Table Of ContentBaukultur - Wohnkultur - Ökologie
Tagungsband
zum 5. interdisziplinären Symposium
an der Universität Zürich
im April 1992
Herausgegeben von
Barbara Emmenegger
Kuno Gurtner
Armin Reller
Verlag der Fachvereine Zürich B. G. Teubner Stuttgart
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Baukultur - Wohnkultur - Ökologie: Tagungsband zum 5.
interdisziplinören Symposium an der Universitöt Zürich im
April 1992 / hrsg. von Barbara Emmenegger ... - Stuttgart:
Teubner; Zürich: Verl. der Fachvereine, 1993
ISBN-13: 978-3-519-05035-3 e-ISBN-13: 978-3-322-82984-9
001: 10.1007/ 978-3-322-82984-9
NE: Emmenegger, Barbara (Hrsg.)
© 1993
vdf Verlag der Fachvereine
an den schweizerischen Hochschulen und Techniken AG Zürich
und B. G. Teubner Stuttgart
~ Der vdf dankt dem Schweizerischen Bankverein
• für die Unterstützung zur Verwirklichung seiner Verlagsziele
Vorwort
Baumaterialien, Schadstoffe, Energie und Ökologie -von solchen Stichworten
gingen die OrganisatorInnen* aus, als sie für das Frühjahr 1992 im Rahmen des
Umweltforschungstages der Universität Zürich eine Tagung planten, die Fach
leute aus den Bereichen Architektur, Haustechnik und Bauherrschaft, aber auch
eine an Bau-und Umweltfragen interessierte Öffentlichkeit ansprechen sollte. Sie
wollte u.a. theoretische Möglichkeiten und praktische Anwendungen der Öko
bilanz als Mess- und Bewertungsinstrument für Belastungen der Umwelt doku
mentieren, die sich aus dem Wohnungs-, Gewerbe- und Industriebau ergeben.
Das Ziel, dem dieses Instrument dient - eine ökologische, umweltverträgliche
Bauweise -, kann allerdings nicht ausschliesslich mit quantifizierenden Methoden
erreicht werden. Vielmehr gilt es, eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen:
neben dem materiell und technisch Machbaren gesellschaftliche, ökonomische
und politische Rahmenbedingungen, geschichtliche Entwicklungen, Anspruche
der Asthetik und Forderungen eines wachsenden Umweltbewusstseins. Damit
steht die Planung von Neu-und Umbauten vennehrt in einem Spannungsfeld von
zum Teil konträren Erwartungen, das interdisziplinäre Zusammenarbeit un
umgänglich macht.
Deshalb wollte die Tagung "Baukultur, Wohnkultur und Ökologie", die von der
Universität Zürich (Nebenfach und Nachdiplomstudiengang Umwelt1ehre) und
der ETH (Laboratorium für Energiesysteme) gemeinsam geplant und durch
geführt wurde, nicht zuletzt ein Forum für den dringend notwendigen Gedanken
und Erfahrungsaustausch bieten. Zu diesem Austausch trafen sich am 31.März
und 1. Apri11992 21 ReferentInnen und gut 100 TeilnehmerInnen -ForscherIn
nen, Studierende und Fachleute aus der Praxis -an der Universität Zürich-Irchel.
Der vorliegende Band enthält die überarbeiteten Fassungen der Referate, die im
Plenum und in Arbeitsgruppen gehalten wurden. Ennöglicht wurde sein Druck
durch einen Beitrag des Bundesamts für Energiewirtschaft.
* Zwischen Sprache und Bewusstsein besteht ein enger Zusammenhang. Wo Äusserungen in
diesem Band sich inhaltlich auf beide Geschlechter beziehen, soll dies auch sprachlich zum
Ausdruck kommen. Deshalb haben die Herausgeberin und die Herausgeber in eigener Kom
petenz für alle Beiträge Formulierungen gewählt, die gelegentlich ungewohnt, vielleicht
weniger "elegant" wirken mögen, die aber ein Geschlecht nicht einfach "mitmeinen", son
dern nennen.
N
Ob die VeranstalterInnen das Ziel, Anstösse für zeitgemässes umweltverträg
liches Planen, Bauen und Wohnen zu geben, erreicht haben, muss sich weisen.
Die konzentrierte Arbeit in den Diskussionsrunden und die engagierten Gesprä
che nach den Plenumsvorträgen deuten darauf hin. Und die spontane Äusserung
eines Referenten, eines Spezialisten für Graue Energie, er habe in der Diskus
sionsrunde zum Thema "Wohnkultur im 19. und 20. Jahrhundert" Wichtiges,
Aufschlussreiches erfahren, ist als vielversprechendes Zeichen zu werten. Dies
umso mehr, als mit der Veranstaltung Möglichkeiten aufgezeigt wurden, den
vielfach als praxis-, ja realitätsfern empfundenen Rahmen der Hochschulen durch
die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragestellungen zu erweitern.
Die VeranstalterInnen
Barbara Emmenegger, stud.phil.! (Soziologie)
Reinhard Friedli, dipl.Arch.HlL, Amt für Bundesbauten
Georg FurIer, dip1.Arch.HfG Ulm, Absolvent des NDS Umweltlehre
Kuno Gurtner, lic.phil.!, Koordinationsstelle NDS Umweltlehre
Patrick Hofstetter, dip1.Masch.Ing.ETH, Laboratorium für Energiesysteme, ETH
Armin Reller, Prof.Dr., Universität Hamburg
Barbara Rothenberger, dipl.Arch. ETH
Inhalt
VOOWORT III
PLENUMSVORTRÄGE
Martin Fröhlich
Wohnkultur -oder wie wir uns eine heile Welt bauen 1
Hans-Peter Bärtschi
Industriekultur kontra Ökologie? 11
UrsulaKoch
Stadtentwicklung, Ökologie und Realpolitik 21
Rosemarie Ring
Ökologische und soziale Stadterneuerung
aus der Sicht von Frauen 49
Benno Furrer
Agrikultur -Baulrultur 73
Donat Agosti
Widerspiegelt die Nestfonn die Staatsfonn der Ameisen? 85
DISKUSSIONSBEITRÄGE
Ökologische Stadtplanung und Städtebau
Einleitung 99
Barbara ZibeU
Zum Stellenwert von Ökologie und Weiblichkeit
in der Stadtplanung 101
VI Inhalt
Barbara Rothenberger
Wohnen und Arbeiten im Quartier Lachen-Vonwil
in St.Gallen: Planen und Entwerfen mit der Natur
im städtischen Kontext 119
Daniel Brunner
Politische Ansatzpunkte für eine ökologische
Planungspolitik in der Region Zug 129
Baustoffe, Mensch und Umwelt
Einleitung 141
Niklaus Kohler
Ökologische Optimierung im Lebenszyklus eines Gebäudes 143
Bosco Büeler
SIB-Umweltzeichen für Bauprodukte 164
luffa Schwarz
Ökologie in der Baupraxis -Wege vom Wissen zum Handeln 167
Martin Vogel
Bauherren im Clinch mit ökologischen Forderungen 184
Ethik, Ästhetik und Ökologie
Einleitung 195
Markus Huppenbauer
Ein Rückblick auf den griechischen Tempelbau: Zur Ökologie
des Bauens im Spannungsfeld von Ethik, Ästhetik und Religion 196
Ue li Schäfer
Ist Ästhetik ökologisch?
Ist Ökologie ästhetisch? 210
Christian Thomas
Plädoyer für eine ökomodeme Architektur 215
vn
Inhalt
Energie und Bauen
Einleitung 225
JürgNadig
Solarhaushalt 227
Ruedi Kriesi
Abfallproblematik -eine unabwendbare Folge
des Energieeinsatzes? 235
Daniel Spreng
Graue Energie 248
Wohnkultur im 19. und 20. Jahrhundert
Einleitung 255
Barbara Koller
Homogenisierung der Gesellschaft über die wissenschaftliche
Vereinnahmung der Wohnkultur 257
Johanna Gisler
Die private Gegenwelt -Homogenisierung und soziale
Differenzierung der Wohnstile in der Nachkriegszeit 268
Autorinnen und Autoren 287
Wohnkultur - oder
wie wir uns eine heile Welt bauen
Martin Fröhlich
Über Wohnkultur sprechen ist unmöglich, ohne sich vorher einige Gedanken
über die Inhalte des Wortes Wohnen gemacht zu haben. - Was ist also
"wohnen"?
Wohnen hat sicher nichts mit Bauen zu tun. Wohnen, das ist vielleicht eher
Wohnraum konsumieren. Ist Wohnen demnach alles, was in der Wohnung
geschieht?
Da gibt es aber auch die Redewendung " ... sich gewohnt sein. .. ", das Wort
Gewohnheit. Ich möchte Gewohnheit als nicht reflektiertes Motiv einer Handlung
umschreiben. Das führt rasch zur Vermutung, dass in allen Wörtern mit
... wohn ... eine Einflussmöglichkeit des Unbewussten angedeutet wird .
... Wohn ... erscheint deshalb auch als Synonym für "gemütlich", was aus
Begriffen wie Wohnküche, Wohnschlafzimmer, Wohnbad spricht -die Liste der
Räume mit Wohn ... liesse sich sicher noch verlängern.
Könnte Wohnen einfach als das Verbringen der Freizeit zuhause bezeichnet
werden?
Benutzen wir unsere Wohnungen als dritte Haut (nach der Kleidung) und damit
auch als Bindeglied und Merkmal zwischen uns und der Gesellschaft? Vielleicht
können die folgenden Thesen akzeptiert werden:
So, wie wir mit unserer Kleidung nach aussen treten, tritt in unserer Wohnung
unsere soziale Situation in unser Privatleben.
So, wie wir mit unserer Kleidung unsere Stellung in der Gesellschaft markieren,
werden wir über unsere Wohnung von unserer kulturellen und sozialen Situation
geprägt.
Aber weder die Markierung durch die Kleidung noch die Prägung durch die
Wohnung sind feststehende Kräfte. Sie sind und waren durch die geschichtlichen
2 Martin Fröhlich
Entwicklungen bestimmt, u.a. durch den technischen Fortschritt im Wohnbe
reich. Das soll am Beispiel des Lichtes in der Wohnung kurz beleuchtet werden.
Licht bestimmt die Entwicklung der Wohnformen
Es fant schwer, heute noch authentische, bürgerliche Zimmer aus der Zeit vor der
industriellen Revolution zu finden: Weder Goethe noch Schiller besassen in ihren
Gesellschaftsräumen Leuchter oder Kandelaber, die zum festen Einrichtungs
bestand gehört hätten. Wenn einmal bis in die Nacht hinein getanzt oder gespielt
oder konversiert wurde, liess man "das Licht" kommen, d.h. es wurden kleine
Leuchter aufgehängt und Kerzenstöcke aufgestellt, wo es eben gerade ging.
Genau so war es auch in der Bauernstube unserer Gegenden. Auch hier gehörte
die Beleuchtung in der Stube nicht zu den festen Einrichtungsgegenständen.
Wenn der Sohn aus fremden Diensten nachhause kam, nahm man sich auch am
Tag Zeit, seinen Erlebnisberichten zuzuhören.
Neben Wachskerzen wurden Talglichter abgebrannt, wenn man ausnahmsweise
einmal in der Nacht Licht brauchte -und dieses anzuzünden war nicht so einfach:
Schwefelhölzer gibt es erst seit 1825.
Aber schon 1786 wurden in Innenräumen in England die ersten Gasbeleuchtun
gen eingerichtet, die erste Strassenbeleuchtung mit Gasflammen wurde in
London 1814 montiert. - In Bem baute man das erste Gaswerk an der Aare
unterhalb des Bundeshaues, damit das erste Bundes-Rathaus 1857 mit
Gasbeleuchtung eröffnet werden konnte -ganze siebzig Jahre nach der Erfindung
der Gasbeleuchtung in England.
Unterdessen waren 1819 die Stearin-Kerzen und 1837 die Paraffin-Kerzen in den
Handel gekommen, die Schwefelzündhölzer, die aber gelegentlich unbeabsichtigt
Feuer fingen, erfand Cooper in England 1825. Die Sicherheitszündhölzer, wie
wir sie heute kennen, fabriziert man seit 1848. Im gleichen Jahr wurde der erste
regulierbare elektrische Kohle-Lichtbogen entflammt, aber erst seit 1859 wird im
Kaukasus und in den USA so viel Petroleum, Erdöl gefördert, dass es sich lohnt,
Petrollampen herzustellen.
Die bürgerliche Beleuchtung der "guten alten Zeit" ist also die jüngste technische
Beleuchtungsart vor dem elektrischen Licht, das sich erst nach der Erfindung der
Kohlenfaden-Glühbime durch Edison 1879, respektive der Osmium-Glühlampe
durch Auer von Welsbach 1900 durchsetzen konnte. Es ist daher auch nicht ver
wunderlich, dass die Weltausstellung 1900 in Paris zur Feier des elektrischen
Lichtes geriet
Ob allerdings die Science-Fiction-Idee aus den Jahren um 1925 für ein Wohn
zimmer im Jahre 2000 Wirklichkeit werden wird, werden wir sehen.
Wohnkultur -oder wie wir uns eine heile Welt bauen 3
Abbildung 1
Wohnstube im
Pfarrhaus von
Vauffelin BE,
um 1890
Abbildung 2
Wohnzimmer mit
"chauffage au
radium" im Jahr
2000, Science
Fiction-Zeich
nung um 1925
Jedenfalls kann behauptet werden, dass diese einzelnen Erfindungs- und
Erneuerungsschritte unsere Wohnvorstellungen und Wohnfonnen sehr beein
flusst haben: Bis zur Industrialisierung bestimmte das Tageslicht die
Einrichtungen, die nach Bedarf durch Kerzenlicht ergänzt wurden.
Das Gaslicht brachte die fixen Lichtstellen und schuf damit das Ideal vom
Familientisch, an dem gegessen, Schulaufgaben gemacht, Zeitung gelesen,
gestickt und geflickt wurde. Dort wo die Petrollampe die Gaskrone ablöste,
bedingte sie den selben Familientisch. Erst die Glühbirne und mit ihr die "Steh
lampe" lassen individuellere Wohnfonnen und -ideen zu. Heute verschwinden
nach und nach selbst in den Miethäusern in den Wohnbereichen die Lampenstel-