Table Of ContentSammlung Metzler
Edward R. Haymes
Das mündliche Epos
Band 151: Eine Einführung
in die -Oral Poetry- Forschung
SAMMLUNG METZLER
M 1 Raabe Einführung in die Bücherkunde
M 3 Meisen Altdeutsche Grammatik I!: Formenlehre
M 4 Grimm Bertolt Brecht
M 5 Maser Annalen der deutschen Sprache
M 6 Schlawe Literarische Zeitschriften 1885-1910
M 7 Weher /Hoffmann Nibelungenlied
M 8 Meycr Eduard Mörike
M 9 Rosenfeld Legende
M 10 Singer Der galante Roman
M 12 Nagel Meistersang
M 13 Bangen Die schriftliche Form germanist. Arbeiten
M 14 Eis Mittelalterliche Fachliteratur
M 15 Weber/Hoffmann Gott/ried von Straftburg
M 16 Lüthi Märchen
M 17 Wapnewski Hartmann von Aue
M 18 Meetz Friedrich Hebbel
M 19 Sehröder Spielmannsepik
M 20 Ryan Friedrich Hölderlin
M 22 Danzel Zur Literatur und Philosophie der Goethezeit
M 24 Schlawe Literarische Zeitschriften 1910-1933
M 25 Anger Literarisches Rokoko
M 26 Wodtke Gott/ried Benn
M 27 von Wiese Novelle
M 28 Frenzel Stoff-, Motiv- und Symbolforschung
M 29 Rotermund Christian Hofmann von Hofmannswaldau
M 30 Galley Heinrich Reine
M 31 Müller Franz Grillparzer
M 32 Wisniewski Kudrun
M 33 Soeteman Deutsche geistliche Dichtung des 11. u. 12. jh.s
M 34 Taylor Melodien des Mittelalters 1: Darstellung
M 35 Taylor Melodien des Mittelalters Il: Materialien
M 36 Bumke Wolfram von Eschenbach
M 37 Engel Handlung, Gespräch ·u. Erzählung. Faksimiledruck
M 38 Brogsitter Artusepik
M 39 Blanckenburg Versuch über den Roman. Faksimiledruck
M 40 Halbach W alther von der Vogelweide
M 41 Hermand Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft
M 43 Glinz Deutsche Syntax
REALIEN ZUR LITERATUR
ABT. E:
POETIK
EDWARD R. HAYMES
Das mündliche Epos
Eine Einführung
in die >Üral Poetry<
Forschung
MCMLXXVII
J. B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
STUTIGART
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Haymes, Edward
Das mündliche Epos: e. Einf. in d. »Oral-poetry«
Forschung.- 1. Aufl.-Stuttgart: Metzler,
1977.
(Sammlung Metzler; M 151: Abt. E, Poetik)
ISBN 978-3-476-10151-8
ISBN 978-3-476-10151-8
ISBN 978-3-476-03860-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-03860-9
M 151
0 Springer-Verlag GmbH Deutschland 1977
Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1977
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung ...................................... .
Zum Begriff des mündlichen Epos ................... .
Die Entwicklung der Theorie bei Parry und Lord . . . . . . . 4
I. Formale Aspekte der mündlichen Dichtkunst . . . . . . . . 6
Die Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Das Formelsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Die Formel als Indiz der Mündlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Enjambement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Traditionsgebundene Handlungselemente . . . . . . . . . . . . . 18
II. Das Lied in der mündlichen und schriftlichen
Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Das Lied in der mündlichen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Die mündliche Epik und die Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
III. Die Anwendung der Parry-Lord-Theorie auf Einzel-
traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Die altgriechische Epik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Frühe Epik in den germanischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . 34
Altspanische Epik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Altfranzösische Epik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
IV. Forschungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
V
VORWORT
Dieser Band der >Sammlung Metzler< hat die Aufgabe, in die
komparatistische Forschungsrichtung der sogenannten >>oral po
etry« einzuführen. Der vergleichenden Anwendung der Ergebnisse
dieser Forschungsrichtung gilt das Hauptinteresse dieser Darstel
lung, weswegen die volkskundliche Beschäftigung mit dem Gegen
stand gezwungenermaßen an zweiter Stelle stehen muß. Ich habe
mich bemüht, den vielen verschiedenen Literaturen, akademischen
Fachrichtungen und Theorien so gerecht zu werden wie nur mög
lich, aber ich bin mir meiner Schwächen wohl bewußt. Dem auf
merksamen Leser wird meine ursprüngliche Herkunft aus der ger
manistischen und anglistischen Mediävistik nicht entgehen. Es ist
jedoch zu hoffen, daß die Breite der Darstellung den Leser für gele
gentliche V ersehen und Auslassungen entschädigt.
Ich möchte hier meinen Freunden und Kollegen Horst Brunner,
Daton Dodson, Margret Eifler,Marlis Mehra und besonders Michael
Kuhn aufrichtig für ihre freundliche Hilfe, kritische Lektüre des
Manuskriptes und Aufmunterung zur Arbeit danken. Ein Research
Initiation Grant der U niversity of Houston ermöglichte den Anfang
der Arb~it und die Geduld meiner Frau ihre Vollendung.
Houston/Texas, im Mai 1976
Edward R. Haymes
VI
ABKÜRZUNGEN
Actes Actes du Ve Congres de I' Association Internationale de
Litterature Comparee (e d. Nikola Banasevic) Belgrad,
1969.
Bäum!-Ward Franz H. Bäum! und Donald J. Ward: Zur mündlichen
Überlieferung des Nibelungenliedes. In DVjs 41, 1967, S.
351-390.
CL Comparative Literature
CQ Classical Quarterly
DVjs Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft
und Geistesgeschichte
ES English Studies
FMLS Forum for Modern Language Studies
Frings und Braun Theodor Frings und Maximilian Braun: Brautwerbung.
In: Berichte über die Verhandlungen der Sächs. Akad. d.
Wiss. phil-hist. Kl., Bd. 96, 1947, Heft 2.
HSCP Harvard Studies in Classical Philology
JAF Journal of American Folklore
JFI Journal of the Folklore Institute
MHV TheMakingof Homeric Verse: The Collected Papers of
Milman Parry (ed. Adam Parry), Oxford, 1971.
Magoun Franciplegius: Medieval and Renaissance Studies in Ho
nor of Francis P. Magoun, Jr. (ed. Jess B. Bessinger und
Robert P. Creed), New York, 1965.
MP Modern Philology
NM Neuphilologische Mitteilungen
PMLA PMLA (Publications of the Modern Language Associa
tion of America)
Se Der Sänger erzählt (übers. von Helmut Martin), 1965; dt.
Übersetzung von: Albert B. Lord: The Singer of Tales,
Cambridge, Mass., 1960.
TAPA T ransactions and Proceedings of the American Philologi
cal Association
YCS Ya le Classical Studies
VII
EINLEITUNG
Jedes neue Kommunikationsmedium bringt eine entscheidende
Änderung des menschlichen Bewußtseins. Seit der Arbeit der kana
dischen Medienforscher, der Schule von Innis und McLuhan, ist
diese Feststellung fast ein Gemeinplatz geworden, ohne daß die Li
teraturwissenschaft bisher die Konsequenzen dieses Ansatzes in ih
rer Denkweise verfolgt und aufgearbeitet hätte. Die historische
Folge der herrschenden Medien-von der Mündlichkeit zur Schrift,
von der Schrift zum Druck, vom Druck zum Rundfunk, vom Rund
funk zum Fernsehen-beeinflußt entscheidend die Entwicklung an
derer technischer Fähigkeiten und bewirkt eine entsprechende An
derung der menschlichen Denkweise. Wir haben dadurch das anal
phabetischeDenken verlernt und stehen deshalb der vorliterarischen
Kultur so fremd gegenüber, wie der Analphabet der unseren. Der
Schreibende denkt anders als der Analphabet; er kann durch aber
maliges Lesen sein Gedächtnis auffrischen; er kann auf weit Zurück
liegendes Bezug nehmen; er kann komplizierte Inhalte durch hypo
taktische Gebilde widerspiegeln. Der Analphabet neigt eher zum pa
rataktischen Denken. Gegen das Nebeneinander, das dem Schrei
benden möglich ist, setzt er gewöhnlich ein Nacheinander. Aus die
sem Unterschied allein erwachsen dem Schreibenden erhebliche
Schwierigkeiten, will er versuchen, die vorliterarische Wortkunst zu
verstehen.
Um mündliche Dichtung richtig einschätzen zu können, muß
man sich von einigen Vorurteilen unserer Kultur befreien. Wir mei
nen immer, die Schrift sei die conditio sine qua non einer hoch ent
wickelten Kultur. Dies ist aber keineswegs der Fall, wie archäologi
sche und anthropologische Studien deutlich zeigen. Der blinde Fort
schrittsglaube unserer Zivilisation sieht das Fehlen eines wichtigen
Zuges unserer heutigen Kultur als ein einfaches Manko an. Fast jeder
Fortschritt wurde aber mit dem Verlust wertvoller alter Kulturgüter
erkauft. Der Gegenstand dieser Darstellung bietet ein gutes Beispiel
dafür.
Zum Begriff des mündlichen Epos
Mündliches Epos heißt hier die breit erzählende Dichtung, die
schriftlos entsteht und weiterlebt. Diese Dichtung ist keineswegs die
einzige Form der schriftlosen Erzählkunst, aber sie ist für die ver
gleichende Literaturwissenschaft eine der Interessantesten, da sie
formale und strukturelle Parallelen zu den großen Dichtungen der
Vergangenheit (Homer, Beowulf-Epos, Nibelungenlied, Rolands
lied usw.) aufweist. Diese Art der Epik hat sich vor allem bei den sla
vischen Völkern, bei den Finnen und Esten, bei den Griechen und
bei den türkischen Völkern Asiens bis in die moderne Zeit erhalten.
Obwohl das Vordringen der Schriftkultur einige dieser Traditionen
zerstört und alle geschwächt hat, haben wir noch wichtige Samm
lungen aus dem vorigen Jh. und dem ersten Teil unseres Jhs.
Man denkt gewöhnlich bei mündlicher Epik an H~ldendichtung
(siehe die DarstellungBowras) und ein beträchtlicher Anteil ist auch
Heldenepik, aber dies ist eher das Ergebnis der historischen Situa
tion der Völker, die diese Dichtung hervorgebracht haben als die
Wirkung eines Naturgesetzes. Viele vorliterarische Völker stehen in
kriegerischer Auseinandersetzung mit ihren Nachbarn, was dann
zwangsläufig einen Niederschlag in ihrer Dichtung findet. Diese
Sachlage darf aber nicht zu einer Gleichsetzung beider Kategorien
führen. Neben den bekannten heldenepischen Themen findet man
auch eine Schamanistische Richtung, vor allem bei den Finnen und
einigen türkischen Völkern Sibiriens. In diesen Epen spielt die Lö
sung von Aufgaben durch Zaubermittel immer eine größere Rolle als
die körperliche Leistung des Helden.
Die bekannten epischen Dichtungen werden meist in fortlaufen
den Einzelzeilen erzählt. Diese Form verbindet sich mit einer einfa
chen Vortragsmelodie, die im Laufe eines langen Liedes mehrfach
variiert werden kann. Die Versform kann so komplex werden wie
der altgriechische Hexameter, so einfach wie der südslavische Zehn
silbler oder so unregelmäßig wie die schwankende Zeilenlänge der
russischen Bylinen. Strophen sind in den modernen epischen For
men so gut wie unbekannt. (Die Ballade steht etwas außerhalb dieser
Darstellung, da sie eigene Gesetze entwickelt. Siehe unten S. 28) Die
einfache Melodie bietet an sich keine Möglichkeiten für musikali
schen Ausdruck in unserem Sinne. Der Sänger kann seinen Vortrag
durch größere Intensität der Stimme, durch Ausrufe oder durch
Tonlagenwechsel ändern, aber die in der westlichen Musik übliche
musikalische Expressivität kommt gar nicht vor. Der Gesang erfüllt
wesentliche Funktionen beim Vortrag. Erstens hebt er das Erzählte
aus der alltäglichen Rede heraus. Zweitens macht er den Sänger über
weitere Entfernungen hör- und verstehbar. Drittens spielt der Ge
sang eine Rolle in der Erhaltung der metrischen Form, indem er es
dem Sänger erleichtert, metrisch richtige Verse hervorzubringen.
Der Stil fast aller vorliterarischer Erzählgattungen erweckt beim
modernen Leser den Eindruck der Objektivität. Die mündliche
Kompositionstechnik spielt hier eine gewisse Rolle, da alle Helden,
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