Table Of ContentHenckmann
Autbruch in ein gemeinsames Altern
Antje Henckmann
Aufbruch
in ein gemeinsames Altern
Neue Wohnformen im Alter
am Beispiel des Modellprojektes
"Nachbarschaftlich leben fur Frauen im Alter"
Leske + Budrich, Opladen 1999
Der Text basiert auf der Erstveroffentlichung durch FRAU 1M BERUF.
Beratung der wissenschaftlichen Begleitung: Prof. Dr. Christina Schachtner,
Universitat Marburg
Gedruckt auf sliurefreiem und altersbestlindigem Papier.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Henckmann, Antje:
Aufbruch in ein gemeinsames Altern. Neue Wohnformen im Altern - am Beispiel des
Modellprojekts "Nachbarschaftlich leben fiir Frauen im Alter'" Antje Henckmann. -
Opladen : Leske und Budrich, 1999
ISBN 978-3-8100-2130-4 ISBN 978-3-322-93292-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-93292-1
© 1999 Leske + Budrich, Opladen
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men.
Inhalt
Vorwort ................................................................................................. 9
Einleitung ............................................. .................. ................ ............... 11
I. Alter und Individualisierung: Alt werden in unserer Gesellschaft .. 15
1. Die Bedeutung der Individualisierung fUr das Alter........................ 18
2. Frauen im Alter - eine besondere Mehrheit ................................... 21
II. Zur Forschungsmethode ................................................................. 27
1. Milieutheorie ................................................................................... 27
2. Methodisches Vorgehen ...... ...... ..................................................... 30
2.1 Auswertung........... .......................................................... ................ 31
2.2 Zu den Interviewzitaten .................................................................. 31
III. Geschichte des Modellprojekts "Nachbarschaftlich Leben fUr
Frauen im Alter" ............................................................................. 33
IV. Zusammensetzung der Gruppe ........................................................ 39
1. Abri13 der Lebenslaufe ......................... ........................................... 39
2. Was die Frauen verbindet ............................................................... 42
2.1 FRAU 1M BERUF:
Die Bedeutung fUr die Gruppe und das Projekt .............................. 42
2.2 Briiche im Lebenslauf der Frauen ................................................... 44
2.3 Berufstatigkeit ................................................................................ 47
3. Was die Frauen unterscheidet: Familienmiitter und ledige Frauen. 49
V. Einstellung zum Projekt .................................................................. 53
1. Motivation ...................................................................................... 53
1.1 "Noch einmal eine Heimat haben" ................................................. 53
1.2 "Diese Warme und auch, wenn ich will, das Klopfen an der
nachsten Tiir" - Geselligkeit ................... ....................................... 54
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1.3 "Man kann sicherlich flir die Nachbarin mal 'nen Tee machen"-
gegenseitige Hilfe ....... ........... ....... .......... ....... ... ...... ....... ....... ..... ..... 56
1.4 "Wer, wenn nicht wir, wann, wenn nichtjetzt" - das
Modellprojekt als Motivation ......................................................... 58
1.5 "Ich wollte immer eiri Schlafzimmer haben" -
die neue Wohnung .......................................................................... 59
1.6 "Wenn ich mich zu etwas durchgerungen habe, ziehe ich es aber
auch durch." - Durchhaltewille als Uberbrilckung von
Unsicherheit .................................................................................... 59
2. Einstellungen und Erwartungen zur Gruppe: "Ich finde die
wirkliche Leistung kommt doch erst, wenn wir wirklich in
Gemeinschaft miteinander auskommen und leben konnen." ..... ..... 60
2.1 "Jeder hat ein langes, eigenes Leben gehabt" - Unterschiede
zwischen den Frauen ...................................................................... 61
2.2 "Wenn ich was positiv betrachten will, kann ich's doch auch
positiv betrachten" - Durchhaltewillen und Disziplin zur
Gemeinschaft ... ........ ....... ......... ............. ......... ....... ....... ..... ......... ..... 63
2.3 "Jeder hat gesagt, er mochte seine eigene Tilr auch mal zumachen
konnen" - Nahe und Distanz .......................................................... 64
2.4 "Manches ist einfacher nur mit uns Frauen" - altersgleiche
Gemeinschaft ohne Manner . .......... ...... ..... ......... ....... .............. ... ..... 69
2.5 "Wir sind alle mutig genug, mal zu sagen: ,Immer ich' -
Sprachregelung ........ ................ ......... ........... .............. ................. .... 70
2.6 "Dann haben die ein biBchen Angst vor ihrem eigenen Mut
bekommen" - Aussteigen aus dem Projekt .................................... 72
2.7 "Ich kann ja noch in eine Altersheim gehen, wenn ich
zusammenklappe" - Zukunft im Modellprojekt? ........................... 73
3. Arbeiten in der Wohngruppe .......................................................... 74
VI. Die Rolle der Gruppenbegleitung . ...................... ..... .... ....... ... ......... 79
1. Die sozialpadagogische Begleitung ................................................ 79
1.1 Padagogische Ziele des Projekts und der Begleitung ..... ............ .... 79
1.2 Konkrete Arbeit ..... ................ ....................... ......... ....... ....... ........... 81
1.3 Forderverein ................................................................................... 83
1.4 Die Rolle der Institution bei der Begleitung . ........... ..... ........ ... ....... 83
1.4.1 Institution und Gruppe: Arbeit zwischen zwei Systemen ............. 83
1.4.2 Die Institution als Sicherheit ........................................................ 85
1.5 Erfahrung mit potentiellen Geldgebern und Tragern .......... ..... ... .... 86
1.6 Grenzproblematik bei der Betreuung . ....... ......... ................ ... ..... ..... 86
1.7 Motive aufprofessioneller Seite ..................................................... 87
2. Die gruppendynamische Begleitung - Supervision ........................ 90
2.1 Kommunikation . ......... ............ ............. ..... ....... ....... ....... ....... ... ....... 92
6
2.2 Ablauf der Sitzungen ......... ...... .................. .... ......... .... ........ ............ 92
2.3 Themen ... ....... ............... ......... ........ .................. ..... ...... .......... ..... ..... 93
2.4 Beendigung der Supervision .................................... .... ..... ........ ...... 97
2.5 Schwierigkeiten .............................................................................. 98
VII. Raum .............................................................................................. 101
1. Vortiberlegungen ............................................................................ 101
1.1 Die vier Wande werden wichtiger im Alter .......... ................... ....... 102
1.2 "Da hat die Kirche den acht alten Damen ein Haus gebaut" .......... 103
1.3 Das Modell als integriertes W ohnen mehrerer Generationen -
der Generationendialog .................. .... .............. ............. ..... .......... ... 104
2. Das Haus in der EbertbOckstraBe .................................................... 106
2.1 Privatheit ......................................................................................... 106
2.2 Die Lage des Grundstiicks . ....... ............ .......................................... 106
2.3 Der Garten ...................................................................................... 107
2.4 Offentliche Raume ... ........... ....... ............ ............................ ............. 109
2.4.1 Der Gemeinschaftsraum ............................................................... 109
2.4.2 Die Gange ..................................................................................... 112
2.5 Private Raume ................................................................................. 112
3. Finanzierung ................................................................................... 115
VIII. Resumee: Umsetzungsmoglichkeiten flir Trager .......................... 119
Literaturliste .......................................................................................... 125
Fotonachweis ......................................................................................... 129
Anlage ................................................................................................... 131
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Vorwort
Der ModernisierungsprozeB, der sich gegenwfutig vollzieht, spielt sich nicht
nur auf der Biihne des gesellschaftlichen Lebens abo Er beriihrt die private
sten Seiten unseres Daseins; unsere Lebensentwiirfe, unsere sozialen Bezie
hungen, die Gestaltung des Alltags. Traditionelle Bezugs- und Versorgungs
netze erodieren; gefiihrdet sind Bindungen, Einbindungen, Zugehorigkeiten.
Jugendliche haben einer empirischen Untersuchung zufolge (vgl. Zoll
1989, 223) Suchen und Ausprobieren zu ihren zentralen Lebensmotiven er
klart. Doch nicht nur die Jungen sind zum Experiment mit neuen Lebensfor
men herausgefordert. Auch das Leben in fortgeschrittenen Jahren ist zu einer
Aufgabe geworden, fUr die es nicht nur von Institutionen, sondern auch von
den alter werdenden Menschen selbst neue Losungen zu entwickeln gilt.
Letztere meld en sich zunehmend mit Vorstellungen von einem Leben im
Alter zu Wort, das der Versorgungsidee eine Absage erteilt zugunsten einer
selbstbestimmten LebensfUhrung.
Das hier vorgestellte Projekt steht fUr den Wunsch nach einem anderen
Alter. Acht Frauen haben das Experiment mit einer neuen Wohn- und Le
bensform gewagt. Die Idee hierzu entstand im Rahmen der Bildungsarbeit
FRAU 1M BERUF. Das evangelische Landeskrichenamt hat finanzielle Mittel
fUr den Bau eines Hauses bereitgestellt, das zusammen mit den heutigen Be
wohnerinnen geplant werden konnte. Die Frauen haben sich mehrere Jahre in
der Gruppe auf das Zusammenleben vorbereitet. In diesem ProzeB hat sich
fUr einige Frauen herausgestellt, daB sie sich doch nicht oder jetzt noch nicht
an dem Experiment beteiligen konnen. Andere Frauen sind neu dazugekom
men. Die intensive Auseinandersetzung mit der neuen Wohn- und Lebens
form ist unverzichtbar, sollen in der Gruppe tragfiihige Beziehungen entste
hen, die erlauben, auch die zu erwartenden Probleme und Konflikte kon
struktiv zu bewaltigen.
Das von den Frauen realisierte Experiment hat nicht nur fUr diese einen
Wert. Es zeigt auch anderen, daB es moglich ist, aus den bislang vorherr
schenden Alternativen Altenheim oder Alleinewohnen auszubrechen. Es wa-
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re wtinschenswert, wenn dies ansteckend wirkt. Suchen und Ausprobieren
fOrdert Wahlmoglichkeiten. Es befreit von der Angewiesenheit auf institutio
nelle Versorgung und fOrdert die Chance, selbst entscheiden zu konnen, wie,
wo und mit wem man/frau im Alter leben mochte.
Christina Schachtner
Philipps-U niversitat Marburg
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Einleitung
Alter und Altwerden ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Thema gewor
den. In allen Veroffentlichungen dazu wird die Tatsache betont, daB der An
teil iilterer Menschen in unserer Gesellschaft kontinuierlich steigt. 1990 wa
ren 20,4% der Bevolkerung tiber 60 Jahre. Dem stand ein Bev61kerungsanteil
von 21,5% der unter 20jahrigen gegentiber. Ftir das Jahr 2030 ist zu erwar
ten, daB der Anteil der tiber 60jahrigen Bevolkerung auf 33,6%, also auf tiber
ein Drittel der Gesamtbevolkerung, steigt, wiihrend derjenige der unter
20jiihrigen auf 16,8% sinkt (Hohn, 1995: 18). Die Diskussion tiber die pro
zentuale Zunahme der iilteren Bev61kerung wird umso harter, je groBer die
Angst der jtingeren Generation vor den hohen Kosten wird, die die Versor
gung der iilteren Generation verursacht. Anders ausgedriickt: Der Wind weht
scharfer gegen die A.lteren. Bis auf wenige Ausnahmen bleiben diese meist
stumm, es sieht so aus, als beteiligten sie sich nicht an der Diskussion urn ihr
Schicksal, oder sie bekommen in der Offentlichkeit keinen Raum fUr ihre
Argumente und ihre Stellungnahmen. Die Zeiten, in denen die "jungen AI
ten", d.h. diejenigen, die ihr Alter scheinbar ignorieren und sich wie Jugend
liche geben, bewundert beschrieben wurden, sind vorbei.
Auf der anderen Seite erOffnen sich mit der zunehmenden Anzahl alter
Menschen neue Markte. Interessanterweise hat der Immobilienmarkt Senio
renwohnungen als Geldanlage entdeckt. So entstehen beispielsweise groBere
W ohnanlagen fUr Seniorinnen und Senioren, die dann auf dem freien Markt
meistens als Kapitalanlage an Jiingere verkauft werden. Diese W ohnungen
unterscheiden sich von Altenheimen unter anderem durch ein geringeres MaB
an Betreuung. Das heiBt, Betreuung ist dort eigentlich kaum vorgesehen,
hochstens in Form einer Notklingel. Die Mieten sind nichtsdestotrotz sehr
hoch.
Das hier beschriebene Modellprojekt mochte die Lticke zwischen Allein
wohnen im Singlehaushalt und dem Altenheim durch gemeinsames Wohnen
und garantierte Nachbarschaftshilfe ausfiillen. Das Projekt unterscheidet sich
von den MaBnahmen der Altenhilfe vor allem durch die Eigeninitiative der
beteiligten Frauen. Mit dieser Eigeninitiative verbindet sich die Moglichkeit
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und die Herausforderung, die Art und Weise des Wohnens mitzugestalten
und auf die eigenen Bedtirfnisse abzustimmen. 1m Veri auf der Vorbereitung
des Projektes wurden den Teilnehmerinnen auch die Schwierigkeiten und
Grenzen der Finanzierung deutlich, denn sie wollten von Anfang an ein Mo
dell, das aufgrund der gegenseitigen Hilfeleistungen ein kostengtinstigeres
gemeinsames W ohnen ermoglicht und damit eine echte Alternative zu den
gegenwartigen Losungen des Wohnens und Lebens im Alter bietet.
Un sere Gesellschaft tut sich schwer mit dem Alter und den Alten: 1m allge
meinen wird diese Thematik verdrangt. Dies kann, wie Christina Schachtner
(1989: 75) vermutet, daran liegen, daB die Gebrechlichkeit alterer Menschen an
den Tod erinnert, der gesellschaftlich tabuisiert ist. Vieles, was zum Altern ge
hort, paBt nicht mehr in eine Welt, in der es auf Schnelligkeit und Leistung an
kommt. Gerade der Korper der Alten leistet Widerstand gegen gesellschaftliche
Erwartungen an Schonheit, Jugendlichkeit, Behendigkeit, schnelle Auffas
sungsgabe. Ftir die Betroffenen selbst ist das oft genug unangenehm, und sie
versuchen, Spuren des Alters zu verbergen, oder, wenn das nicht mehr moglich
ist, sich selbst der Gesellschaft zu entziehen (Schachtner, 1988: 24ff.). Auf der
anderen Seite sieht die Gesellschaft ihre Pflicht darin, fUr Altere zu sorgen.
Aber die Ftirsorge der Gesellschaft entspricht in vielem ihrem Bild vom Alterl.
Am Beispiel von Altersheimen wird dies deutlich: In den 70er Jahren war es
tiblich, im Grtinen und "auf der freien Wiese" riesige Seniorenzentren zu er
rich ten. Hier wurde den Bewohnerinnen und Bewohnern zwar ein reichhaltiges
Beschaftigungs- und Unterhaltungsprogramm geboten, aber sie waren in ihrer
Altersgruppe von der tibrigen Gesellschaft isoliert.
Altenheime sind wenig beliebte Wohnformen fUr altere Generationen
(DierVHoogers, 1988: 12ff.). Die wenigsten Alten ziehen freiwillig dorthin,
die meisten wollen lieber so lange wie moglich in ihren eigenen W ohnungen
bleiben. Auch von der Fachwelt wird das Konzept des Altenheimes mehr und
mehr in Frage gestellt und nach neuen alternativen Wohnformen gesucht, die
sowohl kostengtinstiger sind, als auch dem veranderten Anspruch nach sinn
voller Betreuung im Alter eher entsprechen. Hier sind zum einen ambulante
Pflegedienste, aber auch besonders Seniorenwohngemeinschaften zu nennen,
die in verschiedenen Variationen gelebt werden.
Das Bild der Alten hat sich im Laufe der Geschichte haufig geandert. Es sei hier nur an
gemerkt, daB die Achtung vor alten Menschen und die Betonung der Wiirde des Alters
erst in den letzten beiden Jahrhunderten in Europa aufkarn, wohl auch im Zusammenhang
mit der veriinderten EinsteIIung gegeniiber der Familie. Denn es sind vor aIIem die alten
Eltern, die man verehrt hat, die man haufig im Kreise ihrer Enkel abgebildet hat (Bor
scheid, 1992: 41f.).
Die meisten waren auch erst im 18. und 19. Jahrhundert mit dem Problem der drei Genera
tionen konfrontiert. Vorher war es eher die Ausnahme, daB GroBeItern, Eltern und Kinder
iiberhaupt gemeinsam am Leben waren (Minnemann, 1995, Mittauer, 1984). Griinde fiir
diese Veranderung waren die Senkung des Heiratsalters und die Erhohung der durch
schnittlichen Lebenserwartung.
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Description:Die Dokumentation beschreibt eines der wenigen verwirklichten Wohnprojekte von älteren Frauen, das auf Selbsthilfe basiert. Anhand von qualitativen Interviews und Beobachtungen wird die Entwicklung dieses Modellprojektes analysiert. Durch die zunehmende Individualisierung in unserer Gesellschaft we