Table Of ContentNorbert Wokart
Antagonismus
der Freiheit
Wider die Verharmlosung eines
Begriffs
Antagonismus
NorbertWokart
Antagonismus der Freiheit
Wider die Verharmlosung eines Begriffs
]. B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung
Stuttgart
BibliothekMetzler
Band 7
DiedeutscheBibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Wokart,Norbert
Antagonismusder Freiheit:widerdieVerharmlosungeinesBegriffs/
NorbertWokart.- Stuttgart:Metzler1992(BibliothekMetzler;Bd.7)
NE :GT
ISBN978-3-476-00823-7
ISBN978-3-476-03398-7(eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-03398-7
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© 1992Springer-VerlagGmbHDeutschland
Ursprunglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung
undCarlErnstPoeschelVerlagGmbHinStuttgart 1992
Inhalt
Einleitung
Seite9
1. Teil
Der allgemeine BegriffclerFreiheit
Seite 21
I.
Freiheit alsSubstanz
Seite 23
DieBestimmbarkeitdesMenschen 23
Zum BegriffderUnfreiheit 34
GeschichtlichkeitoderHeimatund Fremde44
Erosund Angst52
II.
Freiheit alsAttribut
Seite 61
DasBestimmtsein61
Zum BegriffderUnfreiheit72
DieVerantwortungunddasSystem 80
EthikderBestimmtheit9I
5
II.Teil
Ein konkreter Begriffder Freiheit
Seite 103
I.
SubstantiellesMiteinandersein
Seite 105
DasAuseinandersetzen 105
ZurAmbivalenzmitmenschlicherBeziehungen I 14
II.
AttributivesMiteinandersein
Seite I z.z.
DasAnerkennenI z.z.
Wir 132.
III.
Exkurs:Das Geld
Seite140
Beschluf
Seite 147
Anmerkungen
Seite 150
6
DieMenschensind seiber schuld;
ihnenwardas Paradiesgegeben,
sieaberwollten Freiheit.
Dostojewski
7
Einleitung
Erfahrungen verstandlich zu machen, ist ein Hauptinteresse der
Vernunft, ein Interesse, das sich alierdings mit den drei Fragen
nicht befriedigenlagt, vondenen Kantin seiner »Kritikder reinen
Vernunft- behauptete, sie machten das gesamte spekulative und
praktische Interesse der Vernunft aus, narnlich: »1.Was kann ich
wissen? 2. Was soli ich tun? 3. Was darfich hoffen?« Denn dabei
ist das Konnen Thema aliein der theoretischen Philosophie, und
die Frage nach dem Handeln wird an das Solien verwiesen. Es ist
aber gar nicht einzusehen, weshalb man das Konnen nur auf das
Wissen beziehen und beim Handeln blog nach dem Solien fragen
durfe,zumal doch alles Sollen in einem Konnen fundiert sein mug
und davon nur ein Teilbereich ist; denn was man nicht tun kann,
kannwedergeboten,nochmugesverbotenzu werden,weshalbes
zwar untersagtist, dem Nachbarn die Birnen, nichtaber, nachtens
den Mond zu stehlen.Dennochdekretierte Kant in einerapodikti
schen Setzung, die Schopenhauer als petitio principii anprangerte
(was iibrigensetwaso erfolgreichwarwie die ganzeSchrift,in der
er dies tat, als Preisschrift), in der praktischen Philosophie sei es
nicht darum zu tun, »Grimde anzunehmen von dem, was ge
schieht, sondernGesetzevondem,wasgeschehen50//, ob esgleich
niemals geschieht.vjl] Legt man aber alies Gewicht auf die Frage
nachdemSolien, hatmanaufdie wichtigste,mindestensabererste
Aufgabe einer philosophischen Reflexion auf das Handeln schon
verzichtet, narnlich nach den Grunden zu forschen, die es Men
schen errnoglichen, so zu handeln, wie sie es wirklich tun. Ange-
9
sichts von Auschwitz und der existentiellen Probleme unserer ge
genwartigen Welt verfliichtigt sich die Frage nach dem Sollen, da
man auch ohne philosophische Reflexion weiB, was man tun soli
und was nicht, wahrend es wirkliche Schwierigkeiten macht, zu
begreifen, was Menschen dazu befahigt, so zu handeln, wie wires
taglich erfahren. Dieser Wirklichkeit gegeniiber erlaubt sich die
Vernunft noch ein anderes Interesse als die von Kant formulierten
und stellt noch eine weit umfassendere Frage, narnlich: Welches
Konnen liegt dem menschlichen Wissen und Handeln insgesamt
zugrunde? Mit der Beantwortung dieser Frage wird nicht nur ver
standlich werden, weshalb man sie bisher nicht gestellt hat, son
dern schliefslich auch erklart, wie das Sollen in das Handeln ge
kommen ist und welche Funktion die Trennung von Konnen und
Solien und ihre Verteilung auf das Wissen und Handeln haben.
Nur so nahert man sich der Frage, die Kant in seiner »Logik«als
vierte gestellt und von der er angenommen hat, sie vereine in sich
die drei anderen, namlich: »Wasist derMensch?«.
Die fundamentale Bedeutungdes Konnens ist selbstin den spar
lichen Randbemerkungen, die ihm die Philosophie bisher widme
te, stets, wenn auch stets nur nebenbei, ausgesprochen worden.
Schon die griechische Philosophie versah die Frage nach dem Sol
len mit einem Hinweis auf das mogliche Konnen des Menschen.
Aristoteleszum Beispiel bezeichnetdas als das Gute, wofiirein be
stimmtes Wesen ein ihm eigentiimliches Vermogen habe. Da das
spezifischeVerrnogen des Menschenin derVernunftliege, bedeute
fur ihn das Gute die Betatigung seiner Vernunft. Die Forderung,
derMenschsolie seine Vernunftgebrauchen,ergibtsich so erstaus
dem Verrnogen der Vernunft als ihrer Grundlage. In der neueren
Philosophie wird dieser Zusammenhang noch deutlicher heraus
gestellt. Fur Spinoza etwa gilt der ethische Grundsatz, daB jeder
solie, was er konne, Daher ist fur ihn der Inhalt des Sollens nie
mals ein Verbot, sondern im Gegenteil das Gebot zur Verwirkli
chung des Konnens, Der Inhalt des Sollens ist das Konnen selber,
und durch dieses bekommt jenes erst seine Funktion. Schliefslich
hat Max Scheler das Konnen sogar mit einem Hauptbegriff mo
derner Philosophie als Macht definiert und damit in das Zentrum
praktisch-philosophischerOberlegungengeriickt, und dennoch ist
10
esauch bei ihm nichtzum zentralen Thema einer philosophischen
Ethikgeworden. Diese umfassende Frage nach dem Konnen nicht
formuliert und reflektiert zu haben, ist eines der folgenreichsten
Versaumnisse der Philosophie. Man hat diese Frage sich mit der
EntwicklungderWissenschaften und der Technikgleichsam prak
tisch undwie von selbstbeantworten lassen. Diese habenaberdas
Konnen des Menschen in ihrem Bereich aufeine Weise gesteigert
und vermehrt, daR denen, die allein die Frage nach dem Sollen
stellten, stetsangstund bangewurde,weshalbsieihreFrageurnso
eindringlicher zu stellen sich veranlalst sahen, wodurch aber das
Problem des Konnens nicht aus der Welt zu bringen oder zu be
herrschen war. Die Foigen dieser fehlenden Reflexion sind mittler
weile nichtnurphilosophisch bedenklichgeworden.
AIle praktischen Begriffe, an denen doch das Leben hangt, wie
nach MusilsWortder Adlerin seinenSchwingen,kranken an dem
unklaren Verhaltnis von Konnen und Sollen, am meisten aber die
zentralenBegriffe, undan derSpitze dieserUnklarheitrangiertder
Begriff der Freiheit. Der Problematik gerade dieses Begriffes war
mansich freilich immerschon bewufitgewesen.In Lorenzo Vallas
(1407-1457) Schrift »Uber den freien Willen«, der ersten wirkli
chen Monographie zu diesem Thema, sagt ein Dialogteilnehmer,
er wisse nicht, »ob eseine Frage gibt,deren Antwort mitgraRerer
Dringlichkeitgewufsrwerden muRte und zugleich wenigergewufst
wird-jz]. Er jedenfalls habe bisher keine Losung fur das Problem
desfreien Willensgefunden.SeinGesprachspartnergehtnochwei
ter und zweifeltnicht nur daran daR die Losung des Freiheitspro
blems »iiberhauptjemandem bekannt- (S.65) sei, sondern glaubt
sogar, daR man vielleicht »seine Losung niemals kennen- (S. 65)
werde. Rechten Aufschwung nahm diese Erkenntnis, daf alles
Wissen tiber die Freiheit unklar sei, allerdings erst, als diese zum
Hauptbegriff der Philosophie avancierte. Am Beginn dieser mo
dernen Einsicht in die Dunkelheit des Freiheitsbegriffs steht He
gels kritische Bemerkung: »Uber keine Idee weiR man es so allge
mein, daR sie unbestimmt, vieldeutig und der graRten MiRver
standnisse fahigund ihnen deswegen wirklich unterworfen ist als
tiber die Idee der Freiheit, und keine ist mit so wenigem Bewulit
sein gelaufig.vj.I] Aber trotz seines Hinweises, daR diese MiRver-
II