Table Of ContentMatt Ridley 
Alphabet des 
Lebens 
s&c by unknown  
Zu Beginn des 21.Jahrhunderts ist die Forschung zum erstenmal in der Lage, 
das menschliche Genom, die Summe sämtlicher Gene, zu entschlüsseln. In 
23 Kapiteln – jedes ist einem Gen der 23 Chromosomenpaare gewidmet – 
führt  uns  der  prominente  Wissenschaftsautor  Matt  Ridley  auf  eine 
faszinierende Reise durch unsere jahrmillionenalte Vergangenheit und in eine 
spannende, wenn auch nicht unumstrittene Zukunft der Genforschung. 
ISBN: 3-546-00226-1 
Original: Genome (1999) 
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel 
Verlag: Claassen 
Erscheinungsjahr: 2000 
Umschlaggestaltung: HildenDesign, München 
 
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Buch 
 
Wenn das 20. Jahrhundert das der Physik war, dann wird das 21. 
Jahrhundert  ganz  der  Biologie  gehören.  Vor  allem  aber  der 
Genom-Forschung, die die komplette Blaupause des menschli-
chen Erbguts bestimmen will. Was bedeutet es zu leben, ein 
Mensch zu sein, ein Bewußtsein zu haben, und was heißt es, 
krank zu sein? 
Mit jedem der 23 Kapitel dieses Buches erzählt Matt Ridley 
die spannende Geschichte eines der neu entdeckten Gene, die in 
ihrer Gesamtheit wiederum die jahrmillionenalte Geschichte der 
Menschheit von den Anfängen bis hin zu den Möglichkeiten der 
modernen Medizin widerspiegeln. 
Er entdeckt Gene, die wir gemeinsam mit Bakterien haben. 
Gene, die uns vom Schimpansen unterscheiden. Gene, die uns 
zu unheilbaren Krankheiten verdammen, während andere sich 
gegenseitig bekämpfen. Gene, die unser Erinnerungsvermögen 
steuern, und solche, die die Geschichte der Völkerwanderungen 
aufgezeichnet haben. 
Ob  BSE  oder  Krebs:  Matt  Ridley  erkundet  das  gesamte 
Spektrum der Genforschung, von den Krankheitsursachen über 
die Behandlungsmöglichkeiten bis hin zu Mißbrauch wie dem 
Horrorszenarium der Eugenik, der »Erbhygiene«. 
Immer wieder wirft er kritische Fragen auf: Wo liegen die 
Grenzen  aus  ethischer  Sicht,  und  wie  beantwortet  die 
Philosophie die rasanten Entwicklungen der letzten Zeit?
Autor 
 
 
 
Der britische Zoologe und Soziobiologe Matt Ridley ist einer 
der  prominentesten  Wissenschaftsautoren.  Sein  Werk  Die 
Biologie der Tugend (Ullstein 1997) wurde zum Wissenschafts-
buch des Jahres 1998 gekürt. Ridley hat lange Jahre für den 
Economist und die Times gearbeitet. Seit einiger Zeit lehrt und 
forscht er am Institute of Economic Affairs. Gegenwärtig lebt 
Matt  Ridley  mit  seiner  Frau  und  seinem  Sohn  in 
Northumberland, England.
Inhalt 
 
Buch.........................................................................................................2 
Autor........................................................................................................3 
Inhalt........................................................................................................4 
Vorwort....................................................................................................6 
CHROMOSOM 1 Leben........................................................................15 
CHROMOSOM 2 Arten.........................................................................31 
CHROMOSOM 3 Geschichte................................................................51 
CHROMOSOM 4 Schicksal...................................................................72 
CHROMOSOM 5 Umwelt......................................................................87 
CHROMOSOM 6 Intelligenz...............................................................102 
CHROMOSOM 7 Instinkt....................................................................123 
X- UND Y-CHROMOSOM Konflikt.....................................................145 
CHROMOSOM 8 Eigennutz................................................................165 
CHROMOSOM 9 Krankheiten............................................................184 
CHROMOSOM 10 Streß......................................................................199 
CHROMOSOM 11 Persönlichkeit.......................................................217 
CHROMOSOM 12 Selbstmontage.......................................................234 
CHROMOSOM 13 Vorgeschichte.......................................................250 
CHROMOSOM 14 Unsterblichkeit......................................................263 
CHROMOSOM 15 Sex........................................................................278 
CHROMOSOM 16 Gedächtnis............................................................295 
CHROMOSOM 17 Tod........................................................................311 
CHROMOSOM 18 Heilung.................................................................327 
CHROMOSOM 19 Vorbeugung..........................................................347 
CHROMOSOM 20 Politik...................................................................364 
CHROMOSOM 21 Eugenik.................................................................384 
CHROMOSOM 22 Freier Wille..........................................................404 
Danksagung.........................................................................................422 
Anmerkungen und Literatur.................................................................424
Für meine Eltern und für meine Kinder
Vorwort 
Das menschliche Genom – die gesamte Genausstattung eines 
Menschen  –  ist  in  23  unterschiedlichen  Chromosomenpaaren 
verpackt. Davon numeriert man 22 in etwa nach der Größe: vom 
umfangreichsten (Nr. 1) bis zum kleinsten (Nr. 22). Das letzte 
Paar besteht aus den Geschlechtschromosomen: zwei großen X-
Chromosomen  bei  Frauen,  einem  X-  und  einem  kleinen  Y-
Chromosom bei Männern. Das X-Chromosom liegt in seiner 
Größe zwischen den Chromosomen Nummer 7 und 8, das Y-
Chromosom ist das kleinste von allen. 
Die Zahl 23 hat keine besondere Bedeutung. Viele biologische 
Arten,  so  auch  unsere  engsten  Verwandten  unter  den 
Menschenaffen, besitzen mehr Chromosomen, bei vielen anderen 
sind es weniger. Gene ähnlicher Art und Funktion ballen sich 
auch  nicht  zwangsläufig  auf  demselben  Chromosom.  Deshalb 
war ich ein wenig verblüfft, als ich mich vor einigen Jahren über 
einen  Laptop-Computer  gebeugt  mit  dem  Evolutionsbiologen 
David  Haig  unterhielt  und  dabei  erfuhr,  Nummer  15  sei  sein 
Lieblingschromosom. Er erklärte auch, warum: Dort liegen alle 
möglichen hinterhältigen Gene. Nie zuvor war ich auf die Idee 
gekommen, Chromosomen könnten eine Persönlichkeit haben – 
schließlich sind sie nur zufällige Genansammlungen. Aber durch 
Haigs  beiläufige  Bemerkung  setzte  sich  in  meinem  Kopf  ein 
Gedanke fest, den ich seitdem nicht mehr loswurde. Warum sollte 
man die Geschichte des menschlichen Genoms, die heute zum 
ersten  Mal  in  immer  mehr  Einzelheiten  bekannt  wird,  nicht 
Chromosom für Chromosom erzählen und dabei jeweils ein Gen 
auswählen,  das  zum  Verlauf  der  Geschichte  paßt?  Ähnlich 
verfuhr  Primo  Levi  in  seinen  autobiographischen  Kurz-
geschichten mit dem Periodensystem der Elemente. Er brachte 
  6
jedes Kapitel seines Lebens mit einem Element in Verbindung, 
das für den beschriebenen Zeitraum irgendeine Rolle spielte. 
Ich stellte mir das menschliche Genom zunehmend als eine Art 
eigenständige  Autobiographie  vor  –  als  einen  in  »genischer« 
Sprache  geschriebenen  Bericht  über  alle  Wechselfälle  und 
Erfindungen, welche die Vergangenheit unserer Spezies und ihrer 
Vorfahren  seit  Anbeginn  des  Lebens  kennzeichnen.  Manche 
Gene haben sich kaum verändert, seit die allerersten einzelligen 
Lebewesen die Ursuppe bevölkerten. Andere entwickelten sich, 
als unsere Vorfahren wie Würmer aussahen. Dann gibt es Gene, 
die zum ersten Mal aufgetaucht sein müssen, als unsere Vorfah-
ren  Fische  waren.  Wieder  andere  existieren  in  ihrer  heutigen 
Form  nur  deshalb,  weil  in  jüngerer  Zeit  Krankheitsepidemien 
wüteten. Und schließlich kennen wir Gene, mit deren Hilfe man 
die Wanderungsbewegungen der Menschheit in den letzten paar 
Jahrtausenden nachzeichnen kann. Das Genom bildet eine Art 
Autobiographie unserer Spezies, in der alle wichtigen Ereignisse 
aus der Zeit vor vier Milliarden Jahren bis vor wenigen Jahrhun-
derten aufgezeichnet sind. 
Ich machte mir eine Liste der 23 Chromosomen und schrieb 
daneben  eine  Reihe  von  Themen,  die  mit  dem  Wesen  des 
Menschen  zu  tun  haben.  Durch  eifriges  Suchen  stieß  ich 
allmählich  auf  Gene,  die  sich  als  Sinnbilder  für  meine 
Geschichte eigneten. Häufig war ich enttäuscht, weil ich kein 
geeignetes Gen fand, oder ich fand das ideale Gen, aber es lag 
auf dem falschen Chromosom. Dann stellte sich die schwierige 
Frage, was ich mit den Chromosomen X und Y anfangen sollte; 
ich habe sie hinter das Chromosom 7 gestellt, wie es der Größe 
des X-Chromosoms entspricht. Deshalb trägt das letzte Kapitel 
eines Buches, das in seinem Untertitel mit 23 Kapiteln protzt, 
die Nummer 22. 
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte ich etwas höchst 
Irreführendes  getan.  Man  könnte  daraus  entnehmen,  daß  das 
Chromosom 1 zuerst da war, was nicht stimmt. Man könnte 
  7
glauben,  das  Chromosom  11  habe  ausschließlich  mit  der 
Persönlichkeit des Menschen zu tun, was ebenfalls nicht stimmt. 
Es gibt im menschlichen Genom 60000 bis 80000 Gene, und ich 
könnte niemals über alle berichten – einerseits weil man bisher 
noch  nicht  einmal  8000  identifiziert  hat  (die  Zahl  wächst 
allerdings jeden Monat um einige Hundert), andererseits aber 
auch,  weil  sie  in  ihrer  großen  Mehrzahl  zum  langweiligen 
biochemischen Mittelbau gehören. 
Aber ich kann eine zusammenhängende Ahnung des Ganzen 
vermitteln,  einen  Schnelldurchgang  durch  einige  besonders 
interessante Stellen im Genom, und ich kann berichten, was wir 
daraus über uns selbst lernen können. Unsere Generation hat als 
erste das Glück, daß sie in dem Buch namens Genom lesen kann. 
Nachdem das möglich ist, bringen wir über unsere Ursprünge, 
unsere  Evolution,  unser  Wesen  und  unseren  Geist  mehr  in 
Erfahrung  als  durch  alle  wissenschaftlichen  Anstrengungen 
zuvor.  Es  bedeutet  eine  Umwälzung  für  Anthropologie, 
Psychologie, Medizin, Paläontologie und praktisch alle anderen 
Wissenschaften. Damit will ich nicht behaupten, alles liege in den 
Genen oder die Gene seien wichtiger als andere Faktoren. Das 
stimmt sicher nicht. Aber wichtig sind sie, auch das ist sicher. 
Dieses  Buch  handelt  nicht  vom  Projekt,  das  menschliche 
Genom zu entschlüsseln – von den Methoden zur Genkartierung 
und -Sequenzierung –, sondern von dem, was man im Rahmen 
des  Projektes  entdeckt  hat.  Irgendwann  um  das  Jahr  2001 
werden wir vermutlich eine erste grobe Skizze des gesamten 
menschlichen Genoms besitzen. In wenigen Jahren werden wir 
dann  von  fast  völliger  Unkenntnis  über  unsere  Gene  zu 
umfassendem  Wissen  gelangt  sein.  Nach  meiner  festen 
Überzeugung  erleben  wir  damit  die  größte  Sternstunde  der 
Geistesgeschichte. Und zwar uneingeschränkt. Manch einer mag 
einwenden, ein Mensch sei nicht nur die Summe seiner Gene. 
Dem widerspreche ich nicht – jeder von uns ist viel, viel mehr 
als ein genetischer Code. Aber bis heute lagen die Gene des 
  8
Menschen  fast  völlig  im  dunkeln.  Wir  werden  die  erste 
Generation sein, die in dieses Dunkel vordringt. Wir stehen am 
Vorabend großartiger neuer Antworten, vor allem aber stellen 
sich  großartige  neue  Fragen.  Das  versuche  ich  mit  dem 
vorliegenden Buch zu vermitteln. 
 
Der  zweite  Teil  dieses  Vorwortes  soll  als  kurze  Einführung 
dienen,  als  eine  Art  erzähltes  Glossar  über  Gene  und  ihre 
Funktionsweise. Der Leser sollte es zu Beginn überfliegen und 
später darauf zurückgreifen, wenn Fachausdrücke nicht erklärt 
werden. Die moderne Genetik ist ein beträchtlicher fachsprach-
licher Wirrwarr. Ich habe mich sehr darum bemüht, in diesem 
Buch  möglichst  wenige  Fachbegriffe  zu  verwenden,  aber  an 
manchen Stellen lassen sie sich nicht vermeiden. 
Der menschliche Körper besteht aus etwa 100 Billionen (Mil-
lionen  Millionen)  Zellen,  die  meisten  davon  mit  einem 
Durchmesser von weniger als einen Zehntelmillimeter. In jeder 
Zelle  befindet  sich  ein  dunkler  Klumpen,  den  man  Zellkern 
nennt. Der Zellkern enthält zwei vollständige Exemplare des 
menschlichen  Genoms  (eine  Ausnahme  sind  die  Ei-  und 
Samenzellen, die es nur in einfacher Ausführung enthalten, und 
die roten Blutzellen, die überhaupt kein Genom besitzen). Ein 
Exemplar des Genoms stammt von der Mutter, das andere vom 
Vater. Im Prinzip enthält jedes davon die gleichen 60000 bis 
80000 Gene auf den gleichen 23 Chromosomen. In der Praxis 
findet  man  zwischen  der  väterlichen  und  der  mütterlichen 
Version eines Gens häufig kleine, komplizierte Unterschiede, 
die beispielsweise für blaue oder braune Augen sorgen. Bei der 
Fortpflanzung geben wir jeweils eine vollständige Genausstat-
tung  weiter,  aber  zuvor  werden  Teile  der  väterlichen  und 
mütterlichen Chromosomen ausgetauscht, ein Vorgang, den man 
Rekombination nennt. 
Stellen Sie sich das Genom als Buch vor: 
  9
Es enthält 23 Kapitel, die Chromosomen. 
Jedes Kapitel enthält mehrere tausend Geschichten, die Gene. 
Jede Geschichte besteht aus Absätzen, die man Exons nennt, 
und  dazwischen  liegen  Werbeanzeigen,  die  Introns.  Jeder 
Absatz besteht aus Wörtern, den Codons. Jedes Wort setzt sich 
aus Buchstaben zusammen, den Basen. 
 
In dem Buch stehen eine Milliarde Wörter, und damit ist es 
länger als 5000 Bände wie dieser oder so umfangreich wie 800 
Bibeln. Würde ich das Genom acht Stunden pro Tag mit einer 
Geschwindigkeit von einem Wort pro Sekunde laut vorlesen, 
wäre ich erst nach einem Jahrhundert fertig. Würde ich es mit 
einem Buchstaben je Zentimeter aufschreiben, wäre der Text so 
lang  wie  die  Donau.  Es  ist  ein  riesiges  Dokument,  ein 
gewaltiges Buch, ein Rezept von unglaublicher Länge, und doch 
paßt es in den mikroskopisch kleinen Kern einer winzigen Zelle, 
die ohne weiteres auf einem Stecknadelkopf Platz hätte. 
Die Vorstellung vom Genom als Buch ist strenggenommen 
nicht einmal eine Metapher, sondern sie ist buchstäblich wahr. 
Ein  Buch  enthält  digitale  Information,  niedergeschrieben  in 
einer eindimensionalen, in einer Richtung verlaufenden Abfolge 
und  definiert  durch  einen  Code,  in  dem  ein  kleines 
Zeichenalphabet durch die Reihenfolge oder Anordnung seiner 
Elemente eine gewaltige Bedeutungsvielfalt erzeugen kann. Für 
das  Genom  gilt  das  gleiche.  Nur  in  einer  Hinsicht  ist  es 
komplizierter: In allen europäischen Sprachen werden Bücher 
von  links  nach  rechts  gelesen,  manche  Teile  des  Genoms 
dagegen liest man von links nach rechts, andere von rechts nach 
links, aber niemals in beiden Richtungen gleichzeitig. 
(Nebenbei bemerkt: In dem vorliegenden Buch findet sich, 
von diesem Absatz abgesehen, nirgendwo das vielstrapazierte 
Wort »Blaupause«, und zwar aus drei Gründen. Erstens werden 
Blaupausen  nur  von  Architekten  und  Ingenieuren  verwendet, 
  10