Table Of ContentDAS ENDE
Figuren einer Denkform
Herausgegeben von
Karlheinz Stierle und
Rainer Warning
1996
WILHELM FINK VERLAG MÜNCHEN
Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme
Das Ende: Figuren einer Denkform / hrsg. von
Karlheinz Stierle und Rainer Warning. - München: Fink, 1996
(Poetik und Hermeneutik; 16)
ISBN 3-7705-2995-2 kart.
ISBN 3-7705-2996-0 Gb.
NE: Stierle, Karlheinz [Hrsg.]; GT
ISBN 3-7705-2996-0 (gebunden)
ISBN 3-7705-2995-2 (kartoniert)
10 1996 Wilhe1m Fink Verlag, München
Gesamtherstellung: Graph. Großbetrieb F. Pustet, Regensburg
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT IX
JAN ASSMANN
Denkformen des Endes in der altägyptischen Welt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
HENDRIK BIRUS
Apokalypse der Apokalypsen. Nietzsches Versuch einer Destruktion
aller Eschatologie .............................................. 32
KARL HEINZ BOHRER
Abschied - Eine Reflexionsfigur des je schon Gewesenen
(Goethe, Nietzsche, Baudclaire) .................................. 59
RÜDIGER BUBNER
Geschichtsverstehen in Abschlußformen 80
HERMANN DANUSER
Musikalische Manifestationen des Endes bei Wagner und in der
nachwagnerschen Wcltanschauungsmusik .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
GERHART V. GRAEVENITZ
Das Ich am Ende. Strukturen der Ich-Erzählung in Apuleius' Goldenem Esel
und Grimmclshausens Simplicissimus Teutsch ....................... 123
ALOIS HAHN
Unendliches Ende: Höllenvorstellungen in soziologischer Perspektive 155
AAGE A. HANSEN-LöVE
Diskursapokalypsen: Endtexte und Textenden. Russische Beispiele ....... 183
WALTER HAUG
Das Endspiel der Arthurischen Tradition im Prosalancclot 251
ANSELM HAVERKAMP
All Passion spent: The End - Samson Agonistes oder: Das Ende der
Gerechtigkeit. Ende gut, alles gut - Die Wiederkehr des gleichen Endes -
Ein Ende, das keinen Anfang erzwingt - Das Ende der Gerechtigkeit . .. 267
VI
INHALTSVERZEICHNI
REINHART HERZOG
Vom Aufhören. Darstellungsformen menschlicher Dauer im Ende. . . . . . . . 28)
GERD IRRLITZ
Die wesentliche Täuschung vom Ende ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35)
WOLFGANG ISER
Die Präsenz des Endes. King Lear - Ma cbeth 35)
HANS ROBERT jAUSS
Das Rcligionsgespräch oder: The last Things before the Last. . . . . . . . . . . . . 38~
WOLFGANG KEMP
Das letzte Bild. Welt-Ende und Werk-Ende bei Giono und Dante. .. . . . .. 41,
jOACHIM KÜPPER
Teleologischer Universalismus und kommunitaristische Differenz.
Überlegungen zu Calderons La aurora en Copacabana, zu Voltaires
Alzire, ou les Americains, zu Sepulveda und zu Las Casas ............. 43;
ODO MARQuARD
Finalisierung und Mortalität 467
GERHARD NEUMANN
Der Anfang vom Ende. jean Pauls Poetologie der letzten Dinge
I.m Sz' e be n k"a s ................................................. . 476
KLAUS REICHERT
Endlose Enden. Zu apokalyptischen Figuren bei Becken und Shakespeare 495
jÜRGEN SCHLAEGER
Poetik des Todes. Zur Ästhetisierung des Endes in der
englischen Romantik ........................................... 515
ARBOGAST SCHMITT
Teleologie und Geschichte bei Aristoteles
oder
Wie kommen nach Aristoteles Anfang, Mine und Ende in die Geschichte.. 528
ROBERT SPAEMANN
Aufhalter und letztes Gefecht 564
INHALTSVERZEICHNIS VII
KARLHEINZ STIERLE
Die Wiederkehr des Endes. Zur Anthropologie der Anschauungsformen 578
DAVID E. WELLBERY
Die Enden des Menschen. Anthropologie und Einbildungskraft im
Bildungsroman (Wieland, Gocthc, Novalis) 600
Beiträge zur Schlußdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 640
Personenregister 669
Sachregister ..................................................... 677
VORWORT
Mehr noch als dem ausgehenden 19. Jahrhundert drängen sich unserem ausgehen
den 20. Jahrhundert, das zugleich am Ausgang des 2. Jahrtausends christlicher
Zeitrechnung steht, Anschauungen des Endes auf. Die Kraft der großen Zeit
entwürfe des 19. Jahrhunderts, die bei allen endzeitlichen Stimmungen sich den
noch ins 20. Jahrhundert ungebrochen fortsetzten, scheint endgültig erschöpft. In
der einen oder anderen Weise scheint die Welt der Moderne ihrem Ende zuzustre
ben. Der symptomatische Wert des Zusammenbruchs der marxistischen Welt, die
sich ihren Zukunftshorizont aus dem Geist des 19. Jahrhunderts konstruiert hat
te, steht noch immer unmittelbar vor Augen, ohne daß er schon eine Sprache ge
funden hätte. Es scheint, als werde das Wort Ende mit seinen Synonymen und
Anschlußbegriffen in unseren Auseinandersetzungen und Orientierungsver
suchen immer unvermeidlicher.
In dieser Situation schien es sinnvoll, sich um Distanz zu bemühen und die
Frage nach dem, was ins Spiel kommt, wenn wir vom Ende sprechen, selbst zum
Gegenstand der Reflexion zu machen. Denn keinesfalls ist ja das Ende eine vor
aussetzungslose Kategorie, die nur dazu dienlich wäre, das Faktische schlicht fest
zustellen. Lassen sich das Ende in retention al er und protentionaler Perspektive als
erwartetes und erfahrenes Ende überhaupt kongruent machen? Bedarf nicht das
faktische Ende als dieses immer einer impliziten narrativen Struktur, die das Ende
aus einem Anfang hervorgehen läßt? Und bedürfte die Differenz von Anfang und
Ende nicht immer erst der hermeneutischen Deutung? Ist aber andererseits nicht
das Ende deshalb eine problematische Kategorie, weil nichts, was endet, darin
aufgehen kann, Ende zu sein?
Das Ende hat vielfache Formen. Es kann Vollendung ebenso sein wie Abbruch,
Zusammenbruch, pures Zu-Ende-Kommen oder aktives Zu-Ende-Bringen. Viel
leicht wäre eine Morphologie des Endes denkbar, in der sich unsere Anschau
ungen des Endes systematisch ordnen ließen. Mehr spricht aber dafür, daß die
Frage nach dem Ende eine unendliche Frage ist, die Antwort darauf eine unendli
che Geschichte sein müßte.
Die hier vorgelegten Ergebnisse des 16. Kolloquiums der Forschungsgruppe
Poetik und Hermeneutik galten der spezifischen Frage nach dem Ende als einer
Denkform, die vielfältige Figuren ihrer Realisierung erlaubt. Es ging darum, in ver
schiedenen geisteswissenschaftlichen Feldern exemplarische Enderfahrungen zu
erörtern, die prinzipielle Dimensionen unserer Erfahrung vom Ende zur Anschau
ung bringen. Vollständigkeit der Belege konnte dabei ebenso wenig angestrebt wer
den wie systematische Geschlossenheit. Die gemeinsame Arbeit in der Form des
Kolloquiums erlaubt unerwartete Konstellationen, glückliche Kombinationen, die
Aufdeckung von Zusammenhängen, die anders kaum möglich wären, aber diese
Form der Zusammenarbeit birgt auch immer die Gefahr des Unkalkulierbaren, der
x
INHALTSVERZEICHNIS
plötzlichen Absagen und schmerzhaften Ausfälle vereinbarter Beiträge. So sind
Geschichte und Religion mit ihren eigenen Denkformen des Endes in diesem Band
gegenwärtig, ohne daß sie, wie ursprünglich geplant, mit Beiträgen aus den Fächern
selbst vertreten wären. Auch auf einen Beitrag aus naturwissenschaftlicher Sicht
mußte verzichtet werden. Dennoch bleibt die interdisziplinäre Vielfalt der Beiträge
gewahrt. Sie umfassen Philosophie und Soziologie ebenso wie Kunst- und Musik
wissenschaft. Beiträge aus kultur- und literaturwissenschaftlicher Perspektive zei
gen, daß die Literatur von ihren frühesten Anfängen bis zu ihren modernsten Ent
würfen immer wieder ein privilegierter Ort für Konzeption und Problematisierung
unserer Vorstellungen vom Ende war und ist. Die Beiträge umfassen den geschicht
lichen Prozeß von der altägyptischen Welt bis zu den ironischen Endkonzepten der
Postmoderne, sie gelten dem Ende als Telos und Apokalypse, dem Ende als der
imaginativen Vorwegnahme des Unvorstellbaren, dem Abschied wie dem ge
schichtsphilosophischen Abschluß, dem unendlichen Ende, der Finalisierung und
dem letzten Gefecht, dem Anfang vom Ende, dem Aufhören wie der wesentlichen
Täuschung vom Ende und nicht zuletzt der Strukturformel von Anfang, Mitte und
Ende, die die Reflexion des Narrativen seit Aristoteles bestimmt.
Auch diesmal durfte die Gruppe Poetik und Hermeneutik sich der großzügigen
Förderung der Werner-Reimers-Stiftung erfreuen. In einem Augenblick, wo der
Förderung geisteswissenschaftlicher Forschung durch private Initiativen immer
engere Grenzen gezogen sind, ist dies ein besonderer Anlaß zu um so herzliche
rem Dank und zum dankbaren Gedenken an einen Förderer der Geisteswissen
schaften, dessen weitsichtige Generosität diese Förderungsinstitution, die in
Deutschland kaum ihresgleichen hat, ermöglichte.
Reinhart Herzogs Beitrag zu diesem Band lautet "Vom Aufhören". Er ver
sucht, ein Ende zu bedenken, dem kein Telos zukommt und das doch etwas ande
res ist als bloße Faktizität. Wir wissen jetzt, daß dieser Aufsatz, der dem Auf
hören nachhört, ihm vielleicht auch vorausgehört hat. Es ist seine letzte Veröf
fentlichung geworden. Im April 1994 ist er aus dem Leben geschieden. Reinhart
Herzog hat dem Kreis von Poetik und Hermeneutik schon früh angehört. Seine
erste Arbeit in dem Band Terror und Spiel galt der "Entstehung eines biblischen
Mythos in der Literatur der Spätantike". Bis zu seinem letzten Beitrag im vorlie
genden Band hat ihn das Drama der Begegnung, Assimilation und Konfrontation
von antiker und christlicher Welt und ihre formgeschichtlichen und hermeneuti
schen Probleme besonders fasziniert, am meisten vielleicht die zentrale Gestalt
Augustins. Herzog verfolgte seine Einsichten mit leidenschaftlicher Konsequenz
und stieß dabei nicht selten in neues, noch ungesichertes Terrain vor. Seine geisti
ge Unruhe und Begabung zum interdisziplinären Gespräch sind nicht zu erset
zen. Wir denken an ihn mit Dankbarkeit und Trauer.
Karlheinz Stierle
Rainer Warning