Table Of ContentArnold Svensson· Anspielung und Stereotyp
Arnold Svensson
Anspielung und Stereotyp
Eine linguistische Untersuchung des politischen
Sprachgebrauchs am Beispiel der SPD
Westdeutscher Verlag
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Svensson, Arnold:
Anspielung und Stereotyp: e. linguist. Unters. d.
pol it. Sprachgebrauchs am Beispiel der SPD / Arnold
Svensson. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984.
~ 1984 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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ISBN-13: 978-3-531-11691-4 e-ISBN-13: 978-3-322-84061-5
DOl: 10.1007/978-3-322-84061-5
"Die Sozialdemokratie hat nie so sehr darunter
gelitten, was sie eigentlich war, als vielmehr
darunter, was die Tiiuschungspropaganda des
Besitzes in den Augen der Urteilslosen aus ihr
gemacht hat. "
Kurt Schumacher
VII
Inhaltsverzeichnis
o. Vorbemerkung
1. Zur Methodologie der Untersuchung 3
1.1 Zum Begriff der Referenzpr~supposition 3
1.2 Zum Begriff der lexikalischen Pr~supposition 11
1.3 Anspielungen 15
1 .3. 1 Zur Systematik einer "Linguistik der
Anspielung" 23
1. 3. 2 Zur politischen Funktion der Anspielungen 26
1.4 Stereotype 30
1.5 Konsequenzen und Perspektiven fur weitere
Untersuchungen 35
1. 5.1 Zum Begriff der "Bedeutung" in der modernen
Semantik 37
1.6 Prolegomena zu einer Theorie des Zitats 46
2. Zur Materialauswahl und Darstellungsweise 63
3. Abgrenzung von der KPD: 1945-1950 65
3.1 Aus der Resolution des Parteitages der SPD
vom 9.-11.5.1946 65
3. 1 • 1 Zur Genese des Textes 65
3.1. 2 Wortlaut des Textabschni ttes 67
3.1.3 Zu den Referenzpr~suppositionen im Text 70
3.1.4 Zu den lexikalischen Pr~suppositionen im Text 74
3.1.5 Zu den Anspielungen im Text 78
3.1.6 Zusammenfassung 84
3.2 Stereotype im Sprachgebrauch der SPD
1945-1950 86
3.2.1 Sozialismus 86
3.2.1.1 Sozialismus ist die Verwirklichung bestimmter
Ideen 87
3.2.1.2 Fur die SPD ist der Marxismus eine Methode 93
3.2.1.3 Die SPD lehnt den Klassenkampf ab 99
3.2.2 Demokratie und Sozialismus bilden fUr die
SPD eine Einheit 103
3.2.3 Die SPD fordert die Sozialisierung 106
3.2.4 Die SPD fordert die Planwirtschaft 111
VIII
3.2.5 Die SPD tritt fur eine Demokratisierung der
Wirtschaft ein 114
3.2.6 Die SPD ist auch die Partei des Mittelstandes 119
3.2.6.1 Die SPD garantiert den Besitz des Mittelstan-
des 122
3. 2. 7 Zusammenfassung 125
4. Das Bemuhen urn neue Wahlerschichten:
1955 - 1960 132
4. 1 Aus dem Godesberger Programm 1959 132
4. 1 • 1 Zur Genese des Textes 132
4. 1 • 2 Wortlaut des Textabschnittes 134
4.1.3 Zu den Referenzprasuppositionen im Text 138
4.1. 4 Zu den lexikalischen Prasuppositionen im Text 140
4.1.5 Zu den Anspielungen im Text 147
4.1.6 Zusammenfassung 155
4.2 Stereotype im Sprachgebrauch der SPD
1955 bis 1960 161
4.2.1 Die SPD will bestimmte ethische Werte ver
wirklichen 161
4.2.2 Die SPD tritt fur die Freiheit ein 167
4.2.3 Die SPD wird im allgemeinen das Privateigen
tum schutzen 172
4.2.3.1 Die SPD wird in besonderen Fallen das Pri
vateigentum an Produktionsmitteln in Gemein
eigentum uberfuhren 177
4.2.4 Die SPD fordert zur Verwirklichung der Demo
kratie die Mitbestimmung 1 81
4.2.5 Die SPD tritt fur eine Planung in der Wirt
schaft ein 189
4.2.5.1 Die SPD fordert ein Nationalbudget und eine
volkswirtschaftliche Gesamtrechnung 192
4.2.6 Die SPD befurwortet den freien Wettbewerb 197
4.2.7 Zusammenfassung 203
5. LiteraturveIzeichnis 208
5. 1 Abkurzungen 208
5.2 Lihguistische und politologische Unter
suchungen 208
5.3 Texte der SPD 216
- 1 -
o. Vorbemerkung
Dieser Band solI auf keinen Fall "schon wieder" oder "noch
eine" Untersuchung zum Sprachgebrauch in der Poli tik darstel
len, sondern bisherige Untersuchungen zu diesem Thema erganzen
oder erweitern. Ich mochte mit dieser Arbeit eine inhaltliche
und methodische Lucke fullen. Ein Oberblick uber linguistische
Untersuchungen zum Sprachgebrauch in der Politik im allgemei
nen und uber didaktisch aufbereitete Untersuchungen zu diesem
Thema im besonderen zeigt, daB die meisten Autorinnen und Au
toren sich oftmals auf die Themen "Sprachgebrauch wahrend des
Nationalsozialismus" und "Sprachgebrauch in der DDR im Ver
gleich zu dem in der BRD" beschranken. Das mag zum einen daran
liegen, daB Wissenschaft sich auf "abgesicherten Gebieten"
bewegen mochte, andererseits ist hier aber auch eine Scheu zu
beobachten, mit der das Problem "linguistische Beschreibung
und politische Bewertung" umgangen wird. Ich gehe in dieser
Arbeit davon aus, daB ein Linguist, der Sprache als his tori
sches Phanomen analysiert, diese nicht als Beobachter wertfrei
beschreiben kann, da er ohne normatives Engagement so etwas
wie Geschichte uberhaupt nicht versteht. Sinn von Geschichte
wird yom Einzelnen nur verstanden als Abweichung oder Oberein
stimmung mit den Zielen normativen Handelns. Mein Erkenntnis
interesse bei der vorliegenden Arbeit liegt darin, zu uberpru
fen, ob der Sprachgebrauch der SPD dazu beitragt, die inter
subjektive Verstandigung uber konkrete Bedurfnisse und Inter
essen voranzutreiben, damit aIle gesellschaftlichen Subjekte
Trager gesellschaftlichen Fortschritts werden. Methodisch ge
sehen geht die vorliegende Arbeit von der Fragestellung aus,
warum ein Text als politischer oder sozialdemokratischer rezi
piert wird. Bisherige Untersuchungen zu diesem Thema setzten
schon voraus, daB es sich beim Untersuchungsgegenstand urn
einen politischen Text handelt. Pragmalinguistische Untersu
chungen versuchen,eine Vielzahl auBersprachlicher Faktoren zu
beschreiben, die die Textsorte und ihre Rezeptionsweise deter
minieren. Dieses Vorgehen ist zum Teil unbefriedigend, weil es
kein Kriterium gibt, nach dem sich entscheiden lieBe, wann
- 2 -
der Katalog auBersprachlicher Faktoren vollst~ndig beschrie
ben ist.
Die hier vorgeschlagene Untersuchungsmethode hat fUr die
Deutschdidaktik zwei Vorteile: zum einen wird die Gefahr ein
geschr~nkt, daB beim Thema "Sprachgebrauch in der Politik"
der Deutschunterricht in Geschichts- und Sozialkundeunterricht
auszuufern droht, zum anderen wird von politischen Texten
selbst ausgegangen, und die Texte werden nicht verdinglicht
zu Beispielen fUr rhetorische Figuren u.~. Oder anders ausge
drUckt: durch die hier vorgeschlagene Methode gewinnt die
Sprachanalyse eine genuin sprachhistorische Dimension.
Ich gehe von der Hypothese aus, daB ein bestimmter Text als
Sozialdemokratischer Text rezipiert wird, weil bestimmte Aus
drUcke, die in diesem Text verwendet werden, den Rezipienten
an frUhere sozialdemokratische Texte erinnern. Bestimmte Aus
drUcke spielen auf frUhere Texte an. Die Kategorie der
A n s pie I u n gist somit die zentralste dieser Arbeit.
Die vorliegende Untersuchung zeigt, wie die SPD ihren Sprach
gebrauch im Laufe der Jahre ver~ndert und damit historische
Erfahrungen umstrukturiert und politische Zielsetzungen ver~n
dert hat. Sie tr~gt damit dazu bei, den bisher noch sehr unbe
stimmten Begriff "Manipulation durch Sprache" ein wenig mit
Inhalt zu fUllen, weil die Untersuchung zeigt, wie die SPD un
ter Anspielung auf frUhere Zielsetzungen ihre aktuelle Ziel
setzung jeweils bzw. vor dem Rezipienten verschlei
ver~nderte
erte.
Die vorliegende Arbeit ist die gekUrzte Fassung einer Disserta
tion mit dem Titel "Zum Sprachgebrauch der SPD im wirtschafts
politischen Bereich nach 1945", die 1978 in Hamburg erschienen
ist. Hochmotivierte Leser seien auf die Dissertation verwiesen,
wenn sie noch mehr Analysen oder noch mehr Literaturhinweise
benotigen. FUr die vorliegende Arbeit wurde das Literaturver
zeichnis auf ein Minimum gekUrzt und das Schwergewicht auf
praktische Analysebeispiele gelegt.
- 3 -
1. Zur Methodologie der Untersuchung
Urn die von mir gewahlte Untersuchungsmethode dem Leser plausi
bel zu machen, mochte ich im folgenden einige kurze Hinweise
zur Methodologie meiner linguistischen Analyse geben und die
Wahl meiner linguistischen Kategorien begrunden. Ich werde
hierbei nicht weiter problematisieren, warum ich die Katego
rie "AuJ3erung" und nicht "Satz" verwende; einerseits ist "AUS
se"rung" im Sinne stringenter linguistischer Theorie ein "vor
theoretischer" Begriff, andererseits ist in diesem Begriff
aber die kommunlkative Funktion eher aufgehoben als im Begriff
"Satz", der nur eine bestimmte grammatische Struktur bezeich
net.
1.1 Zum Begrif£ der Referenzprasupposition
In der Sprechakttheorie (im Sinne von Searle, 1971) wird inner
halb des Sprechaktes zwischen "propositionalem", "illokutio
narem" und "perlokutionarem Akt" unterschieden. Mit dem Be
griff "propositionaler Akt" solI der Vollzug von Referenz und
Pradikation, mit dem "illokutionaren Akt" der jeweilige rhe
torische Modus (Befehl, Frage, Behauptung etc.) und mit dem
"perlokutionaren Akt" die Wirkung des jeweiligen Sprechaktes
beschrieben werden. In jedem Sprechakt- und damit in jeder
"AuJ3erung", ich gebrauche die beiden Begriffe fortan synonym -
ist somit ein propositionaler Akt enthalten, der aus Referenz
und Pradikation besteht. Mit anderen Worten: Mit jeder AuJ3e
rung weisen wir u.a. auf etwas hin. Was bedeutet dies sprach
lich?
Hinweisen konnen wir auf Personen, Gegenstande, Ereignisse etc.
Sprachlich au/3ert sich unser Referenzakt dadurch, da/3 wir Ei
gennamen, Pronomina oder Nominalausdrucke mit dem bestimmten
Artikel gebrauchen. Mit diesen Ausdrucken identifizieren wir
die von uns benannten Objekte auch fur den Rezipienten.
Ich werde fortan die an einer Kommunikation beteiligten Kommu-
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nikationspartner mit "Produzent" und "Rezipient" bezeichnen.
In linguistischer Literatur wird meistens statt dessen "Spre
cher" und "Horer" gebraucht; diese Terminologie ist m.E. aber
zu sehr an mlindliche Kommunikation gebunden und umfaBt nicht
den "Schreiber" und "Leser" schriftlicher Kommunikation. In
der Wahl von "Produzent" und "Rezipient" dagegen sollen beide
Kommunikationsarten enthalten sein. Nur wenn ich explizit auf
mlindliche Kommunikation eingehe, werde ich "Sprecher" und
"Harer" gebrauchen.
SEARLE (1971, 128 ff.) unterscheidet bei der Referenz zwischen
"vollstandig vollzogener" und einer "erfolgreichen Referenz".
Bei der vollstandig vollzogenen Referenz wird flir den Rezi
pienten der Gegenstand eindeutig identifiziert, bei einer er
folgreichen Referenz ist dies nicht der Fall, aber der Produ
zent muB auf Nachfragen des Rezipienten den Gegenstand eindeu
tig identifizieren konnen. Die vollstandig vollzogene Referenz
ist flir SEARLE (1971, 129) nur unter zwei Bedingungen moglich:
"1. Es muB ein und nur ein Gegenstand existieren, auf
den die von dem Sprecher vollzogene AuBerung des
Ausdrucks zutrifft (eine Neuformulierung des Axioms
der Existenz)
und
2. dem Zuhorer mlissen hinreichende Mittel an die Hand
gegeben sein, urn den Gegenstand auf Grund der von
dem Sprecher vollzogenen AuBerung des Ausdrucks
identifizieren zu konnen (eine Neuformulierung des
Axioms der Identifikation)."
Aus diesen Bedingungen konnen wir folgern: In jeder AuBerung
identifiziert der Produzent einen Gegenstand, dessen Existenz
er voraussetzt. Zu diesem Ergebnis war auch schon FREGE (1892,
54) gekommen:
"Wenn man etwas behauptet, so ist immer die Voraussetzung
selbstverstandlich, daB die gebrauchten einfachen oder
zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben."
(1m Grunde mliBte genauer geklart werden, ob aIle moglichen
Sprechakte auch Referenzakte enthalten; ich habe bisher und
werde weiterhin voraussetzen, daB Behauptungen, Aufforderungen