entschieden, da es die Literaturlage beinahe
nicht erlaubt, alles gelesen zu haben und wiirdigen zu konnen. Vollstandigkeit
war nie mein Ziel; dennoch glaube ich, dass es mir in diesem Buch gelingt, zu
mindest einige der wichtigsten Diskussionsstrange zusammenzubringen - und
dies allein scheint mir schon die VerOffentlichung dieses Textes zu rechtfertigen.
An dieser Stelle mochte ich auch noch einigen Menschen danken. Da waren
zunachst die Ublichen Verdachtigen, also me in Doktorvater Helmut F. Spinner,
der so freundlich war, das Buch in seine Reihe Studien zur Wissenordnung auf
zunehmen, sowie mein zweiter Gutachter, Hans-Peter SchUtt. Des Weiteren
bedanke ich mich bei Franziska Mandel, Mahha El-Faddagh, Viktor Schubert
und Oliver Langewitz, die mich mit Korrekturen unterstiitzt haben. Karsten We
ber danke ich darUber hinaus fUr den standigen Gedankenaustausch. Seine Habi
litation "Das Recht auf Informationszugang" ist so eben als Buch erschienen -
und wer beide BUcher liest, wird sicherlich die gemeinsamen lnteressen un
schwer erkennen konnen. Mein letzter Dank gilt Diemut Majer und Eufori, Stif
tung fUr Wissenschaft und Kunst, fUr die finanzielle UnterstUtzung dieses Ban
des.
Michael Nagenborg