Table Of ContentBEITRÄGE ZUM BERUFSBEWUSSTSEIN
DES MITTELALTERLICHEN MENSCHEN
MISCELLANEA MEDIAEVALIA
VERÖFFENTLICHUNGEN DES THOMAS-INSTITUTS
AN DER UNIVERSITÄT KÖLN
HERAUSGEGEBEN VON PAUL WILPERT
BAND 3
BEITRÄGE ZUM BERUFSBEWUSSTSEIN
DES MITTELALTERLICHEN MENSCHEN
W A L T ER DE G R U Y T ER & CO · B E R L IN
VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG · J. GUTTENTAG, VER-
LAGSBUCHHANDLUNG · GEORG REIMER . KARL J. TRÜBNER . VEIT & COMP.
1964
BEITRÄGE
ZUM BERUFSBEWUSSTSEIN DES
MITTELALTERLICHEN MENSCHEN
HERAUSGEGEBEN VON PAUL WILPERT
UNTER MITARBEIT VON WILLEHAD PAUL ECKERT
W A L T ER DE G R U Y T ER & CO · B E R L IN
VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG · J. GUTTENTAG, VER-
LAGSBUCHHANDLUNG · GEORG REIMER . KARL J. TRUBNER . VEIT & COMP.
1964
Archiv-Nr. 3621641
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© 1964 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30
Printed in Germany
Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
PAUL WILPERT, Vorwort VII
PIERRE MICHAUD-QUANTIN, La conscience d'etre membre d'une
universitas 1
JACQUES LE GOFF, Quelle conscience l'universite medievale
a-t-elle d'elle-mßme ? 15
PIERRE MICHAUD-QUANTIN, Aspects de la vie sociale chez les mora-
listes. . 30
JACQUES LE GOFF, Metier et profession d'apres les manuels de
confesseurs au moyenäge 44
ASTRIC L. GABRIEL, Motivation of the founders at mediaeval col-
leges 61
SOPHRONIUS CLASEN, Die Armut als Beruf: Franziskus von As-
sisi 73
SOPHRONIUS CLASEN, Die .Legenda Antiqua' des Hl. Franziskus
von Assisi 86
WILLEHAD PAUL ECKERT, Das Selbstverständnis des Thomas von
Aquino als Mendikant und als Magister S. Theologiae 105
PAUL WILPERT, Boethius von Dacien — die Autonomie des Phi-
losophen 135
DANIEL A. CALLUS, The Function of the Philosopher in thir-
teenthcentury Oxford 153
EUSEBIO COLOMER, Das Selbstverständnis des Ramon Llull. . . . 163
JEANNINE QUILLET, L'organisation de la societe humaine selon le
Defensor Pacis de Marsile de Padoue 185
WILHELM KÖLMEL, Wilhelm Ockham — der Mensch zwischen
Ordnung und Freiheit 204
HEINRICH HÜSCHEN, Berufsbewußtsein und Selbstverständnis
von Musicus und Cantor im Mittelalter 225
VI Inhaltsverzeichnis
Seite
FRITZ TSCHIRCH, Das Selbstverständnis des mittelalterlichen deut-
schen Dichters 239
HANS RHEINFELDER, Das Selbstverständnis Dantes als politischer
Dichter 286
ERICH MASCHKE, Das Berufsbewußtsein des mittelalterlichen
Fernkaufmanns 306
GRAHAM POLLARD, The University and the book trade in mediaeval
Oxford 336
Namenregister 346
Register zitierter Autoren 352
Sachregister 355
Ortsregister 359
VORWORT
Als dritten Band der Miscellanea Mediaevalia legen wir die Vor-
träge vor, die auf den Mediaevistentagungen 1960 und 1962 zum
Thema Berufsbewußtsein und Selbstverständnis des Berufs im
Mittelalter gehalten worden sind. Wenn wir den Band Beiträge zum
Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen nennen, so liegt
darin zunächst eine Beschränkung. Es kommen nicht sämtliche Be-
rufsstände zu Wort. Weder ist hier die Rede von den Fürsten noch
von den Bischöfen, von den Rechtsgelehrten, den Ärzten, noch den
bildenden Künstlern. Weder Ritter noch Bauer sind in dem vor-
liegenden Sammelwerk vertreten. Es ist also nur ein Ausschnitt aus
der Vielfalt der mittelalterlichen Berufe, der hier dargestellt wird.
Nur bei einigen Berufsgruppen wird Selbstverständnis und Berufs-
bewußtsein erforscht.
Eine zweite Beschränkung liegt in der Wahl des Zeitausschnitts.
Die vorliegenden Untersuchungen gelten dem Spätmittelalter. Sie
setzen mit dem beginnenden 13. Jahrhundert ein und enden mit dem
ausgehenden 15. Jahrhundert. Dieser Zeitabschnitt wurde gewählt,
weil hier sich die Berufe zu entfalten beginnen, die Vorherrschaft der
Theologen zwar zunächst noch bleibt, jedoch nicht mehr unbestritten
ist und seit dem 14. Jahrhundert deutlich durch die sich entfaltende
Laienbildung eingeschränkt wird.
Für diesen Vorgang sind die in diesem Band dargestellten Berufe
repräsentativ. Es wird also zwar nur eine Auswahl, jedoch eine sehr
typische vorgelegt. Auf den ersten Blick könnte es willkürlich er-
scheinen, daß so entgegengesetzte Beiträge vereint sind wie über die
Gründer von Kollegien an den Universitäten, über die Fernkaufleute,
über das Selbstverständnis eines Franziskus von Assisi und eines
Thomas von Aquino, über Dichter und Musiker. Aber in Wirklichkeit
hängen alle diese Themen aufs engste miteinander zusammen. Die
einleitenden Aufsätze von Pierre Michaud-Quantin und Jacques
Le Goff geben nicht nur Auskunft über mittelalterliche Korporationen
und Handbücher der mittelalterlichen Moralisten. Sie führen vielmehr
grundsätzlich in das Problem mittelalterlichen Berufsbewußtseins ein.
Nicht von ungefähr kommt es, daß die Korporation, sei sie nun geist-
licher oder weltlicher Natur, den Vorrang vor dem einzelnen hat. Das
Gemeinschaftsbewußtsein ist vor allem im Frühmittelalter weit stärker
als das Bewußtsein der eigenen Individuaütät der Persönlichkeit. Der
VIII Vorwort
Verzicht auf einen eigenen Nachnamen ist dafür ebenso bezeichnend
wie das Zurücktreten der Dichterpersönlichkeiten hinter ihrem Werk.
Für den Wandel des Bewußtseins ist aufschlußreich, daß im Früh-
mittelalter das Augenmerk der objektiven Seite der Verfehlung gilt,
während im Hoch- und Spätmittelalter die Aufmerksamkeit dem
Gewissen des Fehlenden sich zuwendet.
Ebenso lehrreich ist die Beobachtung, daß das Schema der ur-
sprünglichen drei Stände der oratores, bellatores et laboratores einer
Vielzahl der Berufsstände zu weichen beginnt, daß das Verständnis
der Arbeit als Buße ergänzt wird durch das von der Arbeit als Be-
rufung. Erst in diesem Augenblick nämlich tritt neben die Handarbeit
gleichberechtigt die geistige Arbeit, können einerseits neue Orden
entstehen, die den Rhythmus von Gebet und Arbeit im Sinne von
Gebet und geistiger Arbeit verstehen, zugleich wird es möglich, dem
Kaufmann im Gefüge der Stände einen ehrenhaften Platz zuzuweisen.
Von der Theologie der Arbeit aus rechtfertigen sich die so verschiede-
nen Berufsstände der Mendikanten und der Kaufleute. Von beiden
ist daher in diesem Band die Rede. Die Handbücher der Beichtväter
und Moralisten sind ebenso eine Quelle der Unterrichtung über das
Selbstverständnis der Kaufleute wie deren Testamente. Beide kommen
in diesem Band zu Wort. Wer über die Handbücher zu sprechen hat,
muß auch über das Berufsbewußtsein der Kaufleute reden, wer über
die Fernkaufleute spricht, kann nicht an den Formen ihrer besonderen
Frömmigkeit wie an den Bedrängnissen ihres Gewissens vorbeigehen.
Die Mendikanten sind Vertreter der städtischen Kultur. Ebenso
wie die Fernkaufleute, aber auch ebenso wie die Magistri an den
Universitäten. In diesem Band ist daher vorzüglich vom Berufsbe-
wußtsein des städtischen Menschen die Rede. Hier unterscheidet sich
das Spätmittelalter sehr deutlich vom Frühmittelalter. Die landwirt-
schaftlich gebundene Kultur wird durch die städtische abgelöst. Der
Güteraustausch wird erleichtert durch den Geldhandel. Damit wird
aber sofort der durch die Heilige Schrift verbotene Wucher zur un-
ausweichlichen Notwendigkeit. Nur vorübergehend kann es genügen,
die Juden allein damit zu belasten. Der Fernhandel der Christen
kommt auf die Dauer nicht ohne das Geldgeschäft und damit das
Zinsnehmen, in der kirchlichen Sprache also den Wucher, aus. Eine
Frage, die die Beichtväter nicht minder beschäftigt wie die Kaufleute.
Das Verbot des Wuchers führt zur Frage der unerlaubten oder ver-
botenen Berufe überhaupt, zur Welt der Deklassierten. Sie ist in
diesem Band vertreten in dem Abschnitt über Musicus und Cantor
als die Gegenwelt zur Welt der Spielleute und Gaukler. Damit ist
wenigstens ein Beispiel für die im Mittelalter nicht geringe Zahl der
ehrlosen Berufe genannt. Was unterscheidet eigentlich den Musicus
und Cantor von den Spielleuten? Es ist zunächst das Eingefügtsein
Vorwort IX
in die gesellschaftliche Ordnung. Sodann aber erhebt sich der Musicus
über den Cantor auf Grund seines Wissens. Der Theoretiker wird
höher geschätzt als der Praktiker, wie auch Thomas von Aquino
dem Magister S. Theologiae den Vorzug unter den Priestern gibt vor
dem einfachen Seelsorgspriester, wie der Architekt mehr gilt als der
Bauarbeiter. Theoretisches Wissen besitzt den Vorrang vor prak-
tischem Können. Darum rühmen sich auch die Dichter nicht ihrer
Kunst, sondern ihres Wissens. Darin fühlen sie sich den Magistri ver-
wandt, an Gelehrsamkeit wollen sie es ihnen gleichtun. Das schließt
nicht aus, daß der Dichter ein politisches Sendungsbewußtsein ent-
wickeln kann, wie das am Beispiel Dantes gezeigt wird für die ita-
lienische Literatur und Walters von der Vogelweide für die deutsche
Literatur. Dem politischen Sendungsbewußtsein des Dichters wird
das missionarische Sendungsbewußtsein des Mystikers Ramon Llull
gegenübergestellt. Der Streit um die Denkmethode Ramon Llulls
führt wieder zurück zur Universität.
Die Universität beherrscht das Spätmittelalter. Der in diesem Band
behandelte Abschnitt des Mittelalters kann geradezu das Zeitalter der
Universität genannt werden. Das Frühmittelalter kennt Kloster- und
Domschulen, aber keine Universitäten. Zwar kommt es zur Heraus-
bildung geistiger Zentren, doch läßt ihre Wirkung in der 2. Hälfte
des 12. Jahrhunderts nach, auch der Schule von Chartres gelingt es
nicht, sich eine die Zeit überdauernde Institution zu schaffen und
für die Bildung von Korporationen wissenschaftlichen Charakters
vorbildlich zu werden. Was Chartres versagt blieb, erreichte die Uni-
versität von Paris. Sie schafft die vorbildliche Institution, sie setzt
die Methode der Theologia scholastica gegenüber der Theologia
monastica durch. Sie nötigt die neuen Orden der Mendikanten, ihre
Methode anzunehmen. Die von der Universität Paris geschaffenen
Lebensformen werden auf die neuen Universitätsgründungen in
Frankreich und Deutschland übertragen. Die in England, in Oxford
und Cambridge, und in Italien, in Bologna, Padua und Salerno, ge-
gründeten Universitäten schränken zwar den Einfluß von Paris ein,
heben ihn aber um so weniger auf, als sie im Grunde die gleichen
Tendenzen verfolgen. Erst gegen Ende des Mittelalters erwächst mit
der humanistischen Bewegung der Universität eine ernsthafte Kon-
kurrenz in den neu gegründeten Akademien, wie der von Florenz. An
sie muß die Universität die Initiative zu neuem Weltverständnis und
zu neuartiger, philosophischer Erkenntnis abgeben. Das mit dem
Humanismus gegebene neue Selbstverständnis findet daher ebenso-
wenig wie die Darstellung der Akademien in diesem Band Platz. Das
Verhältnis von Mittelalter und Humanismus muß einer späteren Ver-
öffentlichung vorbehalten werden. Der vorliegende Band widmet sich
der Zeit, die durch die Universität beherrscht wird.
χ Vorwort
Die Universitäten aber sehen sich in eine zweifache Auseinander-
setzung gezogen. Die Gleichzeitigkeit der Schaffung des Standes der
Magistri wie des Entstehens der Mendikantenorden legte es nahe, daß
Mendikanten Magistri in S. Theologia wurden. Dem aber widersprach
die bisher im Mittelalter gültige Ständeordnung, die den Mönch wohl
als Objekt, nicht aber als Subjekt der Seelsorge verstehen wollte. Die
Frage, in welchem Sinne die vita apostolica den Mendikanten zuge-
billigt werden könne, wird zum brennenden Problem des 13. Jahr-
hunderts. Die Anziehungskraft der neuen Orden und ihrer Magistri
bedeutet für die Weltgeistlichen eine ernsthafte Konkurrenz. Sind es
zunächst die Mendikanten, die sich ein Lebensrecht an der Universität
erkämpfen müssen, so sind seit dem Ende des 13. Jahrhunderts die
Weltgeistlichen ihrerseits bemüht, der Konkurrenz der Mendikanten
ein Gegegenwicht zu bieten, indem sie selbst als Stifter von Kollegien
auftreten. Darum werden in dem vorliegenden Band die Motive er-
örtert, die zur Gründung der Kollegien, Bursen, vor allem an der
Pariser Universität, aber auch an anderen Universitäten Englands
und Deutschlands führten.
Die Feststellung, daß an den Kollegien Freiheit bezüglich der philo-
sophischen Richtung bestand, der der Student zu folgen wünschte,
führt zu der zweiten Auseinandersetzung, der sich die Universitäten
im Spätmittelalter gegenübersahen: dem Verhältnis von Theologie
und Philosophie. Was scheinbar zunächst nichts anderes ist als ein
Streit um den Geltungsbereich zweier Fakultäten, erweist sich bereits
im Verlauf des 13. Jahrhunderts als die unvermeidliche Auseinander-
setzung um die Befreiung der Einzelwissenschaft von der Vorherr-
schaft der Theologie. Daß der Kampf sich in den Fakultäten der
Theologen und der Artisten abspielt, liegt an der Struktur der mittel-
alterlichen Universität. Die Verschiebung des Interesses von den vor-
bereitenden Wissenschaften zur Philosophie hin — erst innerhalb des
13. Jahrhunderts werden die übrigen der Septem artes Vorbereitung
auf die Dialektik gleich Philosophie — hängt damit zusammen, daß
die Rezeption des gesamten Corpus Aristotelicum alle geistigen Kräfte
im 13. Jahrhundert in Anspruch nimmt. Die Philosophie setzt sich
zunächst nicht anders als in der Form der Aristoteles-Kommentierung
durch. Der Ruf nach der Autonomie der Philosophie von der Theologie
wird gerade durch die Treue zur littera des Aristoteles begründet. Die
Bindung an die Autorität des Aristoteles wird erst im Zeitalter des
Humanismus endgültig überwunden, als neben das Corpus Aristote-
licum gleichberechtigt, ja ihm zuweilen überlegen erscheinend, das
Corpus Platonicum tritt. Es kommt nicht von ungefähr, daß die
Gelehrten außerhalb der Universität, wie ζ. B. Nikolaus von Kues,
Antiaristoteliker werden. Es setzt sich damit ein grundsätzlich
anderes Verständnis der Philosophie durch, als es für die Artisten-