Cassius Dio: Römische Geschichte (Bücher 44-50)

175 Pages·1985·3.313 MB·German

by  Otto Veh, Gerhard Wirth

CASSIUS DIO
RÖMISCHE GESCHICHTE
BAND II1
BÜCHER 44-50
ÜBERSETZT VON OTTO VEH
ARTEMIS VERLAG ZÜRICH
UND MÜNCHEN
BUCH 44
[44 V. CHR.]
Das Folgende ist enthalten im 44· Buch von Dias Römischer
Geschichte:
Über die Beschlüsse zu Ehren Caesars (1-11)
Über die Verschwörung, die sich gegen ihn bildete (12-
18)
Wie Caesar ermordet wurde (lCJ-22)
Wie ein Beschluß gegenseitiger Amnestie zustandekam
(23-34)
Über Caesars Beisetzung und die auf ihn gehaltene Rede
(35-53)
(44 v. Chr.) Zeitdauer: ein Teil der fünften Diktatur des
Iulius Caesar zusammen mit Aemilius Lepidus als magister
equitum und seines fünften Konsulats zusammen mit
Marcus Antonius
1 (1) [44 v. Chr.] All diese Maßnahmen traf Caesar als
Vorbereitung zum Partherkrieg. Verderbliche Wut indes
sen, welche gewisse Menschen aus Neid gegen seinen
Aufstieg und aus Haß wegen seiner Vorzugsstellung ihnen
gegenüber befiel, veranlaßte seinen Tod auf rechtswidrige
Weise und fügte einen neuen Namen in die Geschichte der
Niedertracht. (2) Sie zerstreute die Beschlüsse in alle Winde
8 BUCH 44 BUCH 44 9
und brachte nach einem Zeitraum der Einigkeit erneut konnten. (4) Was aber nun eine Stadt anlangt, die nicht nur
Aufstände und Bürgerkriege über die Römer. Zwar erklär an sich so groß ist, sondern auch über den schönsten und
ten die Täter, sie hätten sich gleichzeitig als Mörder Caesars umfangreichsten Teil der bekannten Welt herrscht, eine
wie als Befreier des Volkes erwiesen, in Wahrheit vollführ Stadt, die Einwohner mit zahlreichen, verschiedenartigen
ten sie jedoch einen ruchlosen Anschlag gegen ihn und Naturanlagen besitzt, die eine Menge riesiger Reichtümer
versetzten die Stadt in Aufruhr, als sie sich endlich eines ihr eigen nennt, die im privaten wie im öffentlichen Leben
festen Regiments erfreute. alle nur denkbaren Beschäftigungen und Lebensschicksale
2 (1) Demokratie hat ja zwar einen schönklingenden aufweist - für eine derartige Stadt ist es ein Ding der
Namen und erweckt den Eindruck, als bringe sie allen durch Unmöglichkeit, unter einer demokratischen Verfassung
gleiche Gesetze auch gleiche Rechte, in ihren Ergebnissen Besonnenheit walten zu lassen, und noch weniger ist damit
aber zeigt sich, daß sie mit ihrem Namen nichts zu tun hat. zu rechnen, daß das Volk, wenn ihm die Besonnenheit fehlt,
Im Gegensatz dazu hat Alleinherrschaft einen bösen Klang, die Einigkeit bewahrt. (5) Hätten daher Marcus Brutus und
sie ist aber eine sehr geeignete Staatsform, um darunter zu Gaius Cassius nur darauf geachtet, dann hätten sie niemals
leben. (2) Denn es ist leichter, einen einzigen tüchtigen den Führer und Beschützer der Stadt ermordet und nicht
Mann als deren viele zu finden, und wenn selbst dies unendliches Unglück über sich selbst und den ganzen
einigen als schwieriges Unternehmen erscheint, so muß damals lebenden Rest der Menschheit gebracht.
doch unbedingt die andere Möglichkeit einmütig für ausge 3 (1) Es geschah nun folgendermaßen, und Anlaß zu
schlossen betrachtet werden; ist es ja der Mehrzahl von seinem Tode war das, was ich jetzt berichte: Caesar hatte
Menschen nicht gegeben, Tugend zu erwerben. Und sogar sich Mißfallen zugezogen, und dieses war nicht ganz
wenn ein minderwertiger Mensch Selbstherrscher wer unberechtigt, abgesehen freilich von der Tatsache, daß die
den sollte, ist er nichtsdestoweniger der Masse gleichge Senatoren selbst ihn durch ihre neuartigen und übertriebe
stellter Menschen vorzuziehen, wie es dies die Geschichte nen Ehrungen emporgehoben und aufgebläht hatten und
der Griechen und Barbaren und selbst der Römer erweist. nun gerade deshalb schalten und verleumdeten, wie gerne
(3) Denn Erfolge wurden jederzeit den Städten wie den er doch diese Auszeichnungen hinnehme und deshalb
Einzelmenschen von seiten der Könige in viel größerem hochmütiger auftrete. (2) Es läßt sich zwar nicht leugnen,
Umfang und reicherer Zahl als unter der Volksherrschaft daß Caesar dann und wann Fehler beging, indem er einige
zuteil, und Unglücksfälle ereignen sich (nicht so häufig) bei der für ihn beschlossenen Ehrungen annahm und glaubte,
Monarchien, als wenn die Masse regiert. In der Tat, sofern sie tatsächlich zu verdienen; doch müssen jene am meisten
je überhaupt eine Demokratie eine Blütezeit erlebte, währte gerügt werden, die damit begannen, ihn zu ehren, wie es
diese nur kurz, lediglich so lange, als die Menge weder über seiner würdig war, dann ihn aber immer weiter steigerten
die hinreichende Zahl noch Macht verfügte, so daß kein und schließlich wegen der Maßnahmen beschuldigten, die
Frevelsinn als Folge von Wohlergehen und keine Eifersucht sie doch selbst beschlossen hatten. (3) Caesar wagte nämlich
als Ergebnis des Ehrgeizes unter den Menschen entstehen nicht, alle Auszeichnungen abzulehnen, aus Furcht für
10 BUCH 44 BUCH 44 11
hochmütig zu gelten, und konnte sich hinwiederum auch dürften sie sich dank seinem Bemühen des Friedens erfreu
nicht sicher fühlen, wenn er sie annahm; denn ein Übermaß en, und ihr zu Ehren alljährlich ein Fest zu begehen.
an Ehren und Lobesworten macht irgendwie selbst die 5 (1) Nachdem Caesar dies alles angenommen hatte,
bescheidensten Menschen eingebildet, besonders, wenn sie übertrugen sie ihm die Aufgabe, die Pantinischen Sümpfe
der Wahrheit entsprechend gespendet zu werden scheinen. aufzufüllen, den peloporrnesischen Isthmus zu durchstechen
4 (1) Die Auszeichnungen, die man Caesar nachallden und ein neu es Senatsgebäude zu errichten, da ja der Bau des
bereits erwähnten zuteil werden ließ, waren an Zahl und Hostilius, obschon instand gesetzt, abgerissen worden war.
Art folgende; ich will sie nämlich, obschon sie nicht alle zur (2) Als Vorwand für den Abbruch mußte der Plan dienen,
gleichen Zeit beantragt und beschlossen wurden, doch mit einen Tempel der Felicitas an dieser Stelle zu errichten, den
einem Male anführen: (2) Erstens bestimmten sie, daß er dann auch Lepidus während seiner Amtszeit als magister
jederzeit und sogar in der Stadt selbst, mit dem Triumphge equitum fertigstellte. Der eigentliche Zweck, den man
wand bekleidet, getragen werden und überall auf seinem verfolgte, war indessen der, daß mit dem Gebäude nicht der
Amtstuhl Platz nehmen dürfe, ausgenommen bei den Name Sulla erhalten bleibe, hingegen eine andere, neu
Spielen; denn bei dieser Gelegenheit erhielt er das Vorrecht, erstandene Kurie die Bezeichnung «die Julische» bekomme,
von den Bänken der Volkstribunen aus zusammen mit den wie sie ja auch den Monat, in dem Caesar geboren
jeweiligen Amtsträgern den Wettkämpfen zuzuschauen. worden war, Juli und-nach Loswurf-eine der Tribus «die
(3) Des weiteren gestattete man ihm, die sogenannte spolia Julische» benannten. (3) Und außerdem sollte er nach
opima im Tempel des Iuppiter Feretrius als Weihegabe ihrem Beschluß einziger Zensor, und zwar auf Lebenszeit,
aufzustellen, so als hätte er einen feindlichen Befehlshaber sein und die Vorrechte der Volkstribunen genießen, auf daß
mit eigener Hand erschlagen, dann zu jeder Zeit Liktoren jeder, der ihn in Wort oder Tat angreife, vogelfrei und
mit Lorbeerschmuck um sich zu haben und nach den Feriae verflucht sei. Sein Sohn aber, falls er einen solchen zeuge
Latinae vom Mons Albanus aus auf einem Pferd in die Stadt oder auch nur adoptiere, solle zum Pontifex Maximus
zu reiten. (4) Zu diesen bedeutenden Ehrungen hinzu ernannt werden.
verliehen sie ihm den Beinamen «Vater des Vaterlandes» 6 (1 ) Da er auch daran Gefallen fand, wurden ihm noch
und setzten diesen Titel auf die Münzen, beschlossen, ein vergoldeter Stuhl und ein Gewand, wie es einstmals die
seinen Geburtstag durch ein Staatsopfer zu feiern, und Könige getragen hatten, dann eine Leibwache aus Rittern
befahlen, daß er in den Städten und in sämtlichen Tempeln und Senatoren gewährt. Weiterhin beschloß man, daß von
Roms ein Standbild haben solle. (5) Zwei Statuen ließen sie Staats wegen jedes Jahr für ihn gebetet werde, daß man bei
auch auf der Rednerbühne errichten, wobei die eine ihn als Caesars Fortuna schwöre und alle seine künftigen Maßnah
Retter der Bürger, die andere als Befreier der Stadt von men Gültigkeit haben sollten. (2) Ferner weihte man ihm
Belagerung darstellte, beide geschmückt mit den für solche wie einem Heros ein alle vier Jahre wiederkehrendes Fest
Taten herkömmlichen Kränzen. Ein weiterer Beschluß ging und ein drittes Priesterkollegium, das sogenannte «Juliani
dahin, einen Tempel der Concordia Nova zu erbauen, so als sche», zur Aufsicht über die Lupercalia und jeweils einen
12 BUCH 44 BUCH 44 13
besonderen Tag in Verbindung mit den Gladiatorenkämp Untergang herbeiführen wollten. (4) Und genauso kam es
fen sowohl in Rom wie auch im übrigen Italien. (3) Als sich auch; wurde doch Caesar gerade durch diese Maßregeln zu
nun Caesar auch über diese Ehren erfreut zeigte, beschlos dem Glauben ermutigt, daß jene, die solche Ehrungen
sen sie, daß sein vergoldeter Stuhl und sein mit kostbaren beschlossen, oder - aus Furcht vor ihnen - sonst jemand
Edelsteinen besetzter und goldbestickter Kranz in gleicher wohl nie und nimmer einen Anschlag gegen ihn unterneh
Weise wie jene der Götter in die Theater gebracht und men würden. Er bediente sich darum auch keiner Leibwa
gelegentlich der Zirkusspiele sein Wagen hereingefahren che mehr; denn dem Namen nach nahm er das Sonderrecht
werden sollten. (4) Schließlich redeten sie ihn geradezu als entgegen, von den Senatoren und Rittern bewacht zu
Iuppiter Iulius an und bestimmten, daß ihm und seiner werden, weshalb er seine früheren Beschützer entließ.
Clementia ein Tempel geweiht werde, wobei sie Antonius 8 (1) Als sie nun einmal an einem einzigen Tag für
zu seinem Priester wie irgendeinen Hamen Dialis er Caesar eine ungewöhnliche Menge solch besonders wichti
wählten. ger Ehren beschlossen hatten - einmütig trafen sie ihre
7 (1) Zugleich mit den erwähnten Beschlüssen trafen sie Entscheidung bis auf Cassius und ein paar andere, die für
noch eine weitere Maßnahme, die ihre Einstellung ganz diese Haltung berühmt wurden, jedoch keinen Schaden
klar erkennen ließ: Sie erlaubten Caesar, sein Grab inner erlitten, wodurch Caesars Milde deutlich zutage trat-,
halb des Pomeriums anzulegen, und ließen die darüber näherten sie sich ihm, während er im Vorraum des Venus
gefaßten Beschlüsse in goldenen Buchstaben auf silberne tempels saß, und wollten ihm gemeinsam ihre Beschlüsse
Tafeln schreiben, welche sie zu Füßen des luppiter Capitoli mitteilen; (2) sie erledigten nämlich derartige Angelegen
nus niederlegten, ein Vorgehen, womit sie ganz deutlich heiten in seiner Abwesenheit, um nicht den Eindruck zu
zum Ausdruck brachten, daß er nur ein sterblicher Mensch erwecken, als handelten sie nicht freiwillig, sondern unter
sei. (2) Denn zu Beginn ehrten sie ihn in der Annahme, er Zwang. Da empfing Caesar, sei es aus gottgewollter Ver
werde Maß halten; doch als sie sahen, daß er sich über ihre blendung, sei es vielleicht auch aus übermäßiger Freude, die
Beschlüsse freute und, von einigen wenigen Ausnahmen Männer sitzend und erzürnte dadurch alle, nicht nur die
abgesehen, sie alle entgegennahm, stellten verschiedene Senatoren, sondern auch die übrigen noch Anwesenden in
Männer bei verschiedenen Gelegenheiten immer mehr einem Maße, daß er seinen Mördern einen der besten
übertriebene Anträge, teils aus maßloser Schmeichelei, Vorwände für ihren Anschlag lieferte. (3) Zwar erklärten
teils um ihn lächerlich zu machen. (3) Jedenfalls wagten nachher einige zu seiner Verteidigung, daß er infolge
einige sogar anzuregen, man möge ihm gestatten, mit so Durchfalls seinen Leib nicht unter Kontrolle gehabt habe
viel Frauen, als er nur wolle, zu verkehren, zumal er auch und deshalb sitzen geblieben sei, um es nicht zu einer
damals noch, obschon ein Fünfzigjähriger, eine Menge Entleerung kommen zu lassen. Sie konnten indes die
Mätressen hatte. Andere, und zwar die Mehrheit, folgten Mehrheit nicht überzeugen, weil er bald danach aufstand
diesem Kurs, weil sie so schnell wie möglich ihn zum und zu Fuß nach Hause ging. (4) Die meisten vermuteten
Gegenstand von Neid und Haß machen und damit seinen vielmehr, er sei hochmütig, und haßten ihn als einen
14 BUCH44 BUCH 44
stolzen Menschen, den sie doch selbst durch das Übermaß sprechen könnten. Darüber wurde Caesar äußerst zornig
der Ehrungen dazu gemacht hatten. Nach diesem aufsehen und ließ sie in die Kurie kommen, wo er Anklage gegen sie
erregenden Vorfall steigerte er den Verdacht, damit einver erhob und über ihr Verhalten eine Abstimmung veranlaßte.
standen zu sein, wenn man ihn bald darauf auch zum (3) Zwar schonte er ihr Leben, obwohl einige sogar für
Diktator auf Lebenszeit ernenne. Todesstrafe gewesen waren, doch entfernte er sie zunächst
9 (1) Als Caesar an diesem Punkte stand, zögerten die auf Antrag ihres Amtsgenossen Helvius Cinna aus dem
gegen ihn Verschworenen nicht länger, sondern gebrauch Volkstribunat und strich sie sodann aus der Senatsliste.
ten, um ihn selbst seinen besten Freunden verhaßt zu Darüber freuten sich einige oder taten auch nur so - in der
machen, alle möglichen Verleumdungen und begrüßten ihn Meinung, sie hätten es nicht nötig, sich durch freimütige
schließlich als König, mit einer Bezeichnung, die sie viel Äußerungen einer Gefahr auszusetzen - und konnten, da
fach auch unter sich verwendeten. (2) Als er den Titel selbst nicht weiter in die Sache verwickelt, die Vorgänge wie
ablehnte und, die ihn damit anredeten, irgendwie zurecht von einer Warte aus verfolgen. (4) Caesar aber kam auch
wies, nichts aber unternahm, wodurch man seinem Mißfal dadurch noch in einen schlimmen Ruf, daß er, wiewohl
len tatsächlich hätte Glauben schenken können, da verpflichtet, diejenigen, die ihm den Titel König beilegten,
schmückten sie heimlich sein Standbild auf der Rostra mit mit seinem Haß zu verfolgen, in diesem Falle von Strafe
einem Diadem. (3) Die Volkstribunen Gaius Epidius Marul absah und statt dessen die Volkstribunen anklagte.
lus und Lucius Caesetius Flavus entfernten das Abzeichen 11 (1) Ein weiteres Ereignis ähnlicher Art, das sich bald
und erbitterten dadurch Caesar zutiefst, obwohl die beiden nach diesen Vorfällen zutrug, machte noch deutlicher, daß
kein Wort des Tadels laut werden ließen, vielmehr ihn sogar Caesar nur zum Schein den Titel König ablehnte, in
noch vor dem Volke priesen, als brauche er dergleichen Wirklichkeit aber ihn annehmen wollte. (2) Als er nämlich
Dinge nicht. beim Luperkalienfest das Forum betreten und geschmückt
10 (1) Für den Augenblick hielt sich Caesar, obschon mit dem Königskleid sowie im Glanze seines goldbestickten
grollend, zurück, als ihn aber danach beim Hereinreiten Kranzes die Rostra bestiegen und auf dem vergoldeten
vom Mons Albanus wiederum einige König nannten, da Stuhle Platz genommen hatte, begrüßte ihn Antonius samt
erklärte er zwar selbst, sein Name sei Caesar und nicht seinen Mitpriestern als König und umwand sein Haupt mit
König, hielt jedoch, wie die erwähnten Volkstribunen dem einem Diadem. (3) Dazu sprach er: «Dies bietet dir das Volk
ersten, der ihn so bezeichnet hatte, den Prozeß machen durch meine Hand an!», worauf Caesar jedoch erwiderte:
wollten, seinen Ärger nicht mehr zurück, sondern zeigte «luppiter allein möge König der Römer sein!» und dem
sich über die Maßen empört, als werde gerade von diesen Gott den Schmuck auf das Kapitol bringen ließ. Gleichwohl
Amtspersonen gegen ihn eine Erhebung angezettelt. (2) Im fühlte er sich nicht unangenehm berührt, im Gegenteil, er
Augenblick tat er zwar den Volkstribunen nichts zuleide, sie befahl, in die Tagebücher einzutragen, er habe sich gewei
erließen indessen später eine Bekanntmachung des Inhalts, gert, die ihm vom Volke durch den Konsul angebotene
daß sie nicht frei und ungefährdet für das allgemeine Beste Königswürde anzunehmen. Man vermutete infolgedessen,
BUCH 44 BUCH 44 l7
er habe das alles nur auf Grund einer gewissen Abrede getan ich bereits erwähnte, den Namen Uticensis führte. Und
und strebe tatsächlich nach dem Titel, wolle aber zu dessen seine Gattin Portia war, so sagt man, die einzige Frau, die
Annahme irgendwie gezwungen werden. Das aber brachte um die Verschwörung wußte. (2) Denn, während er gerade
ihm bitteren Haß ein. (4) Hierauf schlugen einige Männer diese Dinge etwas überdachte, trat sie an ihn heran und
bei den Wahlen die vorgenannten beiden Volkstribunen als fragte, warum er so in Gedanken versunken sei. Als Brutus
Konsuln vor, und nicht genug, sie wandten sich nicht nur keine Antwort gab, vermutete sie, er mißtraue ihrer kör
privat an Marcus Brutus und andere ebenfalls hochgemute perlichen Schwäche und fürchte, sie könne, obschon gegen
Personen und suchten sie zu gewinnen, sondern bemühten ihren Willen, auf der Folter etwas verraten. (3) So wagte sie
sich auch, sie öffentlich zu einem Vorgehen aufzustacheln. denn eine großartige Tat: Sie brachte sich heimlich am
12 (1) Indem sie sich seine Namensgleichheit mit dem Schenkel eine Wunde bei, um sich zu prüfen, ob sie
hochberühmten Brutus, der Tarquinius gestürzt hatte, imstande sei, Folterungen zu überstehen. Und da sie keinen
zunutze machten, verteilten sie weithin Flugschriften und überwältigenden Schmerz empfand, achtete sie nicht mehr
behaupteten darin, er sei in Wirklichkeit nicht der Nachfah auf die Wunde, ging zu ihrem Gatten und sprach: «Du,
re jenes Mannes; denn der ältere Brutus hatte seine beiden mein Gemahl, vertraust wohl meinem Geiste, daß er nichts
Söhne, die einzigen, die er besaß, getötet, als sie noch ganz ausplaudern wird, mißtraust jedoch meinem Leibe, und
junge Menschen waren, und so nicht einmal irgendeinen dein Denken war nur zu menschlich. Doch ich habe gefun
Nachkommen hinterlassen. (2) Gleichwohl nahm die Men den, daß auch mein Körper schweigen kann.» (4) Nach
ge eine solche blutmäßige Verbindung an, damit Brutus als diesen Worten zeigte sie ihm ihren Schenkel, erklärte ihm
Verwandter jenes hochberühmten Mannes zu ähnlichen den Grund ihrer Tat und sagte: «Eröffne mir nun ohne
Taten angespornt werde. Und so riefen sie ihn dauernd mit Furcht alles, was du verbirgst! Denn weder Feuer noch
lauter Stimme auf «Brutus! Brutus !» und fügten noch Geißeln noch Stacheln werden mich dazu bringen, etwas zu
hinzu: «Wir brauchen einen Brutus!» (3) Schließlich verraten. Insoweit bin ich nicht als Weib geboren. Wenn du
schrieben sie noch auf das Standbild des älteren Brutus: mir also weiterhin mißtraust, dann ist es für mich besser, tot
«Wenn du doch noch lebtest!» und auf das Tribunal des zu sein, als zu leben. Andernfalls soll mich niemand mehr
noch lebenden Brutus (er bekleidete nämlich damals die für Ca tos Tochter oder dein Weib halten!»
Praetur, und Tribunal-Bema-heißt der Sitz, auf dem der 14 (1) Als Brutus das härte, mußte er staunen und
Praetor während der Verhandlung Platz nimmt): «Du verheimlichte ihr nichts mehr, fühlte sich vielmehr selbst
schläfst, Brutus! » und «Du bist kein Brutus! » noch lebhafter bestärkt und teilte ihr den ganzen Plan mit.
13 (1) Durch diese Einwirkungen ließ sich Brutus zum (2) Hierauf gewann er zum Helfer den Gemahl seiner
Angriff auf Caesar bestimmen, dem er schon von Anfang an Schwester, den Gaius Cassius, der ebenfalls von Caesar
feindlich gewesen war, obwohl er später von ihm Wohltaten geschont und sogar noch mit der Praetur ausgezeichnet
empfangen hatte. Hinzu kam noch bei Brutus, daß er worden war. Und nun machten sie sich daran, auch all die
sowohl Neffe als auch Schwiegersohn Catos war, der, wie übrigen Gesinnungsgenossen zu sammeln, keine geringe
BUCH 44 BUCH44
Zahl. (3) Ich aber versage es mir, die Namen aller anderen schweigen wollten, so eilten sie mit dem Attentat, bevor
aufzuführen, um nicht lästig zu fallen, nur den Trebonius noch irgend etwas in der Sache eingeleitet wurde.
und Decimus Brutus, den sie auch Iunius und Albinus 16 (1 ) Sie beschlossen, den Anschlag im Senatsgebäude
nannten, kann ich nicht mit Stillschweigen übergehen. (4) auszuführen; denn sie rechneten damit, daß Caesar an
Hatten doch auch diese zwei sehr viele Wohltaten aus diesem Ort am wenigsten ein Attentat erwarte und so ihnen
Caesars Hand empfangen, was sie aber nicht hinderte, an leichter zum Opfer fallen werde. Außerdem könnten sie in
der Verschwörung gegen ihn teilzunehmen; Decimus je Sicherheit über eine Menge Schwerter verfügen, die anstel
denfalls war für das nächste Jahr zum Konsul bestimmt und le von Schriftstücken in Behältnissen hereingebracht wor
Gallia Cisalpina ihm zugewiesen worden. den seien, und die übrigen Anwesenden, da unbewaffnet,
15 (1 ) Beinahe wären die Verschwörer entdeckt worden. keine Hilfe leisten. (2) Sollte aber einer tatsächlich so
Der eine Grund lag in der großen Zahl der Eingeweihten, verwegen sein, dann hofften sie zum mindesten auf die
obwohl Caesar keine Meldung über etwas dergleichen Hilfe der Gladiatoren, die sie zuvor in großer Zahl im
entgegenzunehmen pflegte und sehr hart solche Informan Theater des Pompeius unter dem Vorwand, daß sie dort
ten strafte. (2) Den weiteren Grund bildete die Verzögerung kämpfen müßten, bereitgestellt hatten; sie sollten hier
des Anschlags: Trotz ihrer feindlichen Einstellung empfan irgendwo in einem bestimmten Raum des Peristyls beisam
den die Verschwörer immer noch eine gewisse Scheu vor men warten. Als nun der entscheidende Tag gekommen
Caesar und fürchteten auch, obgleich er sich keiner Leibwa war, trafen sich die Verschworenen am frühen Morgen im
che mehr bediente, von den anderen Männern, welche sich Senatsgebäude und verlangten nach Caesar.
dauernd in seiner Umgebung befanden, niedergemacht zu 17 (1) Was ihn nun betraf, so warnten ihn vor dem
werden. So liefen sie Gefahr, entdeckt und hingerichtet zu Anschlag nicht nur Wahrsager, es warnten ihn auch Träu
werden. (3) Und dieses Schicksal hätte sie ereilt, wenn sie me. Denn in der Nacht vor seiner Ermordung träumte seine
nicht sogar gegen ihren Willen gezwungen worden wären, Frau, daß ihr Haus in Trümmer gefallen und ihr Gemahl
den Anschlag rasch auszuführen. Denn ein Gerücht, wahr von einigen verwundet worden sei und sich an ihre Brust
oder auch falsch, wie es eben bei Gerüchten der Fall ist, lief geflüchtet habe. Und Caesar träumte, er sei zu den Wolken
um, das Priesterkollegium der sogenannten Quindecimviri emporgehoben worden und habe Iuppiters Hand ergriffen.
habe verlauten lassen, daß nach den Worten der Sibylle die (2) Außerdem wurden ihm nicht wenige oder unbedeuten
Parther nur von einem König besiegt werden könnten, (4) de Vorzeichen zuteil: Die Waffen des Mars, die damals nach
und deshalb wolle es den Antrag stellen, daß dieser Titel Vätersitte bei ihm als dem pontifex maximus niedergelegt
Caesar verliehen werde. Die Verschwörer hielten das für waren, verursachten im Laufe der Nacht einen gewaltigen
wahr, und weil entsprechend der Wichtigkeit der Maßnah Lärm, und die Türen des Zimmers, in dem er schlief,
me von den hohen Beamten (Magistraten), zu denen Brutus öffneten sich von selbst. (3) Weiterhin fielen die Opfer, die
und Cassius gehörten, eine Stimmabgabe verlangt werden er ob dieser Vorfälle veranstaltete, ganz und gar nicht
sollte, sie aber weder zu widersprechen wagten noch günstig aus, und die Vögel, durch die er sich prophezeien
20 BUCH 44 BUCH44 21
ließ, verboten ihm, das Haus zu verlassen. Auch das, was 19 (1) Als nun Caesar schließlich in der Kurie eintraf,
mit seinem vergoldeten Stuhl geschah, erschien einigen, hielt Trebonius den Antonius irgendwo außerhalb des
jedenfalls nach seiner Ermordung, unheilverkündend; Gebäudes auf. Sie hatten nämlich geplant, ihn wie auch
denn der Diener hatte ihn, als sich Caesars Ankunft Lepidus zu töten, (2) doch da sie fürchteten, sie möchten
verzögerte, aus der Kurie entfernt, in der Meinung, man infolge der großen Zahl ihrer Opfer in den üblen Ruf
benötige ihn nicht mehr. geraten, als hätten sie, nur um Macht zu gewinnen und
18 (1) Caesars Kommen verzögerte sich nun deshalb, nicht, wie sie doch immer vorschützten, um die Stadt zu
und die Verschwörer mußten schon fürchten, es werde befreien, Caesar getötet, so wollten sie nicht einmal Anto
einen Aufschub geben- nach einem im Umlauf befindli nius' Anwesenheit bei der Mordtat. Lepidus indessen hatte
chen Gerücht hieß es tatsächlich, er wolle diesen Tag ganz schon seinen Feldzug angetreten und hielt sich vor der Stadt
zu Hause bleiben-und das Attentat fehlschlagen und ihre auf. (3) Als sich nun Trebonius mit Antonius unterhielt,
Entdeckung erfolgen. Aus diesem Grunde entsandten sie drängten sich die übrigen Verschwörer in dichter Schar um
den Decimus Brutus, damit er als anscheinend enger Freund Caesar - er war ja leicht zugänglich und ansprechbar wie
Caesars ihn zu kommen veranlasse. (2) Er zerstreute auch nur irgend jemand -, und während die einen mit ihm
dessen Bedenken und erreichte unter Hinweis, daß der redeten, taten die anderen so, als wollten sie ihn um etwas
Senat ihn sehr gern sehen würde, wirklich sein Kommen. In bitten; das sollte ihm möglichst jeden Verdacht nehmen. (4)
diesem Augenblick stürzte ein Bildnis Caesars, das er im Wie nun der rechte Augenblick gekommen war, ging einer
Vorraum hatte aufstellen lassen, von selbst zu Boden und aus der Schar auf Caesar zu, so, als wolle er ihm für eine
brach in Stücke. (3) Doch da er an diesem Tage sterben gewisse Gefälligkeit danken, und riß ihm die Toga von der
sollte, kümmerte er sich nicht weiter darum und wollte Schulter, womit er das Zeichen gab, das die Verschwörer
auch nicht auf einen Mann hören, der ihm Angaben über vereinbart hatten. (5) Jetzt drangen sie von vielen Seiten
die Verschwörung machte. Er nahm zwar von ihm eine zugleich auf ihn ein und verwundeten ihn über und über, so
kleine Schriftrolle entgegen, darin sämtliche auf das At daß Caesar infolge ihrer Masse weder etwas zu sagen noch
tentat bezüglichen Vorbereitungen genau aufgezeichnet zu tun imstande war, vielmehr nur sein Antlitz verhüllte
waren, las sie aber nicht, in der Meinung, sie enthalte nur und dann den zahlreichen Wunden erlag. Dieser Bericht
irgendeine Sache ohne dringende Bedeutung. (4) Kurzum, kommt der Wahrheit am nächsten, doch fügten einige auch
er fühlte sich so sicher, daß er zu dem Wahrsager, der ihn noch hinzu, er habe zu Brutus, als dieser ihm einen
einmal gewarnt hatte, sich vor jenem Tag in acht zu gewaltigen Stoß versetzte, gesagt: «Auch du, mein Sohn?»
nehmen, spöttisch bemerkte: «Wo sind denn nun deine 20 (1) Aus dem Munde all der übrigen, die sich im
Prophezeiungen? Oder siehst du denn nicht, daß der Tag, Raume aufhielten, wie auch jener, die draußen in der Nähe
vor dem du bangtest, da ist und ich immer noch am Leben standen, erhob sich natürlich ein gewaltiger Aufschrei. Das
bin?» Darauf gab der Mann, wie es heißt, nur die Antwort: kam von dem jähen Eintritt der Katastrophe, und außerdem
«Jawohl, er ist da, aber noch nicht vorüber!» wußte man nichts von den Mördern, ihrer Menge oder
22 BUCH 44 BUCH 44 23
ihrer Absicht, und so waren alle in Unruhe, da sie sich ner an, die zwar nicht an der Verschwörung mitgewirkt
gefährdet wähnten. (2) Deshalb machten sie sich nicht nur hatten, an deren Ruhm aber, als sie die Attentäter sogar
selbst, ein jeder so gut er konnte, auf die Flucht, sondern geehrt sahen, und an den erwarteten Belohnungen teilha
versetzten auch alle, die ihnen begegneten, in Schrecken, ben wollten. (4) Indessen schlug ihnen ihre Handlungswei
indem sie kein verständliches Wort hervorbrachten, viel se mit vollem Recht ganz anders aus, als sie erwartet hatten;
mehr immer nur schrien: «Fliehen! Abriegeln! Abrie denn sie erwarben sich keinen Ruhm für die Tat, da sie ja
geln!>> (3) Und nun übernahm der ganze Rest, jeder auch nicht daran mitgewirkt hatten, mußten vielmehr die
einzelne vom anderen, die Worte und schrie sie dauernd Gefahr, welche über die Attentäter kam, in gleichem Maße
weiter, erfüllte die Stadt mit Wehklagen, brach in die teilen, wie wenn sie zu den Verschwörern gehört hätten.
Werkstätten und Häuser und suchte sich dort zu verstek 22 (1) Als Dolabella dies sah, hielt er es auch seinerseits
ken. Dabei eilten doch die Mörder, genau so wie sie waren, nicht für angezeigt, untätig zu bleiben, sondern trat, ob
auf das Forum und forderten mit Gesten sowohl wie mit schon ihm diese Würde noch nicht zukam, das Konsulat an
Zurufen die Leute auf, keine Furcht zu haben. (4) Gleichzei und begab sich, nachdem er zur augenblicklichen Lage eine
tig mit diesen Erklärungen verlangten sie nämlich immer Kurzansprache an das Volk gerichtet hatte, auf das Kapitol.
wieder nach Cicero, jedoch die Masse glaubte keineswegs an (2) Während so die Dinge lagen, hörte Lepidus von den
ihre Aufrichtigkeit und ließ sich auch nicht leicht besänfti Geschehnissen, ließ im Laufe der Nacht das Forum durch
gen; erst später und mühsam genug faßte sie, da niemand seine Soldaten besetzen und hielt nun zugleich mit Tages
getötet oder festgenommen wurde, wieder Mut und beru anbruch eine Rede gegen die Mörder. Was Antonius
higte sich. anlangte, so war er wohl unmittelbar nach Caesars Tod
21 (1) Als dann die Bürger zu einer Versammlung zu geflohen; er hatte sich, um nicht erkannt zu werden, seines
sammentraten, hatten die Mörder viel gegen Caesar, viel Amtskleides entledigt und die Nacht über verborgen gehal
auch zugunsten der Demokratie vorzubringen, und sie ten, (3) doch als er vernahm, die Mörder befänden sich auf
forderten die Anwesenden auf, guten Mutes zu sein und dem Kapitol und Lepidus auf dem Forum, rief er den Senat
nichts Schlimmes zu erwarten. Sie hätten ja Caesar, wie sie im Heiligtum der Tellus zusammen und stellte Anträge zur
sagten, nicht deshalb getötet, um Macht oder sonst einen augenblicklichen Lage. Nachdem nun, je nach persönlicher
Vorteil zu gewinnen, sondern damit alle frei und unabhän Einsicht, die einen von diesem, die anderen von jenem
gig seien und nach Recht und Gesetz regiert würden. (2) Gegenstand gesprochen hatten, ließ sich Cicero mit folgen
Durch derlei Worte vermochten sie die Mehrzahl zu beruhi den Worten vernehmen und überzeugte tatsächlich alle
gen, vor allem dadurch, daß sie niemandem etwas zuleide damit:
taten. Sie fürchteten aber trotz all dem einen Gegenschlag, 23 (1) «Niemals darf einer, wie ich glaube, geleitet von
stiegen daher zum Kapitol empor, um dort zu den Göttern Zuneigung oder Feindschaft, etwas vorbringen, vielmehr
zu beten, und verbrachten dort den Tag und die Nacht. (3) muß jeder das aussprechen, was er für das Beste hält. (2)
Gegen Abend schlossen sich ihnen weitere führende Män- Von denen, die ihre Ämter als Praetoren oder Konsuln