Table Of ContentERNST KÄSEMANN
Das Neue rfestament
als Kaiion
Das Neue Testament
als Kanon
Dokumentation und kritische Analyse
zur gegenwärtigen Diskussion
Herausgegeben von
Ernst Käsemann
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Schutzum~ebl.ag: Karlgeorg Hoefer. OVandenhoeck&Ruprecht,
Göttingen 1970. - Prlnted 1n Germany. Alle Rechte vorbehalten.
Ohne aUJdriickllche Genehmigung det Verlage• bt es nicht ge
llattet, du Buch oder Teile daraut auf foto-oder aktutomechani
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Tüblngen. Bindearbeit: Hubert & Co, Göttingen
Der theologischen Fakultät
an der Universität Oslo
in Freundschaft und Dankbarkeit !
Inhalt
Einführung 9
I. Awgewählte Aufsätze 13
GBRHARD GLOEGE, Zur Geschichte des Sduiftverständnisses . 13
HEBMANN STRA~, Die Krisis des Kanons der Kirdte 41
WERNER GEORG KÜMMEL, Notwendigkeit und Grenze des neutesta-
mentlichen Karions 62
ÜSIW\ CULLMANN, Die Tradition und die Festlegung des Kanons durch
die Kirche des 2. Jahrhunderts . 98
1-IANs FRHR. v. CAMPENHAUSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments 109
ERNST las~, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit
der Kirche? 124
KURT .Al.ANo, Das Problem des·neutestamentlichen Kanons . 1M
HERMANN DmM, Das Problem des Schriftkanons 159
HANs KÜNG, Der Frühkatholizismus im Neuen Testament als kontro-
verstheologisches Problem 175
PETER LENGSFELD, Katholische Sicht von Schrift, Kanon und Tradition 005
lhRBERT BRAUN, Hebt die heutige neutestamentlich-exegetische For-
schung den Kanon auf? . 219
WILLI MARxsEN, Das Problem des neutestamentlichen Kanons aus der
Sicht des Exegeten 233
CARL HEINZ RATScHow, Zur Frage der Begründung des neutesta-
mentlichen Kanons aus der Sicht des systematischen Theologen 247
WILFRIED JoEST, Erwägungen zur kanonischen Bedeutung des Neuen
Testaments 258
GEIUIARD EDELING, "Sola scriptura" und das Problem der Tradition 282
11. Kritische Analyse . 336
lll. Zusammenfassung 399
Einführung
Uber die Entstehung und Geschimte des neutestamenttimen Ka
nons sind wir vortrefflim informiert•. Seine theologisme Relevanz
ist dagegen heftiger denn je zuvor umstritten. Die Diskussion dar
über wird heute nicht nur in der gelehrten Zunft, sondern auch in der
Gemeinde leidenschaftlich, und zwar in allen Konfessionen und De
nominationen und infolgedessen aum ökumenism, geführt. Der
Streit wurde durch die aus der Aufklärung resultierende historisch
kritische Bibelerklärung ausgelöst, die, sich ständig radikalisierend,
bei den Experten überall mehr oder weniger selbstverständlim vor
ausgesetzt, im liberalen Christentum methodisch anerkannt, von
nichtfundamentalistischen Kird:l.en und Gemeinschaften wenigstens
im wissensmaftlichen Bereid:l. toleriert wird. Sie hat inzwisd:l.en selbst
im römischen und orthodoxen Katholizismus, wenngleich in verschie
denen Gebieten mit ungleid:l.em Gewimt, immer stärkeren Eingang
gefunden. Dem entspricht allerdings eine Kehrseite, von weld:l.er her
erst die Heftigkeit und Weite des Kampfes begreiflirh werden. Die
Frage der historisch-kritisrhen Auslegung der Schrift ist, wenn sie das
früher einmal gewesen sein sollte, gegenwärtig nirht länger primär
die einer wissensrhaftlimen Methodik und ihrer Bedeutung für die
Exegese. Unüberhörbar verbinden sirh mit ihr Urteile über das We
sen des mristlichen Glaubens, die normative Geltung der Bibel, Gren
zen und Einheit konfessioneller, kirchlirher, ökumenischer Gemein
schaft, welche die Christenheit im ganzen herausfordern.
Man hat sim diesem Samverhalt entschlossen zu stellen und benö
tigt dazu dringlich einer Bestandsaufnahme, welche wünsrhenswerter
Weise die Problematik zumal aus der geschichtlichen Entwicklung
des vorigen Jahrhunderts quer durm alle Kirchen darstellen sollte.
• Vgl. dazu vor allem H. Frhr. von Campenhausen, Die Entstehung der duist·
liehen Bibel, 1968. Uber die Diskussion innerhalb des römischen Katholizismus in·
formiert besonden eingehend N. Appel, Kanon und Kirche. Die Kanonkrise im
heutigen Protestantismus als kontroventheologisches Problem, 1964.
Neben der durchlaufenden Seitenzählung dieses Bandes ist bei den in ihn über
nommenen Beiträgen auch die Seitenzählung der maßgeblichen Encheinungs
orte übernommen worden, damit nach dieser zitiert werden kann. Die Literatur
verweise in den Beiträgen von Cullmann und Lengsfeld wurden nach den biblio
graphischen Angaben in den Buchausgaben ergänzt. -Den Verlagen, bei denen
die hier übernommenen Beiträge entmalig erschienen, sei für die freundliche Ge
nehmigung des Wiederabdrucks gedankt.
10 Einführung
Ein sold:ter Entwurf würde jedoch ein ungewöhnlich hohes Maß von
Spezialkenntnissen in der allgemeinen Geistes- und Theologiege
schichte voraussetzen, langjährige Arbeit erfordern, wenn ein Einzel
ner sich dazu anschicken wollte, und den Rahmen eines einzigen Bu
ches sprengen. In ein Dilemma würde aber auch der Versuch führen,
die heutigen Äußerungen zu unserm Thema systematisch zusammen
zustellen und wenigstens fragmentarisch von da aus immer wieder
in die Vergangenheit zurückzublenden. Der unbefangene Leser wür
de dem Chaos differierender und gegensätzlicher Meinungen aus dem
Widerstreit von Theologie und Gemeindefrömmigkeit, Konfessionen
und Denominationen, Exegese und Dogmatik, amtlimer Verlautba
rungen, individueller Äußerungen und von Gruppen abgegebener
Bekenntnisse hilflos ausgeliefert. Der Sammler würde zu einer Aus
wahl gezwungen sein, die ihn auch bei bestem Willen des unzurei
chenden Überblicks und mangelnder Objektivität beschuldigen ließe.
Wie vielfach in unserer Situation wird man sich notgedrungen kon
zentrieren, den Vorstoß in geschichtliche Tiefe und ökumenische Wei
te äußerst reduzieren und verzichten müssen, auf den Altären wissen
schaftlicher Vollständigkeit oder traditionell dogmatischer Fragestel
lungen opfern zu wollen. Ein exemplarischer Ausschnitt aus der Dis
kussion, der Dokumentation und kritische Analyse verbindet, ist mög
lich, sinnvoll und vielleicht am hilfreichsten.
So werden im folgenden 13 Aufsätze zum neutestamentlichen Ka
nonproblem aus dem deutschsprachigen Bereich und dem Gesichts
feld historischer Bibelkritik wiedergegeben und anschließend auf ihre
Prämissen und Konsequenzen hin erörtert. Ein geraffter Oberblick
über die Rezeption und die Auslegung der Schrift in den verschiede
nen Epochen der Kirchengeschichte wird vorangestellt, um in die ge
genwärtige Problematik einzuführen. Den Abschluß bildet eine her
meneutische Besinnung zum Thema "Schrift und Tradition" aus re
formatorisch orientierter Sicht, welche in außerordentlicher Gründ
lichkeit und Schärfe zum Ausgang des konfessionellen Streites um
die Bibel zurücklenkt, damit zugleich in das ökumenisd:te Gespräch
eingreift und die historische Kritik auf den ihr gebührenden Platz
eines Hilfsmittels in der Verständigung und Scheidung der Geister
verweist. Die Gesamtkird:te kann und darf sie nicht übersehen. Sie
kann und darf ihr aber auch nicht das letzte Wort überlassen, weil
ihre Einsichten und begründeten oder unbegründeten Folgerungen
wie der von da aus bestimmte Streit um den Kanon nur ein Aus
sd:tnitt, eine Konsequenz und die heutige Signatur des Streites um
das Evangelium sind. Man hat dieses Evangelium nie ein für alle
Male, wenn daraus nicht eine religiöse Tradition unter andem wer
den soll. Jede christliche Generation muß es neu für sich und die Welt