Table Of ContentHerbert Cerutti
China –
wo das Pulver
erfunden wurde
Naturwissenschaft,
Medizin und Technik in
China
TASCHENBUCH VERLAG
Berichte über wissenschaftlichtechnische Entwicklungen in China: Unter
anderem über Weltraumtechnik, Computertechnik, Erdbebenforschung,
Umweltforschung, biologischen Landbau, traditionelle Medizin, moderne
Spitzenmedizin.
ISBN 3-423-10837-1
Umschlaggestaltung: Celestino Piatti
Umschlagfoto: Josef Kaufmann
Mit Beiträgen von Richard Altorfer, Werner Hadorn, Reto Locher, Felix Weber
Mit 11 Abbildungen
1987, Deutscher Taschenbuch Verlag
Das Buch
Sicherlich sind jedem Cape Canaveral und Baikonur als
»Weltraumbahnhöfe« zweier Großmächte bekannt – aber
Weinan? Nennt man Giseh oder Troja, denkt man einerseits
sofort an die Stätten großartiger Baukunst und andererseits an
die aufregende Geschichte der Ausgrabungen – aber bei
Lintong? Silicon Valley ist gebräuchlich als Synonym einer
High-Tech-Industrieregion – aber Haidan? Unsere Medien
verbreiten zwar Nachrichten über China in beachtlicher Fülle,
hauptsächlich allerdings aus dem Bereich der Politik. Was aber
geschieht im Reich der Mitte in wissenschaftlich-technischer
Hinsicht? Welche Erfolge konnte die chinesische Raumfahrt
feiern? (Das Hauptkontrollzentrum befindet sich in Weinan.)
Wie gehen die chinesischen Archäologen beim spektakulärsten
Ausgrabungsprojekt des neuen China vor, bei der Freilegung,
Restauration und wissenschaftlichen Deutung der inzwischen
weltbekannten »Terrakotta-Armee« aus 8 000 lebensgroßen
Kriegerfiguren und Pferden, die 1974 bei Lintong entdeckt
wurde? Entsteht in Haidan, in der nordwestlichen Vorstadt
Pekings, mit seinen Forschungslaboratorien und
Universitätsinstituten ein Zentrum für Elektronik? Um solche
Wissenslücken wenigstens teilweise zu schließen, reiste eine
Gruppe Schweizer Wissenschaftsjournalisten nach China, um
sich dort bei Forschern und Technikern aus erster Hand zu
informieren. Daraus entstand ein »Reisebericht« über
Technikgeschichte, Glanzleistungen des alten China, über
Architektur, Medizin, Landwirtschaft und Geophysik. Das Buch
läßt dabei auch das nicht außer acht, was die moderne
Entwicklung in China begleitet: Bauboom,
Umweltverschmutzung oder Bodenerosion.
Der Autor
Herbert Cerutti, geboren 1943 in Nesslau, Kanton St. Gallen,
studierte an den Universitäten Zürich und Bern
Experimentalphysik; Dissertation über Sonnenwind-Messungen
während der Mondlandeunternehmungen der NASA. Seit 1975
ist er Wissenschaftsredakteur der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ für
die Themenbereiche Naturwissenschaften, Medizin und
Technik.
Inhalt
Vorwort....................................................................................................5
Technische Glanzleistungen im alten China Sorgfältige Experimente
statt grauer Theorie..................................................................................8
Warum kein chinesischer Newton? Hypothesen zum historischen
Entwicklungsstopp.................................................................................23
Geduldige Archäologen Frühe Kunstwerke dokumentieren vergangene
Technik..................................................................................................26
Der erste Seismograph Ein Gerät von staatspolitischer Bedeutung.......33
Von der Schwierigkeit, Erdbeben vorherzusagen 150 000 Amateure
leisten seismologische Basisarbeit.........................................................36
Kopfstand der Academia Sinica Zu Besuch am Geophysikalischen
Institut in Peking....................................................................................53
Die verkehrte Feuerlanze Wie die Rakete erfunden wurde....................57
Der lange Marsch ins All Chinesischer Fernmeldesatellit seit 1984 in
Betrieb...................................................................................................59
»Nächste Woche wird sich die Sonne verfinstern« Zum
Wissenschaftsjournalismus in China.....................................................70
Computer »made in China« Entwicklungsanstrengungen im High-Tech-
Bereich...................................................................................................75
»Je größer, desto besser« Kritische Stimmen zum Bauboom in China..83
Dicke Luft und trübe Wasser Gravierende Umweltverschmutzung
begleitet Chinas Entwicklung................................................................87
Chinas Bäume wachsen nicht in den Himmel Aufforstungskampagnen
mit unterschiedlichem Erfolg.................................................................96
Ungewisse Zukunft für den Panda Zu Besuch im Naturreservat Wolong
.............................................................................................................101
Biologischer Landbau aus Tradition Ertragssteigerung durch
Agrochemie und vermehrte Bewässerung...........................................112
Trickreicher Umgang mit Wasser Dujiangyan-Wasserkontrollanlage seit
2200 Jahren in Betrieb.........................................................................122
Medizinischer Alltag in China Zu Besuch in einem Landkrankenhaus
.............................................................................................................126
Hilfe für Verbrennungsopfer Revolutionäres Behandlungskonzept in
Schanghai.............................................................................................131
Anhang.................................................................................................139
Vorwort
China ist für den Westen seit gut zehn Jahren Mode
geworden. Politiker, Fachexperten, Journalisten und in rasch
wachsender Zahl Touristen reisen hinter den Bambusvorhang,
um China aus erster Hand zu erfahren. Unsere Medien
verbreiten Chinainformationen in beachtlicher Fülle und
berichten im Detail über das neue »Verantwortungssystem«,
Reformen in Industrie und Landwirtschaft sowie
Verschiebungen im politischen Bereich. Was aber passiert im
Reich der Mitte in wissenschaftlichtechnischer Hinsicht?
Besteht etwa die Medizin dieses Milliardenvolkes nur aus
Akupunktur, Kräutern und Barfußdoktoren? Können Chinas
Bauern auch heute noch die Nahrung für das Riesenvolk nur mit
Fäkalien und liebevoller Handarbeit produzieren? Und wenn
man selbst im kleinsten Winkel unserer industrialisierten Welt
glaubt, ohne Computer ließe sich die Gesellschaft nicht mehr
organisieren, wie steht es damit in dieser Nation von der Größe
Europas? Seit Jahren bemüht sich China intensiv um den
Ausbau seiner Industrien. Was aber läuft dort auf dem Sektor
Umweltschutz?
Um diese Wissenslücken wenigstens teilweise zu schließen,
hatte der Schweizer Klub der Wissenschaftsjournalisten 1983
beschlossen, selber nach China zu reisen und sich dort direkt bei
den chinesischen Forschern und Technikern zu informieren.
Natürlich war von vornherein klar, daß ein solches Unternehmen
nur sehr bruchstückhaft sein würde und manches in China
angetroffene Thema nachher noch mittels Fachliteratur vertieft
und mit Aussagen westlicher Experten verglichen werden
mußte. Nach eingehender Diskussion im Kollegenkreis
kristallisierte sich schließlich ein dreiwöchiges
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»Wunschprogramm«, das wir der Botschaft der Volksrepublik
China in Bern vorlegten. Mehr als ein Jahr spielten wir nun
schriftliches Pingpong mit zahlreichen Stellen im fernen Peking,
wobei uns Herr Wang Xijing von der chinesischen Botschaft mit
Rat und Tat zur Seite stand. Im Februar 1985 war unser
Reisewunsch schließlich akzeptiert; am 17. Mai flogen wir nach
Chinas Hauptstadt ab – allerdings mit etwas zwiespältigem
Gefühl, denn chinesischer »Tradition« entsprechend hatte man
uns zwar mitgeteilt, unser Programm »nach Möglichkeit«
einhalten zu wollen, eine eigentliche Zusicherung war indes
nicht zu erhalten.
Was wir dann in den drei Wochen erlebten, übertraf unser
aller Erwartungen. Die gewünschten Programmpunkte wurden
bis ins Detail erfüllt, ja sogar erst an Ort und Stelle auftauchende
Zusatzwünsche fanden fast ausnahmslos eine Verwirklichung.
Dies alles war weitgehend das Verdienst unserer Betreuerin von
der All-China Journalists’ Association, Frau Dai Yuzhang. Das
große Verständnis von Lao Dai für ihre westlichen
Journalistenkollegen ließ sogar Türen öffnen, die für westliche
Besucher »ungeeignet« waren, wie wir aus Gestik und Tonfall
lokaler Begleiter erahnen konnten. Ebenfalls wertvolle Hilfe
leistete Frau Shi Qiao Ying als Dolmetscherin. Man konnte mit
Xiao Shi manchmal schon Mitleid haben, wenn sie die
deutschen Wörter für die verschiedensten Fachgebiete finden
mußte und obendrein laufend den Tücken des spezifisch
chinesischen Umgangs mit großen Zahlen ausgesetzt war. Ein
Dank auch den Kollegen der lokalen Journalistenverbände in
Peking, Xi’an, Chengdu, Guilin und Schanghai, die an den
einzelnen Etappenorten jeweils unseren Aufenthalt
organisierten.
So war es also möglich, trotz der relativ kurzen Zeit einen
erstaunlich vielfältigen Blick auf Chinas Welt der Wissenschaft
und Technik zu werfen. Für uns Schweizer Journalisten
befinden sich jetzt an den Stellen, wo bisher lediglich anonymes
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China lag, lebhafte Städte, grün schimmernde Landschaften,
Forscher mit ihren Erfolgen und Sorgen. Und daß unsere
Erlebnisse bereits intensiven Niederschlag in den Medien und
insbesondere auch in diesem Buch gefunden haben, ist Zeichen
des tiefen Eindrucks, den China in uns allen hinterlassen hat.
Zürich, im Oktober 1985
Herbert Cerutti
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Technische Glanzleistungen im alten
China Sorgfältige Experimente statt
grauer Theorie
Geographen am kaiserlichen Hof in China machten sich
Gedanken um die Abweichung der magnetischen von der
geographischen Nordrichtung, als man in Europa nicht einmal
wußte, daß es ein Erdmagnetfeld gab. Chinesische Astronomen
verfolgten den Lauf der Gestirne mit Instrumenten, die dank
äquatorialer Montierung und einem präzisen Uhrwerk die
Himmelsobjekte automatisch im Visier behielten – zu einer Zeit,
als unsere Gelehrten noch die Erde als ruhendes Zentrum in
einem komplizierten System sich bewegender Himmelssphären
aus Kristall betrachteten. Und während Rüstungen und
Zaumzeug für die Kreuzzüge in mühsamer Handarbeit einzeln
geschmiedet wurden, produzierten Chinas Eisengießereien
Landwirtschaftsgeräte und Waffen bereits in Großserien. Selbst
so modern anmutende Erkenntnisse wie physikalische
Feldtheorien, die Vorhersage von Hochwasserkatastrophen, der
biologische Pflanzenschutz haben ihre Vorläufer im alten China.
Man kann die wissenschaftlichtechnischen Höhepunkte des
alten China jedoch nicht präsentieren, ohne wenigstens kurz auf
den hervorragenden Vermittler solcher Informationen
hinzuweisen: Joseph Needham.
Es ist jetzt 50 Jahre her, daß sich der junge Biochemiker
Needham an der englischen Cambridge-Universität für die
chinesische Kultur zu interessieren begann. Anlaß war der
Kontakt mit einer Gruppe chinesischer Doktoranden, die ihren
englischen Kollegen etwa mit der Frage in Verlegenheit
brachten, warum moderne Wissenschaft in Europa entstand und
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