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MenschenRechtsMagazin
Informationen | Meinungen | Analysen
Aus dem Inhalt:
(cid:131) Themenschwerpunkt: Menschenrechte in der arabischen Welt
(cid:131) Menschenrechte und die Suche nach
einer islamischen Identität
(cid:131) Die Zukunft des arabischen Frühlings aus
der Perspektive der Menschenrechte
(cid:131) Die Menschenrechtsbindung transnationaler Unternehmen
(cid:131) Das Interamerikanische Menschenrechtssystem im Praxistest
– Vorzüge und Defizite des Individualbeschwerdeverfahrens
17. Jahrgang 2012 | Heft 1
MenschenRechtsZentrum
MenschenRechtsMagazin
Informationen │ Meinungen │ Analysen
Aus dem Inhalt:
Themenschwerpunkt: Menschenrechte in der arabischen Welt
Menschenrechte und die Suche nach einer islamischen Identität
Die Zukunft des arabischen Frühlings aus der Perspektive
der Menschenrechte
Die Menschenrechtsbindung transnationaler Unternehmen
Das Interamerikanische Menschenrechtssystem im Praxistest
– Vorzüge und Defizite des Individualbeschwerdeverfahrens
17. Jahrgang 2012 │ Heft 1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Universitätsverlag Potsdam 2012
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Redaktion:
Dr. iur. Norman Weiß ([email protected])
Lutz Römer
Das Manuskript ist urheberrechtlich geschützt.
Druck: docupoint GmbH Magdeburg
ISSN 1434-2820
MRM — MenschenRechtsMagazin Heft 1/2012 3
Inhaltsverzeichnis
Editorial .................................................................................................................................................. 4
THEMENSCHWERPUNKT: MENSCHENRECHTE IN DER ARABISCHEN WELT
Hans Jörg Sandkühler
Menschenrechte in der arabischen Welt. Zur Einleitung in den Themenschwerpunkt .............. 5
Yadh Ben Achour
Die Menschenrechte im Islam denken oder die zweite Fâthia ..................................................... 13
Mahmoud Bassiouni
Menschenrechte und die Suche nach einer islamischen Identität ................................................ 28
Sarhan Dhouib
Die kritische Diskussion der Menschenrechte.
Stimmen aus dem arabisch-islamischen Kulturraum .................................................................... 44
Azelarabe Lahkim Bennani
Die Zukunft des arabischen Frühlings aus der Perspektive der Menschenrechte ..................... 54
BEITRÄGE:
Markus Krajewski
Die Menschenrechtsbindung transnationaler Unternehmen ........................................................ 66
Kerstin Blome
Das Interamerikanische Menschenrechtssystem im Praxistest
– Vorzüge und Defizite des Individualbeschwerdeverfahrens .................................................... 81
Klaus Hüfner
UNESCO und der Schutz der Menschenrechte – Sonderweg oder Sackgasse? ......................... 97
BERICHTE UND DOKUMENTATION:
Nina Kapaun
Bericht über die Arbeit des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen
im Jahre 2011 Teil I – Staatenberichte ............................................................................................. 112
BUCHBESPRECHUNGEN:
Wildhaber, Der Menschenrechtsgerichtshof für Europa – überlastet, überlastend
oder gerade richtig? (Römer) ........................................................................................................... 131
Joas, Die Sakralität der Person: Eine neue Genealogie der Menschenrechte (Vasel) ............... 132
Autorenverzeichnis ........................................................................................................................... 134
4 MRM —MenschenRechtsMagazin Heft 1/2012
Editorial
Z u unserer besonderen Freude bietet dieses Heft einen Themenschwerpunkt, der hoch-
aktuelle Entwicklungen behandelt: Menschenrechte in der arabischen Welt. Hans Jörg
Sandkühler, der den Themenschwerpunkt als Gastherausgeber verantwortet, hat re-
nommierte Autoren gewonnen, die ein differenziertes Bild der Menschenrechtsdebatte in der
arabischen Welt zeichnen. Die Autoren machen deutlich, dass sich die Verteidigung der
Universalität der Menschenrechte nicht gegen ‚den’ Islam richten muss, sondern gegen be-
stimmte politisierte, historisch kontingente Islam-Interpretationen. In ihren juristischen, poli-
tikwissenschaftlichen und philosophischen Beiträgen formulieren ein Ägypter (Mahmoud
Bassiouni), ein Marokkaner (Azelarabe Lahkim Bennani) und zwei Tunesier (Yahd Ben Achour
und Sarhan Dhouib) nachdrückliche Kritik an den arabisch-islamischen Menschenrechtserklä-
rungen und an mit ihnen verbundenen Ideologien, ohne dabei unterschiedliche theoretische
Ansätze und Perspektiven zu verdecken.
Im Beitragsteil behandeln wir drei juristische Spezialfragen aus dem internationalen Men-
schenrechtsschutz, deren politische und rechtspolitische Bezüge ebenfalls von großer Aktua-
lität sind. Markus Krajewski erläutert die gegenwärtigen Entwicklungen der Menschenrechts-
bindung transnationaler Unternehmen, Kerstin Blome behandelt Vorzüge und Defizite des
Individualbeschwerdeverfahrens des Interamerikanischen Menschenrechtssystems und
Klaus Hüfner beschäftigt sich mit dem Menschenrechtsschutz durch die UNESCO.
Nina Kapaun liefert den traditionellen Bericht über die Tätigkeit des Menschenrechtsaus-
schusses der Vereinten Nationen im Jahre 2011, dessen erster Teil dem Staatenberichtsver-
fahren gewidmet ist. Im nächsten Heft wird der Bericht mit dem Überblick über die Indivi-
dualbeschwerdeverfahren fortgesetzt. Zwei Buchbesprechungen schließen das Heft ab.
Wir wünschen unseren Lesern eine anregende Lektüre.
Sandkühler: Menschenrechte in der arabischen Welt 5
Menschenrechte in der arabischen Welt. Zur Einleitung in den Themen-
schwerpunkt
Hans Jörg Sandkühler
Inhaltsübersicht Themenschwerpunkt mit vier juristischen,
I. Die arabisch-islamische Welt und die politikwissenschaftlichen und philosophi-
Menschenrechte schen Beiträgen von einem Ägypter
II. Für Rechtspluralismus – gegen (Mahmoud Bassiouni), einem Marokkaner
Rechtsrelativismus (Azelarabe Lahkim Bennani) und zwei Tu-
nesiern (Yahd Ben Achour und Sarhan
Dhouib) zu Wort. Ungeachtet unterschied-
licher theoretischer Ansätze und Perspek-
tiven formulieren sie nachdrückliche Kritik
an den arabisch-islamischen Menschen-
Die revolutionären Prozesse in arabischen
rechtserklärungen und an mit ihnen ver-
Ländern haben seit Ende 2010 die Auf-
bundenen Ideologien.
merksamkeit auf die zuvor von der Politik
im Westen weitgehend ausgeblendeten
Menschenrechtsverletzungen in den Dikta-
I. Die arabisch-islamische Welt und die
turen und auf den Kampf um die Achtung
Menschenrechte
und den Schutz politischer und sozialer
Menschenrechte gelenkt. Ihrem Anspruch nach stützen sich die ara-
bisch-islamischen Menschenrechtserklä-
Doch noch immer wird nicht angemessen
rungen1 auf ‚das’ islamische Recht. Tat-
wahrgenommen, dass (i) die Menschen-
sächlich aber greifen sie nur auf das zwi-
rechtspolitik autoritärer arabischer Regime
schen dem 8. und 12. Jh. entwickelte klassi-
auch bereits vor der Revolution nicht wi-
sche (sunnitische) islamische Recht zurück.
derspruchslos hingenommen, sondern zi-
Neuere Reformdiskurse und Reformen in
vilgesellschaftlich kritisiert wurde, (ii) für
der arabischen Welt blendenden sie aus.
die vier Menschenrechtserklärungen, die
Sie widersprechen offen der juridischen
zwischen 1981 und 2004 in der arabischen
Universalität der Menschenrechte. Eine
Welt verabschiedet wurden, nicht ‚der’
Kritik dieser Erklärungen ist notwendig,
Islam verantwortlich zu machen ist und
doch es sind einige Aspekte zu berücksich-
(iii) von ‚dem’ arabisch-islamischen Men-
tigen, soll die Kritik sich nicht pauschal
schenrechtsverständnis nicht die Rede sein
gegen ‚den Islam’ richten und die aus Un-
kann.
kenntnis um sich greifende Islamophobie
Um so wichtiger ist es, dass die Stimmen weiter schüren:
aus der arabischen Welt zur Kenntnis ge-
(i) Die vier Erklärungen gründen in kon-
nommen werden, die ein differenziertes
servativen, in den betreffenden Ländern
Bild der Menschenrechtsdebatte zeichnen
keineswegs allgemein geteilten Islam-
und erklären, dass und warum sich die
Verteidigung der Universalität der Men-
1 Vgl. Waldemar Hummer/Wolfram Karl (Hrsg.),
schenrechte nicht gegen ‚den’ Islam richten
Regionaler Menschenrechtsschutz. Dokumente
muss, sondern gegen bestimmte politisier-
samt Einführungen. Band I: Allgemeiner
te, historisch kontingente Islam-Interpreta- Schutzbereich. Teilband I/2: Amerika – Afrika –
tionen. Solche Stimmen kommen in diesem Islamisch-Arabischer Raum – Asiatisch-
Pazifischer Raum, 2008.
6 MRM —MenschenRechtsMagazin Heft 1/2012
Interpretationen, insbesondere Shari`a– 1. ‚Menschenrechtserklärungen’ seitens
Interpretationen. (ii) Sie sind Ausdruck autoritärer Regime
politischer Interessen autoritärer Staaten.
Während die meisten anderen regionalen
Sie entsprechen politischen Rechtsauffas-
Menschenrechtsinstrumente religiös und
sungen mit islamistischer Tendenz. (iii) Be-
weltanschaulich neutral und kulturenüber-
hauptungen, die Allgemeine Erklärung der
greifend konzipiert sind, gilt dies für die
Menschenrechte (AEMR) sei eine säkulare
islamisch-arabischen Menschenrechtserklä-
Interpretation der judäo-christlichen Tradi-
rungen nicht. Sie behaupten einen islami-
tion, die von Muslimen nicht ohne Bruch
schen Universalismus gegen die universellen
des islamischen Rechts befolgt werden
Rechtsnormen des internationalen Men-
könne, verdrängen aus politisch-ideolo-
schenrechte-Rechts. Die 1981 vom Islamrat
gischen Motiven die Tatsache, dass an der
für Europa in Verbindung mit der konserva-
Aushandlung der AEMR islamische Staa-
tiven Muslim World League verabschiedete
ten geradezu überproportional beteiligt
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im
waren, nämlich 10 von 56 Staaten.2 (iv) Zu
Islam4 führt in ihren 23 Artikeln 123 Koran-
berücksichtigen ist aber auch, was Kofi
verse und Zitate aus der sunna an. Sie geht
Annan 1999 so bilanziert hat:
auf eine Resolution der UN-Menschen-
„Die meisten Muslime sind sich der Tatsache rechtskommission5 mit der Aufforderung
bewusst, dass ihre Religion und ihre Zivilisati- an Saudi-Arabien zurück, sich der AEMR
on einst große Teile Europas, Afrikas und Asi- anzuschließen. Der arabische Text ist weit
ens dominiert haben. Sie wissen, dass dieses rigoroser als die ‚geglätteten’ englischen,
Reich nach und nach verloren ging und dass
französischen und deutschen Übersetzun-
fast jedes muslimische Land unter direkte oder
gen. Seit dieser Erklärung werden zwei
indirekte westliche Kontrolle geriet. Heute ist
auch innerhalb der arabischen Welt um-
der Kolonialismus vorüber, aber viele Muslime
strittene strategische Ziele verfolgt: Es soll
lehnen sich gegen ihre offensichtliche Un-
erklärt werden, dass die Menschenrechte
gleichheit gegenüber dem Westen im Bereich
der Machtpolitik auf. Viele verspüren ein Ge- integraler Bestandteil der Shari`a sind und
fühl der Niederlage und der Benachteiligung. der Koran nicht im Widerspruch zur uni-
Ihr Groll wurde durch die ungerechte Behand- versellen Menschenrechtskonzeption steht.
lung der Palästinenser oder – in jüngster Zeit –
Die 1990 von den Außenministern der Mit-
durch die an Muslimen im ehemaligen Jugo-
gliedstaaten der Organisation der Islamischen
slawien begangenen Gräueltaten noch ver-
stärkt.“3 Konferenz in Kairo angenommene zwi-
schenstaatliche, aber völkerrechtlich nicht
bindende Islamische Menschenrechts-
deklaration6 legt in Art. 25 fest:
„Die islamische Shari`a ist der einzige Bezugs-
punkt für die Erklärung oder Erläuterung eines
jeden Artikels in dieser Erklärung.“
2 Zu den Positionen der 10 an der Abfassung der Diese Deklaration und die wegen ihrer
AEMR beteiligten islamischer Staaten (Ägypten,
religiös-traditionalistischen Tendenz auch
Afghanistan, Irak, Iran, Libanon, Pakistan, Sau-
von arabischen Staaten kritisierte Arabische
di-Arabien, Syrien, Türkei und JJemen) vgl. Mo-
hammed Amin Al-Midani, La Déclaration univer- Menschenrechtscharta von 1994 verfolgen
selle des droits de l’homme et le droit musul-
man, in: Franck Frégosi (Hrsg.), Lectures con-
temporaines du droit islamique. Europe et
4 Vgl. zur Vorgeschichte der Erklärung Hum-
monde arabe, 2004, S. 153-186.
mer/Karl, (Fn. 1). S. 1125ff.; vgl. auch Anne
3 Kofi Annan, Der Dialog der Zivilisationen. Rede Duncker, Menschenrechte im Islam. Eine Analy-
vor dem Zentrum für Islamische Studien, se islamischer Erklärungen über die Menschen-
Oxford, 28. Juni 1999, in: Manuel Fröhlich rechte, 2006.
(Hrsg.), Kofi Annan. Die Vereinten Nationen im
5 Resolution 14/XXV von 1969.
21. Jahrhundert. Reden und Beiträge 1997-2003,
2004, S. 90-97. 6 Vgl. hierzu Hummer/Karl, (Fn. 1), S. 1127-1130.
Sandkühler: Menschenrechte in der arabischen Welt 7
eine anti-universalistische Tendenz. Die Präambel; Oman: Art. 1; Quatar: Art. 1;
von der Arabischen Liga mit unterstützen- Saudi-Arabien: Art. 1; Jemen: Art. 1.
der Beratung der ‚Arab Human Rights
Islam als Staatsreligion: Bahrein: Art. 2; Irak:
Commission’ durch das UN-Hochkom-
Interimsverfassung 2004, Art. 7; Kuweit:
missariat für Menschenrechte 2004 revi-
Art. 2; Libyen: Art. 2; Mauretanien: Art. 5;
dierte und 2008 völkerrechtlich in Kraft
Marokko: Art. 6; Oman: Art. 2; Quatar:
getretene Fassung weicht zwar insofern
Art. 1; Saudi-Arabien: Art. 1; Tunesien:
hiervon ab, als in der Präambel die
Art. 1; Jemen: Art. 2.8
Grundsätze der Vereinten Nationen und
der AEMR verbal bestätigt und gem. Die Shari`a als Grundlage des Rechtssystems:
Art. 43 die Rechte und Freiheiten auch von Bahrein: Art. 2; Jordanien: Art. 104: Einfüh-
Frauen, Kindern und Minderheitsangehö- rung eines besonderen Shari`a-Gerichtshofs
rigen entsprechend den internationalen neben säkularen Rechtsinstitutionen;
Menschenrechtsinstrumenten geschützt Kuweit: Art. 2; Oman: Art. 2, 10, 11;
sind. Doch auch diese arabische Charta Quatar: Art. 1; Saudi-Arabien: Art. 23 und
beruft sich auf die Kairoer Erklärung von Art. 26: “The state protects human rights in
1990 und stellt so eine Quadratur des Krei- accordance with the Islamic Shari‘ah”;
ses dar. Die Rechte der Frauen werden er- Art. 45: “The source of the deliverance of
neut in Art. 3 Abs. 3 eingeschränkt: fatwa in the Kingdom of Saudi Arabia are
God's Book and the Sunnah of His Mes-
“Men and women are equal in human dignity,
senger”; Art. 48, 55; Jemen: Art. 3.
in rights and in duties, within the framework of
the positive discrimination established in favor of Protokollerklärungen islamischer Staaten
women by Islamic Shari‘a and other divine laws, schränken auch die Rechte ein, die sich aus
legislation and international instruments.”7 von diesen Staaten unterzeichneten Kon-
Ein Menschenrechtskomitee ist in Art. 45 ff. ventionen und Pakten der Vereinten Natio-
vorgesehen, nicht aber die Möglichkeit der nen ergeben; die erklärten Vorbehalte be-
Individualklage. Einen arabischen Men- treffen vor allem die Frauenrechte, aber
schenrechtsgerichtshof gibt es nicht. auch die Rechte auf Meinungs- und Religi-
onsfreiheit – und zwar unter Verweis auf
Ein Verfassungsvergleich zeigt für viele
die Shari`a.
arabische und andere islamische Staaten
die Vorherrschaft des Islam als Staatsreli- Es darf aber nicht übersehen werden, dass
gion und der Shari`a als vorrangiger Quelle in den meisten islamischen Ländern kora-
des Rechtssystems. Für die Analyse rele- nische Gebote, arabisches Gewohnheits-
vante Elemente in Verfassungen arabisch- recht, römische und andere Rechtselemente
islamischer Staaten sind: sowie Elemente europäischen, während
der Kolonialzeit importierten Rechts inei-
Menschenwürde: Algerien: Präambel und
nander verwoben sind. Auch darf der Ge-
Art. 34; Kuweit: Präambel und Art. 29; Li-
setzeskonflikt nicht ausgeblendet werden,
byen: Art. 27; Mauretanien: Präambel; Syri-
der sich aus der Bindung an den Koran
en: Art. 25; Tunesien: Präambel.
einerseits und an die Charta der Vereinten
Menschenrechte: Algerien: Art. 33; Bahrein: Nationen andererseits ergibt: Die Mehrheit
Art. 18; Irak: Art. 50; Libyen: ‚The Great der islamischen Staaten hat die Charta un-
Green Charter of Human Rights in the Ja- terzeichnet und ist damit zwei einander
mahirian Era’ (1988); Mauretanien: Präam-
bel; Jemen: Art. 6.
8 Vgl. zur Bedeutung des islamischen Glaubens
Erklärung zum Islamischen Staat: Bahrein: und der Shari`a in Rechtsordnungen Peter
Art. 1, 2; Mauretanien: Art. 1; Marokko: Scholz, Recht im Nahen und Mittleren Osten:
Ausdruck moderner Staatlichkeit, Träger isla-
mischen Erbes und Instrument autoritärer Sys-
teme. Zugleich eine Einführung in das islamisch
geprägte Recht der Gegenwart, in: Humboldt
7 Hervorhebung von mir. Forum Recht 2011 (3), S. 24-37 (S. 29-33).
8 MRM —MenschenRechtsMagazin Heft 1/2012
widersprechenden Normensystemen ver- hängen die Optionen für Begründungen
pflichtet, einem den Bürgern Gedanken- von der Wahl konzeptueller Rahmen ab.11
freiheit garantierenden System und der
Fathi Triki, der Inhaber des UNESCO-Lehr-
Shari`a, die sie ablehnt.
stuhls für Philosophie für die arabische
Welt in Tunis, kritisiert die Kairoer Erklä-
rung: „Der größte Mangel dieser Erklärung
2. Intellektuelle Diskurse über die Uni-
ist […], dass sie konservativ ist. Weit davon
versalität der Menschenrechte und al-
entfernt, eine Perspektive der Moderni-
ternative zivilgesellschaftliche Erklä-
sierung und Anpassung der Shari`a an die
rungen in der arabischen Welt
Erfordernisse des gegenwärtigen Lebens
Den islamisch-arabischen Menschenrechts-
zu eröffnen, beschränkt sie sich darauf, für
erklärungen stehen – vor allem in den
die meisten Rechte, die sie einräumt, den
1990er Jahren – intellektuelle Diskurse über
unverletzlichen islamischen Rahmen in
eine Stärkung der Zivilgesellschaft in der
Erinnerung zu rufen. Dieses Verfehlen von
arabischen Welt9 und ein zivilgesellschaft- Ijtihād (Erneuerung) seitens der Verfasser
liches Menschenrechtsengagement entge-
der Erklärung stellt den Missstand dar, den
gen, das nicht verschwiegen werden sollte,
Genuss der Rechte und Freiheiten an den
auch wenn eine Bilanz noch kritisch aus-
Vorbehalt der Achtung der Shari`a zu bin-
fällt:
den, über die sich zahlreiche muslimische
„Obwohl seit dem 19. Jahrhundert in einigen Juristen und Philosophen uneins sind, und
arabischen und muslimischen Ländern Säkula- zwar sowohl hinsichtlich der Anzahl der
risierungsprozesse ausgelöst wurden, die spä- Normen, die sie ausmachen, als auch sogar
ter zur Implementierung der Menschenrechte bezüglich der Grundprinzipien der ge-
geführt haben, leidet die Menschenrechtskultur nannten Menschenrechtserklärung. Ein
immer noch an vielen gesellschaftspolitischen
weiterer Unsicherheitsfaktor liegt im Pro-
Problemen (Ungleichheit, Ungerechtigkeit,
blem der Interpretation der Regeln der Sha-
Unterdrückung der Frauen).“10
ri`a, von der letztlich die Feststellung der
Noch sind die Verteidiger der Universalität Konformität oder Nichtkonformität der
der Menschenrechte Machtverhältnissen Rechte abhängt, die man schützen will.
unterworfen, die in der arabischen und Anstatt ein Text eindeutiger Beförderung
islamischen Welt fortbestehen bezie- der Menschenrechte zu sein, ist die Kairoer
hungsweise im Prozess der Revolutionen Erklärung in einer relativistischen Perspek-
in der arabischen Welt noch ungeklärt sind. tive der Selbstversicherung einer bedrohten
und übel zugerichteten Identität verfasst,
Die intellektuelle Debatte in islamischen
die um so mehr für andauernden Rassis-
Ländern, in der nach dem Status von Recht
mus und die immer stärker anbrandende
und Gesetz im Islam, nach möglichen be-
Welle von Islamophobie verantwortlich ist,
ziehungsweise kontraproduktiven theolo-
je angreifbarer die politischen Regime der
gischen Begründungen des Verständnisses
muslimischen Länder aufgrund von zwei
der Menschenrechte und für deren univer-
fehlenden Voraussetzungen sind: Rechts-
selle Geltung gefragt wird, ist nicht weni-
staat und demokratische Legitimität.“12
ger vielstimmig als im ‚Westen’. Auch hier
9 Vgl. hierzu die Analysen in Amr Hamzawy, 11 Zu einer Typologie von Argumentationen für
Zeitgenössisches politisches Denken in der ara- und wider die Vereinbarkeit von Islam und
bischen Welt. Kontinuität und Wandel, 2005. Menschenrechten vgl. den Beitrag von Mahmoud
Bassiouni in diesem Heft, S. 28-43.
10 Sarhan Dhouib, Von der interkulturellen Ver-
mittlung zur Transkulturalität der Menschen- 12 Fathi Triki, Demokratische Ethik und Politik im
rechte, in: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.), 2011, Islam. Arabische Studien zur transkulturellen
Recht und Kultur. Menschenrechte und Rechts- Philosophie des Zusammenlebens, 2011, S. 219
kulturen in transkultureller Perspektive, 2011, (ins Deutsche übersetzt von Hans Jörg Sandküh-
S. 153-176 (S. 171). ler).
Description:lic affairs.” 14. Cairo Declaration on Human Rights Education keiten haben das Problem grundlegend, ehrlich und mit Einsicht ton University International Law Journal 24. (2006), S. hang bemerkt der algerische Philosoph. Mohammed Arkoun: rations, full compliance with the judgments of.