Table Of ContentTobias Matreitz
unter Mitarbeit von PD Dr. Andre-Michael Beer, M.Sc.
BASICS
Naturheilverfahren
URBAN & FISCHER
ELSEVIER
München ·Jena
URBAN & FISCHER
Zuschriften und Kritik an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Lekrorat Medizinstudium, Karlstraße 45, 80333 München
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Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses
Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten Lherapeulischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indika
tion, Dosierung und unerwünschter Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das embindet den utzer· dieses Werkes aber nicht
von der Verpflichtung, anhand der Beipackzettel zu verschreibender Präparare zu überprüfen, ob diedongemachten Angaben von denen in die
sem Buch abweichen, und seine Verordnung in eigener Veranrwortung zu treffen.
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I. Auflage September 2007
© Elsevier GmbH, München
Der Urban & Fischer Verlag ist ein lmprint der Elsevier GmbH.
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Programmleitung: Dr. Dorothea Hennessen
Lektorat: lnga Dopatka
Redaktion: Dr. Manuel Abels, Heidrun Koskowski, Hannover
Herstellung: Christine jehl, Rainald Schwarz
Satz: Kösel, Krugzell
Druck und Bindung: MKT-Print
Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu·Uim
Titelfotografie: © Digita!Vision/Gettylmages, München
Gedruckt auf I 00 g/qm Eurobulk I, I Volumen
Printed in Slovenija
ISBN 978-3-437-42306-2
Aktuelle Informationen finden ie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com
Vorwort IV I V
Von "Vorwörtern" lese ich meist nur die ersten Zeilen, chend habe ich an vielen Stellen darauf hingewiesen, dass
um mich dann darüber zu amüsieren, dass der Vorwortschrei weiterführende Literatur lohnenswert ist. Mit diesem Buch
bende stets verspricht, er werde sich kurz fassen, dies aber kann und soll kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben
in den seltensten Fällen tatsächlich schafft Nicht so mein werden. Vielmehr möchte ich ein Grundlagenwissen ver
Vorwort- ich sag's gleich: Mein Vorwort wird lang_ Das mitteln und das Interesse für dieses Fach wecken. Denn es
vorliegende Buch ist nämlich mein erstes Buch, und ich habe bietet einen reichen Schatz an Möglichkeiten, von dem
ordentlich dafür gerackert Darum werde ich den Platz unsere Patienten profitieren können.
nutzen und an dieser Stelle alles loswerden, was mir auf dem Doch dieses Buch ist nicht allein mein Werk, sondern es
Herzen liegt. ist mit der wertvollen Hilfe vieler Beteiligten entstanden,
Die Naturheilverfahren haben mich schon von jeher gereizt. bei denen ich mich von Herzen bedanken möchte:
Was mir besonders gefällt, ist, dass viele sehr verschiedene, Zuerst fachlich bei Herrn PD Dr. med. Andre-Michael Beer,
auseinandergehende und gegensätzliche Meinungen auf Chefarzt der Modellabteilung für Naturheilverfahren der
einandertreffen. Man stößt meist auf extreme Meinungen Klinik Blankenstein und Leiter des Lehrbereiches Naturheil
total dafür oder total dagegen, selten etwas anderes. Ich hatte verfahren. Er war nicht nur mein Mentor bei diesem Buch
nun das außerordentliche Glück, dass meine Uni- die und hat mich dabei intensiv unterstützt. Mit seinem
Ruhruniversität Bochum-mit der Modellabteilung für Natur Wahlpflichtfach "Naturheilverfahren in Theorie und Praxis"
heilverfahren der Klinik Blankenstein und dem Lehrbereich vertiefte er mein Interesse für dieses Fach und überzeugte
Naturheilverfahren für die vorklinischen und klinischen mich von dessen Möglichkeiten.
Semester Wahlpflichtkurse anbietet. So war es mir möglich, Dank gebührt auch dem Elsevier-Verlag, insbesondere
mich umfassend und fundiert mit den Möglichkeiten und Willi Haas und lnga Dopatka, die mir bei allen Widrigkeiten
Grenzen von Naturheilverfahren theoretisch und praktisch des Büchermachens mit Rat und Tat zur Seite standen.
zu beschäftigen. Die Möglichkeiten, die Naturheilverfahren Ganz besonders danke ich meiner wunderbaren Freundin
bieten, und vor allem ihre wissenschaftliche Seriosität haben Nina, die oft auf mich verzichten musste, mich aber immer
mich fasziniert. Immer wieder motivierten mich besonders liebevoll und mit viel Geduld unterstützt und selbst oft
jene Patientinnen und Patienten, die nach langen, zermür zurückgesteckt hat!
benden Behandlungszeiten mit kaum Aussicht auf Heilung Last, but not least bedanke ich mich bei den besten Eltern
zumindest wieder auf Linderung und auf eine Verbesserung der Welt: MEINEN! Fürall die Unterstützung, nicht nur bei
ihrer Lebensqualität hoffen konnten! Als mir dann angeboten diesem Buch, sondern über die ganzen letzten Jahre hinweg.
wurde, dieses Buch zu schreiben, musste ich nicht lange Fürall eure Kraft, eure Zuversicht, euren Glauben an mich,
überlegen, ob ich das machen sollte. Mit großer Begeisterung für die Opfer, die ihr für mich in Kauf genommen habt.
habe ich mich der Herausforderung gestellt, die Naturheil Ohne eure Unterstützung hätte ich mein "Traumstudium"
verfahren anderen Studenten und allen Interessierten nahe nie durchziehen können. Mit eurer Liebe und eurem
zubringen und ihnen fundierte Informationen zu bieten- Vertrauen habt ihr mir-und auch meiner Schwester Sara -
mit fachkundiger Hilfe wohlgemerkt. etwas unermesslich Wertvolles mitgegeben.
Natürlich kann dieses Buch entsprechend seinem Konzept Dieses Buch ist für euch!
lediglich als "Appetizer" dienen_ Immerhin entsprechen die
Naturheilverfahren einem Ouerschnittsfach, das im Grunde Bochum, im Sommer 2007
mit allen Disziplinen der Medizin verknüpft ist. Dementspre- Tobias Matreitz
Für Hans-Jürgen und Eleonore Matreitz.
Inhalt
VII VII
A Allgemeiner Teil 1- 11 Hals, Nase, Ohren ... .. .. .. _. .......... _ 64-65
I Erkrankungen im HNO-Bereich _. .... .... .. . 64
Grundlagen zu den Naturheilverfahren .. . 2-11
I Einführung in die Naturheilverfahren .... ... . 2 Innere Medizin .... _.. ... ... ........... . 66- 73
I Therapie- und Diagnosegrundlagen
I Gastrointestinale Erkrankungen I . . . . . . . . . . . . 66
der Naturheilverfahren ......... ... ...... . 4
I Gastrointestinale Erkrankungen II . . . . . . . . . . . 68
I Naturheilverfahren im deutschen
I Endokrinalogische Erkrankungen I . . . . . . . . . . 70
Gesundheitssystem .... _. ... ... . _. ... .. . . 6
I Endokrinalogische Erkrankungen II .. _. . . . . . . 72
I Abgrenzung der klassischen
Naturheilverfahren l .. .. ...... .. ..... ... . 8
I Abgrenzung der klassischen Dermatologie . _. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 - 75
Naturheilverfahren li ... .. .. .... _. ...... . 10 I Dermatologische Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . 74
B Spezieller Teil _. .... ... _. . . _. ...... . 12_45 Neurologie und Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . 76- 79
I Neurologische Erkrankungen l . . . . . . . . . . . . . 76
Die 5 Säulen der klassischen I Neurologische Erkrankungen li . . . . . . . . . . . . . 78
Naturheilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14-31
Gynäkologie ...................... .... . 80-83
I Hydro-und Thermotherapie I ... ....... .. . . 14
I Hydro- und Thermotherapie li __. . ... ...... . 16 I Gynäkologische Erkrankungen I ..... ...... . 80
I Übersicht Wickel & Auflagen .... ... .. .. _. . . 18 I Gynäkologische Erkrankungen li .. ... ..... . . 82
I Bewegungstherapie I .. ..... .. _. .. ....... . 20
I Bewegungstherapie II ......... .......... . 22 Urologie .. ............. ... ... ..... ... . 84-87
I Ordnungstherapie ..... ..... _. . _. ....... . 24
I Urelogische Erkrankungen I ............. . . 84
I Ernährungstherapie I ...... .. ............ . 26
I Urelogische Erkrankungen li ... ...... ..... . 86
I Ernährungstherapie II .... ....... .. .. .... . 28
I Phytotherapie I ... ...... ... .... ........ . 30
SPEZIAL Pädiatrie ...... .... .... ....... . 88-91
I Phytotherapie li ..... ... _. .. .. ... ... ... . 32
I Naturheilverfahren bei Kinderkrankheiten I . . . . 88
Weitere Verfahren .......... _. ........ . 34- 45 I Naturheilverfahren bei Kinderkrankheiten II . . . 90
I Ausleitende Verfahren I ............... .. . . 34
SPEZIAL Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92- 93
I Ausleitende Verfahren li ...... .... ....... . 36
I Elektro-und Ultraschalltherapie sowie I Onkologische Erkrankungen .. ..... ....... . 92
Manuelle Therapie .... .. .... ... ........ . 38
I Mikrobiologische Therapie ... ..... ... .. .. . 40 SPEZIAL Geriatrie und Intensivmedizin ... 94- 95
I Neuraltherapie .... ........ ..... ..... .. . 42
I Geriatrie und Intensivmedizin ... ... ... .. .. . 94
I Nicht-westliche Naturheilverfahren
(Akupunktur) ... ... ....... ..... ....... . 44
D Kleines Heilpflanzenkompendium ... 96-107
C Krankheiten mit Therapie .......... . 46- 95
Heilpflanzen und ihre
Orthopädie ..... ..... ..... ... ..... .... . 48-53 wirkungsgerechte Anwendung 98- 107
I Erkrankungen des Bewegungsapparates I ... .. . 48 I Heilpflanzen I ........ ........ .... .. ... . 98
I Erkrankungen des Bewegungsapparates II ... . . 50 I Heilpflanzen II ... .... ....... ... ....... . 100
I Rheumatologische Krankheitsbilder .. .. .. ... . 52 I Heilpflanzen III ......... ... ... ....... .. . 102
I Heilpflanzen IV .... ... ........ .... .. ... . 104
Kardiologie und Angiologie .... ......... . 54- 59 I Heilpflanzen V ... .... .. .............. . . 106
I Erkrankungen des Gefäßsystems I ....... ... . 54
I Erkrankungen des Gefäßsystems II ......... . 56 E Anhang .... .. ..... .. ... ........... . 108-109
I Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems .... . 58
Pulmologie ................... .. ... .. . . 60-63 F Register ..... .. ................... .. 110- 117
I Erkrankungen der Atmungsorgane I .... .... . 60
I Erkrankungen der Atmungsorgane li ........ . 62
Grundlagen zu den Naturheilverfahren 6 Naturheilverfahren im deutschen
Gesundheitssystem
2 Einführung in die 8 Abgrenzung der klassischen
Naturheilverfahren Naturheilverfahren I
4 Therapie- und Diagnosegrundlagen 10 Abgrenzung der klassischen
der Naturheilverfahren Naturheilverfahren II
Einführung in die Naturheilverfahren
Standortbestimmung Wie aber sieht es in der Praxis aus? ln mittelnseit jeher als fester Bestandteil
der Tat stecken wir zurzeit mitten im der medizinischen Behandlung gilt. Im
Natürliche und schonende statt inva Umbruch. Es besteht viel Klärungsbe Mittelalter wurden Naturprodukte Wie
siver Medizinverfahren erfreuen sich darf in den unterschiedlichsten Berei verschiedene Salze und vor allem Heil
immer größerer Beliebtheit - und das chen. So müssen wissenschaftliche pflanzen (Klosterheilkunde) eingesetzt.
weltweit. In der Bundesrepublik Evidenz und Unbedenklichkeit der ver Im 19. Jahrhundert, mit der Entwick
Deutschland zählen heute etwa 70% schiedenen Verfahren überprüft wer lung der Analytik, konnte man mit der
der Bevölkerung zu den Anwendern den, zudem ist die Abrechnung der neu Dosierung von Einzelstoffen aus Pflan
von Naturheilmitteln (I Tab. I). Folgt en Verfahren noch lange nicht ausrei zen beginnen, die im 20. Jahrhundert
man nationalen und internationalen chend im GKV-Katalog berücksichtigt. mit der vollständigen Synthetisierung
epidemiologischen Studien, liegt der An den Universitäten herrscht ein gro ihren Abschluss fand (z. B. Acetylsalicy]
Wunsch nach einer Behandlung mit Na ßer Bedarf an naturheilkundlich ausge säure). Durch die Entwicklung der
turheilverfahren bei 70- 80%. bildetem Personal und entsprechenden Grundlagenfächer wie u. a. Physiologie
Diesem Trend der Bevölkerung folgen Stundenplänen, dieser kann jedoch Biochemie wurde die Entwicklung '
nun auch die Verantwortlichen in den lokal nur sehr unterschiedlich gedeckt synthetischer Arzneimittel in Gang
jeweiligen Fachbereichen. Immer mehr werden. Hinzu kommen verschiedene gesetzt (z. B. Sulfonamide, Antiseptika)_
Podiumsdiskussionen, Fachverbände, Vorstellungen sowie Schulen in den Na Durch ihre definierte und belegbare
Autoren und auch die Politik beschäfti turheilverfahren und weiterer Medizin Wirksamkeit kam es zur überwiegenden
gen sich mit Alternativen und Ergän systeme wie Homöopathie und anthro Verordnung von synthetischen Arznei
zungen zur klassischen Schulmedizin posophische Medizin. Unzureichende mitteln. Die Fortschritte der Naturwis
als sogenannter konventioneller Medi Definitionen und Abgrenzungen der senschaften führten zur Abwendung
zin. Selbst auf die Lehre wirken sich Begriffe und das Zusammenfassen der von der Humoralpathologie hin zum
diese Diskussionen aus: am 26. April verschiedensten Systeme unter den Be zellularpathologischen Denken.
2002 wurde die Reform (9. Novelle) der griff "Komplementärmedizin" erschwe Durch diese Entwicklungen traten die
Approbationsordnung für Ärzte mit ren es dem Studierenden, den Überblick Behandlung mit Naturheilmitteln und
großer Mehrheit vom Bundesratsple zu behalten. Zudem wird die Diskussio -heil~erf~hren so':ie deren Erforschung
num verabschiedet. Für den Bereich der nen um das Für und Wider von Alter deutltch m den Hmtergrund, blieben
Naturheilverfahren wesentlich erscheint nativen zur konventionellen "Apparate aber an einigen Universitäten und ande
die Empfehlung zur Modifikation des medizin" unnötig angeheizt. ren klinischen Institutionen, vor allern
§27. Der Ausschuss empfiehlt, Natur Ziel dieses Kapitels ist es, eine Defini aber in zahlreichen Praxen ein wichti
heilverfahren, Physikalische Medizin tion nach aktuellem Stand der Wissen ger Bestandteil der konventionellen
und Rehabilitation stärker in der Ausbil schaft zu den klassischen Naturheil Medizin.
dung zu berücksichtigen. Die Begrün verfahren bzw. ihren fünf Säulen Die Naturheilkunde wurde über Jahr
dung dafür: "Unabhängig von der fach und den zugrunde liegenden Wirkme hunderte von Erfahrungen (~ Erfah
lichen Bewertung werden Naturheilver chanismen und Therapiegrundlagen rungsmedizin), Beobachtungen und
fahren von den Patienten in hohem zu geben sowie eine klare Abgrenzung spirituellen/religiösen Einflüssen
Maße nachgefragt. Daher ist es erforder gegenüber den anderen Medizinsyste geprägt und lieferte ein auch durch
lich, dass der Arzt- unabhängig von sei men zu ziehen. Im Speziellen Teil wer philosophische Kriterien untermauertes
ner späteren fachlichen Ausrichtung den zu ausgewählten Krankheitsbildern medizinisches Weltbild. Sie sah den
Grundkenntnisse in Naturheilverfahren konkrete naturheilkundliche Therapie Menschen sowohl als Individuum als
besitzt und diese Verfahren beurteilen konzepte vorgestellt. In den jeweiligen auch in seinem sozialen und spirituellen
kann. Grundkenntnisse in den Naturheil Kapiteln sollen Praxisbezug und wissen Gefüge.
verfahren sollen daher zu den Zulassungs schaftliche Fundierung der einzelnen Die fortschreitenden Spezialisierungen
voraussetzungen zum zweiten Abschnitt Verfahren deutlich werden. Aufgrund atomisierten das medizinische Denken_
der ärztlichen Prüfung gehören." [51 des vorgegebenen Rahmens kann je· Durch eine immer mehr symptomfi
doch lediglich ein Über-bzw. Einblick xierte Vorgehensweise des Schulmedizi
geleistet werden; für tiefer gehende ners wurde das Individuum als Ganzes
Bevölkerung ab Männer Frauen Informationen siehe weiterführende aus den Augen verloren. Der Patient
16 Jahre Insgesamt und speziellere Lehrbücher. war in seinen Gesundungsprozess nicht
1970 52% 49% 55% mehr eingebunden, weil Krankheiten
1997 65% 55% 74% Entwicklung der Medizin als rein wissenschaftliches Problem ver
2002 73% 66% 79% waltet und von Spezialist zu Spezialist
Seit Urzeiten bedient sich die Heilkunde weitergereicht wurden, ohne das indbri
Aus: Allensbacher Archiv, IlD-Umfrage 7016, Januar
2002 der genuinen Heilfaktoren wie Wär duelle Gesamtbild und die persönlichen
me, Kälte, Erde, Wasser, Luft, Pflanzen Beobachtungen und Erfahrungen der
I Tab. 1: Starke Ausweitung des Kreises der Natur
etc., so dass der Einsatz von Naturheil- Patienten zu berücksichtigen. Diese
heilmittelanwender.
Grundlagen zu den Naturheilverfahren
213
Entwicklungen scheinen nun gestoppt heute die gleichen Stillempfehlungen zu. Sie sind die historische Grundlage
zu sein: Die Wissenschaft weiß heute wie vor über 10 0 Jahren haben. und ein traditioneller Bestandteil der
um die enorme Bedeutung einer gesun konventionellen Medizin mit einem
den Körper-Seele-Geist-Beziehung. Naturheilverfahren - großen, jahrhundertealten Erfahrungs
Der Patient muss dort abgeholt werden, wissen in unserem Kulturkreis. Dabei
eine Definition
wo er gerade steht, d. h., seine Beobach wird jedes Naturheilverfahren pragma
tungen des Krankheitszustandes werden Wenn wir von Naturheilverfahren (bzw. tisch und (heute) wissenschaftlich beleg
in die Diagnose einbezogen, auch wenn -kunde) sprechen, sind damit die klas bar nach seinen Wirkfaktoren, Wirkprin·
die Geräte zunächst nichts erkennen sischen Naturheilverfahren gemeint. zipien und Wirkweisen definiert (nach
lassen. Die Erfahrungen des Patienten Zwischen den klassischen Naturheil Hentschel; s. S. 4). Dies ist auch die
mit der Therapie beeinflussen zudem verfahren und dem Begriff der Komple Grundlage für die stärkere Berücksichti
deren weiteren Verlauf. mentärmedizin muss eine klare Ab gung der Naturheilverfahren im Studi
Ein Beispiel: In früheren Zeiten wurden grenzung getroffen werden! Der Begriff um. In Deutschland bilden traditionell
die Säuglinge von der Mutter nach Be Komplementärmedizin hat sich aus dem die fünf klassischen Naturheilverfahren
darf gestillt. Anfang des 20. Jahrhunderts angelsächsischen Sprachraum von den Kern der sogenannten Naturheil
wurde die Säuglingsernährung durch "complementary medicine" (CAM; kunde: Hydro-/Thermotherapie, Bewe
die neue Generation naturwissenschaft komplementärmedizinische Verfahren) gungstherapie/Massagen, Ernährungs
lich geprägter Ärzte systematisch unter abgeleitet und ist unscharf gefasst So therapie, Phytotherapie sowie Ord
sucht. Die Vielschichtigkeit der Bezie beinhaltet die Komplementärmedizin nungstherapie (I Abb. 1) .
hung von Mutter und Säugling während auch Verfahren, die in Europa kein fes Es fällt auf, dass vier der klassischen Na
des Stillens wurde in der mechanistisch ter Bestandteil der konventionellen Me turheilverfahren fest in der konventio
geprägten Zeit vollkommen außer Acht dizin (Schulmedizin) sind, und schließt nellen Medizin verankert und allgemein
gelassen, was dazu führte, dass streng sogar die eigenständigen Medizinsyste bekannt sind. Die Ausnahme bildet die
reglementierte Stillempfehlungen ent me wie Homöopathie oder Anthroposo Ordnungstherapie als die Basis der
standen. Heute weiß man aufgrund phische Medizinundifferenziert mit ein. klassischen Naturheilkunde. Sie macht
fortgeschrittener medizinischer und ent Dazu konstatiert die Initiative für kom die ganzheitliche Perspektive der
wicklungspsychologischer Erkenntnisse, plementäre und alternative Medizin der klassischen Naturheilkunde aus- mit
dass der Säugling in der Lage ist, seine EU: "Unkonventionelle Medizin ist ein Hauptaugenmerk auf die Körper-Seele
Bedürfnisse und das, was sein Körper sehr heterogener Sektor. Die Wissens Geist-Beziehung des Menschen in
braucht, durch eine besondere Art der grundlage für komplementärmedizini Wechselwirkung mit seiner Umwelt.
Mutter-Kind-Kommunikation auszudrü sche Verfahren bleibt unsicher und ist Dadurch bildet sie den "menschlichen"
cken. Dies führte dazu, dass den natür Gegenstand von Spekulationen anstelle Gegenpol zur sonst eher rein natur
lichen Vergehensweisen wieder mehr von gesichertem Wissen." Dies trifft auf wissenschaftlich ausgerichteten Schul
Beachtung geschenkt wurde und wir die klassischen Naturheilverfahren nicht medizin.
Zusammenfassung
ac Naturheilverfahren bzw. natürliche, schonendere Heilverfahren und
Arzneimittel sind in der Gesellschaft immer mehr gefragt.
M Zurzeit ist das deutsche Gesundheitssystem diesem Trend folgend von
einer starken Umbruchstimmung geprägt, um diese Erkenntnisse in
Forschung und Lehre einzubringen.
M Die klassischen Naturheilverfahren waren und sind stets traditioneller
Bestandtell der Schulmedizin und bilden deren entwicklungshistorische
Grundlage.
M Die klassischen Naturheilverfahren sind konkret definiert und müssen
I Abb. 1: Die fünf klassischen Naturheilverfahren. deutlich von dem Begriff der Komplementärmedizin, anderen Medizinsyste
men und extremen Außenseiterverfahren abgegrenzt werden.
M ln Deutschland bilden traditionell fünf klassische Naturhellverfahren den
Kern der Naturheilkunde.
Therapie- und Diagnosegrundlagen der Naturheilverfahren
Nach einer kurzen historischen Einlei benen Faktoren, angepasst an den dende Wirkweise der Naturheilverfah
tung und Standortbestimmung sowie individuellen Zustand des Patienten. ren besteh[ also in der Betrachtung der
einer Definition der klassischen Natur So wird der Organismus durch entspre Faktoren und Fähigkeiten, die schon
heilverfahren (Naturheilkunde) können chende Faktoren unterschiedlich .,ge normalerweise die Gesundheit ausma
sicherlich nicht alle Spannungen in reizt", worauf dieser entsprechend sei chen (Hygiogenese) und die auch ün
diesem Bereich als geklärt bezeichnet nen Möglichkeiten und seinem Zustand erkrankten Organismus bis zu einem
werden. Gesundheitspolitische, ökono reagiert (I Tab. I). Die Reize können bestimmten Maß noch angesprochen
mische und medizinwissenschaftliche dabei unterschiedlich abgestuft eine Be werden können (Salutogenese, Ge
Betrachtungsweisen sowie individuelle oder Entlastung des Körpers ausmachen sundwerdung).
Patientenkasuistiken müssen untersucht und verschiedene Wirkmechanismen Ein weiteres wesentliches Problem in
und auf das Niveau der evidenzbasier auslösen. Das Prinzip der Naturheil der Medizin ist die Compliance des
ten Medizin gebracht werden. Nur so verfahren besteht demnach zusammen Patienten, d. h. die Bereitschaft des
können die Naturheilverfahren nach gefasst in einer Reaktionstherapie mit Patienten, aktiv an den therapeutischen
haltig in den universitären Lehrbetrieb indirekten und sekundär-hygiogene Maßnahmen teilzunehmen und die
integriert werden. tischen Wirkungen durch eine serielle ärztlichen Anweisungen ordnungsge
Eine sehr einfache und doch eindrucks Reizung. mäß zu befolgen. Eine gestörte Kommu
volle Möglichkeit besteht darin, die Aus diesen Prinzipien ergeben sich auch nikation zwischen Arzt und Patient
Wirkfaktoren, Wirkprinzipien und ganz deutlich die Grenzen der Natur kann dazu führen, dass der Patient den
Wirkweisen der Naturheilverfahren heilverfahren (s. u. und I Tab. 2). Sinn von z. T schmerzhaften Maßnah
(nach Prof. Dr. H.-D. Hentschel, Arbeits men nicht mehr nachvollziehen kann
gemeinschaft klassische Naturheilver Wirkweisen oder sich mit seinen Ängsten alleine ge
fahren) darzulegen. Davon ausgehend lassen fühlt. Erfolgt keine ausreichende
könnte eine Aussöhnung gelingen und Aus den beschriebenen Wirkprinzipien Aufklärung über die Nebenwirkungen
damit vielleicht auch die endgültige ergeben sich unterschiedliche Wirkme eines Medikaments oder ist die Ein
Überwindung der Abgrenzung zur kon chanismen, wie sie z. B. in I Tabelle I nahme nur schwierig in den Alltag inte
ventionellen Medizin. unter "Aktivierung und Nutzung der grierbar, kann es sein, dass der Patient
körpereigenen Fähigkeiten zur Selbst ein Präparat eigenhändig absetzt. Oft
Wirkfaktoren, Wirkprinzipien ordnung & Selbstheilung" beispielhaft äußert der Patient dann lediglich die
beschrieben sind. Die Naturheilverfah Aussage, das Medikament habe nicht
und Wirkweisen
ren sind demnach hygiogenetisch, d. h. gewirkt. Bei den Naturheilverfahren
gesundheitserhaltend bzw. gesundheits steht dem u. a. durch die Säule der
Wirkfaktoren
fördernd ausgerichtet Ihre Anwendung Ordnungstherapie eine stark patien
Die Wirkfaktoren der Naturheilverfah beginnt streng genommen nicht erst im tenorientierte Konzeption entgegen.
ren entspringen-wie der Name schon Krankheitsfall, sondern bereits davor Die Therapieplanung verfolgt das Ziel
sagt- aus der Natur selbst Dazu ge im Sinne einer Prävention. Diese Indi eine möglichst hohe Compliance bei '
hören alle genuinen Naturfaktoren kation erklärt, warum die historischen den Patienten zu erreichen und diese
bzw. ihre wirksamen Lebensreize, wie Naturheilverfahren als Erfahrungsmedi auch kontinuierlich abzufragen bzw.
Licht, Luft, Erde (Peloide = Heil zin ein durch philosophische Kriterien zu untersuchen. Das heißt, der Patient
schlamm, z. B. in Moorbädern, Fango untermauertes medizinisches Weltbild muss selbst aktiv werden. Begünstigt
packungen), Wasser, Wärme und Kälte mitlieferten. Eine wesentlich unterschei- wird dies durch den "Genusswert" der
[wie bei der Hydro- und Thermothera
pie), Bewegung und Ernährung, inbe
griffen die Nahrungsenthaltung, sowie a) Naturfaktoren bewirken durch dosierte und kombinierte Reize
die Anwendung von Heilpflanzen.
Schonung z. B. bei alters-oder situationsbedingten Beschwerden
Hinzu kommen auch die natürlichen
Kräftigung z. B. bei Kindern im Wachstum oder nach Erkrankungen
Bedürfnisse nach Ruhe, positiven seeli
Anregung und Verbesserung z. B. durch Klimawechsel oder Sport Appetitanregung, Verbesserung der
schen Impulsen und einer gesicherten
endogener Leistungen Blutzirkulation, Leber-und Nierenleistung durch Verarbeitung von Stoffwech
Lebensordnung, die einen wesentlichen selprodukten nach sportlicher Betätigung etc.
Einfluss auf die Gesundheit des Orga b) Aktlvlerung und Nutzung der körpereigenen Fähigkelten zur Selbstordnung und Selbstheilung
nismus haben. Regulation z. B. durch geordneten Lebenswandel (Ernährung etc.)
Kompensation z. B. Fettabbau bei Nahrungsmansei/Fasten
Wirkprinzipien Anpassung z. B. bei Klimawechsel, Ernährungsumstellung etc.
Regeneration z. B. nach Erkrankung durch erhöhten Ruhebedarf
Die Wirkprinzipien der Naturheilverfah
Abwehr pathogener Noxen z. B. Abhärtung gegen Erkältungen durch regelmäßiges Saunieren
ren ergeben sich aus einer therapeutisch
wirksamen Kombination der beschrie- I Tab. I: Beispiele für die Anwendung der Wirkprinzipien der Naturl1eilverfahren.