Table Of ContentBlutdruck unter korperlicher Belastung
Workshop, Essen
31. August bis 1. September 1984
Blutdruck unter
k6rperlicher Belastung
Diagnostische und prognostische Bedeutung
Herausgegeben von
M. Anlauf und K. D. Bock
Mit Beitragen von
M. Anlauf, G. Bierck, G. Bliimchen, K. D. Bock,
Brodde, Th. Fentrop, I.-W. Franz, R. Gotzen,
O.~E.
H. Heck, W. Hollmann, D. Klaus, G. Liebau,
Th. Philipp, R. Rost, A.-T. Tammen
i
SteinkopffVerlag Darmstadt
Prof. Dr. med. M. Anlauf
Prof. Dr. med. K. D. Bock
Medizinische Klinik und Poliklinik
der Universitat Essen (GHS)
Abt. fUr Nieren -und Hochdruckkranke
HufelandstraBe 55
4300 Essen 1
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Blutdruck unter korperlicher Belastung :
diagnost. u. prognost. Bedeutung; [Workshop.
Essen, 31. 8. - 1. Sept. 1984] / hrsg. von M.
Anlaufu. K. D. Bock. Mit Beitr. von M.
Anlauf ... - Darmstadt: Steinkopff, 1984.
ISBN -13: 978-3-642-85345-6 e-ISBN -13 : 978-3-642-85344-9
DOl: 10.1007/978-3-642-85344-9
NE: Anlauf, Manfred [Hrsg.]
Aile Rechte vorbehalten
(insbesondere des Nachdruckes und der Ubersetzung)
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Copyright © 1984 by Dr. Dietrich SteinkopffVerlag, GmbH & Co. KG, Darmstadt
Verlagsredaktion: Juliane K. Weller - Herstellung: Heinz J. Schafer
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1984
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Gesamtherstellung: Graphischer Betrieb Konrad Triltsch
Inhaltsverzeichnis
Einftihrung
K. D. Bock
Physiologie
Hiimodynamik bei dynamischer und statischer Belastung
R. Rost ................. . 5
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Adrenerges System unter korperlicher Belastung
O.-E. Brodde 17
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Methodik und Standardisierung
Physiologische und klinische Aspekte verschiedener ergometrischer
Untersuchungsverfahren
W. Hollmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Normwerte des arteriellen Blutdruckverhaltens wiihrend fahrradergometrischer
Belastung
H. Heck, R. Rost, W. Hollmann 49
Diskussion . . . . . . . . . 62
Klinische Bedeutung
Der diagnostische Wert des Belastungsblutdrucks bei Patienten
mit kardiovaskuliiren Erkrankungen
G. Liebau ................. . 69
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Prognostische Bedeutung des Belastungsblutdruckes
I.-W. Franz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
Prognostische Bedeutung des Belastungsblutdrucks bei Herzinfarktpatienten
A.-T. Tammen, G. Bierck, Th. Fentrop, G. B1iimchen 103
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Der Belastungsblutdruck als diagnostischer Test - Sensitivitat, Spezifitat
(Literaturiibersicht)
Mo Anlauf 115
Diskussion 124
0 • 0 0
Therapeutische Konsequenzen
Der Effekt von Antihypertensiva auf den Belastungsblutdruck
Ro Gotzen 131
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Diskussion 141
0 0 0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Therapeutische Beeinflussung des Belastungsblutdrucks und Wirksamkeit
auf kardiovaskullire Hochdruckkomplikationen - Hypothesen und Beweise
Tho Philipp . 149
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Diskussion 155
0 0 0 0 0 0 0 • 0 0 0 0 0 • 0 • 0 0 0 0 0 0 0 0 0 • 0
Differentialtherapie des Belastungshochdrucks
Do Klaus 159
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Diskussion . 173
0 0 0 0 0 0 0 0
Abschlufidiskussion und ResUme 177
Referenten und Teilnehmer 179
0 0
Einflihrung
K. D. Bock
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich begruBe Sie sehr herzlich zu diesem Sympo
sion und bedanke mich, daB Sie es moglich gemacht haben zu kommen - ich hoffe,
daB Sie es nicht bereuen werden. Der Firma Boehringer Ingelheim, insbesondere
Herrn Dr. Schale, darf ich schon jetzt sehr dafUr dank en, daB sie es in so groBzugiger
Weise ermoglicht hat, daB dieses Symposion stattfinden kann.
AnlaB fUr uns, diese Tagung zu veranstalten, war die Tatsache, daB die Bestimmung
des Belastungsblutdrucks als diagnostische Methode in der arztlichen Offentlichkeit
breit diskutiert wird und wegen kontroverser Meinungen eine ebenso breite Verunsi
cherung entstanden ist. Als eines von vielen moglichen Beispielen mochte ich die
Schlagzeile in der »Arztezeitung« nennen: »Der Ruheblutdruck ist tot, es lebe der Be
lastungsblutdruck!« Vielleicht ist nicht immer klar geworden, daB von der Entwicklung
einer neuen diagnostischen Methode bis zu ihrer EinfUhrung in die allgemeine Praxis
eine ganze Anzahl von Voraussetzungen erfUllt sein mussen, ganz besonders dann,
wenn eine routinemaBige Anwendung empfohlen wird. Das gilt insbesondere fUr sol
che diagnostischen Verfahren, deren Aussagekraft nicht eindeutig ist, oder anders aus
gedruckt, die keine »harten« diagnostischen Kriterien liefern. Hierzu gehort die Mehr
zahl der sogenannten Funktionsteste, bei denen die Reaktion eines Funktionskreises
durch Stimulation oder Hemmung gepruft wird. Die alteren unter uns erinnern sich
nur zu gut, wie viele derartige Tests im Laufe der lahrzehnte mit Enthusiasmus einge
fUhrt und in aller Stille wieder beerdigt wurden, spatestens dann, wenn »harte« diagno
stische Kriterien zur VerfUgung standen, oder wenn sich ihre Sensitivitat oder Spezifitat
nachtraglich als zu gering erwies.
Auch in Bezug auf unser heutiges Thema hat es schon Vorlaufer gegeben: Ich erinnere
an den Two-Step-Test nach Master, der nichts anderes als ein Belastungstest war und
fruher vor all em in den USA we it verbreitet war, aber wegen seiner mangelnden Ver
laBlichkeit aufgegeben wurde, eben so wie der jahrelang propagierte Cold-pressor-Test.
Als klinischer Test der Blutdruckregulation erhalten hat sich eigentlich nur die Prufung
der orthostatischen Blutdruckreaktion, z. B. in Form des Schellong-Testes, wobei aber
auch hier die urspriinglich vorgeschlagenen Interpretationen erheblich eingeengt wor
den sind. Er dient eigentlich nur noch zur Feststellung, ob uberhaupt eine orthostati
sche RegulationsstOrung vorliegt, die bestimmte Beschwerden erklaren konnte, und
wenn ja, ob sie der asympathikotonen Form zugeordnet werden kann oder nicht.
Die Bestimmung des Blutdrucks unter definierter Belastung auf einem Ergometer ist
durch folgende Bedingungen charakterisiert:
1. Die gemessene GroBe, der arterielle Blutdruck, ist die Resultante des Zusammenwir
kens mehrerer, hochst komplexer und miteinander vermaschter Regelkreise; seine
Hohe, auch unter Belastung, ist daher von vielen, im konkreten Einzelfall meist nicht
uberschaubaren oder meBbaren Faktoren abhangig.
2. Die Ergometrie erlaubt zwar eine exakte physikalische Definition der geleisteten Ar
beit, jedoch ist bei gleicher Ergometriearbeit der Stimulus fUr das Blutdruckregelsy
stem fUr den einzelnen Probanden bei weitem nicht identisch. GroBe, Gewicht, Ge
schlecht, Trainingszustand, AItersveranderungen, z. B. an den Lungen oder an den
Gelenken, psychologische und weitere Faktoren bedingen, daB gleich groBe physika
lische Arbeit einen hochst differenten biologischen Reiz darstellen kann. Einzelne
dieser Faktoren lassen sich teilweise eliminieren, bei allen wird dies aber mit Sicher
heit nie gelingen.
Hinzu kommt, daB Ergometerbelastung natiirlich nur die dynamische Form der Mus
kelarbeit darstellt. 1m AIltag kommt haufig auch statische Muskelarbeit vor, und von
Individuum zu Individuum ist das AusmaB der taglich geleisteten Muskelarbeit im AII
tag insgesamt wie auch des jeweiligen Anteils dynamischer und statischer Arbeit sicher
auBerordentlich verschieden - damit natiirlich auch die individuelle Bedeutung, die
Blutdruckanstiege unter dynamischer Belastung haben konnen.
Die Bedeutung der Ermittlung der Blutdruckreaktion unter definierter dynamischer
Belastung, wie sie bei uns insbesondere von Herrn Franz eingehend untersucht und
propagiert worden ist, konnte auffolgenden Gebieten liegen:
l. In der Diagnostik bei der Entscheidung der Frage, ob eine Hypteronie iiberhaupt
vorliegt, wenn ja, wie schwer sie ist, und ob und wieweit ein Kreislaufkranker noch
belastbar ist.
2. In Bezug auf die Prognose konnte sie eine Aussage dariiber ermoglichen, ob bei
Grenzwert- oder milder Hypertonie damit zu rechnen ist, daB sich im weiteren Ver
lauf eine stabile Hypertonie entwickelt, und ob z. B. nach einem Herzinfarkt die Pro
gnose verandert wird; hieraus abgeleitet konnten sich
3. therapeutische Konsequenzen ergeben, z. B. ob man eine Therapie einleitet oder nicht,
und wenn man medikamentOs behandelt, ob bestimmte Pharmaka den Vorzug vor
anderen verdienen.
Diese Fragen sind von so groBer Bedeutung, daB es unerlaBlich ist, das Verfahren der
Bestimmung des Belastungsblutdrucks daraufhin zu analysieren, ob es in der Lage ist,
fUr die Diagnostik, fUr die Prognose und in der Therapie hilfreich zu sein. Vorausset
zung zur ErfUllung eines solchen Anspruchs ist jedoch, daB
1. die Methodik standardisiert wird,
2. Normwerte verfUgbar sind fUr die in Betracht kommenden Patientengruppen und
3. Sensitivitat, Spezifitat und praediktiver Wert des Verfahrens ausreichend hoch sind.
Sind diese Voraussetzungen erfUllt, und zwar nur dann, kann erwogen werden, ob man
die allgemeine Empfehlung abgibt, den Belastungsdruck zu bestimmen. Hierzu sind je
doch einige weitere Uberlegungen erforderlich: Zunachst miissen Indikationen und
Kontraindikationen der Bestimmung des Belastungsblutdrucks definiert sein. Ferner
sollte der Nutzen, das ware in diesem Faile die Verbesserung der Prognose (z.B. durch
Friiherkennung, durch Friihbehandlung oder durch bessere Behandlung), zumindest
abgeschatzt werden konnen. Dann sind die Kosten bei der allgemeinen EinfUhrung des
Verfahrens zu bedenken, in der heutigen Zeit mehr denn je. Hier sind die Kosten der
Geriite zu kalkulieren, bei groBenordnungsmaBig rund 50000 Praxen, in denen sie auf
zustellen waren; weiterhin die Anzahl der Untersuchungen, die in einer GroBenordnung
zwischen lund 10 Millionen pro Jahr anfallen konnten, und schlie13lich, daB unter
Umstanden eine unnotige Pharmakotherapie eingeleitet wird. Mogliche Schiiden sind
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wahrscheinlich gering zu veranschlagen, wobei in erster Linie die extrem seltenen Zwi
schenfalle bei der Ergometrie, aber auch die Nebenwirkungen bei unnotiger Pharma
kotherapie zu nennen waren.
Ich mochte keinesfalls dahingehend miBverstanden werden, daB ich die Bestimmung
des Belastungsblutdrucks grundsatzlich ablehne; im Gegenteil bin ich trotz meiner, der
jungeren Generation naturgemaB fehlenden negativen Erfahrung mit derartigen Blut
druckbelastungstests in der Vergangenheit der Auffassung, daB dieses Verfahren durch
aus geeignet sein konnte, Fortschritte in der Bekampfung der Hypertonie zu bringen,
die uns allen ja am Herzen liegt. Nur haben wir inzwischen dazugelemt: Einmal in Be
zug auf die kritische Evaluierung neuer diagnostischer Teste, zum anderen in Bezug auf
die vieWiltigen Gesichtspunkte, die zu bedenken sind, bevor man heute ein neues dia
gnostisches Verfahren aus der experimentellen Phase und aus seiner Anwendung in der
Pathophysiologie in die Praxis entlaBt, erst recht in Form einer Empfehlung zur allge
meinen Anwendung bei einer Massenerkrankung wie der Hypertonie. Dies ist ein
hochst verantwortungsvoller Schritt, der unbeeinfluBt bleiben sollte von verstandlichen
Profilierungsbemuhungen einzelner Wissenschaftler, aber auch von Werbestrategien
der Industrie, die mit Absatzchancen fUr Gerate oder bestimmte Pharmaka rechnen
wird.
Oberlegungen dieser Art waren es, die uns veranlaBt haben, dieses Gesprach zu veran
stalten, und es ware mein Wunsch, wenn wir vor diesem gedanklichen Hintergrund am
Ende unseres Symposions mit einigem Gewinn wieder nach Hause fahren.
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Hamodynamik bei dynamischer
und statischer Belastung
R. Rost
Einleitung
Das Verhalten der Hamodynamik unter korperlicher Belastung, speziell das Verhalten
des im Rahmen dieses Symposions zur Debatte stehenden arteriellen Drucks, ist eben
so varia bel wie die unterschiedlichen Formen, in denen korperliche Belastung auftre
ten kann. Urn diese Vielfalt zu klassifizieren ist es am gtinstigsten, auf die hamodyna
mischen Reaktionen bei den beiden Grundformen muskularer Kontraktion zurtickzu
gehen, der isometrischen bzw. isotonischen Kontraktion. In angenahert reiner Form
wird die isometrische Kontraktion bei statischer Haltearbeit, die isotone Kontraktion
bei dynamischer Arbeit ohne wesentlichen Krafteinsatz realisiert, wie beispielsweise
beim Laufen. Da dynamische Belastung teilweise auch mit erheblichem Krafteinsatz
einhergehen kann (Beispiel Rudern), soli hier im folgenden von dynamisch-isotoner
Belastung gesprochen werden.
In der Tat wird die hamodynamische Reaktion bei einer Belastung ganz entscheidend
yom Verhaltnis dynamischer zu statischer Muskelarbeit bestimmt. Diese Reaktionswei
se wird aber zusatzlich durch tiberlagernde AuBenfaktoren bzw. durch individuell un
terschiedliche Reaktionsweisen modifiziert. 1m folgenden soU ein Dberblick tiber die
wichtigsten EinfluBgroBen gegeben werden.
Hiimodynamik bei dynamisch-isotoner Belastung
Seit der ersten Beschreibung des Blutdruckverhaltens unter Belastung durch Zadek
(1881) wird im allgemeinen immer davon ausgegangen, daB unter Belastung der arte
rielle Druck ansteigt. Bedenkt man das Kreislaufziel bei korperlicher Arbeit, so besteht
dies in einer Steigerung des Herzminutenvolumens zum Sauerstofftransport. Dies laBt
sich auch ohne wesentliche Drucksteigerung erreichen, wenn es nach dem Ohmschen
Gesetz zu einer entsprechenden Senkung des Widerstandes in der arbeitenden Musku
latur kommt. Unter dieser Voraussetzung ware die zusatzliche Druckbelastung des
Kreislaufs zur Finanzierung der erhohten Volumenarbeit unnotig.
Arterielle Druckmessungen zeigen beim Laufen einen Anstieg des systolischen Drucks
bei konstantem diastolischem Wert (Abb. 1 a). Trotzdem andert sich der arterielle Mit
teldruck nicht, da die DberhOhung des systolischen Drucks lediglich aus einer Verstei
lung der Druckwelle resultiert. Auf dieses Phanomen wurde erstmals von Holmgren
(1956) hingewiesen. Der Versteilung der arteriellen Druckwelle entspricht ein Ver
schwinden der Dikrotie. Besonders deutlich wird diese Veranderung der Druckform als
Folge der unterschiedlichen Reflektionsverhaltnisse angesichts des erniedrigten peri
pheren Widerstandes bei fahrradergometrischer Belastung im Liegen (Abb. 1 b), bei
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