Table Of ContentDARWINS FINKEN
ODER WIE DER AFFE
ZUM MENSCHEN WURDE
Johann Grolle
Darwins Finken
oder Wie der Affe
zum Menschen wurde
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Veréffentlichtim RowohltTaschenbuchVerlagGmbH,
ReinbekbeiHamburg,Juni2002
LizenzausgabemitGenehmigungdes Rowohlt- BerlinVerlages
Copyright© 1999byRowohlt- BerlinVerlagGmbH,Berlin
LektoratJuliaKithn
Umschlaggestaltungany.way, BarbaraHanke
(Umschlagfoto:AndreasPollokfiirFILAundnonstock}
LayoutSabineGolde, Leipzig
SatzFF ScalaundInterstate
GesamtherstellungClausen&Bosse, Leck
PrintedinGermany
ISBN3499211963
DieSchreibweiseentsprichtdenRegeln
derneuenRechtschreibung.
Darwins Finken
Inhalt
Charles Darwin —
oder wie ein junger Naturforscher die Geschichte
der Schoépfung umschrieb 8
Erstes Kapitel, indemein 22-jahriger Englanderzu
einer Reiserundumdie Erdeaufbricht, in Feuerland
seinennacktenVetternbegegnet,aufden Galapagos-
Inselnden Finken ihrGeheimnisentreiftund mit
Ideenheimkehrt, diedieWeltverandern.
Die Evolution —
oderwieaus Bakterien Dinosaurier wurden 26
Zweites Kapitel, indemdie Erdeauskosmischem
Staubentsteht, im Brutkesselder Urozeanedaserste
Lebengeborenwird,Wunderwesen mit Fangarmen
undBeif$scherendie Meerebesiedelnunddie Dino-
sauriervoneinem Himmelsgeschoss dahingerafft
werden.
Darwins Enkel —
oderwie Afrika seine Geheimnisse preisgibt 44
Drittes Kapitel, indemeiner Urmenschforscherin
ein BlickindieGeburtsstundedes Menschen
vergonntist, zweiPartnerzuunverséhnlichen
Rivalenwerdenundam EndezweiafrikanischeAffen-
artenanderWurzelunseres Stammbaumsstehen.
Der Vormensch Australopithecus —
oder warum deraufrechteGang Uberunser
Schicksal entschied 60
Viertes Kapitel, indemsichAffenaufihreBeineauf-
richten,derMenschseinen ErfolgmitRiickenschmer-
zenbezahlt,sichinderMitteAfrikaseinOzeanauftut
undsichdie Forscherstreiten,obderMannoderdie
FraudenAnstofzurMenschwerdunggab.
Der Urmensch Homoerectus —
oderwas unserHirn pldtzlich wachsenlief 78
Fiinftes Kapitel, in demdieZahneeines Urmensch-
Jungenetwastibersein Lebenerzahlen, Faustkeiledie
Geschicklichkeitschulen,erstmals inderGeschichte
des Lebens Babys geborenwerdenund die Schadeldecke
geheimnisvolle Beulenaufweist.
Die Menschenaffen —
oderwie ahniich wir den Schimpansensind 96
Sechstes Kapitel, indemdrei Frauenim Dschungel
mitOrang-Utans, Gorillasund Schimpansenleben,
AffenaufdieJagdgehenund Kriegegegeneinander
fiihrenund SchimpansendieZeichenspracheerlernen.
Der Homosapiens —
oderwie die Kultur geboren wurde 114
Siebtes Kapitel, indemeinekleine Hordeunserer
VorfahrenausAfrikaauszieht,denganzen Erdball
erobert, AuerochsenundWollnashdérnerausrottet,
Flétenund Perlenkettenherstelltundsicham Ende
auchihremVetter,demNeandertaler,alstiberlegen
erweist.
Endspurtin die Gegenwart —
oderwie wir Weltherrscher wurden 140
Letztes Kapitel,indemsichdie Ereignisseplétzlich
tiberstiirzen,derMenschViehziichtetundKornan-
baut, KupferausderErdeschiirft, Biicherdruckt,
SchieSpulverzusammenm ixtundschlieflichdie
EnergiedesAtomsentfesseltundinden Bauplandes
Lebenseingreift.
Der Autor 160
wienit Charles Darwin — oder wie ein junger
Naturforscher die Geschichte der
Schdépfung umschrieb
Die Welt war entdeckt: Handelskarawanenhatten die
gliihenden Wiisten Asiens durchquert und warenschlief-
lich ins geheimnisvolle Reich der Chinesen gelangt; mit
einer kleinen Flotte hatte Christoph Columbus den Wo-
gen des Atlantiks getrotzt, bis er schlieflich an den Ufern
der Neuen Welt gelandetwar; die Planwagen der Siedler
hatten die Weiten des nordamerikanischen Kontinents
erschlossen; waghalsige Seefahrerwaren bis zu den Insel-
paradiesen desStillen Ozeans vorgedrungen, und Aben-
teurer waren im DschungelAfrikas aufdie Urwalddérfer
der Buschvélker gestof{en. Kaum ein Winkeldes riesigen
Planeten Erde war den Entdeckern und Eroberern aus
Europaverborgen geblieben.
Und doch machte sich, am Morgen des 10. Dezember
1831, ein 22 Jahre junger Englander aufdie Reise in eine
Welt, die noch niemand zuvorbetreten hatte: das Reich
derVergangenheit. Damals freilich ahntenweder er
selbst noch irgendjemandsonst, dass ihm eine Seefahrt
bevorstand, aufder erdie bedeutendste und folgenreichs-
te Entdeckung des Jahrhunderts machen wiirde. Charles
Darwin — so war sein Name — nahmteil an einer Expedi-
tion, an deren Endeer den Schliissel zu dem vielleicht
grofgten Ratsel der Natur in Handen halten sollte: der
Frage nach der Herkunftdes Menschen.
Natiirlichwar er aufgeregt. Eine Weltumsegelungwar
schonansich ein riskantes Abenteuer, das nurwenige
Schiffe bisher gewagthatten. Fiir Charles aber bedeutete
diese Reise zugleich den lange ersehnten Ausbruch aus
der Enge seines Elternhauses. Sie wareine Fluchtvor
dem strengen Vater, der ihn hatte zwingenwollen, Arzt
oder Pastor zuwerden. Nun aberhatte Charles den Pos-
ten des Wissenschaftlers an Bord des Vermessungsschiffs
«Beagle» bekommen.Er wollte seinem Vater beweisen,
was in ihmsteckte. So muss Charles voller Hoffnung und
angstvoller Erwartung an der Reling gestanden haben,
als sein Schiffan diesem Dezembermorgenin See stach
und sein winkender Bruder Erasmus amKai langsam ot
kleinerwurde.
Charles waracht Jahre alt gewesen,als ftir ihn die
heile Welt seiner Kindheit zusammenbrach.So recht
hatte er damals nicht begriffen, was da geschah, nur dass “snesusa
es offenbar etwas Unbegreifliches war. Eines Tages hatte
seine Mutter st6hnend undwimmerndim Bett gelegen.
Sein Vater ordnete an, dass er, Charles, ihr Zimmernicht
mehrbetreten diirfe. Nur die beiden alteren Schwestern
sollten sich um die Kranke kiimmern. Dann,endlich,
wurdeer zu ihr gerufen. Dochjetzt lag seine Mutter,in
ein schwarzes Samtkleid gehiillt, nur noch stumm und
kaltaufdem Laken undriihrte sich nicht mehr. Etwas
Unheimliches mit Namen «Krebs» hatte inm die Mutter
geraubt. Aber fragen durfte ernicht. DerTod seiner Mut-
terwartabu: Niemand im Hausredete mehrvonihr.
Anihrer Stelle itbernahmen nun Charles’ altere
Schwestern das Regiment. Sieversuchten,so gut sie es
konnten,demschwerzubandigenden Bengel gute Manie-
ren beizubringen. Sein Vaterhingegen reagierte meist
nur mitheftigen Wutausbriichen, wenn Charles wieder
einmal mit zerrissenen Kleidernvon seinen Streifziigen
in der Umgebungnach Hause kam.
Vor dem jahzornigen Vaterund den neunmalklugen
Schwesternfliichtete Charles zusammen mit seinem
alteren Bruder Erasmus dorthin, wo die beiden ihre Ruhe
fanden:indie Natur. Siewetteiferten miteinander, wer
die buntesten Kafer fing, oder sie traumten auflangen
Spaziergangenvom Zaubertropischer Regenwdlder.
Schon damals entwickelte Charles den Blickfiir Kleinig-
keiten, derihm spater niitzlich sein sollte, als erder Natur . i
ihre tiefsten Geheimnisse entlockte. Und er entdeckte n
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IL RAPILEL eine Leidenschaft, die ihn sein Lebtag lang nicht verlassen
ChatlesDaiwar solite: Gleichgiiltig ob gesprenkelte Vogeleier. schillernde
Nachtfalter, eigenartig gemusterte Muscheln oderbunt
marmorierte Steine —- was immerihm unter die Finger
kam, sammelteer.
DerVater sorgte sich unterdessen um seinen Sohn,
der seine Zeit mit Schmetterlingsjagd und dem Sammeln
von Bliiten oder Wiirmernvertat. Ertiberlegte, welchen
Berufsein missratener Sohn einmalergreifen sollte. Und
weil er ein Mann war, der sich meist fiir das Nachstlie-
gendeentschied, beschlosser, dass Charles das studieren
solle, was ihm selbst zuAnsehen und Reichtum verholfen
hatte: die Medizin.
Charles war nun zwarein eigensinniger Junge, doch
alles andereals ein Rebell. Er fiigte sich, wenn auch wi-
derstrebend, dem Befehl seines Vaters und schrieb sich
an dermedizinischen Fakultatder Universitat in Edin-
burgh ein. Dortlitt er bald schrecklichunter der Paukerei.
Missmutigbiiffelte er die Namenvon Arzneipflanzen,
Muskeln und Knochenundwandtesich in seinerFreizeit
mitumso groferer Begeisterungwieder denWundern
derTier- und Pflanzenweltzu. Als er dann aber die Welt
der Krankenhduserkennenlernte, packte ihnvollends die
Abscheu: Die Narkosewar noch nichterfunden. Deshalb
mussten die Kranken an den Operationstisch gefesselt
werden.Sie briillten erbarmlich, wahrend die Arzte mit
schmutzigen Messern in ihr Fleisch schnitten, ihre Kno-
chen zersagtenundviel Blutin Eimervoll Sagemehlfloss.
Charles war schockiertund gestand seinem Vater, dass er
fiir dieses Handwerkeinfach nicht geschaffensei.
Dem blieb nichts anderes iibrig, als einzusehen,dass
er sich nach etwas anderemumsehen musste.So reifte in
ihm ein neuer Plan: Fiireinen Nichtsnutzwie Charles
schien ihm die Kirche das Richtige zu sein. Wenn sein
Sohn zudiinnhautig fiir den Berufdes Arztes war, dann
wirdeerebenals PfarrerdasgeruhsameLebenfiihren,fiir
dasalleinerzutaugenschien. Soverlief$Charles also Edin-
burgh und begannin Cambridge das Theologiestudium.
Zwargalt sein Interesse auch nicht gerade derReli-
gion, ja, es plagten ihn sogar Zweifel. ob er an den Gott
der Christen tiberhaupt glauben kénne. Dennochschien
ihm das Lebenin irgendeinerPfarrei aufdem Landwe-
sentlich verlockenderals das eines Arztes. Die Gemeinde-
arbeitwiirde inm genug Zeit lassen, sich seinem Hobby,
der Naturkunde, zu widmen. Schlieflich gab es damals
nichtwenige Landpfarrer, die sich auch als Pflanzen- oder
Insektenforscher einen Namen gemachthatten. So lernte
er denn ohne grofe Begeisterung Latein und Griechisch,
wahrend er mit Feuereifer den Vorlesungen der Geologie
oderder Botanikfolgte.
Dochall seine Gedanken an eine Landpfarreiwaren
wieweggeblasen,als er eines Tages ein dickes, in London
abgestempeltes Kuvert in seiner Postfand: Sein Botanik-
Professor schlug ihm dieTeilnahme an einerWeltreise
vor! Die Mannschaft der «Beagle»sollte die Kiisten Siid-
amerikas vermessen. Und ihm botman den Posten des
Wissenschaftlers an Bord an.
Wie besessen machte sich Charles an die Vorbereitun-
gen.Erbiiffelte, wie er es nie zuvor getan hatte: Erver-
schlang Reiseberichte tiberjene ferneWelt, die er nun er-
kundensollte. Erlernte, Vogel zu praparieren, Tiere
abzubalgen, Fossilien aus dem Stein zuklopfenund Mi-
neralien zu identifizieren. Undvor allem musste erdem
miirrischenVater seine Zustimmung zu demAbenteuer
abringen.
Natiirlichhatte er auch gegen denWillen des Vaters
reisenkénnen.Aberdastraute er sich nicht. So war esfiir
ihn ein schwerer Schlag,als erdaheim aufunerbittlichen
Widerstand stie&. «So etwas Sinnloses», wetterte sein
Vater. «Das Leben mitden Seeleutenwird dichvélligver-
rohen. Wenn du zuriickkommst,wirstdu fiir einAmtin
der Kirche fiir immerverdorbensein.»
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