Table Of ContentG. Diirrenberger H. Emste R Purger
C.Jaeger D.Steiner B.Truffer
DasDilemma
der modemen Stadt
Theoretische Ubedegungen
zur Stadtentwicklung -
dargestellt am Beispiel Ziirichs
Mit 20 Abbildungen
Springer-Verlag
Berlin Heidelberg New York
London Paris Tokyo
Hong Kong Barcelona
Budapest
Dr. Gregor DUrrenberger
Dr. Huib Ernste
Dip1. E1. Ing. ETH Franco Furger
Dr. Carlo Jaeger
Professor Dr. Dieter Steiner
Humanokologie ETH
Eidgenossische Technische Hochschule
WinterthurerstraBe 190
CH-80S7 ZUrich
Dip1. Geogr. Bernhard Truffer
Institut de Geographie
Universite de Fribourg
Perolles
CH-1700 Fribourg
Der Kartenausschnitt auf der Umschlagvorderseite wurde mit freundlicher Genehmigung aus
dem VAG-StraBenatias 1990/91 entnommen.
© RV Reise-und Verkehrsverlag
Berlin Giitersloh Leipzig Miinchen Potsdam/Werder Stuttgart 1990
ISBN-13: 978-3-540-54300-8 e-ISBN-13: 978-3-642-76783-8
DOl: 10.1007/978-3-642-76783-8
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Das Dilemma der modernen Stadt: theoretische Uberlegungen zur Stadtentwicklung -
dargestellt am Beispiel Ziirichs 1 G. Diirrenberger ... -
Berlin; Heidelberg; New York ; London; Paris; Tokyo; Hong Kong; Barcelona; Budapest:
Springer, 1992
NE: Diirrenberger, Gregor
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1992
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waren und daher von jedermann benutzt werden diirfen.
Satz: Reproduktionsfertige Vorlage vom Autor
30/3145-5432lO - Gedruckt auf saurefreiem Papier
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte der
Gruppe Human6kologie am Departement fur Umweltnaturwissenschaften der ETH
ZUrich. Das erste dieser Projekte, im Auft rag des Bauamtes II der Stadt ZUrich durch
gefUhrt und 1988 abgeschlossen, hatte die Entwicklung von Bfiroaktivitaten in der
Stadt ZUrich zum Gegenstand. Ein zweites, kleineres Projekt, im Jahre 1989 ausge
fUhrt, untersuchte im Auft rag des Hochbauamtes der Stadt ZUrich Tendenzen und
Probleme des lokalen Gewerbes.
Spezieller Dank gebuhrt an dieser Stelle Stadtratin Dr. Ursula Koch, Yorsteherin des
Bauamtes II der Stadt ZUrich. Sie regte mit der Finanzierung der beiden erwahnten
Projekte einen fruchtbaren Dialog zwischen BeMrde und Wissenschaft an, der an ver
schiedenen Stellen zu interessanten inhaltlichen Kontroversen fUhrte. Bedanken moch
ten wir uns ffir vielfliltige Unterstutzung und Kritik auch bei Stadtbaumeister Hans
Rudolf Ruegg, bei Richard Heim und Endre Janos (Hochbaumt der Stadt ZUrich), 80-
wie beim Statistischen Amt der Stadt Zurich.
Ein grosseres Projekt, welches dieses Buch entscheidend gestaltete, wurde yom
Schweizerischen Nationalfonds zur Forderung der wissenschaftlichen Forschung un
terstutzt (Projekt-Nr. 10-2408.88). Es beschaftigte sich wahrend dreier Jahre im inter
nationalen und schweizerischen Kontext mit Fragen zur flexiblen Spezialisierung.
1m Rahmen dieses Projektes konnten wir auf die ausserst stimulierende Mitarbeit von
Prof. Charles F. Sabel (MIT, Boston) zahlen. An ibn geht unser spezieller Dank. Ffir
hilfreiche Kritik danken wir sodann Prof. Jfirgen Friedrichs (Universitat Hamburg).
Die Yerantwortung ffir verbliebene Fehler liegt selbstverstiindlich bei den Autoren.
Ffir die professionelle Durchsicht und stilistische Bearbeitung des Manuskriptes sind
wir Barbara Hampel zu grossem Dank verpflichtet, ffir die Hilfe bei der Endredaktion
Lisbeth Bieri und Georg Pankow. Unser ganz besonderer Dank geht zorn Schluss an
Dr. Gottfried Suchy yom Springer-Verlag. Seine Initiative hat es m6glich gemacht.
dass dieses Buch Aufnahme ins Programm des Springer-Yerlages fand.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .......................................................................................... 1
Teil I Die Entstehung der modernen Stadt
1 Die Entmischung der Stadt ..................................................... 9
1.1 Die sichtbare Hand ....... ............ ... ............... ............. ...... ........... ...... 9
1.2 Die unsichtbare Hand ..................................................................... 18
2 Privatleben, Offentlichkeit und Beruf .......... .......... ......... ....... 31
2.1 Die kulturelle Evolution der Stadt .................................................... 32
2.2 Modem Times ............................................................................... 41
Teil II Das Dilemma der modernen Stadt
3 Eine verselbstandigte Welt der Arbeit ................................... 49
3.1 Die regionale Wirtschaft ................................................................. 50
3.2 Der Finanzplatz ZUrich ................................................................... 58
4 Auf dem Weg zum autistischen Wohnen ............................... 67
4.1 Yuppies, Dinkies und Miss Marples ................................................. 67
4.2 Die intime Gesellschaft ................................................................... 81
Teil III Die Zukunft der modernen Stadt
5 Polarisierung oder neue Urbanitat? ........................................ 93
5.1 Fordismus und Flexible Spezialisierung ............................................ 94
5.2 Von der Suburbanisierung zur EntstMterung ...................................... 101
5.3 Neue Handlungsspielr:lume ............................................................... 108
Literaturverzeichnis ............................................................................ 123
Personenverzeichnis ............................................................................ 133
Sachverzeichnis ................................................................................... 137
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abb.t. Die modeme Stadt nach Burgess ..................................................... 15
Abb.2. Differentialrente ........................................................................ 21
Ab b.3. Nutzungsstruktur von ZUrich (1975) ................................................ 27
Abb.4. Nutzungsstruktur von ZUrich (1985) ................................................ 28
Abb.S. Karte der Agglomeration ZUrich ... . . . . . . . . . .. . . .. . .. .. .. .. . . . . .. .. .. .. .. .. . .. .. . . .. 52
Abb.6. Verlinderung der Beschliftigung . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . . . . .. .. .. .. .. .. . .. .. . . .. 53
Abb.7. Entwicklung der Beschliftigung ..................................................... 54
Abb.8. Verlinderung der Kleinstbetriebe bis 10 Beschliftigte ........................... 55
Abb.9. Flachenverbrauch nach Nutzungsarten ............................................. 56
Abb.l0. Entwicklung von Wohnbevlilkerung und ArbeitspHttzen ...................... 57
Abb.lt. Relative Verlinderung der Beschliftigung im Dienstleistungssektor . .. . .. ... 61
Abb.12. Beschliftigte im Gewerbe ............................................................. 62
Abb.13. Verlinderung der Vollzeit- und Teilzeitbeschliftigung ........................... 63
Ab b.14. Lohnniveau weiblicher Angestellter in der Schweiz ............................ 64
Ab b.lS. Entwicklung der BUroflachen ........................................................ 65
Ab b.16. Raumliche Verteilung ausgewiihlter Bevolkerungskategorien ................ 75
Abb.17. Entwicklung des Flachenverbrauchs fUr Wohnen ................................. 77
Abb.18. Entwicklung der Haushaltsstruktur und der W ohnungsstruktur . .. .. . .. .. . . ... 78
Abb.19. Altersaufbau der Stadt ZUrich ......................................................... 79
Abb.20. Nutzungsentwicklung der Grundflache der Stadt ZUrich .......................... 90
Tabelle 1. Bevlilkerungsentwicklung der Stadt Zurich ..................................... 42
Tabelle 2. Profile der in ZUrich Gebliebenen, Abgewanderten und Zugewanderten ... 67
Tabelle 3. Wohnungsmieten 1980 und 1989 ................................................ 80
Einleitung
Die modeme Stadt ist hin und her gerissen zwischen der Perspektive einer Arbeitsstadt
und derjenigen einer Wohnstadt. Aller Voraussicht oach wird sich keine der beiden
durchsetzen. Aber ein KompromiB ist Dicht in Sieht, solange sich Arbeiten und Woh
nen als getrennte Nutzungen gegenfiberstehen. Diese Trennung war einmal eine Ant
wort auf die Probleme der Industriegesellschaft. Die Frage ist, ob die Probleme einer
postindustriellen Gesellschaft nicht andere Antworten erfordem und erm6glichen. Ak
tuelle Fragen der Stadtentwicklung diirften sich kaum beantworten lassen ohne eine
neuartige Auseinandersetzung mit der Konzeption der modemen Stadt, welche jene
Trennung fixiert hat. Eine solche Auseinandersetzung kann indes Dicht in der Absicht
gefiihrt werden, pfannenfertige L6sungen zu finden. Es kann nicht darum gehen, das
eine (modeme) Konzept durch ein anderes (nachmodemes) zu ersetzen. Vielmehr gilt
es, Freiheitsgrade der Entwieklung zu identifizieren, welche eine 6ffentliche (und
nicht: eine technokratisch verkiirzte) Auseinandersetzung urn die Stadt der Zukunft
erm6glichen.
Bezogen auf die Geschiehte des urbanen Lebens umfaBt die modeme Stadt den
jfingsten und kiirzesten Abschnitt. Die Geschichte der StMte geht weit zurUck bis in
die Anfiinge der When Hochkulturen. Historisch ist das Stlldtische denn auch stark
verknfipft mit der Entstehung von politischer Ordnung. Diese zeichnet sich dadurch
aus, daB sie - fiber die engeren verwandtschaftlichen Beziehungen hinaus - eine Of
fentlichkeit organisiert. Wahrend in vorpolitischen (archaischen) Gesellschaften das
soziale Leben vorwiegend in verwandtschaftliche Bezfige gebettet war, wurde es in po
litischen Gesellschaften in die Zustllnde des Privaten (familillren) und des Offentlichen
(politischen) differenziert. Die Stadt ist eine Siedlungsform, in der diese soziale Diffe
renzierung baulich zum Ausdruck kommt Die fiir Stlldte so typische Unterscheidung
zwischen privaten und 6ffentlichen Territorien erm6glicht und f6rdert die Differenzie
rung der Sozialsphllre in Lebensbereiche der sozialen Nahe und Situationen, in denen
'auf Distanz' verkehrt wird. Urbanitllt entfaltet sich erst zwischen den Polen von Inti
mitiit und Anonymitllt, von Privatheit und Offentlichkeit. Auf dem Dorfe ist diese
Spannung nur schwach ausgebildet, denn dort dominiert soziale Nahe - eine Nahe, die
den einzelnen weitgehender sozialer Kontrolle unterwirft.
Die gesellschaftlichen Verllnderungen der Neuzeit bewirkten eine tiefgreifende
Umgestaltung dieser polaren Struktur - sozial wie territorial. 1m AnschluB an die Re
formation gliederte sich nllmlich aus dem privaten Bereich das Berufsleben aus und
entwickelte sich zu einer eigenstllndigen gesellschaftlichen Sphare - zumal fiir die
Manner. Inzwischen ist die Berufstlltigkeit aber auch fiir Frauen - und damit fiir die
(westliche) Gesellschaft insgesamt - zu einer zentralen Kategorie geworden. Diese do
miDiert sogar hliufig die Bereiche des Privaten und des Offentlichen. Das ist etwa daran
erkennbar, daB Aufgaben aus diesen Bereichen zusehends an professionelle Institutio
nen delegiert werden. Mit dem Berufsleben entstand ein neues Territorium, welches
sich von den privaten und den 6ffentlichen unterschied. In den historischen Stl1dten
war der Platz fiir die Ausbreitung dieser beruflichen Territorien zunlichst noch kaum
gegeben. Das Festhalten an der mittelalterlichen Stadtstruktur, insbesondere den Stadt
mauem, bewirkte daher eine enorme bauliehe Verdichtung. Zusammen mit der sozia-
2 Einleitung
len Verelendung im Zuge von Urbanisierung und Industrialisierung fiihrte das zu im
mer unhaltbareren stadtischen Lebensbedingungen.
Es war eine Frage der Zeit, bis das Korsett der mittelalterlichen Stadt den entfes
selten gesellschaftlichen Kriiften der Neuzeit nicht mehr standhalten konnte. Dies war
im 19. Jh., als die ersten 'Modemisierungen' der Stlidte durchgefiihrt worden, der Fall.
Mauem, wo sie noch standen, wurden geschleift, enge GaBchen verbreitert, die hygie
nischen Bedingungen verbessert, und neue FU1chen ffir Manufakturen, Kontore, Fabri
ken und Wohnungen geschaffen. Wegen der nach wie vor kleinraumigen Nachbar
schaft von Arbeitsplatzen, Wohnungen und offentlichen Raumen blieb eine ganze
Reihe von Problemen (Luft, Urm, Verkehr) ungelost. In den 20er und 30er Jahren
dieses Jahrhunderts veranlaBte das Le Corbusier und seine Mitstreiter dazu, eine wirk
lich modeme Stadt zu fordem. In ihr sollten auf radikale Weise Arbeits-und Wohnorte
entmischt sein. Die engen, dunklen und schmutzigen Stlidte sollten durch diese Ent
mischung gleichzeitig rationeller und schOner werden: Das Sonnenlicht sollte die
neuen Wohnkomplexe im Griinen durchfluten, wahrend in den Fabriken die Hilfsmit
tel eines komfortablen Lebens produziert wfirden. SchlieSlich sollten leistungsflihige
Verkehrsnetze die so entmischten Gebiete miteinander verbinden.
Dieses Konzept der Entmischung hat viel mit der Automobilindustrie zu tun. Das
Auto ermoglichte nicht nur eine groSTaumige Trennung von Arbeiten und Wohnen,
sondem es wurde durch diese Trennung auch zum gefragten Konsurngut, dessen mas
senhafte Produktion sich lohnte. Zum Kontext der modemen Stadt gehOrt mit anderen
Worten auch eine leistungsflihige, massenproduzierende Wirtschaft (nicht nur von
Autos, sondem auch von Wohnungen). Sodano gehOrt dazu auch eine Politik, die den
Ausbau der modemen Sied1ungs-und Verkehrsinfrastruktur als gese11schaftliches Pro
jekt moglich machte. Dies wurde durch den Keynesianismus gewabrleistel Die mo
deme Stadt ist, so gesehen, integrativer Tell jenes gesamtgesellschaftlichen 'Fort
schrittskonsens', der in den USA in der Zwischenkriegszeit und in Europa in der Nach
kriegszeit begann und den wirtschaftlichen Boom der 50er und 60er Jahre ermoglichte.
DaB diese Entwicklung aus heutiger Sicht einer fragwfirdigen Wachsturns- und Pla
nungseuphorie entspricht, ist ein A1lgemeinplatz. Es sollte aber nicht iibersehen wer
den, daB ihr eine spezifische Konzeption von (modemer) Urbanitlit zugrunde lag, wel
che asthetische und okonomische Aspekte wirkungsvoll zu verbinden vermochte.
Inzwischen sind wir mit den Schattenseiten dieser Entwicklung vertraut. Die Idee in
nerstlidtischer Erholungsgebiete etwa erwies sich weitgehend als Fehlkonstruktion. In
Wirklichkeit wurde das Umland zorn Erholungsgebiet der Stadt, wabrend diese selbst
in Arbeits-und Wohngebiete zerfiel.
In den 70er Jahren zeigte sich sowohl ein drastischer Trendbruch in der Sied
lungsentwicklung, als auch ein Umbruch der kulturellen und wirtschaftlichen Rah
menbedingungen der Nachkriegszeit. Friihere Zielsetzungen worden deshalb fallen
gelassen, doch die politische Auseinandersetzung urn Probleme der Stadtentwicklung
blieb bis heute weitgehend in Vorstellungen verstrickt, die der Vergangenbeit angeho
reno Die Entmischung von Arbeiten und Wohnen spaltet nun nicht nur das Stadtge
biet, sondem auch die offentliche Meinung gemaB diesen beiden Polen.
In ZUrich, wie auch in anderen Finanzmetropolen, entziindete sich diese Pola
risierung am rapiden Wachstum der Banken und verwandter Branchen (z.B. Versiche-
Einleitung 3
rungen), welches neben ArbeitpUitzen und Geld auch Bodenpreissteigerungen und
Mehrverkehr in die StMte brachte. Dadorch entstand der Eindruck, es gelte, zwischen
wirtschaftlichem Wohlstand und Lebensqualitllt zu wahlen. Dabei geht es jedoch om
eine Art Wohlstand, dessen Grundlagen Uingerfristig wenig solid erscheinen. Denn seit
den 70er Jahren expandiert der ZUrcher Finanzplatz nach einem Muster, welches die
historischen Standortvorteile ZOrichs zu erodieren drohL
Der ZUrcher Finanzplatz verdankt seine traditionelle Bedeutung der VeIbindung zur
Exportwirtschaft. Mit ihr ist er eine bemerkenswerte Symbiose eingegangen. Die Zfir
cher Banken waren historisch ffir ihre Geschllfte auf die Einkiinfte der ansaBigen
Industrie angewiesen und profitierten von deren Handelsnetzen im Ausland. Zuerst war
es die Textilindustrie, welche die Finanzen erwirtschaftete. Deren Gelder bildeten den
Niihrboden des ZUrcher Bankenwesen im letzten Jahrhundert Dorch geschickte Aus
landgeschafte kniipften die Bankiers wiederum Kontakte, welche in der Folge der Zfir
cher Exportindustrie manchen Auft rag einbrachten. Enge personelle Verflechtungen
zwischen Finanzinstituten und Industrieunternehmen erleichterten solche Synergien.
Daran 1lnderte sich auch nichts, als die Textilindustrie an Bedeutung verlor, denn an
ihre Stelle trat nun die Maschinenindustrie. Dies geschah keineswegs von selbst, son
dern aufgrund energischer Initiativen. Unternehmer wie Alfred Escher organisierten et
wa den Eisenbahnbau in der Schweiz und fflrderten dabei die Weiterentwicklung des
ZUrcher Finanzplatzes. Wiederum ging die Pflege der Kontakte, welche die Banken zur
Finanzierung des Eisenbahnbaus kniipften, mit den Exportgeschaften der ZUrcher Ma
schinenindustrie Hand in Hand. Zu den Standortvorteilen des ZUrcher Finanzplatzes
gehort also nicht nur das Bankgeheimnis und die relative wirtschaftliche und politi
sche Stabilitllt, sondern - und darin gleichen sich die FinanzpUitze von ZOrich und
Frankfurt - auch eine gro8e Kompetenz im Arrangieren industrieller Investitionen.
Demgegeniiber hat sich die international iiberragende Stellung der Londoner City
entwickelt, weil in London die Faden des Empire zusammenliefen. City-Banker konn
ten so weitgehend unabh1lngig von der inl1lndischen Wirtschaft ihren internationalen
Finanzgeschllften nachgehen und dabei ein von industriellen Handelsstromen weit
gehend unabhangiges Kontaktnetz aufbauen, welches bis heute Londons Standortgunst
ausmacht. Seit einigen Iahrzehnten operieren nun die ZUrcher Banken Mchst erfolg
reich auf eben den lukrativen internationalen Finanzm1lrkten, auf die sich die Standort
vorteile Londons beziehen. Die traditionellen Vorteile des ZUrcher Finanzplatzes aber
verlieren ihre Grundlage in dem AusmaB, in dem sich die hiesigen Finanzdienstlei
stungen von der Exportwirtschaft abl6sen. Ein zusAtzliches Problem besteht darin, daB
die Gewinnmoglichkeiten auf den heutigen Finanzmarkten nur om den Preis grOBerer
Unsicherheiten realisierbar sind, was den Finanzplatz krisenanflUliger macht - und
zwar om so starker, je mehr er einer Monokultur von Finanzdienstleistungen ahnelt
Die historische Verflechtung zwischen Werk- und Finanzplatz wirkte sich auch
auf die StadtzUrcher Nutzungsstruktur aus. Bfironutzungen sind in ZOrich bisher nicht
als dominante Nutzungen aufgetreten, sondern nur in Form von Nutzungsdyaden, d.h.
in Kombination mit einer zweiten Nutzung. Typisch ffir die Innenstadt ist die
Kombination von Bfiros - insbesondere fUr Finanzdienstleistungen - mit Verkauf. In
einem Gartelom die Innenstadt ist eine Kombination von Biiros mit Wohnungen
anzutreffen, wahrend ffir den Rest des Stadtgebietes - mit Ausnahme der Industriezo
nen, in denen die Nutzungsdyade Produktion/Lager vorherrscht - Wohnen als domi-
4 Einleitung
nante Nutzung auftritt. Es ist anzunehmen, daB die Nutzungsdyade von Bfiros und
Wobnungen in ZUrich innert weniger Jahre einer dominanten Nutzung von BOroakti
viUiten weichen wfirde, falls sich die Dynamik des Finanzplatzes fortsetzen sollte und
einzelne planerische Regelungen entfallen wfirden.
Das Konzept der modemen Stadt hat eine Variante von Entmischung gefOrdert,
welche auf dominanten Nutzungen beruht. Dies entspricht in vielen P.lllen den Me
chanismen von Bodenm1lrkten, denen zufolge ertragsstarlce Nutzungen ertragsschwache
verdrangen. Der Versuch, die Folgeprobleme dieser Entwicldung zu IOsen, indem eine
generelle Durchmischung von Nutzungen angestrebt wird, scheint vor diesem Hinter
grund bum realisierbar zu sein. Denkbar ist hingegen eine Stabilisierung bestimmter
Nutzungsdyaden. In Abschnitt 1.2 werden wir skizzieren, welche Okonomischen
Prozesse unter Bedingungen von Landknappheit zu Nutzungsdyaden ftihren kOnnen.
Empirisch haben wir im Faile der Stadt ZUrich einige Hinweise fUr die Existenz sol
cher Dyaden zusammengetragen. Die Ergebnisse scheinen auch historisch betrachtet
plausibel. Ob sich BOroaktiviU1ten in ZUrich, abnlich wie in London, als dominante
Nutzung durchsetzen kOnnen, ist nicht so leieht abzuschatzen. Sowohl Beffirworter als
auch Gegner sind (inzwischen) recht vorsichtig im Umgang mir einer derartigen Per
spektive: Sie kOnnte sich auch als Fehlspekulation erweisen.
Stiidte sind Orte, an denen Lebenslliufe entworfen werden. Das Leben in modemen
Stadten wird dabei ganz entscheidend durch die Polarisierung zwischen Privatleben und
Berufsleben gepdlgt. Der Bereich des Offentlichen dagegen spielt sozial wie territorial
eine untergeordnete Rolle (in den antiken Stadten hob sich das Private in erster Linie
yom OffentIichen ab). Arbeitspllitze kOnnen als berufliche, Wohnungen als private
Territorien beschrieben werden. In menschlichen Lebenslliufen werden diese zu den
vielflUtigen Mustem rilumlicher MobiliUit - insbesondere Pendelbewegungen und
Migrationen-verkniipft. Junge Leute ziehen in die GroBstadt. om dort einen Beruf zu
erlernen und vielleicht eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Etwas altere Berufs
Uitige ziehen mit der Hoffnung in die Stadt, den sozialen Aufstieg zu beschleunigen.
Der Schritt in die Stadt ist denn auch oft direkt mit vertikaler MobiliUit verbunden,
auch und gerade ffir unterprivilegiene Zuwanderer.
Solche MobiliUitsmuster generierten seit Generationen das stadtische BevOlke
rungswachstum. Die Zahl der Familien, die in der Stadt blieben, war betrlichdich, die
Zahl der Abwanderer lag nonnalerweise unter derjenigen der Zuwanderer, die Zahl der
Geburten ubertraf die der SterbefiUle. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich
jedoch Verilnderungen in diesen Mustem ergeben, welche die modeme Stadt mit
neuartigen demographischen und sozialen Rahmenbedingungen konfrontieren: In Zu
rich nahm anfangs der secbziger Jahre die Zahl der BewohnerInnen, welche die Stadt
verlie8, deutlich sUirker zu als die Zahl der AbwanderInnen. Dabei stieg im Laufe der
Zeit der Anteil derjenigen, welche nieht in die Vorstadte, sondem weit aos der Agglo
meration hinaos zogen; In derselben Zeit ging 80ch die Zahl der in Stadten Neugebore
nen drastisch zurUck. GeburtenriickgAnge scheinen zum einen ganz allgemein Aus
druck von Wohlstandsgesellschaften zu sein. In SUidten sind sie aber auch eine (zu
satzIiche) Folge davon, daB mehr Leute mit Kinderwiinschen Ballungsgebiete verlas
sen als friiher, und umgekebrt weniger Leute als friiher in diese hinein ziehen. Sodano
ist in den 60er Jahren der EinfluB der 'Pille' statistisch bedeutsam.