Table Of ContentS.	Fischer-Fabian
	
Das	Goldene	Bett
	
Aphrodite	ist	an	allem	schuld
	
Zwei	Romane
S.	Fischer-Fabian
Das	Goldene	Bett
Roman
Copyright	Droemerscher
Verlagsanstalt	Th.	Knaur	Nachf.
München/Zürich	1979
Satz:	acomp,	Wemding
Genehmigte	Lizenzausgabe
Schlafwagen,	 dachte	 Philipp	 Engel	 und	 versuchte,	 seinen
rechten	Fuß	aus	dem	linken	Hosenbein	zu	ziehen,	Schlafwagen
sind	ungeeignet	für	die	Liebe.
Er	ließ	sich	vorsichtig	auf	den	mit	Sisal	ausgelegten	Fußboden
des	Doppelabteils	nieder.	Nach	einigen	Versuchen,	die	an	die
Morgenarbeit	 eines	 Yoghi	 erinnerten,	 gelang	 es	 ihm,	 in	 die
graue	Flanellhose	zu	schlüpfen.	Mit	grellem	Pfeifen	ging	der
Zug	 in	 eine	 Kurve.	 Philipp	 stand	 langsam	 auf,	 stellte	 sich
breitbeinig	 vor	 den	 kleinen	 Spiegel	 und	 betrachtete	 seinen
Oberkörper.	 Er	 schlug	 sich	 mit	 der	 flachen	 Hand	 gegen	 den
Bauch	und	stellte	befriedigt	fest,	daß	er	keinen	hatte.
»Was	 machst	 du,	 Liebling?«	 fragte	 das	 Mädchen	 aus	 dem
unteren	 Bett.	 Das	 klatschende	 Geräusch	 hatte	 es	 aus	 dem
Schlummer	gerissen.
Philipp	 drehte	 sich	 nicht	 um.	 Er	 sah	 im	 Spiegel	 ihre
schwarzen	Haare	auf	dem	weißen	Bettzeug.	Und	ihr	nacktes
rechtes	 Bein,	 das	 unter	 der	 Decke	 hervorguckte.	 Und	 ihre
schwarze	Wäsche	auf	dem	Hocker.	Er	dachte:	Ein	idiotisches
Bett.	Schmal	wie	ein	Einbaum	und	genauso	hart.
»Komm	noch	einmal,	Liebling«,	sagte	das	Mädchen.
Philipp	antwortete	nicht.	Er	prüfte	sorgfältig	den	Sitz	seiner
Krawatte	 und	 entschloß	 sich,	 den	 Knoten	 noch	 einmal	 zu
knüpfen.	Er	spürte	einen	leichten	Schmerz	im	linken	Oberarm,
als	er	das	Krawattenende	herumwirbelte.	Wir	hätten	das	obere
Bett	 nehmen	 sollen,	 überlegte	 er,	 da	 hätte	 ich	 mir	 den	 Arm
nicht	verrenkt.	Aber	sie	hatte	ja	Angst,	daß	wir	‘rausfallen...	Er
war	ärgerlich	auf	das	Mädchen	im	unteren	Bett.	Es	war	nicht
die	Verdrossenheit	des	Mannes	danach,	es	war	der	Ärger,	daß
es	wieder	passiert	war.
Es	passierte	ihm	immer	wieder.	Dabei	hatte	er	sich	diesmal
geschworen,	 daß	 es	 ihm	 nicht	 wieder	 passieren	 würde.	 Und
nun	war	es	doch	passiert.	Es	war	einfach	nichts	dagegen	zu
machen.	 Eigentlich	 machte	 er	 sich	 gar	 nicht	 soviel	 daraus,
zumindest	 war	 er	 nicht	 darauf	 aus.	 Philipp	 Engel	 war	 alles
andere	als	ein	Schürzenjäger.	Die	Frauen	jagten	ihn.
Das	hatte	früh	angefangen.	Vom	Konfirmandenunterricht	war
er	 dispensiert	 worden,	 weil	 Pfarrer	 Giese	 aus	 Philipps
Gesangbuch	 im	 Laufe	 eines	 halben	 Jahres	 dreiundvierzig
lavendelduftende	 Liebesbriefe	 gefischt	 hatte.	 In	 der	 Sekunda
hatten	die	Mädchen	darum	gewürfelt,	seine	Banknachbarin	zu
werden.	Beim	Tanzstundenabschlußball	hatte	Irma	Menken	in
der	 Toilette	 aus	 Eifersucht	 zehn	 Abführtabletten	 geschluckt,
und	 an	 seinem	 sechzehnten	 Geburtstag	 war	 er	 von	 Fräulein
Hammer,	 der	 Klavierlehrerin,	 verführt	 worden.	 Es	 war	 fast
selbstverständlich	 gewesen,	 daß	 er	 wegen	 einer
Weibergeschichte	 kurz	 vor	 dem	 Abitur	 die	 Schule	 verlassen
mußte.	Und	es	lag	auf	derselben	Linie,	daß	ihn	ein	Jahr	später
sein	Vater	mit	dreihundert	Mark	und	einem	Vulkanfiberkoffer
in	 den	 D-Zug	 nach	 Hamburg	 gesetzt	 hatte.	 Zwecks
Auswanderung.	 Vater	 war	 maßlos	 empört	 gewesen	 über	 die
Geschichte	 mit	 der	 Heilsarmeeschwester.	 Die	 war	 eines
Abends	mit	der	Sammelbüchse	aufgekreuzt,	als	Philipp	allein
daheim	 war.	 Am	 anderen	 Tag	 war	 ein	 Major	 der	 Heilsarmee
erschienen,	hatte	Ausdrücke	wie	»Sittenstrolch«	gebraucht	und
außer	 der	 Sammelbüchse	 auch	 die	 »Ehre«	 der	 Schwester
zurückverlangt.	 Man	 hatte	 ihm	 nur	 die	 Büchse	 ausliefern
können.
Philipp	Engel	fuhr	sich	mit	dem	Kamm	durch	das	Haar	und
sann	wieder	einmal	darüber	nach,	woran	es	liegen	könnte.	In
New	 York	 hatte	 er	 deshalb	 eines	 Tages	 Dr.	 Goldbaum
aufgesucht,	 einen	 bekannten	 Psychiater.	 Es	 war	 nichts	 dabei
herausgekommen,	 abgesehen	 von	 dem	 Umstand,	 daß	 Mrs.
Goldbaum	 sich	 nach	 der	 achten	 analytischen	 Sitzung	 in
anderen	 Umständen	 befand.	 Amerika!	 Philipp	 seufzte.
Ausgerechnet	 in	 dieses	 erotische	 Notstandsgebiet	 hatte	 er
damals	gehen	müssen.
»Du	warst	eine	Sensation,	Phil«,	sagte	das	Mädchen	aus	dem
unteren	Bett.
»Schon	 gut«,	 brummte	 Philipp.	 Er	 mochte	 keine
Dankschreiben.	Er	zeigte	seinem	Spiegelbild	die	Zähne.	Gewiß,
mit	 seinen	 blonden	 Haaren,	 der	 geraden	 langen	 Nase,	 dem
ziemlich	 sinnlichen	 Mund	 und	 dem	 energischen	 Kinn	 sah	 er
nicht	 schlecht	 aus.	 Aber	 Himmel,	 so	 sahen	 hunderttausend
andere	Männer	auch	aus	und	hatten	ihre	Ruhe	vor	den	Frauen.
Seine	 Gedanken	 schweiften	 ab	 zum	 gestrigen	 Abend	 im
Speisewagen.
»Verzeihen	 Sie,	 bitte,	 ist	 der	 Platz	 hier	 noch	 frei?«	 Die
Schwarze	mit	dem	hellgrauen	Chanelkostüm	sah	ihn	fragend
an.
»Bitte,	gnädige	Frau«,	sagte	Philipp.	Er	nahm	seine	Zeitung
und	 las	 weiter.	 Über	 den	 Zeitungsrand	 beobachtete	 er	 die
Schwarze.	Sie	hatte	die	Unterlippe	vorgeschoben	und	studierte
die	 Speisekarte.	 Ihr	 Parfüm	 wehte	 zu	 ihm	 herüber.	 Er
schnupperte	fachmännisch.	Lanvin,	dachte	er.	Lanvin	pour	la
nuit.	Es	war	immer	etwas	mühsam	gewesen,	die	Etiketten	von
den	 Originalflaschen	 zu	 lösen,	 um	 sie	 auf	 die	 Imitationen	 zu
kleben.	 Damals	 in	 Dodge	 City	 am	 Arkansas	 River.	 Ein
glänzendes	Geschäft	übrigens.	Lang	war	es	her.	Lanvin	paßte
übrigens	 nicht	 zu	 der	 Schwarzen.	 Viel	 zu	 leicht,	 viel	 zu
pfirsichkühl.	Dieser	Typ	brauchte	etwas	Exotisches,	etwas,	das
nach	 kostbaren	 Hölzern	 roch.	 Kalispera	 vielleicht.	 Oder	 das
neue	Dior.
»Huhn	mit	Reis	und	frischen	Champignons«,	sagte	sie	zu	dem
wartenden	Ober.	»Dazu	ein	Glas	Mosel.«
»Der	Reis	ist	nicht	trocken,	und	die	Champignons	sind	aus	der
Büchse«,	sagte	Philipp	und	ließ	seine	Zeitung	sinken.
»Wie	bitte?«	Das	Mädchen	sah	überrascht	auf.
»Verzeihung,	es	geht	mich	nichts	an,	gnädige	Frau,	aber	ich
denke,	Sie	sollten	Würstchen	nehmen.	An	Würstchen	können
die	hier	nichts	verderben.«
Der	Kellner	schaute	ihn	irritiert	an.
»Und	den	Mosel	streichen	wir	auch.	Kein	Wein	hält	die	Tortur
aus	 in	 einem	 D-Zug.	 Er	 braucht	 Ruhe,	 die	 Ruhe	 des	 kühlen
Kellers.	Und	die	hat	er	hier	nicht.«
»Na	also,	dann...«	Sie	schien	jetzt	gänzlich	verwirrt.
»Bringen	Sie	Würstchen	mit	Kartoffelsalat	und	eine	Flasche
Bier«,	sagte	Philipp.	Der	Kellner	zuckte	mit	den	Schultern	und
verschwand.
Während	sie	aß,	stellte	er	fest,	daß	überall	noch	Plätze	frei
waren.	Er	verschwendete	keinen	Gedanken	daran,	warum	sie
ausgerechnet	 an	 seinen	 Tisch	 gekommen	 war.	 Er	 war	 es	 so
gewohnt.	Sie	klappte	ein	mit	Bernstein	belegtes	Zigarettenetui
auf.	Er	ließ	die	Flamme	seines	Gasfeuerzeugs	zischen.	»Sind
Sie	 Fachmann?«	 fragte	 sie	 und	 machte	 eine	 vage	 Geste	 in
Richtung	Speisewagenküche.
»Fachmann«,	 sagte	 er	 zögernd,	 »nun,	 in	 gewisser	 Hinsicht
schon.«	Er	sah	ihr	in	die	Augen	und	sagte:	»Jedenfalls	habe	ich
genug	 Fachkenntnis,	 um	 festzustellen,	 daß	 Sie	 sehr	 schön
sind.«
Sie	wurde	rot	und	senkte	den	Kopf.	Der	alte	Spruch,	er	wirkte
also	auch	in	der	alten	Heimat.	Er	hatte	noch	ein	paar	davon
vorrätig.	Er	wollte	gerade	sagen:	Ich	weiß	nicht,	aber	Sie	sind
mir	 so	 vertraut,	 als	 wären	 wir	 uns	 in	 einem	 früheren	 Leben
schon	einmal	begegnet—	was	ebenfalls	enorm	wirksam	war—	,
da	biß	er	sich	auf	die	Zunge.	»Erzählen	Sie	etwas	von	sich«,
sagte	 er	 und	 merkte	 gar	 nicht,	 daß	 auch	 dieser	 Satz	 zum
Repertoire	gehörte.
Sie	 antwortete	 genau	 mit	 dem	 Satz,	 den	 er	 erwartet	 hatte:
»Ach,	 was	 gibt	 es	 da	 viel	 zu	 erzählen?	 Sie	 haben	 bestimmt
mehr	erlebt.«
Das	stimmte	sogar.	Er	hatte	einiges	hinter	sich.	Er	zündete
sich	 eine	 amerikanische	 Zigarette	 an	 und	 bestellte	 bei	 dem
immer	noch	irritierten	Kellner	eine	halbe	Flasche	Whisky.	Er
füllte	die	Gläser	mit	dem	tabakfarbenen	Getränk	und	stellte	die
Flasche	in	den	Haltering.
»Cheers!«	 sagte	 Philipp	 und	 hob	 das	 Glas.	 Er	 genoß	 den
starken,	 reinen	 Geschmack	 des	 Whiskys.	 Zwölf	 Jahre,	 dachte
er,	sind	zwölf	Jahre.	Gerade	 zwanzig	war	er	gewesen,	als	er
damals	weggegangen	war.	In	ein	paar	Stunden	würde	er	seiner
Mutter	gegenüberstehen.	Er	sah	sie	am	Fenster	stehen	und	die
Straße	hinaufblicken,	so	wie	sie	es	immer	getan	hatte,	wenn	er
abends	lange	ausgeblieben	war.	Mutter,	dachte	er,	alte	Dame.
Er	nahm	rasch	einen	Schluck	Whisky,	um	nicht	sentimental	zu
werden.
»Woran	haben	Sie	gedacht,	Herr...«
»Engel«,	 sagte	 er,	 »Philipp	 Engel.«	 Er	 wunderte	 sich,	 mit
welcher	 Selbstverständlichkeit	 er	 seinen	 richtigen	 Namen
nannte.
»Haben	 Sie	 an	 Amerika	 gedacht?«	 fragte	 sie,	 ohne	 sich
vorzustellen.	 »Ich	 hörte,	 wie	 Sie	 vorhin	 mit	 dem
Schlafwagenschaffner	 englisch	 sprachen.	 Englisch	 mit
amerikanischem	Akzent.«
»Erraten!«	sagte	er.
»Was	haben	Sie	drüben	gemacht,	Herr	Engel?«	fragte	sie.
»Ich	hatte	einige	führende	Positionen«,	sagte	er	und	dachte
an	 die	 Zeit	 als	 Straßenbahnführer	 in	 San	 Francisco,	 als
Museumsführer	in	New	York	und	als	Reiseführer	in	Florida.
»Und	 was	 hat	 Sie	 nach	 Europa	 zurückgetrieben?	 Verzeihen
Sie	meine	Neugierde.«
»Ich	soll	das	Werk	meiner	alten	Herrschaften	übernehmen«,
sagte	er	und	dachte	an	das	»Fremdenheim	Teutonia«.	So	hieß
die	Pension	in	der	Heidelberger	Altstadt.	Viel	Geld	hatte	seine
Mutter	 nie	 damit	 gemacht.	 Aber	 mit	 Vaters	 kleinem
Beamtengehalt	allein	wäre	man	nicht	ausgekommen.	Wie	hoch
würde	ihre	Witwenpension	wohl	ausfallen?	Er	trank	den	Rest
des	 Whiskys	 und	 sah	 sich	 um.	 Sie	 waren	 die	 letzten	 im
Speisewagen.	»Ich	glaube,	wir	sollten	jetzt	auch,	Fräulein…«
»Branka«,	sagte	sie	schnell,	»ich	heiße	Branka.«
»Na	 schön«,	 sagte	 er	 und	 lächelte	 sie	 an.	 Das	 Lächeln
veränderte	sein	Gesicht	auf	eine	geheimnisvolle	Weise.	Es	lag
in	den	Falten	seiner	Augen,	unter	den	langen	Wimpern,	in	den
leicht	 nach	 unten	 gekerbten	 Mundwinkeln.	 Ein	 Glanz	 war
plötzlich	um	ihn,	ein	Leuchten	ging	von	ihm	aus.	Das	Mädchen
starrte	ihn	wie	gebannt	an.	Sie	mußte	an	Elektrizität	denken
und	spürte,	wie	ihre	Knie	nachgaben.
»Wo	 darf	 ich	 Sie	 abliefern?«	 fragte	 Philipp	 sachlich.	 Sie
schlingerten	 durch	 die	 schmalen	 Gänge,	 stiegen	 über	 Koffer
und	öffneten	Schiebetüren.	Fremde	Gesichter	blickten	auf.	In
den	Ziehharmonikas,	die	die	Wagen	verbanden,	tobte	der	Lärm
der	 Räder.	 Vor	 der	 Tür	 seines	 Schlafwagencoupes	 blieb	 er
stehen.	 »Hier	 bin	 ich	 zu	 Hause«,	 sagte	 er.	 »Und	 Sie?«	 Sie
zeigte	mit	dem	Finger	in	Richtung	Lok.	»Dort!	Ich	habe	kein
Bett	mehr	bekommen.«
»Dann	 wollen	 wir«,	 sagte	 er	 und	 wollte	 sie	 sacht
weiterschieben.	Irgend	etwas	fiel	zu	Boden.	Er	bückte	sich.	Es
war	der	mittlere	Knopf	seines	Jacketts.
»Zu	dumm«,	sagte	er	und	spielte	unschlüssig	mit	dem	Knopf.
»Haben	 Sie	 Nähzeug	 dabei?«	 fragte	 sie.	 Er	 bejahte.	 Sie
öffnete	sofort	die	Tür	zu	seinem	Abteil.	Er	hatte	das	obere	Bett
mitbezahlt.	Später	holte	er	ihren	Koffer...
Philipp	 drückte	 auf	 das	 Rädchen	 seines	 elektrischen
Rasierapparates.	 Das	 Brummen	 erstarb.	 Er	 wusch	 mit
Kölnisch-Wasser	nach.	Es	brannte	angenehm	auf	der	Haut.	Er
schlüpfte	in	seine	Jacke	und	schob	die	Jalousie	hoch.	Draußen
war	es	hell	geworden.	Zwischen	blühenden	Bäumen	leuchteten
rote	 Dächer.	 Die	 Sonne	 schob	 sich	 über	 die	 dunklen
Waldberge.	Der	Zug	fuhr	jetzt	langsam.
»Ich	mag	den	Morgen	nicht«,	sagte	das	Mädchen	im	unteren
Bett.	Sie	räkelte	sich	verschlafen.
Er	setzte	sich	zu	ihr,	strich	ihr	über	das	Gesicht	und	hatte	sie
bereits	vergessen.	Urplötzlich	hielt	der	Zug.
»Heidelberg!«	 tönte	 eine	 Stimme.	 »Hei	 —	 del	 —	 berg!«
Philipp	Engel	nahm	Mantel,	Hut	und	seine	beiden	Koffer.	Er
drückte	 einen	 Kuß	 auf	 die	 schwarzen	 Haare	 und	 verließ	 das
Abteil.
	
Philipp	 Engel	 liebte	 Friedhöfe.	 Er	 liebte	 den	 modrigen	 Duft
verwelkter	Kränze,	das	Rascheln	der	Seidenschleifen	im	Wind,
die	 Inschriften	 auf	 verwitterten	 Steinen.	 Er	 kannte	 die
Friedhöfe	in	den	großen	Metropolen	Amerikas	und	Europas	so
genau	wie	andere	Leute	die	Nachtklubs.	Ein	Novembermorgen
auf	dem	Père	Lachaise,	über	den	Dächern	von	Paris,	an	den
Gräbern	Chopins,	Balzacs,	Oscar	Wildes;	der	Kiefernhügel	am
Kleinen	 Wannsee	 zu	 Berlin,	 dessen	 Erde	 den	 Dichter	 Kleist
barg;	 der	 Grabstein	 raunte:	 »Nun,	 o	 Unsterblichkeit,	 bist	 du
ganz	mein.«	Philipp	genoß	so	etwas	geradezu.	Es	war	die	Lust
am	Untergang,	das	köstliche	Gefühl,	noch	atmen	zu	dürfen,	der
Schauer	vor	dem	Unausweichlichen.