Table Of ContentBEIHEFTE ZUR
ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER
FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG
HERAUSGEGEBEN VON KURT BALDINGER
Band 203
Christoph Josef Drüppel
ALTFRANZÖSISCHE URKUNDEN
UND LEXIKOLOGIE
Ein quellenkritischer Beitrag zum Wortschatz
des frühen 13. Jahrhunderts
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN
1984
A Monique
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft
der VG WORT
Drüppel, Christoph Josef:
Altfranzösische Urkunden und Lexikologie : e. quellenkrit. Beitr.
zum Wortschatz d. frühen 13. Jh. / Christoph Josef Drüppel. -
Tübingen : Niemeyer, 1984.
(Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie ; Bd. 203)
NE: Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte
ISBN 3-484-52203-8 ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1984
Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses
Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen.
Printed in Germany.
Satz und Druck: Laupp & Göbel, Tübingen 3.
Einband: Heinrich Koch, Tübingen.
Inhalt
VORWORT VII
1. EINLEITUNG 1
1.1. Afr. Urkunden als Quelle der Sprachwissenschaft 1
1.2. Geographische Verbreitung afr. Urkunden 3
1.3. Übergang zur afr. Beurkundung 8
1.4. Zielsetzung 11
2. QUELLENKRITIK 14
2.1. Urkunde und Dokument 14
2.2. Auswertung rechtssprachlicher Texte 18
2.2.1. Quellenkritische Problematik 18
2.2.2. Auswertungspraxis sprachwissenschaftlicher Monographien und
Wörterbücher 24
2.3. Neuedition und Transkriptionsvergleich 38
3. LEXIKOLOGISCHE AUSWERTUNG AFR. URKUNDEN AUF GRUND
DER ENTWICKELTEN KRITERIEN 42
3.1. Aufbau der Artikel 42
3.2. Einzelartikel arcediacne bis were 47
4. KRITISCHE BIBLIOGRAPHIE PUBLIZIERTER AFR. URKUNDEN BIS
ZUM JAHR 1235 115
4.1. Einleitung 115
4.2. Bibliographie 118
5. ANHANG 162
5.1. Ortsverzeichnis 162
5.2. Index der kommentierten Wörter 163
LITERATUR-UND QUELLENVERZEICHNIS 168
I. Texteditionen und Editionskommentare 168
II. Sprache und Wörterbücher 175
III. Hilfswissenschaften: Diplomatik, Rechtsgeschichte, Geographie,
Chronologie 179
Vorwort
Die altfranzösische Urkunde als ein unter Beachtung bestimmter Formen
volkssprachlich abgefaßtes Schriftstück rechtlichen Inhalts tritt seit dem Be-
ginn des 13. Jahrhunderts zunehmend an die Stelle der lateinischen Ausferti-
gung und wird damit zu einer wichtigen Quelle für die Geschichte der französi-
schen Sprache. Kurt Baldinger wies schon 1953 auf die Bedeutung der lokali-
sier* und datierbaren Urkunden und Weistümer als eine sichere Grundlage für
die Sprachforschung hin, betonte jedoch gleichzeitig, «daß die sprachwissen-
schaftliche ... Auswertung der Urkunden große Vorsicht und kritische Prü-
fung erheischt» (Orbis 2,1953, S. 188). In der Tat wurde und wird die quellen-
kritische Problematik bei der sprachwissenschaftlichen Auswertung von Ur-
kunden und Dokumenten in ihrer Vielschichtigkeit von den Wörterbuchauto-
ren nicht immer erkannt. Die vorliegende Arbeit beschreibt und systematisiert
die für den Untersuchungszeitraum (ca. 1200-1235) greifbaren Urkunden und
Dokumente anhand von Kriterien, die eine deutliche Unterscheidung der ori-
ginalen von der kopialen Überlieferung in der Lexikographie ermöglichen und
bewirken sollen.
Tiefen Dank schulde ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Drs.
h.c. Kurt Baldinger, der mir das Thema als Dissertation anvertraut und die
Genese der Arbeit geduldig und hilfreich begleitet hat. Den Damen und Her-
ren der Archives Nationales und der Archives Départementales de l'Aisne, de
l'Aube, du Doubs, d'Indre-et-Loire, de la Région Lorraine et du Département
de la Moselle, du Nord, du Pas-de-Calais, des Rijksarchief te Gent, der Archi-
ves Communales von Douai, Lille und Metz, der Bibliothèques Municipales
von Arras und Cambrai gebührt mein herzlicher Dank für die zahlreichen,
immer freundlichen Auskünfte. Ganz besonders aber danke ich Herrn Dr.
Frankwalt Möhren für seine oft kritischen, immer ermutigenden Anmerkun-
gen und für seine zahllosen Hinweise und Hilfen, die weit über das gewöhnliche
Maß kollegialer Förderung hinausgingen.
1. Einleitung
1.1. Afr. Urkunden als Quelle der Sprachwissenschaft
Die volkssprachliche Urkunde als ein in altfranzösischer Sprache unter Beach-
tung bestimmter Formen abgefaßtes Schriftstück rechtlichen Inhalts1 ist uns
seit der Wende vom 12. zum 13. Jh. überliefert. Ihr gehen nichturkundliche
Dokumente ebenfalls rechtlichen Inhalts voraus, die in den Straßburger Eiden
von 842 ihren ältesten und wohl berühmtesten Vorläufer aufzuweisen haben.
Die Vorteile bei der Bearbeitung urkundlicher Texte gegenüber literari-
schen, nämlich Datierbarkeit, Lokalisierbarkeit und Authentizität der Quellen,
führten bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zu einer verstärkten Auswer-
tung afr. Urk. durch die Romanisten2. Die von der Ecole des Chartes in Paris
ausgegebenen Abschlußarbeiten der 'chartistes' förderten diesen Prozeß durch
die Bereitstellung neuer und kritisch edierter Quellen3.
Auch in Deutschland wurden die Dok. beliebte Untersuchungsobjekte ro-
manistischer Forscher, vor allem der Schüler von Suchier in Halle. Das Interes-
se an urkundlichen Texten war so groß, daß die von der Ecole des Chartes 1887
und 1888 zurückgewiesene Abschlußarbeit von Charles Bonnier, Etude lingui-
stique à propos des chartes en langue romane de Douai au XIIIe siècle (Bonnier,
Etude*) trotz aller Kritik 1889-1890 in der ZrP veröffentlicht werden konnte.
1 Zur näheren Definition des Urkundenbegriffs und zur Abgrenzung der Urkunde ge-
genüber sonstigen Schriftstücken rechtlichen Inhalts vgl. unten S. 14-18.
2 Zur Rolle afr. Urk. in der Forschung vgl. die umfassende Hinführung von J. Monfrin,
Les études sur les anciens textes gallo-romans non littéraires, in: DocFrHMarneG
S. XI-XL; in Frankreich unterstrich bereits 1829 J. J. Champollion-Figeac, Lehrer für
Paläographie an der Ecole des Chartes, die Gleichwertigkeit urkundlicher und literari-
scher Überlieferung für die Erforschung der Sprache.
3 Schon 1838 hatte Natalis de Waüly, Chef der Archives Nationales, gefordert «Comme
ces actes [d. h. die afr. Urk.] ne devinrent communs que sous le règne de Philippe le
Hardi, on ne devrait pas négliger de publier ceux qu'on pourrait découvrir antérieure-
ment à la seconde moitié du XIIIe siècle» (Wailly, Eléments S. 158) und gleichzeitig ein
Credo der buchstabengetreuen Abschrift von Dok. formuliert: «le premier mérite
d'une publication, c'est d'être exacte jusqu'à la minutie; il n'est pas de barbarisme que
leur plume doive craindre de transcrire; aucune faute ne doit être corrigée; toutes
doivent être scrupuleusement copiées» (ibid., S. 161).
4 Die im folgenden verwendeten Sigel entsprechen denen des (erst zum Teil veröffent-
lichten) Complément bibliographique zum DEAF. Kurztitel (wie Bonnier, Etude) wur-
den subsidiär vor allem in Hinblick auf die zahlreichen Textzitate in den Wortartikeln
1
Die Sprache der Urk. wurde lange Zeit nicht nur als unverfälschtes Produkt
ihrer Epoche, sondern geradezu als Aufzeichnung der vom Volk gesprochenen
urwüchsigen Sprache angesehen. In einer gewissen Euphorie glaubte man gar,
mit ihrer Hilfe den literarischen Zeugnissen ihrer Zeit, die durch die Einwir-
kung zahlreicher Kopisten über mehrere Jahrhunderte hinweg verfälscht zu sein
schienen, wieder zu ihrer ursprünglichen Sprachform verhelfen zu können5. Die
Kritik an diesem wohl verfehlten Ansatz führte bereits im letzten Jahrhundert6,
spätestens aber seit den Anfängen der Skriptaforschung7 zur notwendigen Rela-
tivierung des Werts urkundlicher Überlieferung für diesen Bereich der Sprach-
wissenschaft. Die Urkundensprache vereint die für die Beschreibung des
Rechtsgeschäfts notwendigen volkssprachlichen Elemente einer Region mit
den fachsprachlichen Vorgaben des Rechtskundigen und ist dabei in gewissem
Umfang dem Einfluß der herkunftsbezogenen Sprachgewohnheiten des Schrei-
bers ausgesetzt. Sie bildet damit eine neue Sprachform, die mit der gesproche-
nen Volkssprache ihrer Zeit nur wenig gemein hat. Aber sie enthält parallel
volkssprachliches und fachsprachliches Vokabular, sie ist - zumindest in den
ersten Dezennien des 13. Jh. - noch wenig formelhaft und gehört damit zu den
wichtigsten Quellen lexikologischer Forschung.
Auffällig ist, daß die Untersuchungen anhand rechtssprachlicher Texte vor
allem seit dem Aufkommen der Skriptologie überwiegend Morphologie und
Syntax zum Thema haben8, die Anzahl der Arbeiten zum Wortschatz der Urk.
hingegen eher stagniert9. Auch heute noch gilt unverändert die Aussage von
und in der Urkundenbibliographie gebildet. Die Auflösung der Kurztitel erfolgt im
Literaturverzeichnis jeweils im Anschluß an die Titelaufnahme.
5 Ein richtungsweisender Versuch war die Edition der Histoire de Saint-Louis von Join-
ville durch N. de Wailly 1868 (JoinvW1) und 1874 (JoinvW2), der die Wiederherstel-
lung der Morphologie des Ms. 14. Jh. durch die Auswertung fr. Urk. aus der Kanzlei
von Joinville unternahm und dafür allgemeine Zustimmung in Fachkreisen, v. a.
durch Paul Meyer, fand, vgl. Monfrin, Mode S. 17-18, v. a. Fn. 1. Auch die Sammlung
afr. Urk. aus dem Poitou durch La Du (LaDuCh 1960-1964) sollte einer Sprachunter-
suchung des Roman d'Alexandre als Grundlage dienen.
Als einer der letzten Versuche, die Sprache der Urk. gleichsam als kodifizierte Volks-
sprache auszugeben, ist die Veröffentlichtung von Bonnier, Etüde an der Kritik der
Fachwelt gescheitert.
6 Vgl. die Rez. durch Paul Meyer von Bonnier, Etüde, in: R 19, 1890, S. 349-350 und
617; R 20, 1891, S.85. Vgl. auch RemAWall, v.a. S. 140-183.
7 Vgl. als grundlegende Arbeit GossenScripta.
8 An älteren Arbeiten seien u. a. genannt Wailly, Reims; Wailly, Metz; Bonnardot,
Metz; Bonnier, Etüde; Wilmotte, Etudes, SchwanBehrens, etc. sowie an jüngeren
Arbeiten RemAWall, Gossen, Ajoie, GossenScripta, GoeblNorm, DeesAtlas, um nur
einige zu nennen.
9 Mit Runk, Bev, Ewald und Morlet liegen inzwischen nicht mehr ganz junge Arbeiten
dieser Kategorie vor. Runk weist indes - wie im einzelnen noch zu zeigen ist - teils so
erhebliche Mängel auf, daß die Arbeitsergebnisse jeweils einer strengen Nachprüfung
bedürfen. Morlet basiert überwiegend auf Runk, unterzieht sich der kritischen Nach-
prüfung im allgemeinen jedoch nicht.
Als fundierte jüngere Arbeit ist MantouVoc zu nennen, deren Quellen jedoch erst um
1250 einsetzen.
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