Table Of ContentENZYKLOP.ADIE DER
RECHTS· UND STAATSWISSENSCHAFT
BEORUNDET VON
F. VON LlSZT UND W.KASKEL
HERAUSOEOEBEN VON
W. KUNKEL· H. PETERS· E. PREISER
ABTEILUNG RECHTSWISSENSCHAFT
DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
DEUTSCHLANDS
VON
MARTIN WOLFF
D RITTE AU FLAG E
SPRINGER-VERLAG
BERLIN· GOTTINGEN . HEIDELBERG
1954
DAS
INTERNATIONALE PRIVATRECHT
DEUTSCHLANDS
VON
MARTIN WOLFF
DRITTE AUFLAGE
SPRING ER-VERLAG
BERLIN · GOTTINGEN • HEIDELBERG
1954
ALLE RECHTE,
INSBESONDERE DAB DER "OBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN,
VORBEHALTEN
OHNE AUSDR"OCKLICHE GENEHMIGUNG DES VERLAGES
1ST ES AUCH NICHT GESTATTET, DIESES BUCH ODER TEILE DARAUS
AUF PHOTOMECHANISCHEM WEGE (PHOTOKOPIE, MIKROKOPIE) ZU VERVIELFALTIGEN
COPYRIGHT 1933, 1949 AND 1954 BY SPRINGER-VERLAG OlIG.
Softcover reprint of the hardcover 3rd edition 1949
BERLIN· GOTTINGEN . HEIDELBERG
ISBN-l3: 978-3-642-86056-0 e-ISBN-13: 978-3-642-86055-3
DOl: 10.1007/978-3-642-86055-3
Vorwort zur dritten Auflage.
Die erste Auflage dieses Buches erschien 1933 unter dem Titel
"Internationales Privatrecht". Die vorliegende dritte Auflage erscheint
unter einem etwas praziseren Titel; nur die in Deut.schland geltenden
Kollisionsregeln bilden den Gegenstand der Darstellung. In den Jahren
1945 und 1950 veroffentlichte der Verfasser durch die Oxford University
Press ein Buch (in zwei Auflagen) uber "Private International Law",
welches das internationale Privatrecht wie es in England gilt zum
Gegenstand hat.
Keines der beiden Bucher ist eine LJbersetzung oder sonstige Be
arbeitung des anderen. Nur weniges - so in der Geschichte des inter
nationalen Privatrechts und in der Stellung mancher Probleme - ist
ihnen gemeinsam.
Oxford, Friihjahr 1953. MARTIN WOLFF.
Am 20.Juli 1953 ist MARTIN WOLFFim Alter von 80 Jahren gestorben.
Das von ihm selbst bearbeitete und abgeschlossene Manuskript der
dritten Auflage dieses Werkes befand sich damals bereits im Druck.
Die Korrekturen der beiden ersten Bogen hat er noch selbst gelesen
und dem Vorwort die obige Fassung gegeben.
Die weitere Korrektur besorgte in Zusammenarbeit mit dem Unter
zeichneten Herr Dr. GERARDO BROGGINI-Locarno (z. Z. Heidelberg).
Die Register bearbeitete Frau Dr. HEDWIG MAIER-Tiibingen.
Heidelberg, im August 1953. W. KUNKEL.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung. Belte
§ 1. Der Gegenstand des internationalen Privatrechts . • . • . 1
§ 2. Staatliches und uberstaatliches internationales Privatrecht . 5
§ 3. Internationales Privatrecht und Volkerrecht . . 7
§ 4. Geschichtlicher UbE'rblick . . . . . . . . . . 12
§ 5. Die Entwicklung im 19. und im 20. Jahrhundert 20
§ 6. Staatliche Kollisionsnormen und Staatsvertrage. 25
§ 7. Literatur des internationalen Privatrechts 30
Erstes Buch.
Allgemeine Lehren.
§ 8. Die nationalen Kollisionsnormen. Ihre Arlen. Lucken 33
§ 9. Die Ankniipfungsbegriffe. . . . . . . . . . . . . 37
§ 10. Insbesondere Staatsangehorigkeit, Wohnsitz, Herkunftsort . 3S
§ ll. SchE'inbare Gleichheit der Anknupfungsbegriffe. . . . . . 43
§ 12. Fraudulose Anknupfungen (Anknupfungen in der Absicht der Ge-
setzesumgehung) . . . . . . . . . . . . . . . . 45
§ 13. Die Einordnung der Rechtssatze ("Qualifikationen") 49
§ 14. Die Vorbehaltsklausel (ordre public). . . . . . . . 60
§ 15. Riickverwoisung und Weiterverweisung ("Renvoi") . 72
§ 16. Auslandische Kollisionsnormen bei der Beantwortung von Inzident-
(Vor-)Fragon. . . . . . . . . . . . . . 79
§ 17. Der Grundsatz der gro13eren Nahe. . . . . SI
§ IS Die Anwendung auslandischen Privatrechts. S4
§ IS.a. Interlokales Recht. . . • . . . . 91
Zweites Buch.
Die besonderen Lehren.
1. Abschnitt: Personenrecht.
§ 19. Die Rechtsfahigkeit. Tod. Verschollenheit 96
§ 20. Handlungsfahigkeit . . . . . . . . . 100
§ 21. Anhang: Der Auslander in Deutschland lOS
§ 22. Personlichkeitsguter. Berufsstand. . . 112
§ 23. Die juristische Person . . . . . . . . 114
2. Abschnitt: Die allgemeine Rechtsgeschaftslehre.
§ 24. Grundsatze. . . . . . . . . 122
§ 25. Die Form des Rechtsgeschafts . . . . . . . . . 126
3. Abschnitt: Der Schutz der Rechte.
§ 26. Selbsthilfe und Proze13. Verjahrung . . . . . . . 130
§ 27. Anerkennung und Vollstreckung ausIandischer Urteile 132
Inhaltsverzeichnis. VII
4. Abschnitt: Obligationenrecht. Selte
§ 28. Der Schuldvertrag. Parteiautonomie. . . . 136
§ 29. Der Geltungsbereich des Obligationsstatuts . 148
§ 30. Die Geldschuld . . . . . 155
§ 31. Deliktschulden . . . . . . . . . . . . . 164
§ 32. Sonstige Verpflichtungen. . . . . . . . . 169
5. Abschnitt: Sachenrecht.
§ 33. Die Einteilung der Sachen . . . . . . . . . 170
§ 34. Die Ankniip£ung der Sachenrechte im allgemeinen. 172
§ 35. Der Geltungsbereich des Gebietsrechts. . . . . . 175
§ 36. Rechte an unkorperlichen Giitern und an eillem Vermogen . 182
6. Abschnitt: Familienrecht.
1. Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
§ 37. Die Verlobung . . . . . . . . . . . . . . 184
§ 37 a. Arten der Ehe: Polygamie und Monogamie . 185
§ 38. Die materiellen Voraussetzungen der EheschlieBung (Ehehillder.
nisse) . . . . . . . . . . . 186
§ 39. Die Form der EheschlieBung . . . . 192
§ 40. Die fehlerhafte EheschlieBung . . . 195
§ 41. Die personlichen Wirkungen der Ehe 197
§ 42. Das eheliche Giiterrecht . . . . 199
§ 43. Ehescheidung und Ehetreunung. 204
II. Verwandtschaftsrecht. . . . 212
§ 44. Die ehelichen Kinder. . . . 212
§ 45. Die unehelichen Kinder . . 217
§ 46. Legitimation und Adoption. 220
§47. Weitere Verwandtscha£t. Schwagerschaft. 222
III. Vormundschaftsrecht. 223
§ 48. • • • • . . • . . . . . . . . . . . . 223
7. Abschnitt: Erbrecht.
§ 49. Grundsatze. Das Erbstatut. . . . . . . . 225
§ 50. Verfiigungen von Todes wegen . . . . . . 228
§ 51. Der EinfluB des Wohnsitzes auf das Erbrecht. 231
§ 52. Der EinfluB des Gebietsrechts auf das Erbrecht . 232
§ 53. Ordre public und Erbrecht . 234
§ 54. Die NachlaBregulierung 234
Verzeichnis der Gesetze. 238
Sach verzeichnis. . . . . . . 243
Abkiirzungsverzeichnis.
(Siehe auch das Literaturverzeichnis S. 31 ff.)
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v. Staudingers Kommen buch.
tar z. BGB, VI, 2, 1931. ZPO ZivilprozeBordnung.
Die unten in § 7 genannten Lehrbiicher, Handbiicher, Grundrisse und Systeme,
Manuels, Precis, Traites, Principes usw. werden nur mit den Namen der Verfasser
zitiert.
Einleitung.
§ 1. Der Gegenstand des internationalen Privatrechts.
v. BAR: 13ff. - JITTA, Jos.: La methode du droit internat. prive (1890,
La Raye) 32ff. - ZITELMANN: I Iff. - FRANKENSTEIN: 128ff. - GIESKER
ZELLER: Die Rechtsanwendbarkeitsnormen, 1914. - KAHN: I 255ff. - GUTZ
WILLER: 1535 ff. - ARMINJON : L'o bjet et la methode du droit into prive. Ree. d. Cours
1928 I 433ff. - ARMINJON: Genter Rev. 56 (1929) 680ff. - RAAPE: IPR 1 ff. -
FICKER: Grundfragen des interlokalen Rechts, 1952.
Verwirklicht sich in Deutschland ein Tatbestand (eine Vereinbarung,
eine Korperverletzung, eine Geburt, ein Todesfali usw.), an welchem nur
Deutsche mit deutschem W ohnsitz beteiligt sind, wird auf Grund eines
solchen Tatbestandes eine Wirkung (z. B. Erfiillung) in Deutschland
erwartet und wird vor einem deutschen Gericht ein Rechtsstreit ein
geleitet, so wird niemand erwahnen, daB deutsches Recht (ProzeBrecht,
Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht usw.) anzuwenden ist: die Frage
nach dem anwendbaren Recht entsteht nicht, weil die Antwort ein
Gemeinplatz ware. Anders, wenn einer der an dem Tatbestand Be
teiligten Auslander ist oder im Ausland seinen Wohnsitz hat, oder wenn
der Tatbestand sich ganz oder teilweise im Auslande ereignet oder dort
seine Wirkungen eintreten solien, oder wenn im Ausland auf Grund
eines rein inlandischen Tatbestandes geklagt wird oder geklagt worden
ist. Bei sol chen Leben8verhiiltni88en mit A usland8berilhrung laBt sich die
Frage, welche Rechtsfolge der Tatbestand hat, erst beantworten, wenn
zuvor festgestelit ist, welcher Rechtsordnung die Antwort auf jene
Frage zu entnehmen ist. Diese Feststeliung zu treffen, ist die Aufgabe
des Internationalen Privatrecht8 (internationalen ProzeB-, Straf-, Ver
waltungsrechts usw.) oder Kolli8ion8recht8.
Die einzelne internationalprivatrechtliche Bestimmung pflegt man "Kollisions
norm" oder "Konfliktsnorm" zu nennen. Diese Ausdriicke1 sind, ebenso wie
die entsprechenden des Auslands (Droit international prive, Conflit des lois, Conflict
of Laws usw.), angreifbar, aber besser als "Grenzrecht" oder die spraehwidrige
Ubersetzung "Zwischenstaatliches Privatrecht" oder gar Zwischenprivatreeht2• 1m
Gegensatz zu den Kollisionsnormen eines Landes pflegt man die biirgerlichrecht
lichen, handelsrechtlichen, stra£rechtlichen, prozeBrechtlichen usw. Normen des
Landes als "Saehnormen", "sachlich-rechtliche Normen" (so Reichsgericht),
"interne Reehtsnormen" oder auch als "materiellrechtlicheNormen" zu bezeichnen.
Seit der Entstehung der italienischen Stadtstaaten und der Kollision ihrer
Normen pflegt man diese als Statuta zu bezeichnen, und auch die !niteinander
kollidierenden franzosischen provinziellen "Coutumes" sowie die Provinzial- und
1 Vgl. hierzu insbes. GUTZWILLER: 1549££, !nit Nachweisungen.
2 So: RG 145, 131.
Wolff, Internat. Privatrecht, 3. Auf!. 1
2 Einleitung.
Staatsgesetze der neueren Staaten werden als "Statuten" bezeichnet2a• Das Wort
Statut wird ferner in Zusammensetzungen fiir bestimmte Fragenkomplexe des
internationalen Privatrechts gebraucht: Normen, die fiir das Erbrecht gelten,
werden als "Erbstatut", Normen zur Regelung des Scheidungsrechts als "Schei
dungsstatut" usw. bezeichnet. Dementsprechend verwendet man noch heute die
aus der Zeit der Statutentheorie gelaufigen Wendungen ,Personalstatut' und
,Realstatut' .
I. Das internationale Privat- (ProzeB- usw.) Recht beantwortet hier
nach die Frage, welche von mehreren gleichzeitig nebeneinander be
stehenden Rechtsordnungen auf ein bestimmtes Lebensverhaltnis an
wendbar ist3•
1. Es handelt sich darum, auf ein bestimmtes Lebensverhaltnis das
Recht anzuwenden. Es leitet in die lrre, wenn man behauptet, das
internationale Privatrecht habe das auf gewisse Rechtsverhaltnisse (oder
gar Privatrechtsverhaltnisse) anwendbare Recht zu bestimmen. Ob ein
Tatbestand des Lebens iiberhaupt ein Rechtsverhaltnis und ob er ein
Privatrechtsverhaltnis darstellt, muB erst eine Rechtsordnung beant
worten. Das internationale Privatrecht findet, wie jede rechtliche Rege
lung, Lebenstatbestande (eine Verabredung, eine Korperverletzung, die
Erreichung eines bestimmten Alters) vor, nicht Rechtsverhaltnisse. Die
Verkennung dieser Selbstverstandlichkeit hat zu Entgleisungen gefiihrt.
2. Die Rechtsordnungen, unter denen der Richter zu wahlen hat,
sind stets gleichzeitig nebeneinander geltende Ordnungen. Handelt es
sich um die Auswahl unter zwei zeitlich einander folgenden Rechts
ordnungen (ein Lebenstatbestand hat sich vor 1900 ereignet, und seine
Wirkungen in der Zeit nach dem lnkrafttreten des Biirgerlichen Gesetz
buchs sind zu priifen), so liegt eine intertemporale Frage vor.
Sie wird gelost entweder durch besondere lJbergangsvorschriften der neueren
Rechtsordnung (z. B. EG BGB Art. 153ff.) oder durch eine den Wechsel der Rechts
ordnungen iiberdauernde allgemeine Norm, z. B. ein allgemeines Riickwirkungs
verbot [code civil art. 2; vgI. Bonner GG Art. 103 (2)].
Es kommt vor, daB der Richter sowohl die internationalrechtliche, wie die
intertemporalrechtliche Frage zu stellen hat, dann namlich, wenn die Normen des
internationalen Privatrechts (die Kollisionsnormen) selbst gewechselt haben. Hier
kann es einen Unterschied machen, welche der beiden Fragen er zuerst stellt.
Beispiel: die Ehe zweier in Berlin lebender Deutscher wurde 1898 wegen Ehebruchs
des Mannes mit der X geschieden; er verlegte darauf den Wohnsitz nach London
und heiratete dort die X. Wird diese Ehe nach 1900 vor einem deutschen Gericht
mit der Nichtigkeitsklage angegriffen, so ist die Nichtigkeit dann auszusprechen,
wenn man mit dem deutschen Internationalprivatrecht des EG BGB die Staats
angehOrigkeit des Mannes entscheiden laBt'. Dagegen wird die Nichtigkeits
klage abzuweisen sein, wenn man mit dem friiheren preuBischen International
privatrecht den (englischen) Wohnsitz des Ehemanns bei der EheschlieBung ent
Bcheiden laBt, dessen Recht das impedimentum criminis (adulterii) nicht kennt.
2a Siehe un ten § 4 I. 3 Of. AGo: 891; LEWA LD : Reg!. gen. 7 ff.
, Art. 13 EG BGB; § 937 ALR II 1.