Table Of ContentBarbara Neymeyr
Ästhetische Autonomie als Abnormität
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DE
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Quellen und Studien
zur Philosophie
herausgegeben von
Jürgen Mittelstraß, Günther Patzig,
Wolfgang Wieland
Band 42
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1996
• ·
Ästhetische Autonomie
als Abnormität
Kritische Analysen zu Schopenhauers Ästhetik
im Horizont seiner Willensmetaphysik
von
Barbara Neymeyr
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1996
© Gedruckt auf säurefreiem Papier,
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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Neymeyr, Barbara:
Ästhetische Autonomie als Abnormität: kritische Analysen zu Scho-
penhauers Ästhetik im Horizont seiner Willensmetaphysik / von Bar-
bara Neymeyr. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1996
(Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 42)
Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992/1993
ISBN 3-11-015229-0
NE: GT
D 25
© Copyright 1996 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin
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Vorwort
Bis heute ist eine umfassende kritische Analyse von Schopenhauers Äs-
thetik im Horizont seiner Willensmetaphysik Desiderat geblieben. Im Unter-
schied zu den zahlreichen Publikationen, die sich auf eine bloße Deskription
bestimmter Argumentationsstränge oder auf die Eruierung philosophiehisto-
rischer Zusammenhänge beschränken, bietet die vorliegende Abhandlung
eine problemorientierte, systematisch angelegte Auseinandersetzung, in der
Schopenhauers Konzeptionen zur Ästhetik im Hinblick auf ihre Konsistenz
und Stringenz untersucht und auf der Folie seines Voluntarismus analysiert
werden.
Die Willenstheorie wirkt via negationis in die Ästhetik hinein, weil die
spezifisch ästhetische ,Willensfreiheit' als eine Freiheit des Intellekts vom Wil-
len zugleich auf die Willenssphäre als ihr Fundament zurückverweist. Auf
diese Perspektive lassen sich die Beziehungen aber keineswegs reduzieren.
Vielmehr erhalten auch die kritischen Analysen etwa zur autonom-heterono-
men Doppelnatur des Intellekts, zum Stellenwert ästhetisch-objektiver Inter-
essen und Zwecke sowie eines spezifischen Selbstbewußtseins in ästhetischer
Kontemplation als Faktoren, die Schopenhauer trotz der postulierten Interes-
se-, Willen- und Selbst-losigkeit in Anspruch nimmt, erst im willensmetaphy-
sischen Horizont ihre eigentliche Bedeutung. Vor einer hinreichenden Entfal-
tung der zentralen voluntativen Dimensionen lassen sich die komplexen Pro-
bleme in Schopenhauers Ästhetik allenfalls rudimentär und ohne endgültige
Interpretationsergebnisse aufklären. Insbesondere die zunächst in engerem
Rahmen durchgeführten und partiell in vorläufige Aporien mündenden Ana-
lysen von Kapitel A. erfahren demgemäß erst in § 12 ihre eigentliche Zuspit-
zung, so daß ihre Resultate auf der Folie von Schopenhauers Willensphiloso-
phie in entscheidender Hinsicht modifiziert, ja teilweise sogar revidiert wer-
den müssen.
Umfangreiche Passagen der Kapitel A. und B. widmen sich von unter-
schiedlichen Perspektiven aus der zentralen Fragestellung, ob es sich bei der
von Schopenhauer postulierten Freiheit des Intellekts um eine genuine Auto-
nomie handelt. Nur durch eingehende Analysen zur komplexen Beziehung
zwischen Willen und Intellekt läßt sich diese Frage beantworten.
VI Vorwort
Laut Schopenhauer besteht die .naturgemäße' Funktion des Intellekts im
Willensdienst; erst durch eine ,abnorme' Emanzipation vom Willen wird der
Intellekt zu autonomer Tätigkeit fähig, die eine ästhetische Kontemplation
ermöglicht. Sofern Schopenhauer jedoch das Spezifikum des Intellekts mit-
unter gerade in willensunabhängiger Aktivität nach .eigenen Gesetzen' er-
blickt, gerät die ,Natur' des Intellekts in eine Ambivalenz, die auch die Impli-
kationen von .Abnormität' bestimmt. Aus einer differenzierten Auseinander-
setzung mit diesen Ansätzen ergeben sich wichtige Konsequenzen für die
Bewertung der Relation zwischen Autonomie und Heteronomie. Die Analy-
sen setzen zwar zunächst im engeren Bereich der Ästhetik an, beziehen dann
jedoch den willensmetaphysischen Horizont von Schopenhauers Philosophie
mit ein und stoßen schließlich bis zu einer neuen Interpretation des Verhält-
nisses zwischen Willen und Intellekt vor. Nicht nur für die Autonomie-Pro-
blematik, sondern auch für die Einschätzung der Relation zwischen Gegen-
standsbewußtsein, Selbstbewußtsein und Selbstverleugnung in ästhetischer
Kontemplation bietet Schopenhauers Willenstheorie Perspektiven, die zu ei-
ner abschließenden Beurteilung der divergenten Ansätze Wesentliches bei-
tragen.
Einer umfassenden Analyse wird außerdem das komplexe Verhältnis zwi-
schen dem ideenbezogenen Erkenntnisanspruch und der vom voluntativen
Leidensdruck entlastenden Eudämonie in ästhetischer Einstellung unterzo-
gen. Aufgrund von Schopenhauers pessimistischen Prämissen erscheint es als
eine Synthese von Inkompatiblem. Die spannungsreiche Beziehung zwischen
Illusionsbildung und Desillusionierung in Schopenhauers Ästhetik ermöglicht
einen Ausblick auf die durch Verneinung des Willens zum Leben entstehende
Ataraxie, die auf dessen Selbsterkenntnis beruht und den Kulminationspunkt
von Schopenhauers Ethik darstellt.
Mehrere Paragraphen von Kapitel C. zeigen durch Analysen zur Relation
zwischen Natur- und Kunstschönem, zur Differenzierung zwischen Schönem
und Erhabenem, zur Funktion der Phantasie sowie zu den unterschiedlichen
Hierarchien ästhetischer Objekte bei Schopenhauer, daß nur ästhetikinterne
Spezifikationen dem komplexen Verhältnis zwischen Spontaneität und
Rezeptivität, zwischen Aktivität und Passivität des ästhetischen Subjekts in
seiner Konzeption gerecht werden können. Daß ein Versuch, diese für die
ästhetische Subjekt-Objekt-Korrelation konstitutive Beziehung global zu be-
stimmen, nicht aussichtsreich ist, erhellt bereits aus den im Verlauf von § 4
mehrfach wechselnden Perspektiven, die durch ein Changieren zwischen
spontan-energischer Aktivität und lethargisch-rezeptiver Passivität des Sub-
jekts bei Schopenhauer bedingt sind.
Vorwort VII
Nur auf den ersten Blick erweckt Schopenhauers Ästhetik den Eindruck,
es handle sich um eine durch luzide Hauptthesen und klare Grundstrukturen
geprägte Konzeption. Bei zusätzlichen Lektüredurchgängen jedoch wird ein
vielschichtiges Gewebe sichtbar, das nicht nur aus komplementären Argu-
mentationssträngen besteht, sondern auch widersprüchliche Komponenten
enthält. Schopenhauers Postulat einer ästhetischen Autonomie des Intellekts
basiert auf einem dualistischen Ansatz, der aber durch den fundamentalen
Willensmonismus in Frage gestellt wird. Diese Problematik erweist sich als
besonders folgenreich. Sofern sich Schopenhauers Ästhetik im Spannungs-
feld zwischen Platonischen und Kantischen Theorien befindet, ist sie zudem
von unterschiedlichen Traditionsmustern beeinflußt, die ihre Komplexität
noch verstärken. Gerade die Heterogenität von Schopenhauers Ansätzen ver-
langt differenzierte Analysen.
Die vorliegende Abhandlung wurde im Wintersemester 1992/93 von den
Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg als
Dissertation angenommen.
Herrn Prof. Dr. Gerold Prauss danke ich für die Anregung zu dieser
Arbeit, der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Graduiertenförde-
rung des Landes Baden-Württemberg für die mir gewährten Stipendien.
Freiburg i. Br., im Dezember 1995 Β. N.
Inhalt
Vorwort V
Α. Grundzüge und Hauptprobleme in Schopenhauers Ästhetik . 1
§ 1. Negativität als Charakteristikum spezifisch ästhetischer
,Willensfreiheit' 3
§ 2. Der Stellenwert ,objektiven Interesses' im Hinblick auf das
Postulat ästhetischer Interesselosigkeit 19
§ 3. Metavoluntative Komponenten des ästhetischen Intellekts . . 33
§ 4. Die Problematik von Spontaneität und Rezeptivität
in ästhetischer Einstellung 45
§ 5. Die autonom-heteronome Doppelnatur des Intellekts
als Ursprung seiner expandierenden Abnormität 67
§ 6. Selbstbewußtsein und Selbstverleugnung als Faktoren eines
ästhetikinternen Konflikts 87
B. Schopenhauers Ästhetik der Willenlosigkeit im Verhältnis zu
seiner Philosophie des Willens 105
§ 7. Die Positivität der Willenstheorie als Fundament ästhetischer
Negativität 107
§ 8. Erfolg als Mißerfolg: Zu ambivalenten Strukturen
in Schopenhauers Willenstheorie 129
§ 9. Sirenengesang zwischen Skylla und Charybdis: Die Plazierung
ästhetischen Glücks zwischen Sorge und Langeweile 139
§ 10. Ästhetische Ataraxie als Therapeutikum für den Willen? . .. 149
§ 11. Problematische Aspekte der Subjekt-Objekt-Korrelation
in ästhetischer und voluntativer Einstellung 167
§ 12. Metavoluntarismus des Ästhetischen —
Metaästhetizismus des Voluntativen? 177
χ Inhalt
C. Einzelaspekte und Spezialprobleme in Schopenhauers Ästhetik 213
§ 13. Schopenhauers Ästhetik im Verhältnis zu Nietzsche, Kant
und Piaton 215
§ 14. Das Genie als Hermaphrodit? - Zur Problematik
ästhetischer Fertilitätsmetaphorik 265
§ 15. Die Funktion der Phantasie als Spontaneitätsfaktor 287
§ 16. Die Differenz zwischen Kunstschönem und Naturschönem 295
§ 17. Die Architektonik von Schopenhauers Hierarchien
ästhetischer Objekte 315
§ 18. Der Sonderstatus der Musikästhetik 335
§ 19. Die Inferiorität der Lyrik in Schopenhauers Dichtungstheorie 351
§ 20. Die Problematik der Relation zwischen Schönem
und Erhabenem 365
§ 21. Der ungeklärte Status des Trauerspiels
als Kunst oder Erhabenes 387
§ 22. Das Verhältnis der Ästhetik zur Ethik 409
Literaturverzeichnis 425
Personenregister 429