Table Of ContentRüdiger Kipke
Das armenisch-aserbaidschanische Verhältnis
und der Konfl ikt um Berg-Karabach
Rüdiger Kipke
Das armenisch-
aserbaidschanische
Verhältnis
und der Konfl ikt
um Berg-Karabach
Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
1. Aufl age 2012
Alle Rechte vorbehalten
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Lektorat: Dorothee Koch
VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien.
Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.
www.vs-verlag.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede
Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere
für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspei-
cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Satz: Jens Ossadnik
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN 978-3-531-18484-5
Inhaltsverzeichnis 5
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................................ 7
1 Historische Wurzeln des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts
um Berg-Karabach ..................................................................................... 9
1.1 Gründung des Feudalstaats Karabach ................................................... 9
1.2 Das Khanat Karabach als Vasall des Russischen Reiches ................... 10
1.3 Die Annexion des Khanats Karabach ................................................. 13
1.4 Zaristische Kolonialherrschaft in Aserbaidschan ................................ 17
1.4.1 Neugliederung und Bevölkerungspolitik ................................... 17
1.4.2 Zustrom von Armeniern aus Persien und dem
Osmanischen Reich ................................................................... 18
1.4.3 Die Folgen: Instabilität und Krieg ............................................ 21
2 Nach dem Ende des zaristischen Imperiums (1917-1923) .................... 23
2.1 Fortsetzung der Gewalt ....................................................................... 23
2.2 Territorialer Bestand der Volksrepublik Aserbaidschan ..................... 24
2.3 Die Konferenz von Batum: Abtretung von Eriwan an Armenien ...... 25
2.4 Errichtung des Generalgouvernements Berg-Karabach ...................... 26
2.5 Regelung von Territorialfragen unter Sowjetherrschaft ...................... 27
2.5.1 Gründung der Sowjetrepublik Aserbaidschan .......................... 27
2.5.2 Moskau und der armenisch-aserbaidschanische Konflikt ........ 28
2.5.3 Schulterschluss zwischen Armenien und Sowjetrussland .......... 30
2.5.4 Wechsel in Strategie und Taktik ................................................ 32
2.5.5 Gründung der Sowjetrepublik Armenien .................................. 33
2.5.6 Bildung des Autonomen Gebiets Nachitschewan als Teil
Aserbaidschans ......................................................................... 33
2.5.7 Abtretung von Sangesur an Armenien ...................................... 34
2.5.8 Bildung des Autonomen Gebiets Berg-Karabach innerhalb
Aserbaidschans ......................................................................... 35
6 Inhaltsverzeichnis
3 Der Konflikt um Berg-Karabach in seiner latenten Phase
(1923-1987) ................................................................................................ 41
3.1 Zur Einleitung: Sowjetföderalismus und Nationalitätenpolitik ........... 41
3.2 Die Büchse der Pandora: Die Instrumentalisierung des
Nationalismus ..................................................................................... 44
3.2.1 Die „armenische Karte“ in der sowjetischen
Türkei-Politik ............................................................................ 44
3.2.2 Schriftwechsel zwischen Arutjunow und Bagirow .................... 49
3.2.3 Eine Gedenkveranstaltung und ihre Folgen ............................. 52
3.2.4 Kontroversen um die Geschichte .............................................. 53
3.3 Die Petitionen der 1960er Jahre – Behauptungen und Tatsachen ....... 58
3.4 Fortdauer der Spannungen in den 1970er Jahren ................................ 62
3.5 Wirtschaftlicher Aufschwung in Berg-Karabach ................................ 64
3.6 Dem Ende der Sowjetunion entgegen … ............................................ 66
Schlusswort ........................................................................................................ 69
Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................................. 73
Anlagen .............................................................................................................. 81
Vorwort 7
Vorwort
Vorwort
Vorwort
In den vergangenen zwei Jahrzehnten, seit dem Zusammenbruch der Sowjetuni-
on hat der Kaukasus als geopolitischer Raum verstärkte Aufmerksamkeit in der
westlichen Öffentlichkeit gefunden. Die Öl- und Gasreserven an den Küsten des
Kaspischen Meeres sind in den Fokus des Interesses gerückt. Zudem haben die
politischen Konflikte in dieser Region immer wieder für Schlagzeilen gesorgt.
Von Krieg und Gewalt in Tschetschenien und anderen nordkaukasischen Repub-
liken der Russländischen Föderation wird seit Jahren berichtet. Die militärische
Auseinandersetzung zwischen Georgien und Russland im August 2008 hat ge-
zeigt, dass die Ereignisse in dieser Region auch den internationalen Frieden
bedrohen können.
In der vorliegenden Studie wird ein anderer kaukasischer Brennpunkt be-
handelt, der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Er ist im Gegen-
satz zu den vorher genannten in der öffentlichen Wahrnehmung des Westens
kaum existent, obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen um das Gebiet
Berg-Karabach in den Jahren unmittelbar vor und nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion mit ihren vielen Tausend Toten und zahllosen Verwundeten, mit
wechselseitigen Vertreibungen und Fluchtbewegungen zu gewaltigen Opfern
geführt haben. Nachdem bewaffnete Karabach-Armenier und reguläre Truppen-
verbände Armeniens das aserbaidschanische Gebiet von Berg-Karabach und die
angrenzenden Kreise unter ihre Kontrolle gebracht hatten, ist es im Mai 1994 zu
einem Waffenstillstand gekommen, der bis heute eine instabile Ruhe garantiert.
Seither sind diese Territorien vom übrigen aserbaidschanischen Staatsgebiet
faktisch abgetrennt. Die dort beheimateten Aserbaidschaner sind geflohen oder
vertrieben worden. Berg-Karabach hat sich am 2. September 1991 für unabhän-
gig erklärt. Das Gebiet wird von niemandem als Staat anerkannt. Auch Armenien
verweigert die Anerkennung, bildet aber mit Berg-Karabach eine Wirtschafts-
und Währungsunion.
Der Sicherheitsrat der UNO hat mehrere Resolutionen verabschiedet, die
das Recht Aserbaidschans auf territoriale Integrität unter Einschluss von Berg-
Karabach bestätigen und zu einer friedlichen Lösung des Konflikts aufrufen. Die
Vollversammlung der UNO hat von Armenien vergeblich den vollständigen
Abzug seiner Truppen aus den besetzten aserbaidschanischen Gebieten verlangt.
Diplomatische Vermittlungsbemühungen wurden auf verschiedenen Ebenen
8 Vorwort
unternommen, die bisher ohne Erfolg geblieben sind. Die Brisanz des Konflikts
steht außer Frage, kann er doch zur Destabilisierung der ganzen Region führen
und internationale Auswirkungen haben.
Der wissenschaftliche Diskurs über den südkaukasisch-kaspischen Raum in
den westlichen Ländern wird weitgehend von Historikern getragen, dabei stehen
Fragen der Siedlungsgeschichte und der Ethnogenese im Vordergrund. Die herr-
schende Meinung des Westens folgt der armenischen Position, wonach die Ar-
menier schon im Altertum in diesem Gebiet ansässig waren. Die Auffassung
wird in den Ländern geräuschvoll vertreten, in denen die armenische Diaspora
besonders stark vertreten und aktiv ist.
Diese Fragen stehen hier jedoch nicht im Zentrum der Erörterung. Die Ar-
beit befasst sich vielmehr mit den armenisch-aserbaidschanischen Konflikten
beginnend mit den armenischen Zuwanderungen im 19. Jahrhundert in den nord-
aserbaidschanischen Raum. Sie setzt den Schwerpunkt auf die territorialen Aus-
einandersetzungen zwischen beiden Völkern, die auf unterschiedlichen Ebenen
stattfanden. Dabei kommt dem Streit um das Gebiet Berg-Karabach herausra-
gende Bedeutung zu.
Der vorliegende Beitrag ist geeignet, die Debatte um Berg-Karabach um ei-
nige neue Aspekte zu bereichern. Es konnte eine Reihe von Archivmaterialien
verwertet werden, die bisher in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit nicht be-
kannt waren. Einige der schwer zugänglichen Dokumente, die sich im persönli-
chen Besitz des Verfassers befinden, sind im Anhang abgedruckt, um sie dem
interessierten Leser zugänglich zu machen.
Anlass zum Dank habe ich gegenüber meinem wissenschaftlichen Mitarbei-
ter, Herrn Rauf Dschafarow, der mit seiner vielfältigen Zuarbeit für das Gelingen
des Werkes unverzichtbar war.
1.1. Gründung des Feudalstaats Karabach 9
1 Historische Wurzeln des armenisch-
aserbaidschanischen Konflikts um Berg-Karabach
1 Historische Wurzeln des Konflikts um Berg-Karabach
Dieses Kapitel befasst sich mit der Geschichte von Karabach in der Zeit vom
Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Was geschah
in diesen 100 Jahren in Karabach, und wie hat sich die ethnische Zusammenset-
zung der Bevölkerung in diesem Zeitraum verändert? Welche Politik hat das
zaristische Russland in diesem Raum betrieben? Mit welchen Mitteln wurde von
armenischer Seite aus versucht, territoriale Ansprüche auf das Gebiet von Kara-
bach durchzusetzen?
1.1 Gründung des Feudalstaats Karabach
1.1. Gründung des Feudalstaats Karabach
Der Begriff „Garaba(cid:247)“ deutet schon auf die historische Zugehörigkeit des Ge-
biets hin. Er lässt sich aus der aserbaidschanischen Sprache einwandfrei herlei-
ten. Das Wort „gara“ heißt „groß“, und „bag“ hat die Bedeutung von „Garten“.
Die deutsche Übersetzung des Wortes lautet also „großer Garten“. Im Laufe der
gesamten Geschichte Aserbaidschans hat Karabach eine besondere geo-
politische Rolle gespielt. Unmittelbar nach dem Sturz des arabischen Kalifats im
9. Jahrhundert wurde das Gebiet als Teil des historischen Aserbaidschan nachei-
nander von den Feudalstaaten Kara-Gojunlu und Ak-Gojunlu und vom
Safawidenreich einverleibt.1 Zur Zeit der Safawiden ist es in mehrere Fürstentü-
mer (bäjläbäjlik) aufgeteilt worden; eines von diesen Fürstentümern war Kara-
bach. In den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts wurde dann Zijadoglu, der Stam-
mesführer der Kadscharen, die sich für die legitimen Bewohner des Gebiets
hielten, der Herrscher von Karabach. Im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts,
nach dem Fall der Dynastie der Safawiden und den nachfolgenden Bürgerkrie-
gen, entstanden auf dem Gebiet des Fürstentums Karabach zwei unabhängige
Khanate. Im nördlichen Teil etablierte sich an der Spitze des Khanats Gjandscha
die Zijadoglu-Dynastie. Im Süden, im Raum zwischen den Flüssen Kur, Arax
und Terter, entstand als ein unabhängiger Feudalstaat das Khanat Karabach. Im
1 Efendijew, O.: Azerbajdžanskoje gosudarstwo Sefewidow w XVI weke <Der aserbaidschani-
sche Staat der Safawiden im 16. Jahrhundert>, Baku 1981, S. 67-100.
R. Kipke, Das armenisch-aserbaidschanische Verhältnis und
der Konfl ikt um Berg-Karabach, DOI 10.1007/978-3-531-94231-5_1,
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
10 1 Historische Wurzeln des Konflikts um Berg-Karabach
Nord-Westen grenzte das Khanat Karabach entlang des Flusses Kjurek(cid:254)aj an das
Khanat Gjandscha und entlang des Flusses Gek(cid:254)aj an das Khanat Scheki, östlich
von Kur an das Khanat Schemacha, im Süden entlang der Mugan Steppe an das
Khanat Karadach, im Süd-Westen an das Khanat Nachitschewan, im Westen an
das Khanat Jerewan.2 Im 18. Jahrhundert lebten im Khanat Karabach etwa
130.000 Menschen. Der Gründer des Khanats war Khan Panah. Dort ließ er im
Jahre 1754 auf einem hohen, steilen Berg eine Festung bauen und gründete die
Stadt Panahabad, das spätere (cid:249)u(cid:250)a (Schuscha).
In einer in Sankt-Petersburg veröffentlichten Enzyklopädie aus dem Jahre
1895 heißt es, dass „Garabag“ (Karabach) ein ehemaliges Khanat sei, das die
Territorien der Kreise Šuša, Džebrial', Džavanschir und Sangesur des Gouver-
nements Elisavetpol' umfasse.3 Einige armenische Wissenschaftler bestehen
heute darauf, dass im Laufe des ganzen 18. Jahrhunderts der armenische Anteil
der Bewohner Karabachs 97% der Gesamtbevölkerung ausmachte.4 Dafür gibt es
keine seriösen Belege. Aber selbst wenn man einmal unterstellt, diese Behaup-
tung sei zutreffend, so erhebt sich doch die Frage, warum dann im 18. Jahrhun-
dert in Karabach kein armenischer Staat, sondern das Khanat Karabach entstan-
den ist, geführt von Angehörigen des berühmten aserbaidschanischen Adelsge-
schlechts der Džavanschir. Es gibt in der Geschichte kein vergleichbares Beispiel
dafür, dass eine ethnische Minderheit von nur 3% in einem bestimmten Gebiet
über die Köpfe derer hinweg ein Staatswesen errichten konnte, die 97% der ge-
samten Bevölkerung ausmachten.
1.2 Das Khanat Karabach als Vasall des Russischen Reiches
1.2 Das Khanat Karabach als Vasall des Russischen Reiches
Russische Truppen besetzten 1722 zum ersten Mal die kaspischen Gebiete von
Aserbaidschan. Aber bereits im Jahre 1735 waren sie gezwungen, den Kaukasus
wieder zu verlassen. Der Misserfolg tat den strategischen Interessen des zaristi-
schen Russland an Transkaukasien allerdings keinen Abbruch. In der Regie-
rungszeit von Katharina II. (1762-1796) setzte das erstarkte Russische Reich
erneut zur Eroberung des Gebiets an.
2 ARP(cid:248)(cid:248)-SSA (Az(cid:1317)rbaycan Respublikas(cid:213) Prezidentinin (cid:248)(cid:250)l(cid:1317)r (cid:248)dar(cid:1317)sinin Siyasi S(cid:1317)n(cid:1317)dl(cid:1317)r Arxivi),
fond.1, siyah(cid:213). 31, i(cid:250). 186a, v(cid:1317)r(cid:1317)q. 57 (Archiv für Politische Dokumente beim Präsidialamt der
Republik Aserbaidschan, Fond 1, Liste 31, Angelegenheit 186a, Blatt 57).
3 ARP(cid:248)(cid:248)-SSA, f. 1, s. 31, i. 186a, v. 49.
4 Zum Beispiel Barsegjan, Xikar Hakobi: Istina dorože: k problema Nagornogo-Krabacha-
Arsacha <Die Wahrheit ist kostbarer. Zur Problematik Berg-Karabach-Arsach>, Eriwan 1989,
S. 122-124.